Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 20.07.2012


BGH 20.07.2012 - V ZR 142/11

Internationales Gesellschaftsrecht: Anwendbares Recht für die Rechtsscheinhaftung einer brasilianischen Gesellschaft bei Überschreitung der Vertretungsbefugnis durch eines ihrer Organe bei einem Distanzgeschäft


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
20.07.2012
Aktenzeichen:
V ZR 142/11
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 4. Mai 2011, Az: 3 U 30/10vorgehend LG Osnabrück, 17. März 2000, Az: 3 HO 154/96
Zitierte Gesetze
Art 1 BGBEG

Leitsätze

In Fällen mit Auslandsberührung richtet sich die Rechtsscheinhaftung der Gesellschaft für das Handeln ihres Organs, das seine Vertretungsbefugnis bei einem Distanzgeschäft überschreitet, jedenfalls dann nach der an dem Ort der Abgabe der Willenserklärung geltenden Rechtsordnung, wenn diese zugleich über die organschaftliche Vertretungsmacht entscheidet (Fortführung BGH, 9. Dezember 1964, VIII ZR 304/62, von BGHZ 43, 21 ff.).

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 4. Mai 2011 wird auf Kosten der Beklagten zu 1 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Erledigung der Hauptsache festgestellt wird.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin, ein Unternehmen mit Sitz in Texas/USA, und die Beklagte zu 1, ein Unternehmen brasilianischen Rechts, streiten im Rahmen einer Hauptintervention der Klägerin um das Eigentum an angereichertem Uran 235. In dem im Hinblick auf die Interventionsklage ausgesetzten Hauptprozess verlangt die Beklagte zu 1 ihrerseits die Herausgabe des Urans von der Beklagten zu 2, einem deutschen Unternehmen.

2

Die Anreicherung des Urans erfolgte in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts im Auftrag der Beklagten zu 1 durch die U.    Ltd. (künftig: U.    ) in Großbritannien. Anschließend lagerte die Beklagte zu 1 unter anderem das in elf Zylindern befindliche Uran in einem von der Beklagten zu 2 in Deutschland betriebenen Lager für Kernbrennstoffe ein; der schon vor dieser Einlagerung zwischen den Beklagten bestehende Lagervertrag war dem Schweizer Recht unterstellt.

3

Am 7. März 1994 schloss die Beklagte zu 1 mit der NEAG, einer Aktiengesellschaft Schweizer Rechts, unter anderem über dieses Uran einen Sachdarlehensvertrag (loan agreement) nach brasilianischem Recht. Nach dessen Bestimmungen war das Uran von dem Darlehensgeber, der Beklagten zu 1, in dem Lager der Beklagten zu 2 an den Darlehensnehmer, die NEAG, zu liefern; das Eigentum sollte bei der Lieferung übergehen. Im April 1994 wies ein als Vertreterin der NEAG auftretendes und mit dieser konzernmäßig verbundenes Unternehmen, die NTC mit Sitz in Colorado/USA, die Beklagte zu 1 an, das Uran zum 25. April 1994 auf das Materialkonto der SPC, eines Tochterunternehmens der Beklagten zu 2, zu übertragen. Aufgrund dessen erteilte das Vorstandsmitglied der Beklagten zu 1, Direktor S.   , der Beklagten zu 2 mit Schreiben vom 18. April 1994 folgende, auf die Zylinder nebst Inhalt bezogene Anweisung:

„bitte übertragen Sie das oben genannte Material zum 25.4.1994 auf Materialkonto der SPC bei der [Beklagten zu 2]. …

Wir bitten Sie, der SPC zu bestätigen, dass die … Zylinder mit angereichertem UF 6 für die SPC gehalten werden und jederzeit an einen anderen Ort verlagert werden können. Die SPC ist darüber informiert, dass die … Zylinder Eigentum der [Beklagten zu 1] sind.“

4

Hintergrund dessen war, dass sich die NTC ihrerseits mit einem dem Recht des US-Bundesstaates Colorado unterstellten Vertrag vom 8. April 1993 verpflichtet hatte, der SPC Uran zu überlassen. Einer Absichtserklärung der NTC vom 18. April 1994 zufolge sollte der SPC unter anderem das in Rede stehende Uran zur Verfügung gestellt werden.

