Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 09.03.2012


BGH 09.03.2012 - V ZR 156/11

Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung eines Grundstückskaufvertrages: Berufung des Käufers auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten bei Verletzung der Zahlungspflicht


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
09.03.2012
Aktenzeichen:
V ZR 156/11
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG München, 18. November 2010, Az: 8 U 3376/10vorgehend LG München II, 28. April 2010, Az: 2 O 6696/09
Zitierte Gesetze
§ 326 aF BGB

Tenor

Auf die Revision der Kläger zu 2 und 3 wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 18. November 2010 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es zum Nachteil dieser Kläger ergangen ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts München II vom 28. April 2010 auf Kosten des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte die Leistung an alle Kläger, einschließlich des früheren Klägers zu 1, zu erbringen hat.

Die Anschlussrevision des Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

J.   K.   ist von J.   Z.  (früherer Kläger zu 1), E.K.     und M.   K.   beerbt worden. Diese Erben verkauften dem Beklagten mit notariellem Vertrag vom 4. Februar 1992 aus dem Nachlass für 250.000 DM ein Grundstück. M.   K.   verstarb 1998, E.K.   2004. Zusammen mit J.   Z.   haben die jeweils unbekannten Erben der beiden verstorbenen Damen die vorliegende Klage erhoben, bei der es um folgendes geht.

2

Bei Vertragsschluss war bekannt, dass auf dem Grundstück 12 Garagen standen, und zwar aufgrund von nach dem Zivilgesetzbuch der DDR begründeten Nutzungsverhältnissen. Der Beklagte sollte gegen die Nutzer der Garagen bis zum 30. Juni 1992 Räumungsklage erheben; bei nicht rechtzeitiger Klageerhebung waren die Verkäufer bis zum 30. September 1992 zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt. Sollte der Grundbesitz bis zum 30. September 1994 nicht geräumt sein, hatte der Beklagte ein bis Ende 1994 auszuübendes Rücktrittsrecht. Bei bis dann noch nicht rechtskräftiger Entscheidung über die Räumungsklage verlängerte sich die Frist für das Rücktrittsrecht des Beklagten bis vier Wochen nach Rechtskrafteintritt.

3

Im Jahr 2006 war der Räumungsrechtsstreit immer noch nicht entschieden. Nunmehr zeigte der Notar die Fälligkeit des Kaufpreises an. Das veranlasste den Nachlasspfleger der unbekannten Erben dazu, den Beklagten mit Schreiben vom 6. Oktober 2006 zur Zahlung binnen 14 Tagen aufzufordern. Dieser reagierte mit der Forderung, den seiner Auffassung nach zu hohen Kaufpreis zu reduzieren. Daraufhin traten die Kläger wegen Zahlungsverzugs zurück und behielten sich Schadensersatzansprüche vor. Mit Schreiben vom 21. April 2010 erklärte auch der Beklagte, gestützt darauf, dass der Räumungsprozess immer noch schwebte, den Rücktritt vom Kaufvertrag.

4

Die Kläger haben die Feststellung beantragt, dass ihnen der Beklagte alle Schäden zu ersetzen habe, die ihnen infolge der Nichterfüllung des Kaufvertrages entstünden. Außerdem haben sie die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 3.311,69 Euro verlangt. Der Beklagte hat wegen der Anwaltskosten des Räumungsprozesses und wegen Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Grundstückskauf widerklagend Schadens- und Aufwendungsersatz in Höhe von  56.380,82 Euro nebst Zinsen geltend gemacht.

5

Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Feststellungsklage als unzulässig abgewiesen und im Übrigen die Berufung des Beklagten, auch hinsichtlich der Widerklage, zurückgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision beantragen die Kläger zu 2 und 3, dem Feststellungsantrag mit der Maßgabe stattzugeben, dass der Beklagte die Leistung an alle Kläger, einschließlich des früheren Klägers zu 1, zu erbringen hat. Der Beklagte verfolgt mit der Anschlussrevision die Widerklage weiter und wendet sich gegen die Zurückweisung der Berufung hinsichtlich der den Klägern zuerkannten vorgerichtlichen Anwaltskosten.

