Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 11.06.2010


BGH 11.06.2010 - V ZR 144/09

Verschulden bei Vertragsschluss: Schadensersatzanspruch bei Verletzung von Aufklärungspflichten


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
11.06.2010
Aktenzeichen:
V ZR 144/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Karlsruhe, 3. Juli 2009, Az: 13 U 138/08, Urteilvorgehend LG Freiburg (Breisgau), 13. Oktober 2008, Az: 5 O 297/07, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 3. Juli 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Mit notariellem Vertrag vom 19. Dezember 2006 übertrug die Klägerin ihrem Sohn, dem Beklagten, ihr Grundstück nebst der darauf betriebenen Pension. Als Gegenleistung bestellte der Beklagte seiner Mutter ein Wohn- und Nutzungsrecht an einer Wohnung im Kellergeschoss der Pension und verpflichtete sich, ihr Wart und Pflege zu gewähren sowie eine monatliche Rente von 300 € zu zahlen.

2

Vor Abschluss des Übergabevertrages gingen die Parteien davon aus, dass der Beklagte und seine Ehefrau das von ihnen bewohnte Kellergeschoss räumen und in das bislang von der Klägerin teilweise zu Wohnzwecken, teilweise für die Pension genutzte Erdgeschoss umziehen würden. Hierzu ist es jedoch nicht gekommen.

3

Im November 2006 hatte die Klägerin die linke Hälfte des Erdgeschosses längerfristig an ihren Enkel, den Sohn des Beklagten, vermietet; dies war dem Beklagten bei Abschluss des Übergabevertrages nicht bekannt. Die rechte Hälfte des Erdgeschosses wird zum überwiegenden Teil als Frühstücks- und Aufenthaltsraum für die Pensionsgäste genutzt.

4

Die Klägerin verlangt die Einräumung des Wohn- und Nutzungsrechts an der Kellerwohnung. Der Beklagte meint, hierzu nicht verpflichtet zu sein, weil er das Erdgeschoss aufgrund der Vermietung an seinen Sohn nicht zu Wohnzwecken nutzen könne.

5

Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

I.

6

Das Berufungsgericht meint, die Klägerin könne die Einräumung des Besitzes an der Wohnung im Kellergeschoss derzeit nicht verlangen. Sie sei verpflichtet gewesen, den Beklagten darüber aufzuklären, dass sie kurz vor Abschluss des Übergabevertrages mit ihrem Enkel einen Mietvertrag über die linke Erdgeschosshälfte abgeschlossen und für fünf Jahre auf die Ausübung ihres ordentlichen Kündigungsrechts verzichtet habe. Dies habe sie zumindest fahrlässig unterlassen. Als Rechtsfolge dieses Verschuldens bei Vertragsschluss ergebe sich für den Beklagten ein Anspruch auf Vertragsanpassung (§ 311 Abs. 2 BGB). Er könne am Vertrag festhalten und den entstandenen Vertrauensschaden liquidieren; dabei sei er so zu behandeln, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu anderen, für ihn günstigeren Bedingungen abzuschließen. Wäre dem Beklagten die Vermietung der linken Erdgeschosshälfte bekannt gewesen, hätte er der Klägerin nicht sofort ein Wohnrecht an der Kellerwohnung eingeräumt, sondern dies an die Voraussetzung geknüpft, dass das Mietverhältnis mit dem Enkel beendet sei. Hierauf hätte sich die Klägerin redlicherweise einlassen müssen. Der Beklagte sei daher so zu stellen, als wenn diese Bedingung vereinbart worden wäre.

II.

7

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Annahme des Berufungsgerichts, dem Beklagten stehe nach § 311 Abs. 2 BGB (i.V.m. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) ein Anspruch auf Vertragsanpassung zu, den er dem Wohnrecht der Klägerin entgegenhalten könne, verkennt die Rechtsfolgen eines Anspruchs aus Verschulden bei Vertragsschluss.

8

1. Nach einer Verletzung von Aufklärungspflichten kann der Geschädigte grundsätzlich Ersatz des Vertrauensschaden verlangen (Senat, BGHZ 168, 35, 39 m.w.N.). Er ist so zu stellen, wie er bei Offenbarung der für seinen Vertragsentschluss maßgeblichen Umstände stünde. Da in aller Regel anzunehmen ist, dass der Vertrag bei der gebotenen Aufklärung nicht oder mit einem anderen Inhalt zustande gekommen wäre, ist der Geschädigte in erster Linie berechtigt, sich von diesem zu lösen und Ersatz seiner im Vertrauen auf den Vertragsschluss getätigten Aufwendungen zu verlangen (vgl. BGHZ 111, 75, 82). Daneben räumt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Geschädigten das Recht ein, an dem für ihn ungünstigen Vertrag festzuhalten. Geschieht dies, reduziert sich der zu ersetzende Vertrauensschaden auf dessen berechtigte Erwartungen, die durch den zustande gekommenen Vertrag nicht befriedigt werden (Senat, BGHZ 168, 35, 39).

9

Dabei geht es - anders als das Berufungsgericht meint - nicht darum, den Vertrag an die neue Situation anzupassen, sondern darum, den verbliebenen Vertrauensschaden zu berechnen (Senat, aaO). Das geschieht bei einem Kaufvertrag in der Weise, dass der Geschädigte so behandelt wird, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem niedrigen Preis abzuschließen. Schaden ist danach der Betrag, um den der Geschädigte den Kaufgegenstand zu teuer erworben hat. Da es dabei nur um die Bemessung des verbliebenen Vertrauensschadens und nicht um die Anpassung des Vertrages geht, braucht der Geschädigte nicht nachzuweisen, dass sich der Vertragspartner auf einen Vertragsschluss zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte (Senat, aaO S. 39 f. m.w.N.). Hier könnte die Berechnung des Vertrauensschadens in der Weise erfolgen, dass der Beklagte - unter Anrechnung der von dem Enkel gezahlten Miete - den Betrag liquidiert, den er für die Anmietung einer Wohnung für sich und seine Ehefrau aufbringen muss, oder welcher ihm dadurch entgeht, dass er andere Räume in der Pension bezieht und diese dann nicht mehr als Gästezimmer vermieten kann.

