Entscheidungsdatum: 09.03.2012
Die Wohnungseigentümer sind nicht berechtigt, bereits entstandene, aber noch nicht erfüllte Zahlungsverpflichtungen eines Wohnungseigentümers mit Stimmenmehrheit erneut zu beschließen und so neu zu begründen. Ein dennoch gefasster Beschluss ist wegen fehlender Beschlusskompetenz nichtig.
Auf die Revision der Beklagten wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 1. Juni 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von 715,15 € nebst Zinsen gerichtete Berufung zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird das Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 2. September 2010 auf die Berufung der Beklagten geändert und die Klage wegen eines Betrages von 715,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Juni 2008 abgewiesen. Die weitergehende Berufung bleibt zurückgewiesen.
Von den Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin 60 % und die Beklagten 40 %. Die Kosten der zweiten und dritten Instanz fallen der Klägerin zu 80% und den Beklagten zu 20% zur Last.
Von Rechts wegen
Die Beklagten sind seit dem 24. Mai 2006 je zur Hälfte Eigentümer einer Eigentumswohnung und eines Stellplatzes. Im Mai 2008 beschloss die Eigentümergemeinschaft die Gesamtabrechnung und die Einzelabrechnungen für das Jahr 2007. Die Einzelabrechnungen der Beklagten enthalten unter der Bezeichnung "Abrechnung 2006" Rückstände aus dem Jahr 2006 von 214,42 € für die Wohnung und 500,78 € für den Stellplatz.
Die Vorinstanzen haben der zuletzt noch auf Zahlung dieser Beträge sowie auf Zahlung von Mahn- und Verwaltergebühren gerichteten Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Abweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
I.
Das Berufungsgericht meint, die Beklagten seien zur Zahlung der Rückstände aus dem Jahr 2006 verpflichtet. Nach dem eindeutigen Willen der Eigentümergemeinschaft sei Gegenstand der Beschlussfassung aus dem Jahr 2008, dass die Beklagten den in den Abrechnungen ausgewiesenen Nachzahlungsbetrag und damit auch die darin enthaltenen Vorjahresrückstände schuldeten. Zwar dürften in eine Jahresabrechnung keine Rückstände aus Vorjahren, insbesondere solche eines Rechtsvorgängers, einbezogen werden. Geschähe dies dennoch, handele es sich aber lediglich um einen Abrechnungsfehler, welcher die sich aus § 28 Abs. 5 WEG ergebende Beschlusskompetenz der Eigentümerversammlung unberührt lasse und daher nur die Anfechtbarkeit des Beschlusses über die Abrechnung zur Folge habe. Mangels Anfechtung des Beschlusses aus dem Jahr 2008 schuldeten die Beklagten die darin als offen ausgewiesenen Beträge. Die von dem Amtsgericht zugesprochenen Nebenforderungen seien mit der Berufung nicht angegriffen worden.
II.
1. Diese Ausführungen halten hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten in der Hauptsache revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beklagten sind aufgrund des Beschlusses über die Jahresabrechnung 2007 nicht verpflichtet, die darin ausgewiesenen Rückstände für das Jahr 2006 zu zahlen.
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, der Wille der an der Beschlussfassung über die Jahresabrechnung 2007 beteiligten Wohnungseigentümer sei dahin gegangen, die Rückstände aus dem Jahr 2006 nicht nur informationshalber, sondern zwecks Begründung einer Zahlungsverpflichtung der Beklagten in die Abrechnung einzubeziehen (anders demgegenüber in: Senat, Urteil vom 2. Dezember 2011 - V ZR 113/11, NJW-RR 2012, 217, 218 Rn. 11); die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
b) Richtig ist ferner, dass Beitragsrückstände kein zulässiger Bestandteil einer Jahresabrechnung im Sinne des § 28 Abs. 3 WEG sind. Diese ist auf die Abrechnung der Kosten des abgelaufenen Wirtschaftsjahrs unter Berücksichtigung der von den Eigentümern geleisteten Vorschüsse beschränkt (vgl. BayObLG NJW-RR 1990, 1107, 1108; Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 28 Rn. 89).
Dem entspricht es, dass der Beschluss über eine Jahresabrechnung nach der Rechtsprechung des Senats nur hinsichtlich des auf den einzelnen Wohnungseigentümer entfallenden Betrages, welcher die in dem Wirtschaftsplan für das abgelaufene Jahr beschlossenen Vorschüsse übersteigt (sog. Abrechnungsspitze), anspruchsbegründend wirkt (vgl. Senat, Beschluss vom 30. November 1995 - V ZB 16/95, BGHZ 131, 228, 231 f.; Beschluss vom 23. September 1999 - V ZB 17/99, BGHZ 142, 290, 296). Zahlungsverpflichtungen, die durch frühere Beschlüsse entstanden sind, lässt der Beschluss unberührt. Dies gilt nicht nur für die in dem Wirtschaftsplan des abzurechnenden Jahres beschlossenen und damit nach § 28 Abs. 2 WEG geschuldeten Vorschüsse (vgl. Senat, Beschluss vom 30. November 1995 - V ZB 16/95, aaO), sondern auch für Zahlungsverpflichtungen, die durch die Wirtschaftspläne und Jahresabrechnungen der Vorjahre begründet worden sind.
