Entscheidungsdatum: 23.07.2010
Der Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gewährt kein Schmerzensgeld .
Die Revision gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Juli 2009 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin bewohnt mit ihrer Familie ein Eigenheim in S. (Saarland). Dort sowie in der Umgebung kam es in den Jahren 2005 und 2006 zu Erderschütterungen, welche auf den im Auftrag und für Rechnung der Beklagten in der Gegend betriebenen untertägigen Steinkohlebergbau zurückzuführen sind. Es wurden Schwingungsgeschwindigkeiten von bis zu 71 mm/sek. gemessen.
Mit der Behauptung, aufgrund der Erderschütterungen leide sie seit März 2005 an erheblichen psychischen Problemen in Form einer Phobie sowie an psychosomatischen Beschwerden wie Schlaflosigkeit und ständigen Angstzuständen in Erwartung weiterer Beben, verlangt die Klägerin jetzt noch ein Schmerzensgeld von mindestens 4.000 €. Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtmittels.
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts war die Klägerin nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Duldung der Erschütterungen verpflichtet, weil die dadurch hervorgerufene - unterstellte - wesentliche Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung durch die ortsübliche Benutzung des emittierenden Grundstücks hervorgerufen worden sei und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen habe verhindert werden können. Deshalb fehle es an einem nach §§ 114 ff. BBergG zu ersetzenden Bergschaden. Einem Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB stehe entgegen, dass der Kohleabbau auf der Grundlage einer behördlichen Genehmigung und somit nicht widerrechtlich betrieben worden sei. Konkrete Anhaltspunkte für eine Missachtung der behördlichen Vorgaben oder eine Verletzung von Verkehrspflichten durch die Beklagte seien von der Klägerin nicht aufgezeigt worden. Auch ein verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB komme nicht in Betracht, weil gesundheitliche Schäden nicht nach dieser Vorschrift ausgeglichen werden könnten.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Im Ergebnis zu Recht verneint das Berufungsgericht einen Schmerzensgeldanspruch nach den Vorschriften über die Bergschadenshaftung (§§ 114 ff. BBergG). Es fehlt - entweder, wie das Berufungsgericht meint, nach § 114 Abs. 2 Nr. 3 BBergG oder nach § 114 Abs. 1 BBergG - an einem Bergschaden. Die Revision nimmt dies hin. Sie meint lediglich, das Berufungsgericht habe nicht offen lassen dürfen, ob die Erschütterungen die Benutzung des von der Klägerin bewohnten Grundstücks unwesentlich oder wesentlich beeinträchtigt hätten, denn die Pflicht zur Duldung unwesentlicher Beeinträchtigungen führe nicht zu einem Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Dieser Einwand ist unerheblich, weil das Berufungsgericht zugunsten der Klägerin eine wesentliche Nutzungsbeeinträchtigung unterstellt und damit den Anwendungsbereich der verschuldensunabhängigen Haftung der Beklagten nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB eröffnet hat.
2. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass der betroffene Grundstückseigentümer bzw. -nutzer nach dieser Vorschrift kein Schmerzensgeld verlangen kann.
a) Anstelle des durch die Duldungspflicht nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeschlossenen Abwehranspruchs erhält der beeinträchtigte Grundstückseigentümer bzw. -nutzer gegen den Eigentümer des emittierenden Grundstücks nach Satz 2 der Vorschrift einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch in Geld, wenn die Einwirkung die ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt. Diese Regelung dient dem Interessenausgleich unter Nachbarn und beruht auf dem Gedanken von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis (siehe nur Senat, BGHZ 157, 188, 193). Sie findet im Fall von Erschütterungen der Erdoberfläche, die durch untertägigen Bergbau hervorgerufen werden, im Verhältnis zwischen beeinträchtigtem Eigentümer und Bergbauberechtigtem Anwendung (Senat, BGHZ 178, 90).
