Entscheidungsdatum: 27.01.2017
Im Saarland unterliegen Zahlungsansprüche nicht der obligatorischen Streitschlichtung für Nachbarrechtsstreitigkeiten nach § 37a Abs. 1 Nr. 1 AGJusG SL.
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 15. April 2016 und das Urteil des Amtsgerichts Merzig vom 31. Januar 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren, an das Amtsgericht Merzig zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Der Kläger errichtete an der gemeinsamen Grenze eine Einfriedung bestehend aus einem Maschendrahtzaun mit Betonpfosten und Randbefestigungssteinen. Ein im Jahr 2010 wegen der Beseitigung abgestorbener Bäume zwischen den Parteien durchgeführtes Schlichtungsverfahren blieb erfolglos. Im vorliegenden Verfahren verlangt der Kläger von der Beklagten Ausgleich für den an der Einfriedung entstandenen Schaden, der durch vom Grundstück der Beklagten auf sein Grundstück hinüber gewachsenes Wurzelwerk entstanden sein soll; der Klageantrag ist mit 4.710 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Kosten beziffert.
Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
I.
Das Berufungsgericht hält die Klage für unzulässig, weil das in § 37a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b des saarländischen Gesetzes zur Ausführung bundesrechtlicher Justizgesetze (in der Fassung vom 16. Mai 2007, nachfolgend: AGJusG SL) bei Streitigkeiten über Ansprüche wegen Überwuchses nach § 910 BGB vorgeschriebene Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Erforderlich sei ein Schlichtungsversuch auch bei Zahlungsansprüchen, die ihre Grundlage in § 910 BGB hätten.
Nach zutreffender, wenn auch umstrittener Ansicht umfasse die bundesrechtliche Ermächtigung in § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EGZPO nicht nur Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche, sondern auch Zahlungsansprüche. Der Landesgesetzgeber habe von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die Herausnahme der vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis 600 € aus § 37a AGJusG SL im Jahre 2007 habe nicht dazu geführt, dass auch Zahlungsansprüche aus Nachbarrechts- und Ehrschutzstreitigkeiten nicht mehr der obligatorischen Streitschlichtung unterlägen. Für diese Bereiche habe der Gesetzgeber das Erfordernis eines Schlichtungsverfahrens ausdrücklich beibehalten wollen.
II.
Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Nach § 37a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b AGJusG SL ist die Erhebung einer Klage zwischen im Saarland wohnhaften Parteien in Streitigkeiten über Ansprüche wegen Überwuchses nach § 910 BGB erst zulässig, nachdem von einer zugelassenen Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Zutreffend geht das Berufungsgericht noch davon aus, dass ein solcher Schlichtungsversuch vorliegend nicht unternommen wurde. Das im Jahre 2010 durchgeführte Schlichtungsverfahren betraf mit der Beseitigung von abgestorbenen Bäumen eine andere Rechtsfolge und damit einen anderen Streitgegenstand als die Klage, mit der der Kläger Geldersatz von Schäden durch den Überwuchs von Wurzelwerk verlangt. Entgegen der Ansicht des Klägers wären die Streitgegenstände folglich selbst dann nicht identisch, wenn Gegenstand des Schlichtungsverfahrens überhängende Baumreste und damit ebenfalls ein Überwuchs im Sinne von § 910 BGB gewesen sein sollte.
2. Im Saarland unterliegen Zahlungsansprüche nicht der obligatorischen Streitschlichtung für Nachbarrechtsstreitigkeiten nach § 37a Abs. 1 Nr. 1 AGJusG SL.