10

2. Demgegenüber stellt das Berufungsgericht den Beklagten so, als wäre ihm infolge der Pflichtverletzung der Klägerin ein günstigerer Vertrag entgangen. Indem es ihm durch Anpassung der bestehenden Vereinbarung die Vorteile dieses (vermeintlich) entgangenen Vertrages einräumt, ersetzt es nicht das Vertrauens-, sondern das Erfüllungsinteresse (vgl. Senat, aaO, S. 40 f.). Der Ersatz des Erfüllungsinteresses kommt als Folge einer Pflichtverletzung bei Vertragsschluss jedoch nur ausnahmsweise in Betracht und setzt die Feststellung voraus, dass die aufklärungspflichtige Partei - wäre der verschwiegene Umstand während der Vertragsverhandlungen bekannt geworden - den Vertrag zu den von dem Geschädigten nunmehr erstrebten Bedingungen geschlossen hätte. Von einer entsprechenden Bereitschaft der aufklärungspflichtigen Partei kann nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Sie wäre bei erfolgter Aufklärung nämlich nicht gehindert gewesen, mit Rücksicht auf die dann ungünstigeren Vertragsbedingungen von einem Vertragsschluss gänzlich abzusehen. Der Geschädigte, der Ersatz des Erfüllungsinteresses erstrebt, muss deshalb darlegen und beweisen, dass die Gegenseite den Vertrag ohne die Aufklärungspflichtverletzung zu den für sie ungünstigeren Bedingungen geschlossen hätte (vgl. Senat, aaO).

11

Entsprechende Feststellungen sind von dem Berufungsgericht nicht getroffen worden. Es meint lediglich, die Klägerin hätte sich redlicherweise auf die von dem Beklagten erstrebte Anpassung des Vertrages einlassen müssen. Darauf kommt es indessen nicht an. Eine Anpassung des Vertrages könnte der Beklagte nur verlangen, wenn feststünde, dass die Klägerin bereit gewesen wäre, auf ein Wohnrecht zu verzichten, solange ihr Enkel die Erdgeschosswohnung nutzt.

III.

12

Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil es nach den bislang getroffenen Feststellungen möglich erscheint, dass der Beklagte dem Anspruch der Klägerin auf Einräumung des Wohnrechts ein Zurückbehaltungsrecht (§ 320 oder § 273 BGB) entgegenhalten kann. Der Beklagte rügt zu Recht, dass das Bestehen einer solchen Einrede von dem Berufungsgericht mit rechtsfehlerhafter Begründung verneint worden ist.

13

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, auf die das Berufungsurteil Bezug nimmt, haben die Parteien unstreitig vereinbart, dass die Klägerin mit ihrer Schwester in die Wohnung im Kellergeschoss und der Beklagte mit seiner Ehefrau dafür in das Erdgeschoss ziehen sollten. Das Landgericht hat dies als Vereinbarung eines Wohnungstauschs und als Teil des Übergabevertrages gewertet. Auch die Revision nimmt an, die Einräumung des Wohn- und Nutzungsrechts habe nach einer mündlichen Vereinbarung der Parteien im Wege eines Wohnungstausches erfolgen sollen. Auf welcher tatsächlichen Grundlage das Berufungsgericht seine davon abweichende Rechtsauffassung stützt, es fehle bereits an einer als vertragliche Nebenabrede zu dem  Übergabevertrag zu qualifizierenden Vereinbarung, ist mangels näherer Begründung nicht nachvollziehbar.

14

Eine mündliche Nebenabrede der Parteien wäre nicht notwendigerweise formnichtig (§ 311b Abs. 1 Satz 1 BGB) und deshalb unbeachtlich. Die von dem Berufungsgericht für möglich erachtete Heilung des Formmangels gemäß § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB scheitert nicht an der dafür erforderlichen Willensübereinstimmung der Parteien im Zeitpunkt der Auflassung (vgl. Senat, Urt. v. 15. Oktober 1993, V ZR 19/92, NJW 1994, 586, 588). Da die Auflassung hier bei Abschluss des Übergabevertrages erklärt wurde und ein Wegfall der Willensübereinstimmung zwischen Auflassung und Eintragung unschädlich ist (Senat, Urt. v. 23. März 1973, V ZR 112/71, WM 1973, 612, 613), kommt es nur auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an. Zu diesem bestand die notwendige Willensübereinstimmung jedoch fort. Deren Wegfall ist nämlich nur in Betracht zu ziehen, wenn eine der Parteien ihren gegenteiligen Willen erkennbar äußert (BGH, Urt. v. 18. November 1993, IX ZR 256/92, NJW-RR 1994, 317, 318). Nach den getroffenen Feststellungen hat die Klägerin gegenüber dem Beklagten aber gerade nicht zu erkennen gegeben, an der Wohnungstauschabrede nicht festhalten zu wollen, insbesondere hat sie im Notartermin nicht offenbart, mit ihrem Enkel einen Mietvertrag über die Räume im Erdgeschoss geschlossen zu haben.

15

Die Zurückverweisung der Sache gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erneut zu prüfen, ob ein Zurückbehaltungsrecht des Beklagten besteht.

Krüger                            Schmidt-Räntsch                               Stresemann

                  Czub                                                Roth