5

Die Beklagte zu 2 schrieb daraufhin der SPC - nachrichtlich der Beklagten zu 1 - am 20. April 1994, dass sie das Uran gemäß Anweisung der Beklagten zu 1 zum 29. April 1994 auf das Materialkonto der SPC übertragen werde. Am 29. April 1994 wandte sich das Vorstandsmitglied S.     der Beklagten zu 1 an die SPC mit der Bitte, das Uran nunmehr dem von der SPC für die NTC geführten Materialkonto gutzuschreiben. Dies bestätigte die SPC der NTC am 3. Mai 1994. Die Lager- und Versicherungskosten für das Uran stellte die Beklagte zu 2 der Beklagten zu 1 im September 1994 zunächst nur noch für die Zeit bis zum 28. April 1994 in Rechnung.

6

Die Klägerin hatte ihrerseits der NTC im Rahmen eines Sachdarlehens Uran zur Verfügung gestellt. Im November 1994 vereinbarten die Klägerin und die NTC, dass die NTC die SPC zwecks Rücklieferung anweisen solle, das in den elf Zylindern befindliche Uran auf das Materialkonto der Klägerin umzubuchen. Die Umbuchung wurde der Klägerin durch die SPC bestätigt.

7

Im Februar 1995 fiel die NTC in Konkurs. Die Beklagte zu 1 erklärte daraufhin gegenüber der NEAG die Anfechtung sämtlicher Erklärungen ihres Vorstandmitglieds S.   . Im September 1995 stellte die Beklagte zu 2 der Beklagten zu 1 Lager- und Versicherungskosten auch für die Zeit vom 29. April bis zum 31. Dezember 1994 in Rechnung. Im April 1996 fiel die NEAG in Konkurs.

8

Das Landgericht hat dem Antrag der Klägerin entsprechend festgestellt, der Beklagten zu 1 stehe gegen die Beklagte zu 2 kein Anspruch auf Herausgabe der Zylinder zu, und hat die Beklagte zu 2 zur Herausgabe der Zylinder an die Klägerin verurteilt. Die Klägerin hat diese Entscheidung zwischenzeitlich vollstreckt und die Zylinder aus der Bundesrepublik Deutschland ausgeführt. Die - zugleich als Streithelferin der Beklagten zu 2 eingelegte - Berufung der Beklagten zu 1 ist nach einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erfolglos geblieben. Mit Urteil vom 22. Februar 2010 (II ZR 286/07, NJW-RR 2010, 983) hat der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das die Berufung anschließend erneut zurückgewiesen hat. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte zu 1, die das Rechtsmittel nur für sich selbst eingelegt hat, die Zurückweisung des Feststellungsantrags erreichen. Nach einem Hinweis des Senats hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte zu 1 hat der Erledigungserklärung widersprochen.

Entscheidungsgründe

I.

