Entscheidungsdatum: 30.01.2015
Die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München - 15. Zivilsenat - vom 29. Mai 2013 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin ist Eigentümerin zweier Grundstücke. Deren Erwerb und Bebauung finanzierten die miteinander verheirateten Parteien durch Darlehen, für die sie eine gesamtschuldnerische Haftung übernahmen. In dem Bestreben, ihre steuerlichen Verhältnisse günstig zu gestalten, hatten die Parteien am 22. September 1988 und am 30. April 1997 notariell beurkundete - im Wesentlichen inhaltsgleiche - Verträge geschlossen. In diesen verpflichtete sich die Klägerin, über die Grundstücke nur mit vorheriger Zustimmung des Beklagten zu verfügen und - bei Verstoß gegen diese Abrede - zur Übertragung des Eigentums auf den Beklagten. Ein Anspruch auf Übereignung sollte zudem gegeben sein bei Vorversterben der Klägerin, bei Stellung des Scheidungsantrags durch eine der Parteien, bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in das jeweilige Grundstück und bei Insolvenz der Klägerin. Die Eigentumsverschaffungsansprüche wurden vereinbarungsgemäß durch Vormerkungen gesichert. Darüber hinaus enthalten die Verträge Regelungen, nach denen der Beklagte im Falle des Übereignungsverlangens verpflichtet ist, sämtliche im Grundbuch in Abteilung II oder III im Range vor seiner Vormerkung eingetragenen Belastungen zu übernehmen, er "ansonsten jedoch keine weiteren Gegenleistungen zu erbringen" hat, "gleich welcher Art".
Die auf den Grundstücken errichteten Gebäude wurden zunächst an eine Einzelfirma des Beklagten vermietet. Nachdem die Mietzahlungen ca. Mitte des Jahres 2000 eingestellt worden waren, wurden die Objekte anderweit vermietet. In den Jahren 2003 und 2006 gab der Beklagte eidesstattliche Versicherungen ab. Seit 2009 ist zwischen den Parteien ein Scheidungsverfahren anhängig.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Grundstücksübertragungsverträge nach § 138 BGB nichtig sind. Vor diesem Hintergrund hat sie im ersten Rechtszug in erster Linie die Zustimmung zur Löschung der zugunsten des Beklagten im Grundbuch eingetragenen Auflassungsvormerkungen verlangt und die Feststellung der Nichtigkeit der Verträge beantragt; darüber hinaus hat sie mehrere Hilfsanträge gestellt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Von den in der Berufungsinstanz gestellten Anträgen sind im Revisionsverfahren nur noch von Bedeutung die Anträge zu 2 bis 5, mit denen die Hauptanträge weiterverfolgt werden, sowie die Anträge zu 6 und 7, mit denen hilfsweise die Feststellung verlangt wird, dass die Verträge insoweit unwirksam sind, als dem Beklagten im Falle der Stellung eines Scheidungsantrages ein Anspruch auf Übertragung der Grundstücke zustehen soll. Das Oberlandesgericht hat die Berufung insgesamt zurückgewiesen und die Revision nur hinsichtlich der genannten Anträge zugelassen. Diese verfolgt die Klägerin mit der Revision weiter.
I.
Das Berufungsgericht hält die notariellen Verträge für wirksam. Diese seien weder mit Blick auf einzelne Regelungen noch in der Gesamtschau nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig. Insbesondere werde die Klägerin in ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit nicht übermäßig eingeschränkt. Bei Abschluss der Verträge habe nichts dagegen gesprochen, dass die für den Erwerb und die Bebauung aufgenommenen Darlehen aus den laufenden Erträgen hätten zurückgeführt werden können. Auch sonst liege eine sittenwidrige Übervorteilung nicht vor. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass die Auslegung der Verträge auch zu der Verpflichtung des Beklagten führe, im Falle eines Übertragungsverlangens die Klägerin Zug um Zug von den schuldrechtlichen Verbindlichkeiten freizustellen, die sie für den Erwerb und die Bebauung des Grundstücks eingegangen sei. Selbst wenn man die dem Beklagten erteilte Auflassungsvollmacht für sittenwidrig erachtete, führe dies nicht zur Nichtigkeit der Verträge. Vor diesem Hintergrund bestehe auch kein Anspruch auf Zustimmung zur Löschung der zugunsten des Beklagten eingetragenen Vormerkungen.
