Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 14.03.2014


BGH 14.03.2014 - V ZR 115/13

Erledigung der Hauptsache: Besitzverlust aufgrund der Zwangsvollstreckung eines auf Herausgabe einer Sache gerichteten vorläufig vollstreckbaren Titels als erledigendes Ereignis


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
14.03.2014
Aktenzeichen:
V ZR 115/13
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Köln, 28. März 2013, Az: 10 S 118/12vorgehend AG Köln, 26. Juni 2012, Az: 208 C 338/11
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Der Besitzverlust, den der Besitzer einer Sache infolge einer (drohenden) Zwangsvollstreckung eines auf die Herausgabe der Sache gerichteten vorläufig vollstreckbaren Titels erleidet, lässt den Herausgabeanspruch nach § 985 BGB nicht entfallen und hat daher nicht die Erledigung der Hauptsache zur Folge.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 28. März 2013 wird auf Kosten der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass unter Abänderung des Schlussurteils des Amtsgerichts Köln vom 26. Juni 2012 dessen Versäumnisurteil vom 10. Oktober 2011 aufrechterhalten wird.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Kläger sind Eigentümer einer Wohnung, die an Herrn W. vermietet war. Dieser wurde rechtskräftig zur Räumung und Herausgabe der Wohnung an die Kläger verurteilt. Die Beklagte - nach ihren Angaben Lebensgefährtin von Herrn W.    - nutzte die Wohnung in der Folgezeit weiter.

2

Die Kläger haben daraufhin gegen die Beklagte Klage auf Herausgabe der Wohnung erhoben. Gegen die Beklagte ist ein Versäumnisurteil ergangen, auf dessen Grundlage die Kläger die Wohnung im Wege der Zwangsvollstreckung geräumt haben. Nach dem Einspruch gegen das Versäumnisurteil haben die Kläger wegen der erfolgten Räumung die Erledigung der Hauptsache erklärt. Dem hat die Beklagte widersprochen.

3

Das Amtsgericht hat die Klage unter Aufhebung des Versäumnisurteils abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen. Die Kläger haben im Revisionsverfahren von ihrer Erledigungserklärung Abstand genommen und wollen die Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils des Amtsgerichts erreichen. Mit dieser Maßgabe beantragen sie die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht meint, den Klägern habe gegen die Beklagte ein Herausgabeanspruch nach § 985 BGB zugestanden. Ein Recht zum Besitz habe die Beklagte nicht schlüssig vorgetragen. Aus dem rechtskräftigen Räumungsurteil gegen den Mieter folge, dass dieser kein Recht zum Besitz mehr für sich in Anspruch habe nehmen können. Der Hinweis der Beklagten, dass sie schon länger mit dem Mieter in der Wohnung zusammengelebt und auch die Miete gezahlt habe, sei daher ohne Belang. Mit der Räumung der Wohnung sei eine Erledigung des Rechtsstreits eingetreten. Zwar sei eine Leistungsbewirkung im Rahmen der Zwangsvollstreckung grundsätzlich nicht als erledigendes Ereignis anzusehen. Für den Herausgabeanspruch nach § 985 BGB gelte aber etwas anderes, da auch eine unfreiwillige Aufgabe des Besitzes zum Verlust desselben führe. Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung habe daher ein Besitz der Beklagten nicht mehr bestanden, so dass der Herausgabeanspruch nach § 985 BGB entfallen sei.

II.

5

Die Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg.

6

1. Das Berufungsgericht nimmt allerdings rechtsfehlerhaft an, dass die im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgte Räumung der Wohnung ein erledigendes Ereignis darstellt, infolge dessen die Klage unbegründet geworden ist.

7

a) Die Hauptsache ist erledigt, wenn die Klage im Zeitpunkt des nach ihrer Zustellung eingetretenen erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war und durch das Ereignis unzulässig oder unbegründet wurde (BGH, Urteil vom 17. Juli 2003 - IX ZR 268/02, BGHZ 155, 392, 395 mwN).