9

Das Berufungsgericht hält sowohl den Leistungs- als auch den Feststellungsantrag für begründet, weil die Klägerin das - nach deutschem Sachrecht zu beurteilende - Eigentum an dem Uran erlangt habe. Nach der Anreicherung des Materials durch die U.     sei zunächst die Beklagte zu 1 Eigentümerin gewesen. Diese habe das Eigentum im April 1994 auf Geheiß der NEAG an die SPC übertragen; den erforderlichen Eigenbesitz habe die SPC dadurch erlangt, dass die Beklagte zu 2 das Uran aufgrund der durch Herrn S.     erteilten - der Beklagten zu 1 zurechenbaren und von dieser auch nicht wirksam angefochtenen - Anweisung vom 18. April 1994 nicht mehr der Beklagten zu 1, sondern der SPC vermittelt habe. Die Klägerin habe ihrerseits im November 1994 das Eigentum an dem Uran von der NTC erworben, die durch die Übereignung eine ihr obliegende vertragliche (Rück-)Lieferpflicht erfüllt habe; der Besitz sei dadurch übertragen worden, dass die SPC das Uran weisungsgemäß auf das von ihr für die Klägerin geführte Materialkonto umgebucht habe. Darauf, ob die NTC zu dem Zeitpunkt der Übereignung an die Klägerin Eigentümerin des Urans gewesen sei, komme es nicht an, da die SPC die Verfügung der NTC genehmigt habe. Vorschriften des Vertrags über die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25. März 1957 (EAGV) stünden der Wirksamkeit der Eigentumsübertragungen nicht entgegen, weil die Lieferung des Urans an die Beklagte zu 1 durch die U.      für die Versorgung der Gemeinschaft neutral gewesen sei und die nachfolgenden Übertragungen aus diesem Grund nicht von dem EAGV erfasst würden.

II.

10

Die Revision der Beklagten zu 1 hat keinen Erfolg.

11

1. Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist lediglich die gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage, mit der die Klägerin die fehlende Berechtigung der Beklagten zu 1, die Uranzylinder von der Beklagten zu 2 heraus zu verlangen, feststellen lassen will. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist rechtskräftig, soweit der Klägerin der Herausgabeanspruch gegen die Beklagte zu 2 zuerkannt worden ist. Die Beklagte zu 1 hat nämlich - anders als in den vorangegangenen Rechtsmittelverfahren - die Revision ausdrücklich nur für sich selbst und nicht zugleich auch als Streithelferin der Beklagten zu 2 eingelegt. Eine notwendige Streitgenossenschaft (§ 62 ZPO) zwischen den Beklagten, bei deren Vorliegen die gerichtliche Entscheidung durch das Rechtsmittel eines Streitgenossen insgesamt zur Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gestellt wäre, wurde durch die Hauptintervention der Klägerin nicht begründet (vgl. RGZ 100, 60, 61 f.; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 64 Rn. 16; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 64 Rn. 5).

12

2. Die Hauptsache hat sich erledigt, nachdem die Entscheidung über den Herausgabeanspruch in Rechtskraft erwachsen ist. Weil die Klägerin das Uran zuvor bereits aus der Bundesrepublik Deutschland ausgeführt hatte, hat sie ihr mit der Hauptintervention verfolgtes Rechtsschutzziel vollständig erreicht. Damit ist das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der erstrebten Feststellung entfallen, bei dem es sich um eine Prozessvoraussetzung handelt und das daher auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 11. Januar 2007 - I ZR 87/04, NJW 2007, 3002, 3003; MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, 3. Aufl., § 256 Rn. 35 jeweils mwN). Es setzt voraus, dass der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. Senat, Urteil vom 19. Juni 1998 - V ZR 43/97, NJW 1998, 3055, 3056; MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, aaO, Rn. 37, jeweils mwN). Das gilt auch in der besonderen prozessualen Situation der Hauptintervention (§ 64 ZPO), sofern der Interventionskläger - wie regelmäßig und auch hier - seinen Anspruch auf die Sache, über die bereits zwischen anderen Personen ein Rechtsstreit anhängig ist, durch die Kombination einer Leistungsklage (gegen den Beklagten des Ausgangsrechtsstreits) und einer Feststellungsklage (gegen den Kläger des Ausgangsrechtsstreits) verfolgt (vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 52 Rn. 17; MünchKomm-ZPO/Schultes, 3. Aufl., § 64 Rn. 15). Denn in diesem Fall rechtfertigt sich das Interesse an der Feststellung, dass der in dem Ausgangsrechtsstreit geltend gemachte Anspruch nicht besteht, ebenfalls aus der Rechtsunsicherheit, die sich für den Interventionskläger daraus ergibt, dass er mit dem dortigen Kläger um die von beiden beanspruchte Sache konkurriert.

