Entscheidungsdatum: 18.04.2013
1. Wird in einem zwischen einem Elternteil und einem seiner Kinder geschlossenen Grundstückübertragungsvertrag ein Pflichtteilsverzicht der Geschwister mitbeurkundet, handelt es sich um verschiedene Gegenstände im Sinne des § 44 Abs. 2 KostO, so dass der Verzicht neben dem Übertragungsvertrag gesondert zu bewerten ist.
2. Ein mit der Zahlung einer Abfindung verbundener Pflichtteilsverzicht stellt einen Austauschvertrag im Sinne des § 39 Abs. 2 KostO zwischen dem Elternteil und den weichenden Geschwistern dar. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Geschwister den Abfindungsbetrag direkt vom Übernehmer des Grundstücks erhalten sollen.
Auf die Rechtsbeschwerde des Kostengläubigers wird der Beschluss des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. März 2012 aufgehoben.
Die Beschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 23. September 2010 wird zurückgewiesen.
Der Geschäftswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 249,90 €.
I.
Der Kostengläubiger (fortan: Notar) beurkundete am 30. November 2007 einen als „Übergabe- und Abfindungsvertrag“ überschriebenen Vertrag. An dem Vertrag waren der Kostenschuldner (fortan: Übernehmer), seine Mutter (fortan: Übergeberin) und seine beiden Geschwister beteiligt. In dem Vertrag übertrug die Übergeberin dem Übernehmer ein Hausgrundstück im Wert von 260.000 €, während der Übernehmer ihr ein Wohnungsrecht hieran einräumte. Zugleich verpflichtete er sich, den Geschwistern einen Abfindungsbetrag von je 40.000 € zu zahlen. Diese wiederum verzichteten bezüglich des übertragenen Grundstücks und hinsichtlich aller ihnen von ihren Eltern bisher gemachten Zuwendungen auf Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche. Für die Beurkundung erhob der Notar gegenüber dem Übernehmer gemäß §§ 141, 32, 36 Abs. 2 KostO eine Gebühr von 1.407,22 € nach einem Geschäftswert von 340.000 €, der sich aus einem Wert von 260.000 € für den „Übertragungsvertrag“ und einem Wert von 80.000 € für den „Abfindungsvertrag“ zusammensetzte.
Der Präsident des Landgerichts beanstandete die Bewertung des Erbverzichts und wies den Notar an, die Kostenrechnung dem Landgericht zur Entscheidung vorzulegen. Dieses hat die „Beschwerde“ zurückgewiesen. Auf das - weisungsgemäß erhobene - Rechtsmittel des Notars hat das Oberlandesgericht die Kostenrechnung dahingehend abgeändert, dass es einen Gesamtgeschäftswert von 266.000 € zugrunde gelegt und demgemäß die Gebühr auf 1.157,32 € reduziert hat. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Notars.
II.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts haben die Beteiligten den Übergabevertrag und den mit einer Abfindungszahlung verbundenen Pflichtteilsverzicht durch eine Austauschbeziehung im Sinne des § 39 Abs. 2 KostO verknüpft und dadurch ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 44 Abs. 1 KostO, nämlich einen Austauschvertrag gestaltet. Maßgeblich für dessen Bewertung sei der Wert des übertragenen Grundstücks. Gesondert zu bewerten sei lediglich der über den Austauschvertrag hinausgehende Pflichtteilsverzicht der Geschwister, soweit er sich auf die „von den Eltern bisher gemachten Zuwendungen“ beziehe. Hierfür sei ein Wert von 6.000 € anzusetzen.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 156 Abs. 4 Satz 1 KostO i.V.m. § 70 Abs. 1 FamFG statthaft, weil sie von dem Beschwerdegericht zugelassen worden ist. Sie ist nach §§ 71 f. FamFG und § 156 Abs. 3 Satz 2 KostO auch sonst zulässig. Diese Vorschriften sind nach Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG auf den vorliegenden Altfall anwendbar. Die angegriffenen Kostenrechnungen sind zwar vor dem Inkrafttreten der Änderung des § 156 KostO erteilt. Maßgeblich ist aber, dass der Antrag auf gerichtliche Nachprüfung erst danach gestellt worden ist (Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2010 – V ZB 52/11, NJW-RR 2012, 209).