II.
Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat eine Sittenwidrigkeit der beiden Verträge (§ 138 Abs. 1 BGB) jedenfalls im Ergebnis zu Recht verneint.
1. a) Allerdings weist die Revision der Sache nach zutreffend darauf hin, dass die Verträge schon bei Fehlen jeglicher kompensatorischer schuldrechtlicher Verpflichtungen des Beklagten wegen sittenwidriger Übervorteilung (dazu etwa BGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - XI ZR 508/12, WM 2014, 124 Rn. 15 mwN) der Klägerin nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig wären. Da bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Vornahme der Rechtsgeschäfte abzustellen ist (vgl. nur Senat, Urteil vom 21. Februar 2014 - V ZR 176/12, NJW 2014, 2177 Rn. 10; Urteil vom 10. Februar 2012 - V ZR 51/11, NJW 2012, 1579 Rn. 13 mwN), ist die Möglichkeit in die Betrachtung einzubeziehen, dass der Übertragungsfall schon kurz nach Vertragsschluss eintreten würde. Dies wiederum hätte dazu geführt, dass die Klägerin trotz Wegfalls der Möglichkeit, aus der Vermietung des Grundstücks Einnahmen zu erzielen, zumindest im Außenverhältnis weiterhin die von ihr zur Finanzierung des Grundstücks aufgenommenen Darlehen in nahezu voller Höhe hätte bedienen müssen. Eine solche vertragliche Gestaltung stellte - da für die Annahme einer schenkweisen Eigentumsübertragung zumal im Lichte der vorgetragenen steuerrechtlichen Gestaltung nach dem sog. Wiesbadener Modell (dazu BFHE 145, 129, 132 f.) nichts ersichtlich ist - eine krasse Übervorteilung der Klägerin dar, die von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden könnte (vgl. Senat, Urteil vom 21. Februar 2014 - V ZR 176/12, NJW 2014, 2177 Rn. 10).
b) Entgegen der Auffassung der Revision hält jedoch die Auslegung des Berufungsgerichts, wonach die Klägerin im Falle eines Übertragungsverlangens nur Zug um Zug entweder gegen Befreiung von den restlichen Darlehensverbindlichkeiten im Außenverhältnis (§ 415 Abs. 1 BGB) oder aber gegen Stellung einer entsprechenden (werthaltigen) Sicherheit (§ 273 Abs. 3 BGB) zur Eigentumsübertragung verpflichtet ist, einer rechtlichen Überprüfung stand. Soweit in dem Berufungsurteil "darüber hinaus" von den auf den Grundstücken lastenden werthaltigen Grundpfandrechten die Rede ist, wird die Auslegung des Berufungsgerichts durch diese im Konjunktiv abgefasste - nicht tragende - Hilfserwägung weder in Frage gestellt noch relativiert.
Auch davon abgesehen lässt die Interpretation des Berufungsgerichts keine Rechtsfehler erkennen. Die (ergänzende) tatrichterliche Auslegung von Individualvereinbarungen ist revisionsrechtlich nur darauf hin überprüfbar, ob gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt worden sind (vgl. nur Urteil vom 21. Februar 2014 - V ZR 176/12, NJW 2014, 2177 Rn. 11 mwN). Solche Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Es kann auch keine Rede davon sein, dass die Auslegung des Berufungsgerichts "haltlos", also unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist. Im Gegenteil ist der Beklagte schon nach dem Wortlaut der Verträge "im Falle des Übereignungsverlangens" verpflichtet, sämtliche im Grundbuch in Abteilung II und III vor seiner Vormerkung eingetragenen Belastungen zu übernehmen; nur "ansonsten" hat er keine "weiteren Gegenleistungen" zu erbringen. Insbesondere die Bezeichnung der Übernahmeverpflichtung als "Gegenleistung" legt es zumindest nahe, dass der Beklagte selbst eine Leistung zu erbringen hat und er es nicht nur hinnehmen muss, dass er keine lastenfreien Grundstücke übereignet bekommt. Untermauert wird dies zudem dadurch, dass die Klägerin vor Eintritt des Übergabefalls zwar die Darlehen bedienen muss, sie die Grundstücke aber auch durch Vermietung nutzen kann. Da diese Möglichkeit mit der Grundstücksübertragung entfällt, wäre es nicht interessengerecht, die Belastung der Klägerin mit den noch offenen Darlehensverbindlichkeiten aufrechtzuerhalten.