13

Daran fehlt es wegen der bereits erfolgten Vollstreckung ab dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils im Hinblick auf die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Herausgabeklage. Ob der Beklagten zu 1 ebenfalls ein Herausgabeanspruch gegen die Beklagte zu 2 zusteht, ist für die bereits gesicherte Rechtsposition der Klägerin ohne Belang, weil die Beklagte zu 1 einen solchen Anspruch jedenfalls nicht mehr mit Erfolg durchsetzen könnte.

14

3. Die einseitige Erledigungserklärung der Klägerin ist auch in der Revisionsinstanz jedenfalls dann zulässig, wenn das zugrunde liegende Geschehen unstreitig ist (vgl. BGH, Urteile vom 8. Februar 1989 - IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359, 368 und vom 5. Mai 1999 - XII ZR 184/97, BGHZ 141, 307, 316; MünchKomm-ZPO/Lindacher, 3. Aufl., § 91 a Rn. 112, jeweils mwN). Nichts anderes kommt in Betracht, wenn das erledigende Ereignis - wie hier - in dem Eintritt der Rechtskraft des Berufungsurteils hinsichtlich eines nicht angegriffenen Klageantrags begründet ist, da der Kläger andernfalls keine Möglichkeit hätte, im Revisionsverfahren eine für sich günstige Kostenfolge herbeizuführen.

15

4. Auf der Grundlage des geänderten Klageantrags erweist sich die Revision als unbegründet. Das Berufungsgericht hat den gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Feststellungsantrag ohne Rechtsfehler als zulässig und begründet angesehen.

16

a) Einen Anspruch gemäß § 985 BGB hat der Senat nicht zu prüfen. Die Beklagte zu 1 stützt ihr Herausgabeverlangen ausdrücklich nur auf eine vertragliche Grundlage, weil sie davon ausgeht, dass das Eigentum an dem Uran nach Art. 86 EAGV der Europäischen Atomgemeinschaft zusteht. Auch einen - nach ihrer Ansicht wegen einer drohenden Umgehung der Bestimmungen des EAGV ohnehin nicht zulässigen - gutgläubigen Erwerb behauptet sie nicht.

17

Das hat zur Folge, dass der Senat an der Prüfung eines Anspruchs gemäß § 985 BGB gehindert ist. Eine negative Feststellungsklage bewirkt lediglich eine Umkehrung der Parteirollen mit der Folge, dass der Beklagte, der sich des von dem Kläger bestrittenen Anspruchs berühmt, dessen Voraussetzungen nach Grund und Höhe darzulegen hat (vgl. Senat, Urteil vom 25. Oktober 1991 - V ZR 196/90, NJW 1992, 1101, 1103; Zöller/Greger, aaO, § 256 Rn. 18). Zwar ist das Gericht grundsätzlich nicht daran gehindert, den Lebenssachverhalt unter eine andere als die vorgetragene Anspruchsgrundlage zu subsumieren (vgl. Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 33. Aufl., § 308 Rn. 4; Musielak in Musielak, ZPO, 9. Aufl., § 308 Rn. 15). Seine Prüfungskompetenz kann aber beschränkt werden, sofern das Rechtsschutzziel unter verschiedenen Voraussetzungen erreicht werden kann. In diesem Fall hat der Kläger - bzw. im Fall der negativen Feststellungsklage der Beklagte - mit Blick auf die jeweils unterschiedlichen Verteidigungsmöglichkeiten des Gegners die Wahl, auf welche Grundlage er den Anspruch stützt (vgl. Musielak, aaO, § 308 Rn. 15 mwN; Zöller/Vollkommer, aaO, Einl. Rn. 70; vgl. auch Senat, Urteil vom 25. Mai 1984 - V ZR 199/82, BGHZ 91, 282, 283 f.). Aus diesem Grund ist bereits in dem ersten Revisionsurteil vom 22. Februar 2010 darauf hingewiesen worden, dass die Beklagte zu 1 den Rechtsgrund eines Herausgabeanspruchs gegen die Beklagte zu 2 darlegen und beweisen müsse (BGH, Urteil vom 22. Februar 2010 - II ZR 286/07, NJW-RR 2010, 983 Rn. 35).