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Zu Recht hat der Notar die Gebühr aus den zusammengerechneten Werten des Übergabevertrages und des Pflichtteilsverzichts berechnet. Den Wert des Pflichtteilsverzichts hat er zutreffend mit 80.000 € angesetzt.
1. Zu Unrecht geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die Beurkundung des - gegenständlich beschränkten - Pflichtteilsverzichts der weichenden Geschwister gemäß § 44 Abs. 1 KostO gegenüber dem Übergabevertrag keine besondere Vergütung auslöst. Der Übergabevertrag und der Pflichtteilsverzicht haben nicht denselben Gegenstand im Sinne des § 44 Abs. 1 KostO.
a) Denselben Gegenstand betreffen alle zur Begründung, Feststellung, Anerkennung, Übertragung, Aufhebung, Erfüllung oder Sicherung eines Rechtsverhältnisses niedergelegten Erklärungen der Partner des Rechtsverhältnisses samt allen Erfüllungs- und Sicherungsgeschäften auch dritter Personen oder zu Gunsten dritter Personen. Ob mehrere gleichzeitig beurkundete Rechtsverhältnisse denselben oder einen verschiedenen Gegenstand haben, hängt daher von dem Bestehen eines inneren Zusammenhangs zwischen den Rechtsverhältnissen ab. Je mehr das mitbeurkundete weitere Rechtsverhältnis von dem Hauptgeschäft abhängt, desto eher ist Gegenstandsgleichheit anzunehmen. Auch wenn die Vertragspartner zur Erreichung des von ihnen erstrebten wirtschaftlichen Zieles mehrere Rechtsverhältnisse in der Weise verbunden haben, dass ein einheitliches Rechtsverhältnis eigener Art entsteht, besteht ein enger innerer Zusammenhang und damit Gegenstandsgleichheit (Senat, Beschluss vom 21. November 2002 – V ZB 29/02, BGHZ 153, 22, 28).
b) Zwischen dem Übergabevertrag und dem Pflichtteilsverzicht besteht kein innerer Zusammenhang in dem vorstehend beschriebenen Sinn (nahezu einhellige Meinung, vgl. LG Kassel, JurBüro 2009, 323, 324; Assenmacher/Mathias/Göttlich/Mümmler, KostO, 16. Aufl., „Übergabevertrag“; Korintenberg/Bengel/Tiedtke, KostO, 18. Aufl., § 44 Rn. 121, 241; Rohs/Wedewer, KostO [Stand August 2012], § 39 Rn. 11, § 44 Rn. 7z; Notarkasse München, Streifzug durch die Kostenordnung, 9. Aufl., Rn. 2009; Filzek, KostO, 4. Aufl., § 44 Rn. 16; Waldner, KostO, 7. Aufl., Rn. 138; Tiedtke, ZNotP 2006, 245, 250; ders. in ZNotP 2005, 240; Mümmler, JurBüro 1988, 1640; Ackermann, Rpfleger 1966, 241, 244; offengelassen BayObLG, MittBayNot 1998, 372, 373; a. A. für den Fall, dass der Verzicht ausdrücklich als Gegenleistung für die Grundstücksübertragung ausgestaltet ist, OLG Frankfurt, JurBüro 1998, 430). Das von den Beteiligten angestrebte zentrale Rechtsverhältnis, von dem aus zu beurteilen ist, in welcher Beziehung zu ihm die in der notariellen Urkunde niedergelegten Erklärungen stehen, ist der Übergabevertrag. Zu diesem Vertrag stellt der Pflichtteilsverzicht der weichenden Geschwister kein Erfüllungs- oder Sicherungsgeschäft dar. Er dient allein dem Schutz des Übernehmers vor späteren Pflichtteilsergänzungsansprüchen seiner Geschwister und der Vermeidung späterer Erbstreitigkeiten, nicht aber der Sicherung oder Erfüllung des Übergabevertrages. Der Umstand, dass der Übergabevertrag möglicherweise nicht ohne den Pflichtteilsverzicht geschlossen worden wäre, rechtfertigt es nicht, die jeweils selbständigen Rechtsverhältnisse kostenrechtlich als eine Einheit zu behandeln (BayOblG, JurBüro 1988, 891, 892; Mümmler, JurBüro 1988, 1640). Der Übergabevertrag und der Pflichtteilsverzicht bilden auch nicht ein Rechtsverhältnis eigener Art. Ein solches Rechtsverhältnis entsteht nicht schon dadurch, dass die getroffenen Vereinbarungen das gemeinsame Ziel haben, die wirtschaftlichen Interessen aller Beteiligten zu einem Ausgleich zu bringen.