Entscheidungsgründe

I.

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Die Feststellungsklage hält das Berufungsgericht wegen fehlenden Feststellungsinteresses, § 256 Abs. 1 ZPO, für unzulässig. Es sei nur gegeben, wenn die Wahrscheinlichkeit eines auf der Verletzungshandlung beruhenden Schadens substantiiert dargetan werde. Daran fehle es. Zwar komme ein Anspruch nach § 326 BGB aF in Betracht. Auch stelle ein von den Klägern erwarteter Mindererlös grundsätzlich einen ersatzfähigen Schaden dar. Ein Schadenseintritt sei gleichwohl nicht wahrscheinlich, weil der Berücksichtigung eines solchen Schadens die Wertung eines (möglichen) rechtmäßigen Alternativverhaltens des Beklagten entgegenstehe. Dieser habe nämlich seinerseits das Recht gehabt, von dem Vertrag zurückzutreten. Dann hätten die Kläger keinen Schadensersatzanspruch erlangt.

7

Der Klage auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten hat es unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes nach § 326 BGB aF stattgegeben. Der von den Klägern unter Vorbehalt von Schadensersatzansprüchen erklärte Rücktritt hindere nicht die Geltendmachung von Schadensersatz. Die Erklärung sei dahin auszulegen, dass (allein) Schadensersatz verlangt werde. Eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung sei entbehrlich gewesen, weil der mit der Kaufpreiszahlung im Verzug befindliche Beklagte die Erfüllung verweigert habe. Der Geltendmachung der vorgerichtlichen Kosten als Schaden stehe der Gedanke eines rechtmäßigen Alternativverhaltens - anders als beim Mindererlös - nicht entgegen.

8

Die mit der Widerklage geltend gemachten Ansprüche verneint das Berufungsgericht unter jedem denkbaren Gesichtspunkt. Insbesondere Aufwendungsersatz sei nach dem Vertrag ausdrücklich ausgeschlossen; Schadensersatz schuldeten die Kläger schon deswegen nicht, weil sie selbst aufgrund der Nichtleistung des Beklagten schadensersatzberechtigt seien.

II.

9

A. Zur Revision:

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1. Dass die Revisionskläger den Feststellungsantrag mit der Maßgabe verfolgen, dass die Schadensersatzpflicht mit der Maßgabe festgestellt wird, dass die Leistung an alle Kläger zu erbringen ist, ist nicht zu beanstanden. Es bedarf dazu keines Hilfsantrages. Die Revisionskläger tragen damit nur dem Umstand Rechnung, dass sie trotz ihrer gesamthänderischen Verbundenheit ohne den früheren Kläger zu 1 anspruchsberechtigt bleiben, indes nur noch Leistung an alle verlangen können, § 2039 Satz 1 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 1998 - IX ZR 311/95, NJW 1998, 2969, 2970; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 62 Rn. 8).

11

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klage mit dem Feststellungsantrag zulässig. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse setzt für einen Schadensersatzanspruch u.a. voraus, dass ein Schadenseintritt wahrscheinlich ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 - XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84, 90 mwN). Das ist hier der Fall; denn auch das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Kläger bei einem späteren Verkauf einen Mindererlös, und damit einen Schaden, erleiden können. Ob dieser Schaden ersatzfähig oder unter wertenden Gesichtspunkten, etwa wegen der Berücksichtigung eines rechtmäßigen Alternativverhaltens, nicht ersatzfähig ist, ist keine Frage des Feststellungsinteresses und damit der Zulässigkeit der Klage, sondern eine Frage des materiellen Rechts, die im Rahmen der Begründetheit zu erörtern ist. Mit der auf der Ebene der Zulässigkeit zu prüfenden Schadenswahrscheinlichkeit hat es eine davon zu unterscheidende Bewandtnis. Damit soll lediglich verhindert werden, dass ein Rechtsstreit "über gedachte Fragen" geführt wird, von denen ungewiss ist, ob sie mangels möglicher Schadensrealisierung jemals praktische Bedeutung erlangen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 1992 - IX ZR 43/92, NJW 1993, 648, 654). Dass wegen eines Mindererlöses eine Schadensliquidation hier grundsätzlich möglich ist, steht außer Frage.

