Entscheidungsdatum: 30.10.2013
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 6. Mai 2013 aufgehoben und festgestellt, dass der Vollzug der mit Beschluss des Amtsgerichts Görlitz vom 11. Februar 2013 angeordneten Freiheitsentziehung ab dem 11. Februar 2013 und der Verlängerungsbeschluss des Amtsgerichts Görlitz vom 8. März 2013 sie in ihren Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen werden in allen Instanzen der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
I.
Die Betroffene, eine russische Staatsangehörige, reiste am 9. Februar 2013 zusammen mit ihrem Ehemann aus Polen nach Deutschland ein. Die dafür notwendigen Papiere besaß sie nicht. Sie verfügte lediglich über eine am Vortag ausgestellte polnische Asylbewerberbescheinigung. Sie wurde in Görlitz vorläufig festgenommen. Bei einer EURODAC-Recherche stellte sich heraus, dass sie in Polen einen Asylantrag gestellt hatte. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht nach Anordnung der vorläufigen Freiheitsentziehung mit Beschluss vom 11. Februar 2013 Sicherungshaft zum Zweck der Zurückschiebung bis zum 10. März 2013 angeordnet. Mit Beschluss vom 8. März 2013 hat es die Haft bis zum 14. März 2013 verlängert.
Die gegen die Haftanordnung und den Verlängerungsbeschluss gerichteten Beschwerden der Betroffenen, mit denen sie nach ihrer Zurückschiebung nach Polen am 14. März 2013 die Feststellung der Rechtswidrigkeit beantragt hat, hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihren Feststellungsantrag weiter.
II.
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts lagen die Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft und deren Verlängerung vor.
III.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Zwar ist die Betroffene nicht bereits durch die Haftanordnung vom 11. Februar 2013 in ihren Rechten verletzt worden. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde lag ein zulässiger Haftantrag nach § 417 FamFG vor; insbesondere enthält er hinreichende, prüffähige Angaben zum Vorliegen der Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die konsularische Vertretung des Heimatlandes der Betroffenen entgegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK von deren Inhaftierung nicht unverzüglich informiert worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Oktober 2013 - V ZB 70/13, zur Veröff. best.).
2. Der Fortbestand der angeordneten Freiheitsentziehungsmaßnahme ist aber noch am selben Tag rechtswidrig geworden, da das Amtsgericht den sich im unmittelbaren Anschluss an die Haftanordnung ergebenden Hinweisen für eine mögliche Haftunfähigkeit der Betroffenen nicht nachgegangen ist.
Nach § 426 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Ergeben sich nach Anordnung der Haft für das Gericht hinreichende Anhaltspunkte, dass die Voraussetzungen der Freiheitsentziehung möglicherweise nicht mehr vorliegen, hat es im Hinblick auf § 426 FamFG gemäß § 26 FamFG den Sachverhalt aufzuklären (vgl. Keidel/Budde, FamFG, 17. Aufl., § 426 Rn. 8). Unterlässt es das Gericht, in die gebotene Sachaufklärung einzutreten, verletzt die weitere Freiheitsentziehung den Betroffenen in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Aufklärungspflicht erstreckt sich auch auf die Frage der Haftfähigkeit des Betroffenen, wenn hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Haftunfähigkeit vorliegen. Denn die Inhaftierung oder Aufrechterhaltung der Haft eines erkennbar haftunfähigen Betroffenen ist rechtswidrig (Senat, Beschluss vom 12. Mai 2011 - V ZB 299/10, juris Rn. 8).
Vor diesem Hintergrund hätte das Amtsgericht prüfen müssen, ob die Haftanordnung gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 FamFG wieder aufzuheben ist. Denn in direktem zeitlichem Anschluss an deren Erlass ergaben sich hier hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene möglicherweise nicht haftfähig ist und damit die Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung nicht vorlagen. Ihr Ehemann, der unmittelbar nach Erlass der Haftanordnung in einem Parallelverfahren von demselben Haftrichter angehört wurde, gab als Grund für die gemeinsame Einreise an, dass seine Frau sterbenskrank sei und ihr in Frankreich lebender Sohn sie abgeholt habe, um sie in Europa operieren zu lassen. Dieser Hinweis hätte das Amtsgericht veranlassen müssen, der Frage der Haftfähigkeit der Betroffenen nachzugehen.
3. Aufgrund dieser Verletzung der Amtsermittlungspflicht ist der Beschluss vom 8. März 2013 über die Verlängerung der Abschiebungshaft ebenfalls rechtswidrig. Hier hätte der Richter zudem weiteren Anlass für eine Aufklärung der Haftfähigkeit der Betroffenen gehabt, da er unmittelbar vor der Anordnung der Haftverlängerung von dem Ehemann der Betroffenen - im Rahmen des Parallelverfahrens - erneut auf eine bestehende Krebserkrankung seiner Ehefrau hingewiesen worden war.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO, Art. 5 EMRK. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 128 Abs. 3 Satz 2, § 30 Abs. 2 KostO.
Stresemann Lemke Schmidt-Räntsch
Brückner Weinland