18

b) In Betracht kommt danach nur ein schuldrechtlicher Anspruch aus dem zwischen den Beklagten geschlossenen Lagervertrag; diesen verneint das Berufungsgericht im Ergebnis ohne Rechtsfehler.

19

aa) Auf einen solchen Anspruch stützt sich die Beklagte zu 1. Sie hat zwar auch die Wirksamkeit des Lagervertrags nach dem EAGV in Zweifel gezogen. Ihr Vorbringen in der Revisionsbegründung lässt sich aber insgesamt nur so verstehen, dass sie einen vertraglichen Herausgabeanspruch - anders als den auf das Eigentum gestützten Anspruch - für gegeben hält.

20

bb) Das Berufungsgericht hat diesen Anspruch der Sache nach zwar nur im Zusammenhang mit der Frage geprüft, ob die Beklagte zu 1 den mittelbaren Besitz an dem Uran verloren hat. Dabei ist es aber zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der nach dem Parteiwillen fortbestehende Lagervertrag ab dem 29. April 1994 nicht mehr auf das hier in Rede stehende Uran erstrecken sollte und die vertragliche Beziehung damit insoweit beendet war.

21

cc) Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach sich der Lagervertrag nach dem Willen der Parteien nur auf das jeweils durch die Beklagte zu 1 eingelagerte Uran habe erstrecken sollen, und demnach entscheidend sei, für wen die Beklagte zu 2 nach der im April 1994 zwischen den Parteien erfolgten Korrespondenz den Besitz an dem Uran ausgeübt habe, begegnet keinen Bedenken; auch die Revision erhebt dagegen keine Einwendungen. Die fehlende Ermittlung des auf den Vertrag anwendbaren schweizerischen Rechts ist unbeachtlich, weil dies nicht - wie es erforderlich wäre - mit einer auf § 293 ZPO gestützten Verfahrensrüge geltend gemacht worden ist (vgl. nur Senat, Urteil vom 6. November 1998 - V ZR 224/97, ZfIR 1999, 264, 265).

22

dd) Die Revision wendet sich gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte zu 1 habe ihren mittelbaren Besitz verloren, was - nach der nicht angegriffenen Auslegung des Lagervertrags - die Vertragsbeziehung insoweit beendet habe. Ferner meint sie, die Beklagte zu 1 müsse sich die Anweisungen des Direktors S.    nicht zurechnen lassen. Diese Rügen haben keinen Erfolg.

23

(1) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte zu 1 habe ihren mittelbaren Besitz aufgegeben und infolge ihrer Anweisungen habe die Beklagte zu 2 nach April 1994 der SPC den Besitz vermittelt, ist - soweit es um tatsächliche Umstände geht - als tatrichterliche Würdigung revisionsrechtlich insbesondere daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht ein Vorbringen, einen Beweisantrag oder das Ergebnis einer Beweisaufnahme übersehen hat (vgl. MünchKomm-ZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 559 Rn. 13).

24

Gemessen daran ist die Entscheidung rechtsfehlerfrei. Das Berufungsgericht hat den Sachverhalt umfassend und widerspruchsfrei gewürdigt. Der Korrespondenz zwischen den Beklagten im April 1994 hat es entnommen, dass nach dem 29. April 1994 nicht die Beklagte zu 1, sondern die SPC mittelbare Besitzerin sein sollte. Dass eine interne Umbuchung bei der Beklagten zu 2 unterblieben ist, hat es dabei unterstellt. Es hat das Schreiben des Direktors S.    der Beklagten zu 1 vom 18. April 1994 an die Beklagte zu 2, das darauf folgende Schreiben der Beklagten zu 2 vom 20. April 1994 an die SPC und die Anweisung des Direktors S.    vom 29. April 1994 an die SPC dahingehend gewürdigt, dass der mittelbare Besitz der Beklagten zu 1 beendet werden sollte. In diesem Zusammenhang hat es erläutert, dass die Erwähnung der im Eigentum der Beklagten zu 1 stehenden Zylinder allein auf die Behälter bezogen war. Einbezogen hat es auch, dass die Beklagte zu 2 die Verwahrungskosten der Beklagten zu 1 zunächst nur bis zum 28. April 1994 in Rechnung stellte. Mit dem Schreiben der Beklagten zu 2 vom 16. Mai 1994 hat es sich befasst und ist nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass diese den dort eingenommenen Rechtsstandpunkt anschließend korrigiert hat.