c) Rechtsfehlerhaft ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, die Einbeziehung von Vorjahresrückständen in eine Jahresabrechnung stehe einem bloßen Abrechnungsfehler gleich und habe deshalb nur die Anfechtbarkeit, nicht aber die Nichtigkeit des Beschlusses über die Abrechnung zur Folge.
aa) Ein Abrechnungsfehler liegt vor, wenn die Kosten des abgelaufenen Wirtschaftsjahrs unzutreffend erfasst oder in unrichtiger Weise auf die Wohnungseigentümer verteilt worden sind. Kennzeichnend ist, dass er sich auf Ausgaben oder Einnahmen bezieht, die in dem abzurechnenden Zeitraum tatsächlich oder vermeintlich angefallen sind. Davon zu unterscheiden ist die Aufnahme von Positionen in die Jahresabrechnung, die - wie Beitragsrückstände - ihrer Art nach generell nicht zu den Bestandteilen einer Abrechnung im Sinne des § 28 Abs. 3 WEG gehören. Fehlt den Wohnungseigentümern hinsichtlich solcher abrechnungsfremden Positionen die Kompetenz, Zahlungsverpflichtungen durch Mehrheitsbeschluss zu begründen, hat deren Aufnahme in die Jahresabrechnung die Nichtigkeit des darauf bezogenen Teils des Beschlusses zur Folge (vgl. Senat, Urteil vom 22. Juli 2011 - V ZR 245/09, NJW-RR 2011, 1383, 1384 Rn. 52). Denn ein Beschluss der Wohnungseigentümer ist nichtig, soweit er Regelungen enthält, die nach der gesetzlichen Kompetenzzuweisung und den Bestimmungen in der Gemeinschaftsordnung einer Entscheidung durch Mehrheitsbeschluss nicht zugänglich sind (vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2000 - V ZB 58/99, BGHZ 145, 158, 166 ff.; Beschluss vom 2. Juni 2005 - V ZB 32/05, BGHZ 163, 154, 179).
bb) Solche kompetenzüberschreitenden Regelungen sind in dem hier zu beurteilenden Beschluss über die Jahresabrechnung 2007 enthalten.
(1) Soweit der Beschluss die Beklagten verpflichtet, rückständige Beiträge zu zahlen, die vor ihrem Eigentumserwerb fällig geworden und daher von dem Voreigentümer zu tragen sind (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 22. Januar 1987 - V ZB 3/86, BGHZ 99, 358, 360; Beschluss vom 21. April 1988 - V ZB 10/87, BGHZ 104, 197, 201 ff.), folgt dies daraus, dass den Beklagten andernfalls eine nicht bestehende Erwerberhaftung auferlegt würde. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Haftung eines Wohnungseigentümers für die Rückstände seines Rechtsvorgängers nur durch Vereinbarung, nicht aber durch Mehrheitsbeschluss begründet werden kann (Beschluss vom 23. September 1999 - V ZB 17/99, BGHZ 142, 290, 298). Daraus folgt, dass ein Beschluss, der zu einer solchen Haftung führt, mangels Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümergemeinschaft nichtig ist (vgl. Beschluss vom 20. September 2000 - V ZB 58/99, BGHZ 145, 158, 166; insoweit noch offen gelassen in Senat, Beschluss vom 23. September 1999 - V ZB 17/99, aaO, S. 300).
(2) Nichts anderes gilt, wenn es sich bei den Rückständen um Beiträge aus dem Jahr 2006 handeln sollte, die nach dem Eigentumserwerb der Beklagten fällig geworden und daher von ihnen zu tragen sind. Solche Rückstände hätten ihre Grundlage entweder in dem Wirtschaftsplan 2006 (Vorschüsse) oder in der Jahresabrechnung 2006 (Abrechnungsspitze).