2. Auch im Übrigen ist die Verneinung der Sittenwidrigkeit jedenfalls im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Hervorzuheben ist:
a) Dass auch die Stellung eines Scheidungsantrages den Übertragungsfall auslöst, ist unter dem Blickwinkel von § 138 Abs. 1 BGB unbedenklich. Da es für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit - wie bereits dargelegt - auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt, wäre die Vereinbarung nur dann zu beanstanden, wenn die Finanzierung nach den Vereinbarungen der Parteien nicht zumindest im Wesentlichen aus den Mieteinnahmen hätte bedient werden sollen, sondern in einem nicht unerheblichen Maß aus Eigenmitteln der Beklagten. Dem stünde es gleich, wenn es für die Parteien aufgrund greifbarer Anhaltspunkte bereits absehbar gewesen wäre, dass es zu einem Einsatz von Eigenmitteln kommen würde.
Die Erwägung des Berufungsgerichts, bei Abschluss der Verträge habe nichts dagegen gesprochen, dass die für den Erwerb und die Bebauung aufgenommenen (bzw. noch aufzunehmenden) Darlehen aus den laufenden Erträgen hätten zurückgeführt werden können, wird durch die Rüge der Revision, die Darlehen seien von der Klägerin mit eigenen Mitteln bedient worden, nicht entkräftet. Sie verweist auf kein tatsächliches Vorbringen, dass dies nicht nur der späteren Entwicklung geschuldet war, sondern bereits den bei Vertragsschluss getroffenen Abreden entsprach oder aufgrund greifbarer Anhaltspunkte bei Vertragsschluss bereits absehbar war. Vielmehr führt sie ins Feld, das mit den Verträgen verfolgte Wiesbadener Modell habe nur bis in das Jahr 2003 hinein umgesetzt werden können. Gingen die Parteien bei Vertragsschluss aber davon aus, dass die Klägerin entsprechend dem von den Parteien verfolgten Steuersparmodell zumindest keine wesentlichen Eigenmittel aufbringen sollte und im Übertragungsfall die schuldrechtliche Verpflichtung des Beklagten eingreifen sollte, die Klägerin von den Darlehensverbindlichkeiten zu befreien, hat die Vertragsgestaltung auch nicht zur Folge, dass eine verständige Vertragspartei allein oder überwiegend aus wirtschaftlichen Erwägungen einen Scheidungsantrag stellt oder von der Stellung eines solchen Antrags abgehalten wird (vgl. Senat, Urteil vom 21. Februar 2014 - V ZR 176/12, NJW 2014, 2177 Rn. 18 mwN.).
b) Vor diesem Hintergrund führt auch die Gesamtwürdigung aller Abreden unter Berücksichtigung insbesondere des Umstandes, dass die Klägerin den Beklagten unter Befreiung der Beschränkungen nach § 181 BGB die unwiderrufliche Vollmacht zur Erklärung der Auflassung(en) erteilt hat, nicht zur Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB (vgl. auch Senat, Urteil vom 21. Februar 2014 - V ZR 176/12, NJW 2014, 2177 Rn. 18). Dass die Klägerin bei dem von den Parteien verfolgten Vertragsmodell den Risiken ausgesetzt ist, die jeder Grundstückseigentümer zu tragen hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zwar steht der Klägerin im Falle des Übertragungsverlangens - anders als mit Blick auf die Darlehensverbindlichkeit - insoweit kein schuldrechtlicher Anspruch gegen den Beklagten zu, wenn sich solche Risiken realisieren. Diese - im Übrigen nur schwer quantifizierbaren - Risiken werden jedoch zumindest zu einem erheblichen Teil durch die von den Parteien mit der vertraglichen Gestaltung bezweckte steuerliche Besserstellung kompensiert. Eine ggf. verbleibende Disparität hat jedenfalls kein derartiges Gewicht, dass die Verträge bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände mit dem Verdikt der Sittenwidrigkeit zu belegen wären.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann Schmidt-Räntsch Roth
Brückner Gobel