25

Ohne Erfolg stützt sich die Revision auf die unterbliebene ausdrückliche Würdigung des Schreibens der Beklagten zu 1 vom 12. September 1994. Es ist mit dem Ergebnis des Berufungsgerichts ohne weiteres in Einklang zu bringen, weil darin von einer erfolgten Übertragung des Materials auf das Konto der SPC und einem Eigentumserwerb der NEAG ausgegangen wird. Ebenso wenig hat das Berufungsgericht gegen § 286 Abs. 1 ZPO verstoßen, indem es eine ausdrückliche Würdigung des Schriftsatzes der Beklagten zu 2 vom 19. November 2010 unterließ. Die Beklagte zu 2 hat darin - anders als die Revision behauptet - gerade nicht die Auffassung vertreten, die Beklagte zu 1 habe auch nach April 1994 an ihrem Anspruch festgehalten; sie hat vielmehr vorgetragen, ein Gläubigerwechsel sei aus ihrer Sicht eindeutig erfolgt, zwar nicht durch die Umbuchung auf die - zu ihrem Konzern gehörige - SPC, aber jedenfalls durch die Übertragung des Urans auf das Materialkonto der NTC von Seiten der SPC. Ohnehin ist entscheidend, wie die Vertragspartner der Beklagten zu 2 deren Schreiben verstehen mussten.

26

(2) Rechtsfehlerfrei ist auch die Annahme, Direktor S.    habe die Beklagte zu 1 bei der Beendigung des Lagervertrags bezogen auf das in Rede stehende Uran wirksam vertreten.

27

(a) Richtig ist zunächst, dass sich die Vertretungsmacht, die nach den tatbestandlichen Feststellungen nur auf der Rechtsstellung des Direktors S.   als Gesellschaftsorgan beruhen kann, nach dem Gesellschaftsstatut richtet (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1991 - XI ZR 64/90, NJW 1992, 618; Palandt/Thorn, BGB, 71. Aufl., Anh. zu Art. 10 EGBGB Rn. 2; Anh. zu Art. 12 EGBGB Rn. 13). Maßgeblich ist nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts das an dem Sitz der Gesellschaft geltende brasilianische Recht. Für das Revisionsverfahren ist von der für die Beklagte zu 1 günstigen Würdigung des Berufungsgerichts auszugehen, wonach sich aus dem brasilianischen Recht keine organschaftliche Vertretungsmacht für die Anweisungen ergibt.

28

(b) Auch für die Frage, ob sich die Beklagte zu 1 die Willenserklärungen ihres Direktors aufgrund eines Rechtsscheins zurechnen lassen muss, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei das brasilianische Recht herangezogen.