8

aa) Wird aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil, einem Arrestbefehl oder einer einstweiligen Verfügung vollstreckt, tritt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Erfüllung im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB (BGH, Urteil vom 19. Januar 1983 - VIII ZR 315/81, BGHZ 86, 267, 269) und damit auch keine Erledigung ein. Dasselbe gilt für Leistungen, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel erbracht werden (BGH, Urteil vom 8. Mai 1985 - IVa ZR 38/83, BGHZ 94, 268, 274; Beschluss vom 21. September 2005 - XII ZR 256/03, NJW-RR 2006, 16). Die Leistung erfolgt in beiden Fällen unter dem Vorbehalt des Rechtskrafteintritts (BGH, Urteil vom 19. Januar 1983 - VIII ZR 315/81, BGHZ 86, 267, 269), sofern der Schuldner nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt (MünchKomm-BGB/Fetzer, 6. Aufl., § 362 Rn. 28; MünchKomm-ZPO/Götz, 4. Aufl., § 708 Rn. 5; Musielak/Lackmann, ZPO, 10. Aufl., § 708 Rn. 4; Saenger/Kindl, ZPO, 5. Aufl., § 708 Rn. 2; Krüger, NJW 1990, 1208, 1210 f.). Daher stellt auch die Räumung im Wege der Zwangsvollstreckung keine Erfüllung des Rückgewähranspruchs nach § 546 Abs. 1 ZPO (BGH, Urteil vom 24. März 2004 - VIII ZR 188/03, NJW 2004, 1736, 1737) und damit kein die Hauptsache erledigendes Ereignis dar (BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 155/10, NJW 2011, 1135 Rn. 11).

9

bb) Für den Herausgabeanspruch nach § 985 BGB gilt nichts anderes.

10

(1) Allerdings wird vertreten, dass jeder Besitzverlust zum Wegfall der Vindikationslage führe und deshalb auch der auf einer (drohenden) Zwangsvollstreckung eines vorläufig vollstreckbaren, auf die Herausgabe einer Sache gerichteten Titels beruhende Besitzverlust die Erledigung der Hauptsache zur Folge habe (BeckOK-BGB/Fritzsche, Edition 29, § 985 Rn. 10; Staudinger/Gursky, BGB [2013], § 985 Rn. 48, 55).

11

(2) Diese Auffassung vermag jedoch nicht zu überzeugen. Ein sachgerechter Grund, die Rechtsfolgen einer Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel bei einem Herausgabeanspruch nach § 985 BGB abweichend von anderen Ansprüchen zu behandeln, ist nicht erkennbar. Der Streitgegenstand des Verfahrens wird mit der zwangsweisen Herausgabe der Sache nicht beseitigt. Sie erfolgt, wie andere Erfüllungshandlungen, unter dem Vorbehalt des Rechtskrafteintritts und soll nur für diesen Fall materiellrechtliche Wirkungen entfalten. Das rechtfertigt es, bis zum Eintritt der Rechtskraft für den Herausgabeanspruch von einer fortbestehenden Vindikationslage zwischen den Parteien auszugehen (so im Ergebnis auch RG, HRR 1929 Nr. 104; OLG Düsseldorf, ZMR 2010, 677, 679; OLGR 2009, 341, 342; Palandt/Bassenge, BGB, 73. Aufl., § 985 Rn. 5; MünchKomm-BGB/Baldus, 6. Aufl., § 985 Rn. 153).

12

Nur so lassen sich zudem Wertungswidersprüche insbesondere zu dem Herausgabeanspruch nach § 546 Abs. 1 BGB vermeiden. Bei diesem hat die zwangsweise Räumung einer Wohnung keine Erledigung der Hauptsache zur Folge (BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 155/10, NJW 2011, 1135 Rn. 11). Konkurriert der Anspruch aus § 546 BGB, wie häufig, mit einem Anspruch aus § 985 BGB (vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. November 1995 - VIII ZR 41/80, BGHZ 79, 232, 235), wäre es unverständlich, wenn die Vollstreckung aus einem stattgebenden Urteil den einen Anspruch unberührt, den anderen dagegen entfallen ließe.