b) Bei dem Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB handelt es sich um einen aus dem Grundstückseigentum abgeleiteten Anspruch; die Gewährung einer Entschädigung auf seiner Grundlage setzt einen Bezug zu dem beeinträchtigten Grundstück in Form der Eigentums- oder Besitzstörung mit der Folge einer zu duldenden Nutzungsbeeinträchtigung voraus (siehe nur Senat, Urt. v. 18. September 2009, V ZR 75/08, NJW 2009, 3787, 3788 m. umfangr. Nachw.). Von einem Schadensersatzanspruch unterscheidet sich der Ausgleichsanspruch darin, dass die Entschädigung die durch die zu duldende Einwirkung eingetretene Vermögenseinbuße beseitigen soll, während der Schadensersatz der Wiederherstellung des Zustands dient, der bestünde, wenn die Einwirkung nicht zu der unzumutbaren Beeinträchtigung geführt hätte (Senat, BGHZ 147, 45, 53). Auszugleichen sind somit vermögenswerte Nachteile, die ihre Ursache in der Eigentums- oder Besitzstörung haben.
c) Nach diesen Grundsätzen scheidet die Berücksichtigung von Gesundheitsstörungen bei der Prüfung, ob ein Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB besteht, nicht von vornherein aus; Relevanz können sie bei der Beurteilung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung des betroffenen Grundstücks haben, wenn nämlich Einwirkungen i.S.v. § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Herbeiführung von Gesundheitsstörungen geeignet sind (Senat, BGHZ 49, 148, 153 f.; Urt. v. 19. Februar 2004, V ZR 217/03, NJW 2004, 1317, 1319). Das bedeutet jedoch nicht, dass in einem solchen Fall eine Entschädigung in der Form des Schmerzensgeldes für die erlittene Gesundheitsverletzung zu zahlen ist. Soweit sich die Revision für ihre gegenteilige Ansicht auf Stimmen in der Literatur (Staudinger/Roth, BGB [2009], § 906 Rdn. 77 und 110; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II 2. Halbband, § 85 II 5; Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz im System des Umweltrechts, S. 236 ff.) beruft, bleibt das erfolglos. Zwar befürworten die genannten Autoren (ebenso Staudinger/Kohler, Einl. zum UmweltHR [2002], Rdn. 120, siehe aber auch Rdn. 219) die Einbeziehung von Gesundheitsschäden in den Schutzbereich des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB im Wege der Analogie. Ob dem zu folgen ist, kann indes offen bleiben, denn sie sprechen sich nicht dafür aus, dass als Folge davon neben der Entschädigung für vermögenswerte Nachteile auch die Zahlung eines Schmerzensgeldes verlangt werden kann. Lediglich Spindler (Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 253 Rdn. 10) und Däubler (JuS 2002, 625, 626 f.) bejahen einen Schmerzensgeldanspruch auf der Grundlage von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB. Diese Autoren verkennen jedoch, dass der Ausgleichsanspruch ungeachtet des Umstands, dass die auf seiner Grundlage zu zahlende Entschädigung im Einzelfall die Höhe des vollen Schadensersatzes erreichen kann (Senat, BGHZ 142, 66, 70), kein Schadensersatzanspruch ist (siehe oben unter b)); Voraussetzung für die Verpflichtung des Schädigers zur Zahlung eines Schmerzensgeldes ist jedoch das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs (§ 253 Abs. 2 BGB). Fehlt es - wie hier - daran, ist die Vorschrift in § 253 Abs. 2 BGB auch nicht entsprechend anwendbar (Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, 2. Aufl., § 906 Rdn. 77). Auch kann sich die Revision nicht mit Erfolg auf eine "Parallelwertung im Bundesimmissionsschutzgesetz" stützen, denn nach § 14 Satz 2 BImSchG kann unter den dort genannten Voraussetzungen Schadensersatz verlangt werden. Das ist, wie gesagt, etwas anderes als die Entschädigung nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB.
