Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 01.12.2011


BGH 01.12.2011 - V ZB 73/11

Abschiebungshaftverfahren: Voraussetzungen eines wirksamen Rechtsmittelverzichts des anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
01.12.2011
Aktenzeichen:
V ZB 73/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Passau, 18. März 2011, Az: 2 T 36/11, Beschlussvorgehend AG Passau, 23. Januar 2011, Az: 1 XIV B 17/11, Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

In dem Verfahren der Abschiebungshaft darf das Gericht dem Betroffenen nicht von sich aus nahe legen, auf Rechtsmittel gegen die Haftanordnung zu verzichten. Will ein anwaltlich nicht vertretener Betroffener von sich aus einen Rechtsmittelverzicht abgeben, muss es eine von der Rechtsmittelbelehrung unabhängige Belehrung über die Folgen des Verzichts erteilen und diese für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar dokumentieren.

Tenor

Der Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gegen den Beschluss des Amtsgerichts Passau vom 23. Januar 2011 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Passau vom 18. März 2011 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein mazedonischer Staatsangehöriger, reiste 2001 im Alter von zehn Jahren in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheid vom 18. Dezember 2009, vollziehbar seit dem 19. November 2010, wies ihn die Ausländerbehörde Bremen unter Androhung der Abschiebung aus. Am 23. Januar 2011 fuhr er in einem Reisebus von Bremen in Richtung Mazedonien und wurde vor der österreichischen Grenze festgenommen.

2

Das Amtsgericht hat auf Antrag des Beteiligten zu 2 Abschiebungshaft für die Dauer von drei Monaten angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen, mit der er nach seiner am 11. März 2011 erfolgten Abschiebung nach Mazedonien die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde begehrt hat, hat das Landgericht ohne Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen.

II.

3

Das Beschwerdegericht meint, die Beschwerde sei unzulässig. Es bestünden keine Zweifel an der Wirksamkeit des in dem Anhörungsprotokoll vermerkten Rechtsmittelverzichts. Zwar habe der zuständige Richter in seiner dienstlichen Erklärung angegeben, keine konkrete Erinnerung mehr an den Vorgang zu haben; er gehe aber davon aus, dass eine entsprechende Erklärung tatsächlich abgegeben worden sei. Dem sei nichts hinzuzufügen.

III.

4

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde im Ergebnis zu Recht als unzulässig angesehen.

5

1. Allerdings hat der Betroffene nicht - wie das Beschwerdegericht meint - wirksam auf das Rechtsmittel der Beschwerde verzichtet.

6

a) Gemäß § 67 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde unzulässig, wenn der Beschwerdeführer nach Bekanntgabe des Beschlusses auf das Rechtsmittel durch Erklärung gegenüber dem Gericht verzichtet hat. Dazu muss er klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, sich mit der Entscheidung ohne Vorbehalt abfinden und das prozessuale Recht, die Entscheidung in der übergeordneten Instanz überprüfen zu lassen, endgültig aufgeben zu wollen. Sein dahingehender Wille muss zweifelsfrei feststellbar sein (BayObLGZ 1998, 62, 63; Keidel/Sternel, FamFG, 17. Aufl., § 67 Rn. 5; Zöller/Feskorn, ZPO, 29. Aufl., § 67 FamFG Rn. 3). In dem Verfahren der Abschiebungshaft sind schon deshalb strenge Anforderungen an diese Feststellung zu stellen, weil die Interessenlage gegen einen Rechtsmittelverzicht spricht. Denn für den Betroffenen sind in aller Regel keinerlei Vorteile mit einem Verzicht verbunden. Weil das Verfahren der Freiheitsentziehung wegen des schwerwiegenden Eingriffs in das Grundrecht auf Freiheit der Person gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG besondere Sorgfalt und Fairness verlangt, darf das Gericht einen solchen interessenwidrigen Verzicht nicht von sich aus nahe legen. Will ein anwaltlich nicht vertretener Betroffener von sich aus einen Rechtsmittelverzicht abgeben, muss das Gericht zum Zweck einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung eine von der Rechtsmittelbelehrung unabhängige Belehrung über die Folgen des Verzichts erteilen und diese auch für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar dokumentieren.