2. Da der Pflichtteilsverzicht der weichenden Geschwister im Verhältnis zu dem Übergabevertrag gegenstandsverschieden ist, erhöht sich der Geschäftswert für die 20/10-Gebühr des § 36 Abs. 2 KostO um den Wert des Pflichtteilsverzichts (§ 44 Abs. 2a KostO). Dessen Wert ist in der Kostenberechnung zutreffend mit 80.000 € angesetzt worden.
Der mit der Zahlung einer Abfindung verbundene Pflichtteilsverzicht stellt einen Austauschvertrag im Sinne des § 39 Abs. 2 KostO zwischen der Übergeberin und den weichenden Geschwistern dar. Diese haben gegenüber der Übergeberin auf den Pflichtteil verzichtet und werden dafür von dieser mit einem Betrag von 80.000 € abgefunden. Der Annahme einer Austauschleistung der Übergeberin steht nicht entgegen, dass die Geschwister den Abfindungsbetrag direkt vom Übernehmer erhalten sollen. Indem der Übernehmer, der sich hierzu gegenüber der Übergeberin vertraglich verpflichtet hat, die Auszahlung unmittelbar an die Geschwister vornehmen sollte, wurde lediglich vermieden, dass das Geld den Umweg über die Übergeberin nimmt. Diese „abgekürzte“ Zahlung ändert aber nichts daran, dass es sich um eine Leistung der Übergeberin im Hinblick auf den Pflichtteilsverzicht der weichenden Geschwister handelt (vgl. BayOblG, MittBayNot 1998, 372, 373; Notarkasse München, Streifzug durch die Kostenordnung, 9. Aufl., Rn. 2011; Rohs/Wedewer, KostO [Stand August 2012], § 39 Rn. 14). Der Umstand, dass die Abfindungszahlung zugleich auch eine Austauschleistung des Übernehmers an die Übergeberin ist, steht deren Berücksichtigung als Austauschleistung im Verhältnis zwischen der Übergeberin und den Geschwistern nicht entgegen. Denn bei dem Übergabevertrag und dem Pflichtteilsverzichtsvertrag handelt es sich um selbständige, mit unterschiedlichen Leistungspflichten verbundene Rechtsverhältnisse, deren Wert unabhängig von dem des jeweils anderen Rechtsverhältnisses zu bestimmen ist (vgl. Rohs/Wedewer, KostO [Stand August 2012], § 39 Rn. 14 Fn. 28). Der Wert des Pflichtteilsverzichtsvertrages bemisst sich daher gemäß § 39 Abs. 2 KostO nach dem Abfindungsbetrag von 80.000 €, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Wert des Verzichts höher als die Abfindung ist.
Anders als der Präsident des Landgerichts meint, ist der Abfindungsbetrag auch nicht von dem Wert des Pflichtteilsverzichts abzuziehen. Der Wert des Verzichts wird nicht dadurch gemindert, dass er an eine Abfindungszahlung geknüpft wird. In Abzug zu bringen sind lediglich solche Vermögenswerte, die dem Verzichtenden bereits vor dem Vertragsschluss unter Anrechnung auf seinen Pflichtteilsanspruch (§ 2315 BGB) zugewendet worden waren, da insoweit kein Pflichtteilsrecht mehr besteht (Filzek, KostO, 4. Aufl., § 30 KostO, Rn. 4 „Wert eines Pflichtteilsverzichts“; Korintenberg/Bengel/Tiedtke, KostO, 18. Aufl., § 39 Rn. 30a; Notarkasse, München, Streifzug durch die Kostenordnung, 9. Aufl., Rn. 618). Um eine solche Fallgestaltung geht es hier jedoch nicht.
IV.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei, § 131 Abs. 3 KostO i.V.m. § 156 Abs. 6 Satz 2 KostO. Kosten werden nicht erstattet.
Stresemann Roth Brückner
Weinland Kazele