3. Schließlich verneint das Berufungsgericht ebenfalls zu Recht einen verschuldensabhängigen Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB. Die Beklagte hat nicht rechtswidrig gehandelt. Ob die Begründung, mit der das Berufungsgericht die Rechtswidrigkeit verneint, den Angriffen der Revision standhält, kann offen bleiben. Denn wegen der Duldungspflicht der Klägerin nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB fehlte es an einer widerrechtlichen Handlung der Beklagten.
a) Die Verletzung eines nach § 823 BGB geschützten Rechtsguts ist grundsätzlich rechtswidrig, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund besteht. Geht es - wie hier - um das Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn, so sind die nachbarrechtlichen Sonderbestimmungen der §§ 906 ff. BGB in dem davon erfassten Regelungsbereich maßgebend dafür, ob die von dem einen auf das andere Grundstück ausgehenden Einwirkungen rechtswidrig sind; diese Bestimmungen entscheiden deshalb auch darüber, ob eine widerrechtliche deliktische Handlung gemäß § 823 BGB vorliegt oder nicht (Senat, BGHZ 90, 255, 257 f.).
b) Beurteilungsmaßstab ist hier § 906 BGB. Die Vorschrift regelt die Voraussetzungen, unter denen der Grundstückeigentümer oder der Nutzungsberechtigte Einwirkungen i.S.v. Absatz 1 Satz 1 dulden muss. Die Duldungspflicht der Klägerin ergibt sich entweder aus § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn die Erschütterungen die Benutzung des von ihr bewohnten Grundstücks unwesentlich beeinträchtigt haben, oder aus § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB, wenn die Beeinträchtigung zwar wesentlich war, aber durch die ortsübliche Benutzung des emittierenden Grundstücks herbeigeführt wurde und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden konnte. Von dem Vorliegen dieser Voraussetzungen ist das Berufungsgericht ausgegangen. Dagegen wendet sich die Revision bei der Prüfung eines verschuldensunabhängigen Anspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht, sondern nimmt es als für die Klägerin günstig hin. Bei der Erörterung eines Anspruchs nach § 823 Abs. 1 BGB rügt die Revision zwar, dass das Berufungsgericht den beweisbewehrten Vortrag der Klägerin übergangen habe, das der Betriebsplanzulassung zugrunde liegende Sachverständigengutachten sei erkennbar unrichtig. Das kann für die Frage der Ortsüblichkeit der Benutzung des emittierenden Grundstücks Bedeutung haben, denn die Grundstücksnutzung aufgrund einer fehlerhaften öffentlich-rechtlichen Genehmigung ist nicht ortsüblich (vgl. zur fehlenden Genehmigung Senat, BGHZ 140, 1, 9 f.). Aber dazu bezieht sie sich nur auf den in erster Instanz gehaltenen Vortrag, der nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens war. Weiter rügt die Revision in diesem Zusammenhang, das Berufungsgericht habe den Vortrag der Klägerin zu der Überschreitung der zulässigen Abbaugeschwindigkeit übergangen. Das kann für die Frage Bedeutung haben, ob die wesentliche Beeinträchtigung des von der Klägerin bewohnten Grundstücks durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden konnte. Dazu bezieht sich die Klägerin zwar auch auf Vortrag in der Berufungsinstanz; darin fehlt aber ein Beweisantritt. Entgegen der Ansicht der Revision war ein solcher nicht entbehrlich. Die Klägerin hätte sich - auch ohne Kenntnis der genauen Vorgänge unter Tage - für die Richtigkeit ihrer Behauptung, der Abbau sei mit zu hoher Geschwindigkeit vorgenommen worden, auf ein Sachverständigengutachten oder auf die bei der Beklagten vorhandenen Aufzeichnungen über den Abbau berufen können. Dem hätte das Berufungsgericht durch Anordnung der Einholung eines Gutachtens (§§ 402 ff. ZPO) oder der Vorlage der Aufzeichnungen durch die Beklagte (§ 142 Abs. 1 ZPO) nachkommen müssen. Da sie das nicht getan hat, musste das Berufungsgericht diesen Vortrag nicht berücksichtigen. Somit bleibt es dabei, dass die Klägerin nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB die Erschütterungen dulden musste. An einer widerrechtlichen Handlung der Beklagten nach § 823 Abs. 1 BGB fehlte es demnach (vgl. Palandt/Sprau, BGB 69. Aufl., § 823 Rdn. 32).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger |
Lemke |
Stresemann |
Richter am Bundesgerichtshof |
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Krüger |