12

3. Der Feststellungsantrag ist begründet.

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a) Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch nach § 326 BGB aF dem Grunde nach bejaht, zwar nicht im Zusammenhang mit dem Feststellungsantrag, aber hinsichtlich der geltend gemachten und zugesprochenen vorgerichtlichen Anwaltskosten. Was hierfür gilt, gilt in gleicher Weise für den Ersatz eines etwaigen Mindererlöses. Der Sache nach sind die Ausführungen des Berufungsgerichts rechtlich auch unter Berücksichtigung der Angriffe der Revisionserwiderung nicht zu beanstanden.

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aa) Soweit diese meint, das Schreiben, mit dem die Kläger den Rücktritt unter Vorbehalt des Schadensersatzverlangens erklärt haben, könne nicht als unmittelbares Schadensersatzbegehren verstanden werden, wendet sie sich gegen die Auslegung des Berufungsgerichts, die grundsätzlich Sache des Tatrichters ist und vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden kann. Rechtsfehler zeigt sie nicht auf. Allerdings kann der Senat prüfen, ob das Schreiben - wie vom Berufungsgericht angenommen - auslegungsbedürftig oder - wie die Revisionserwiderung meint - eindeutig ist. Insoweit schließt sich der Senat der Auffassung des Berufungsgerichts an.

15

bb) Soweit die Revisionserwiderung ferner geltend macht, das Schreiben des Beklagten vom 12. Dezember 2006 könne entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht als ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung angesehen werden, wendet sie sich ebenfalls gegen die tatrichterliche Auslegung einer individuellen Willenserklärung, die einer revisionsrechtlich nur eingeschränkt möglichen Überprüfung standhält. Das Berufungsgericht hat bei seiner Auslegung nicht - wie die Revisionserwiderung annimmt - den zeitlichen Ablauf der beiderseitigen Schreiben verkannt. Das als Schadensersatzverlangen interpretierte Schreiben des Anwalts der Kläger datiert vom 14. Dezember 2006, das als Erfüllungsverweigerung gewertete Schreiben des Beklagten vom 12. Dezember 2006, das wiederum auf den vorherigen Schreiben vom 12. Oktober und 2. November 2006 beruht. Es ist also nicht so - wie die Revisionserwiderung meint -, dass die Loslösung vom Vertrag vor der Erfüllungsverweigerung erfolgt sei.

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b) Nicht zu folgen ist der Auffassung des Berufungsgerichts, unter dem Gesichtspunkt der Berücksichtigung eines rechtmäßigen Alternativverhaltens komme ein Mindererlös als Schaden nicht in Betracht.

17

Die Berufung des Schädigers auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten, d.h. der Einwand, der Schaden wäre auch bei einer ebenfalls möglichen, rechtmäßigen Verhaltensweise entstanden, kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Zurechnung eines Schadenserfolgs beachtlich sein. Die Erheblichkeit des Einwandes richtet sich nach dem Schutzzweck der jeweils verletzten Norm (Urteil vom 24. Oktober 1985 - IX ZR 91/84, BGHZ 96, 157, 171 ff.; Urteil vom 25. November 1992 - VIII ZR 170/91, BGHZ 120, 281, 286; Urteil vom 3. Februar 2000 - III ZR 296/98, BGHZ 143, 362, 365 ff.). Voraussetzung ist zudem, dass derselbe Erfolg effektiv herbeigeführt worden wäre; die bloße Möglichkeit, ihn rechtmäßig herbeiführen zu können, reicht nicht aus (Urteil vom 25. November 1992 - VIII ZR 170/91, aaO., S. 287 mwN; MünchKomm-BGB/Oetker, 5. Aufl., § 249 Rn. 215).