7

b) Daran gemessen fehlt es an einem wirksamen Verzicht. Das Anhörungsprotokoll weist in der Art eines Multiple-Choice-Bogens ein Kreuz vor der Erklärung "Ich verzichte auf Rechtsmittel" aus. Dieser Bestandteil des Anhörungsbogens ist schon für sich genommen ein Hinweis darauf, dass der Anstoß zu dem Rechtsmittelverzicht nicht von dem anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen, sondern von dem Gericht ausgegangen ist. Eine Belehrung über die Folgen des Verzichts ist nicht dokumentiert. Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass der erst neunzehn Jahre alte Betroffene die Folgen seiner Erklärung richtig einschätzen konnte.

8

2. Die einmonatige Frist zur Einlegung der Beschwerde (§ 63 Abs. 1 FamFG) ist jedoch nicht eingehalten worden.

9

a) Ungeachtet des unwirksamen Rechtsmittelverzichts musste die Beschwerdefrist eingehalten werden, weil der Verzicht nicht zu einer Besserstellung in Form eines zeitlich nicht befristeten Rechtsmittels führen darf (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 40, 62).

10

b) Der Lauf der Frist wurde durch die in dem Termin zur Anhörung erfolgte Übergabe des schriftlichen Beschlusses am 23. Januar 2011 in Gang gesetzt mit der Folge, dass die erst am 24. Februar 2011 bei Gericht eingegangene Beschwerde die Frist nicht gewahrt hat. Die Übergabe war eine wirksame Bekanntgabe im Sinne von § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG, weil sie durch Zustellung an den Betroffenen selbst erfolgen konnte (§ 15 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 173 Satz 1 ZPO). Zwar kann die Zustellung dann, wenn für den Rechtszug ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt ist, ausschließlich an diesen vorgenommen werden (§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine solche Bestellung setzt aber eine Mitteilung an das Gericht durch den Betroffenen oder seinen Verfahrensbevollmächtigten voraus (Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 172 Rn. 6 mwN). Daran fehlte es bis zu der Einlegung der Beschwerde. Die Mitteilung war nicht wegen der Vertretung des Betroffenen durch seine Verfahrensbevollmächtigte in den vorangehenden ausländerrechtlichen Verfahren entbehrlich, weil es sich dabei um andere Verfahren handelte, die vor anderen Gerichten bzw. Behörden geführt wurden.

11

3. Über den Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Beschwerdegericht - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht entschieden. Weil weitere Feststellungen nicht erforderlich sind, kann das Rechtsbeschwerdegericht über den Antrag entscheiden. Er ist zurückzuweisen, weil der Betroffene nicht glaubhaft gemacht hat, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war (§ 17 FamFG).

12

a) Er hat seinen Wiedereinsetzungsantrag allein darauf gestützt, dass seine Verfahrensbevollmächtigte weder über seine Festnahme noch über die Anhörung und die Haftanordnung informiert worden ist. Es kann dahinstehen, ob eine solche Information angezeigt gewesen wäre, obwohl die Verfahrensbevollmächtigte für dieses Verfahren nicht bestellt war. Ebenso ist unerheblich, ob der Betroffene auf sein Recht auf anwaltliche Vertretung (§ 10 Abs. 2 Satz 1 FamFG) hingewiesen werden musste. Denn jedenfalls hat er nicht aufgezeigt, warum er in der Folge gehindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten. Aus der Inhaftierung allein kann er sein fehlendes Verschulden nicht herleiten. Immerhin hat er sich Anfang März 2011 persönlich mit einem Schreiben an das Gericht gewendet, um seine Überstellung nach Bremen zu erreichen. Soweit er vorgetragen hat, ihm sei in der Haft nicht erlaubt worden, seine Verfahrensbevollmächtigte anzurufen, fehlt es an einer Glaubhaftmachung dieser Behauptung. Auch ist nicht ersichtlich, dass er nicht auf schriftlichem Wege Kontakt aufnehmen konnte.

13

b) Der Betroffene hat nicht geltend gemacht, dass der unwirksame Rechtsmittelverzicht ursächlich für die Fristversäumnis war. Daher kann offen bleiben, ob das fehlende Verschulden bei einem auf den Rechtsmittelverzicht bezogenen Belehrungsmangel gemäß § 17 Abs. 2 FamFG in direkter oder entsprechender Anwendung zu vermuten wäre. Denn auch im Anwendungsbereich von § 17 Abs. 2 FamFG bedarf es jedenfalls eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumnis (Keidel/Sternel, FamFG, 17. Aufl., § 17 Rn. 37).

IV.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Krüger                                                 Lemke                                              Schmidt-Räntsch

                         Brückner                                            Weinland