a) Die mit § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EGZPO geschaffene Ermächtigung des Landesgesetzgebers, die Zulässigkeit der Klageerhebung von einem vorherigen Schlichtungsversuch abhängig zu machen, bezieht sich auf „Streitigkeiten über Ansprüche aus dem Nachbarrecht nach den §§ 910, 911, 923 des Bürgerlichen Gesetzbuches…“. Ob hierunter auch Beseitigungs-, Bereicherungs- und Schadensersatzansprüche fallen, soweit die geltend gemachten Ansprüche ihre Grundlage darin finden, dass Äste oder Wurzeln über eine Grundstücksgrenze hinausgewachsen sind, ist umstritten (Nachw. im Urteil des Senats vom 19. Februar 2016 - V ZR 96/15, NJW-RR 2016, 823 Rn. 10). Die von dem Senat bislang offen gelassene Frage (vgl. Urteil vom 10. Juli 2009 - V ZR 69/08, NJW-RR 2009, 1238 Rn. 9; Urteil vom 2. März 2012 - V ZR 169/11, NZM 2012, 435 Rn. 7; Urteil vom 19. Februar 2016 - V ZR 96/15, aaO) bedarf auch hier keiner Entscheidung.
b) Auf den Streit kommt es nicht an, weil § 37a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b AGJusG SL einen Schlichtungsversuch vor der Erhebung der Klage zu den ordentlichen Gerichten für eine Zahlungsklage nicht vorschreibt, selbst wenn diese im Zusammenhang mit einem Nachbarrechtstreit steht. Diese Einschränkung findet zwar im Wortlaut der Vorschrift keinen ausdrücklichen Niederschlag. Sie ergibt sich aber aus der Entstehungsgeschichte der Norm.
aa) Die Vorschrift des § 37a Abs. 1 Nr. 1 AGJusG SL entspricht wörtlich den Bestimmungen des hessischen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 LSchlG HE), des nordrhein-westfälischen (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 JustG NRW) und des rheinland-pfälzischen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 LSchlG RP) Landesrechts. Diese Vorschriften legt der Senat eng in dem Sinne aus, dass ein Schlichtungsversuch in diesen Bundesländern für eine auf Zahlung gerichtete Klage auch dann nicht vorgeschrieben ist, wenn der Anspruch aus dem Nachbarrecht hergeleitet wird (Urteil vom 10. Juli 2009 - V ZR 69/08, aaO, Rn. 10; Urteil vom 2. März 2012 - V ZR 169/11, aaO, Rn. 9; Urteil vom 19. Februar 2016 - V ZR 96/15, aaO, Rn. 11). Zu dieser Auslegung ist der Senat auf Grund der jeweiligen Entstehungsgeschichte der Normen gelangt. In Hessen und Nordrhein-Westfalen - die Besonderheiten der Rechtslage in Rheinland-Pfalz sind vorliegend nicht von Relevanz - hatte der Gesetzgeber zunächst von der Ermächtigung des § 15a EGZPO umfassend Gebrauch gemacht, das Erfordernis einer obligatorischen Streitschlichtung für vermögensrechtliche Ansprüche jedoch später wieder aufgehoben. Dem lag in beiden Bundesländern die Erwägung zu Grunde, dass sich die obligatorische Streitschlichtung für vermögensrechtliche Ansprüche nicht bewährt hatte, weil das Mahnverfahren nach § 15a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 EGZPO schlichtungsfrei bleiben musste und sich der an sich vorgeschriebene Schlichtungsversuch deshalb durch Geltendmachung des Zahlungsanspruchs im Mahnverfahren vermeiden ließ. Der Gesetzgeber wollte in beiden Ländern als Konsequenz hieraus Geldforderungen schlechthin, auch bei einer nachbarrechtlichen Grundlage, schlichtungsfrei stellen (Nachw. im Urteil des Senats vom 19. Februar 2016 - V ZR 96/15, aaO, Rn. 12).