29

(aa) Als maßgebliche Anknüpfung für eine Anscheinsvollmacht hat der Bundesgerichtshof den Ort angesehen, an dem der Rechtsschein entstanden ist und sich ausgewirkt hat, weil die Haftung allein auf dem Rechtsschein beruhe (BGH, Urteil vom 9. Dezember 1964 - VIII ZR 304/62, BGHZ 43, 21, 27; vgl. auch BGH, Urteil vom 5. Februar 2007 - II ZR 84/05, NJW 2007, 1529, 1530 Rn. 9 mwN); dabei ging es allerdings nicht um ein Distanzgeschäft, bei dem - wie hier - der Ort der Abgabe der Willenserklärung (Brasilien) und der ihres Zugangs (Deutschland) auseinanderfallen. Die gewählte Formulierung ist als unscharf kritisiert worden (Leible, IPRax 1998, 257, 260; Heinz, Das Vollmachtsstatut [2011], S. 211 f.). Im Ergebnis ähnlich stellen Teile der Literatur hinsichtlich der Rechtsscheinhaftung der Gesellschaft für das Handeln ihrer Organe auf das Recht des Ortes ab, an dem das Geschäft stattfand (MünchKomm-BGB/Kindler, Int. GesR, 5. Aufl. Rn. 585; Staudinger/Großfeld, Int. GesR [1998] Rn. 285; Kaligin, DB 1985, 1449, 1452).

30

(bb) Andere plädieren für die Maßgeblichkeit des Vollmachtsstatuts. Der enge Zusammenhang zwischen Vertretungsbefugnis und Rechtsscheinhaftung erfordere die Anwendung derselben Rechtsordnung. Während dies bei einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht wegen ihrer Anknüpfung an den Gebrauchs- und Wirkungsort im Regelfall nicht zu anderen Ergebnissen führt, unterliegt die Rechtsscheinhaftung bei einer organschaftlichen Vertretungsmacht nach dieser Ansicht ohne Rücksicht auf den Handlungsort dem Gesellschaftsstatut (Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 6. Aufl., Rn. 2480; Heinz, aaO, S. 211 f.).

31

(cc) Im Ergebnis führen alle Ansichten zu der Anwendung brasilianischen Rechts, es sei denn, man wollte den Ort des Zugangs der Willenserklärung als maßgeblich ansehen. Diese Auffassung wird nur vereinzelt vertreten (OLG Köln, IPRspr. 1966/67 Nr. 25, S. 80 f.; Staudinger/Magnus, BGB [2010], Anh. II zu Art. 1 Rom I-VO Rn. 39: Ort, an dem der Dritte vertraut). Die überwiegende Meinung sieht - wie das Berufungsgericht - bei Distanzgeschäften stets den Ort der Abgabe der Erklärung des Vertreters als maßgeblich sowohl für die Anknüpfung einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht als auch der Rechtsscheinhaftung an (LG Karlsruhe, RIW 2002, 153, 155; Erman/Hohloch, BGB, 13. Aufl., Anh. I nach Art. 12 EGBGB Rn. 7; Kropholler, IPR, 6. Aufl., S. 306, 308; Hausmann in Reithmann/Martiny, aaO, Rn. 2433, 2480; weitere Nachweise bei Heinz, aaO, S. 18, 162 ff.).

32

(dd) Der Senat hält die Anknüpfung an den Ort des Zugangs der Willenserklärung auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten jedenfalls dann nicht für richtig, wenn das an dem Handlungsort des Vertreters geltende Recht - wie hier - zugleich über dessen Vertretungsbefugnis entscheidet. An dieser Rechtsordnung muss sich der Geschäftspartner ausrichten, der auf die Vertretungsmacht einer im Ausland handelnden Person vertraut.

33

(c) Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe das von ihm ermittelte brasilianische Recht fehlerhaft angewendet, steht dem entgegen, dass die Anwendung ausländischen Rechts jedenfalls gemäß § 545 Abs. 1 ZPO in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung (Art. 111 Abs. 1 und 2, Art. 112 Abs. 1 FGG-RG) nicht revisibel ist (vgl. Senat, Urteil vom 18. Februar 2011 - V ZR 137/10, NJWRR 2011, 515 Rn. 9). Grundsätzlich zulässig ist demgegenüber die auf § 293 ZPO gestützte Verfahrensrüge, mit der eine unzureichende oder fehlerhafte Ermittlung des ausländischen Rechts geltend gemacht wird. Aus dieser Norm leitet sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Pflicht des Tatrichters ab, das für die Entscheidung eines Rechtsstreits maßgebende ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln. Wie der Tatrichter sich die erforderliche Kenntnis des ausländischen Rechts verschafft, steht zwar in seinem Ermessen. Die Entscheidungsgründe müssen aber erkennen lassen, dass er dieses Ermessen tatsächlich ausgeübt hat (Senat, Urteile vom 6. November 1998 - V ZR 224/97, ZfIR 1999, 264, 265 f.; vom 8. Mai 1992 - V ZR 95/91, NJW 1992, 3106 f.; vom 24. November 1989 - V ZR 240/88, NJW-RR 1990, 248, 249; BGH, Urteil vom 23. April 2002 - XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359 ff.).