13

2. Der Antrag der Kläger, die Erledigung der Hauptsache festzustellen, war demnach unbegründet. Nachdem sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von ihrer Erledigungserklärung Abstand genommen und erklärt haben, ihren ursprünglichen Antrag weiterzuverfolgen, bleibt der Revision der Erfolg jedoch versagt.

14

a) Die Kläger waren nicht gehindert, zu ihren ursprünglichen Anträgen zurückzukehren. Eine Erledigungserklärung ist frei widerruflich, solange sich die beklagte Partei ihr nicht angeschlossen und das Gericht keine Entscheidung über die Erledigung der Hauptsache getroffen hat. Bis zu diesem Zeitpunkt kann die klagende Partei regelmäßig - auch in der Revisionsinstanz - von der einseitig gebliebenen Erledigungserklärung Abstand nehmen und ohne das Vorliegen weiterer Voraussetzungen zu ihrem ursprünglichen Klageantrag zurückkehren. Die darin liegende Klageänderung ist nach § 264 Nr. 2 ZPO noch in der Revisionsinstanz zulässig, wenn - wie hier - der Sachverhalt, auf den sich die früheren Anträge stützen, vom Tatrichter bereits gewürdigt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2001 - I ZR 157/98, NJW 2002, 442 f.).

15

b) Der ursprüngliche, auf Herausgabe der Wohnung gerichtete Antrag ist begründet. Die Kläger können als Eigentümer von der Beklagten die Herausgabe der Räume nach § 985 BGB verlangen, da ein Recht zum Besitz (§ 986 BGB) nicht dargelegt worden ist.

16

aa) Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dass sich dies bereits aus dem rechtskräftigen Räumungsurteil gegenüber dem Mieter W.      ergibt. Dieses Urteil wirkt nur zwischen den Klägern und dem Mieter, nicht aber auch im Verhältnis zu der Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 - XII ZR 178/03, NZM 2006, 699 Rn. 32; Urteil vom 21. April 2010 - VIII ZR 6/09, NZM 2010, 699 Rn. 9 zu § 546 BGB). Etwas anderes käme nur dann in Betracht, wenn die Beklagte erst nach Rechtshängigkeit der gegen den Mieter erhobenen Räumungsklage in den Besitz der streitbefangenen Sache gekommen wäre (vgl. § 325 Abs. 1 ZPO). Dies ist jedoch nicht festgestellt; die Revision zeigt auch keinen Vortrag hierzu auf.

17

bb) Rechtsfehlerfrei stützt das Berufungsgericht seine Entscheidung aber zusätzlich darauf, dass die Beklagte ein Recht zum Besitz der Wohnung nicht dargelegt hat. Im Gegensatz zu einem Herausgabeanspruch nach § 546 BGB, bei dem der Vermieter die Darlegungs- und Beweislast für die Beendigung des Mietverhältnisses trägt (BeckOK-BGB/Ehlert, Edition 30, § 546 Rn. 33; MünchKomm-BGB/Bieber, 6. Aufl., § 546 Rn. 26), hat im Rahmen des § 985 BGB der Besitzer darzulegen und zu beweisen, dass ihm ein Recht zum Besitz zusteht (BGH, Urteil vom 25. September 1985 - VIII ZR 270/84, NJW-RR 1986, 282). Die Beklagte hätte daher darlegen müssen, dass das Mietverhältnis zwischen den Klägern und dem Mieter W.     fortbestand und sie die Berechtigung zum Mitbesitz der Wohnung von dem Mieter ableitete. Schon an Ersterem - der Darstellung, dass der Mieter (weiterhin) zum Besitz berechtigt ist - fehlt es.

III.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Stresemann                           Czub                           Brückner

                      Weinland                       Kazele