18

An diesen Voraussetzungen fehlt es. Wenn der Beklagte sich rechtmäßig verhalten und gezahlt hätte, wäre der Schaden nicht eingetreten. Die bloße Möglichkeit, den Schaden auch bei rechtmäßigem Verhalten eintreten zu lassen, nämlich dadurch, dass er zurückgetreten wäre, genügt nicht. Dies entspräche nicht dem Schutzzweck der von dem Beklagten verletzten Zahlungspflicht. Sie bestand nach der vertraglichen Gestaltung unabhängig von dem Rücktrittsrecht des Beklagten. Er musste nicht erst dann zahlen, wenn sein Rücktrittsrecht erloschen war. Die Rücktrittsmöglichkeit gab ihm kein Zahlungsverweigerungsrecht. Verneinte man bei dieser Konstellation unter dem Gesichtspunkt der Berücksichtigung eines rechtmäßigen Alternativverhaltens einen zurechenbaren Schaden, bliebe eine Verletzung der Zahlungspflicht weitgehend sanktionslos. Der Beklagte könnte stets einwenden, er habe ja auch zurücktreten können. Das liefe dem Vertragszweck zuwider.

19

Soweit der Anwalt des Revisionsbeklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angemerkt hat, der Kaufvertrag sei wegen groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, fehlt es an einem konkreten Hinweis auf entsprechenden Sachvortrag in den Tatsacheninstanzen, der dem Senat die Prüfung ermöglicht hätte, ob das Berufungsgericht Parteivorbringen dazu übergangen hat.

20

B. Zur Anschlussrevision:

21

Die Anschlussrevision hat keinen Erfolg.

22

1. Hinsichtlich des den Klägern von dem Berufungsgericht zugesprochenen Anspruchs nach § 326 BGB aF auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten ergibt sich dies schon aus den Ausführungen zur Revision.

23

2. Die Widerklage hat das Berufungsgericht mit zutreffenden Erwägungen abgewiesen.

24

Soweit die Anschlussrevision geltend macht, die vertragliche Regelung, wonach der Beklagte verpflichtet ist, den Räumungsprozess auf eigene Kosten zu führen, habe vorausgesetzt, dass der Vertrag durchgeführt werde, verweist sie nicht auf Sachvortrag hierzu in den Tatsacheninstanzen. Der Vertrag selbst enthält eine solche Voraussetzung nicht.

25

Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil in der Führung des Räumungsprozesses keine Leistung erblickt werden kann, die der Beklagte ohne Rechtsgrund den Klägern gegenüber erbracht hat. Rechtsgrund war der Kaufvertrag, der den Beklagten zu der Erhebung der Räumungsklage verpflichtete. Dieser Rechtsgrund ist nicht durch das Schadensersatzverlangen der Kläger entfallen, sondern in ein Abwicklungsverhältnis umgewandelt worden. Bei der Berechnung des Schadens wird allerdings zu prüfen sein, ob und inwieweit Kosten für den Räumungsprozess unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen sind.

26

Hinsichtlich "Planungskosten, Baugenehmigungskosten etc." sind Aufwendungsersatzansprüche nach der revisionsrechtlich hinzunehmenden Auslegung des Berufungsgerichts vertraglich ausgeschlossen. Das steht zugleich der Geltendmachung eines Anspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegen.

III.

27

Nach § 563 Abs. 3 ZPO hat der Senat über die Revision in der Sache selbst zu entscheiden, da es nur um Rechtsverletzungen bei Anwendung der Gesetze auf das festgestellte Sachverhältnis geht und die Sache zur Endentscheidung reif ist.

IV.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger                                     Stresemann                                     Czub

                      Brückner                                         Weinland