34

Daran gemessen ist die Entscheidung rechtsfehlerfrei. Das sachverständig beratene Berufungsgericht hat eingehend begründet, dass es die Anweisungen zwar als Realakte ansehe, aber auch bei einem - unterstellten - rechtsgeschäftlichen Charakter eine Vollmacht kraft Rechtsscheins nach brasilianischem Recht anzunehmen sei. Seine Begründung bezieht sich zwar weitestgehend auf das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten zu 1 und der NEAG. Im Hinblick auf das Verhältnis der Beklagten untereinander hat es auf diese Ausführungen aber Bezug genommen und deutlich gemacht, dass es die festgestellten Voraussetzungen für eine Rechtsscheinhaftung nach brasilianischem Recht dieser Rechtsbeziehung ebenfalls als gegeben ansieht; eine solche Zurechnung auch in dem Verhältnis zu der Beklagten zu 2 lag auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen schon deshalb nahe, weil Direktor S.    als Vorstandsmitglied dieser wiederholt und über einen längeren Zeitraum hinweg Anweisungen erteilt hat.

35

Die Verfahrensrügen der Beklagten zu 1 haben keinen Erfolg. Dass das brasilianische Recht im Grundsatz eine Rechtsscheinhaftung kennt, zieht die Revision nicht in Zweifel. Ihre konkret erhobenen Rügen beziehen sich ausnahmslos auf das Verhältnis der Beklagten zu 1 zu der NEAG. Auf das Verhältnis der Beklagten untereinander lassen sie sich nicht übertragen. So wird insbesondere beanstandet, dass das Berufungsgericht nicht geprüft habe, ob nach brasilianischem Recht auch eine nicht der vereinbarten Form entsprechende Willenserklärung aufgrund eines Rechtsscheins zugerechnet werden könne. Diese Frage betrifft schon deshalb nicht das Verhältnis zu der Beklagten zu 2, weil die Revision weder aufzeigt, dass der Lagervertrag Formvorschriften für zu erteilende Anweisungen vorsah, noch, dass diese missachtet worden sind. Auch der Vorwurf, das Berufungsgericht habe den Ausschluss einer Rechtsscheinhaftung aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters des Handels mit angereichertem Uran nach brasilianischem Recht nicht zutreffend erfasst, bezieht sich allein auf den mit der NEAG geschlossenen Sachdarlehensvertrag, nicht aber auf den Vertrag zwischen den Beklagten; insoweit bedürfte es schon deshalb einer eigenständigen Rüge, weil dieser Vertrag gerade nicht den Uranhandel, sondern nur die Lagerung zum Gegenstand hatte. Schließlich bezieht sich auch der als übergangen gerügte Sachvortrag nur auf das Verhältnis zwischen der Beklagten zu 1 und der NEAG.

36

(d) Die von der Beklagten zu 1 erklärte Anfechtung der Erklärungen des Direktors S.    bezog sich ebenfalls nur auf den zwischen der Beklagten zu 1 und der NEAG geschlossenen Sachdarlehensvertrag und hat daher keine Auswirkungen auf die Vertragsbeziehungen zwischen den Beklagten.

III.

37

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger                                              Stresemann                                             Czub

                          Brückner                                                 Weinland