bb) Für einen anders gerichteten Willen des saarländischen Gesetzgebers - der sich wie die Gesetzgeber in Hessen und Nordrhein-Westfalen an den Erfahrungen der anderen Bundesländer und dem Abschlussbericht einer damit befassten Bund-Länder-Arbeitsgruppe orientiert hat (LT-Drucks. 13/1320, S. 1; PlProt. 13/38, S. 2257) - bietet die Entstehungsgeschichte von § 37a Abs. 1 Nr. 1 AGJusG SL keine Anhaltspunkte. Auch im Saarland hatte der Gesetzgeber zunächst von der Ermächtigung des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGZPO weitgehend Gebrauch gemacht und für vermögensrechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert von bis zu 1.200 DM den obligatorischen Schlichtungsversuch vorgesehen (Gesetz vom 21. Februar 2001, ABl. SL 2001, 532), diese Regelung aber im Jahr 2007 wieder aufgehoben (Gesetz vom 16. Mai 2007, ABl. SL 2007, 1226). Zur Begründung wurde angeführt, dass insbesondere die Schlichtung in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis 600 € offenbar nicht angenommen werde. Der nach dem Inkrafttreten des Landesschlichtungsgesetzes zu beobachtende Anstieg der Mahnverfahren lasse die Vermutung zu, dass häufig die sogenannte „Flucht ins Mahnverfahren“ angetreten werde, auch wenn dieser Effekt angesichts des ähnlichen Anstiegs der Zahl der Mahnverfahren in Bundesländern ohne Landesschlichtungsgesetz nicht sicher auf das obligatorische Schlichtungsverfahren zurückgeführt werden könne (LT-Drucks. 13/1320, S. 2). Dies spricht dafür, dass auch der saarländische Gesetzgeber Geldforderungen schlechthin, auch bei einer nachbarrechtlichen Grundlage, schlichtungsfrei stellen wollte.
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts (vgl. auch OLG Saarbrücken, Urteil vom 22. Januar 2015 - 4 U 34/14, juris Rn. 51; LG Saarbrücken, Urteil vom 30. März 2012 - 13 S 156/11, juris Rn. 15) auch nicht daraus, dass es in dem Gesetzesentwurf der Landesregierung heißt, dass Nachbarrechts- und Ehrschutzstreitigkeiten weiter für schlichtungsgeeignet angesehen würden, weil ihnen typischerweise gestörte zwischenmenschliche Beziehungen zugrunde lägen, so dass das Erfordernis des Schlichtungsverfahrens vor Klageerhebung für diese Bereiche beibehalten werden solle (LT-Drucks. 13/1320, S. 2). Diesen Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber auch die weniger beziehungsgeprägten Zahlungsklagen dem Erfordernis des Schlichtungsverfahrens unterwerfen wollte. Hiergegen spricht zudem, dass die Durchführung streitiger Verfahren nach vorangegangenem Mahnverfahren - aufgrund zwingender Vorgabe nach § 15a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 EGZPO - auch im Saarland nach wie vor von dem obligatorischen Schlichtungsversuch ausgenommen bleibt (§ 37a Abs. 2 AGJusG SL), so dass das Erfordernis des Schlichtungsverfahrens bei Zahlungsklagen leicht umgangen werden könnte.
3. Die Erhebung der Klage setzte daher nicht die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens voraus, so dass die Klage nicht als unzulässig abgewiesen werden durfte.
III.
Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif, weil sich das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - mit dem geltend gemachten Anspruch nicht in der Sache befasst hat.
Die Sache ist vorliegend nicht an das Berufungsgericht, sondern an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Das Revisionsgericht kann die Sache unmittelbar an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn die Zurückverweisung an dieses Gericht auch nach einer neuen Verhandlung die ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO wäre (vgl. Senat, Urteil vom 19. Februar 2016 - V ZR 96/15, NJW-RR 2016, 823 Rn. 19; Urteil vom 16. Oktober 2015 - V ZR 120/14, NJW 2016, 409 Rn. 14) und eine Partei die Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht in der Berufungs- oder Revisionsinstanz beantragt hat (§ 538 Abs. 2 Satz 1 aE). Dies ist hier der Fall. Die Parteien haben im Revisionsverfahren die Zurückverweisung in die erste Instanz beantragt und hierdurch zu erkennen gegeben, dass sie den Verlust einer Tatsacheninstanz nicht hinnehmen möchten. Schon deshalb ist es ermessensgerecht, die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Von dieser Möglichkeit macht der Senat Gebrauch.
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