Eine erneute Beschlussfassung über sie im Rahmen der Jahresabrechnung 2007 bedeutete deshalb die Neubegründung einer bestehenden Schuld der Beklagten durch Mehrheitsbeschluss. Hierzu fehlt den Wohnungseigentümern die Kompetenz. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus § 28 Abs. 5 WEG, denn diese Vorschrift berechtigt nur zur Festlegung von Vorschüssen für die Zukunft und zur Abrechnung der im abgelaufenen Wirtschaftsjahr angefallenen Kosten. Wäre es anders, könnten die Wohnungseigentümer durch Aufnahme aller rückständigen Beiträge in die jeweils aktuelle Jahresabrechnung die Vorschriften über die Verjährung durch Mehrheitsbeschluss faktisch außer Kraft setzen. Das aber fällt ebenso wenig in ihre Zuständigkeit wie die Begründung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Haftung eines Wohnungseigentümers durch Mehrheitsbeschluss (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juni 2005 - V ZB 32/05, BGHZ 163, 154, 173). Folge der fehlenden Kompetenz der Wohnungseigentümer ist die Nichtigkeit des Beschlussteils, mit dem die Ansprüche auf Zahlung rückständiger Beiträge neu begründet werden sollten (ebenso: LG Nürnberg-Fürth, NZM 2010, 791; Häublein, ZWE 2010, 136; Schultzky, ZWE 2011, 12, 15; aA OLG Düsseldorf, ZMR 2005, 642; Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 28 Rn. 89).
2. a) Soweit sich die Beklagten gegen ihre Verurteilung zur Zahlung der Nebenkosten (Zinsen, Mahngebühren und Verwaltergebühren) wenden, ist die Revision ebenfalls zulässig; denn sie ist unbeschränkt zugelassen worden. Der Tenor des Berufungsurteils enthält keine Einschränkung. Zwar kann sich eine Beschränkung der Revisionszulassung auch aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ergeben. Hierfür dürfen sich die Ausführungen aber nicht lediglich mit einer Begründung für die Zulassung der Revision befassen; vielmehr muss aus den Gründen der Wille des Berufungsgerichts, die Revision in bestimmter Hinsicht zu beschränken, klar und eindeutig hervorgehen (Senat, Beschluss vom 29. Januar 2004 - V ZR 244/03, NJW-RR 2004, 1365, 1366 mwN). Das gilt insbesondere dann, wenn die mögliche Beschränkung - wie hier - Nebenforderungen betrifft; im Zweifel ist anzunehmen, dass das Berufungsgericht nicht beabsichtigt hat, diese von der Hauptforderung zu trennen. Davon ist mangels einer eindeutigen Einschränkung auch hier auszugehen.
b) Insoweit ist die Revision allerdings nur teilweise, nämlich hinsichtlich der Zinsen, begründet.
aa) Die Grundlage für die von den Vorinstanzen zuerkannten Zinsen ist mit dem Hauptanspruch entfallen. Dass die Beklagten ihre diesbezügliche Verurteilung in der Berufungsbegründung nicht ausdrücklich angegriffen haben, schadet nicht. Es ist nicht erforderlich, dass der Berufungskläger zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten Stellung nimmt; es genügt, dass der zu dem Hauptanspruch vorgebrachte Berufungsangriff auch den Nebenanspruch zu Fall bringt (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Februar 2007 - V ZB 154/06, NJW 2007, 1534 Rn. 12). So liegt es im Verhältnis von Zahlungs- und darauf bezogenem Zinsanspruch.
bb) Unbegründet ist die Revision hingegen, soweit sich die Beklagten gegen ihre Verurteilung zur Zahlung der weiteren Nebenforderungen (Mahn- und Verwaltergebühren) wenden. Hier fehlt es an dem nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO notwendigen Berufungsangriff und damit an einer zulässigen Berufung. Anders als bei dem Zinsanspruch versteht es sich nicht von selbst, dass der Anspruch auf Zahlung dieser Kosten mit der Hauptforderung von 715,15 € steht und fällt. Da die Klage zunächst eine höhere Hauptforderung umfasste - insoweit ist sie nach Zahlung der Beklagten in erster Instanz übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt worden -, kommt in Betracht, dass die Mahn- und Verwaltergebühren ganz oder teilweise auf den erledigten Teil der Klageforderung entfallen und deshalb nicht das rechtliche Schicksal des noch anhängig gebliebenen Hauptanspruchs teilen. Die Beklagten hätten sich daher in der Berufungsbegründung nicht auf Angriffe gegen die Verpflichtung zur Zahlung der 715,15 € beschränken dürfen, wenn sie auch diesen Teil der Verurteilung zu Fall bringen wollten.
III.
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben, soweit die Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung von 715,15 € nebst Zinsen zurückgewiesen worden ist; in diesem Umfang ist es aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).
Der Senat hat insoweit in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei der Anwendung des Gesetzes erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt, da der Beschluss über die Jahresabrechnung 2007 eine Haftung der Beklagten nicht zu begründen vermag und die Revisionserwiderung keinen Vortrag zu einer anderen Grundlage für eine entsprechende Zahlungsverpflichtung der Beklagten aufzeigt, zur Abweisung der auf Zahlung von 715,15 € nebst Zinsen gerichteten Klage. Soweit die Revision unbegründet ist, nämlich hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung von Mahn- und Verwalterkosten, bleibt es bei der Entscheidung des Berufungsgerichts.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91a Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger Stresemann Czub
Brückner Weinland