Entscheidungsdatum: 26.04.2012
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 20. Januar 2011 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 2.063,46 €.
I.
Die Kläger legten gegen ein Urteil des Amtsgerichts, das ihnen am 16. September 2010 zugestellt worden war, Berufung ein und begründeten diese mit einem am 17. November 2010 (Mittwoch) bei dem Landgericht eingegangenen Schriftsatz. Gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist haben sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu unter anderem ausgeführt: Die Berufungsbegründung sei am 15. November 2010 fertiggestellt gewesen. Ihre Prozessbevollmächtigte habe die Bürovorsteherin angewiesen, den Schriftsatz vorab per Fax an das Landgericht zu übersenden; ein entsprechender Erledigungsvermerk sei vorhanden.
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.
II.
Das Berufungsgericht meint, die Kläger seien nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen. Bei einer Überprüfung der Fristen in den Abendstunden des 15. November 2010 hätte auffallen müssen, dass der - ausweislich des Wiedereinsetzungsvorbringens sonst übliche - Nachweis über die Faxversendung in der Akte gefehlt habe. Es habe daher nicht auf den Erledigungsvermerk vertraut werden dürfen.
III.
1. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2003 - XII ZB 191/02, BGHZ 155, 21, 22). Das ist namentlich der Fall, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 296). So liegt es hier.
Das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung ausschließlich darauf, dass bei der Fristenkontrolle am Abend des 15. November 2010 das Fehlen eines Sendeprotokolls nicht bemerkt worden sei. Vollständig unerwähnt lässt es, dass von den Klägern zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs auch vorgetragen worden ist, ihre Prozessbevollmächtigte habe jedenfalls darauf vertrauen dürfen, dass die Anweisung, die Berufungsbegründung auch per Post zu versenden, ausgeführt worden sei, da die hierfür zuständige Büroangestellte dies als erledigt vermerkt habe. Bei Berücksichtigung dieses Vorbringens hätte das Berufungsgericht die Wiedereinsetzung nicht mit der gegebenen Begründung versagen dürfen. War vorgesehen, die Berufungsbegründung auch auf dem Postweg an das Berufungsgericht zu übermitteln, handelte es sich bei der Übersendung per Telefax um eine überobligatorische Maßnahme, für die keine besonderen Sorgfaltsanforderungen aufgestellt werden dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2011 - XII ZB 139/11, NJW-RR 2011, 1686, 1687 Rn. 9; siehe auch Senat, Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03, NJWRR 2004, 1217, 1218). Das gilt auch, wenn der rechtzeitige Posteingang bei Gericht unterblieben ist.
Das Übergehen des Vortrags zum Postversand verletzt den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder - sollte das Berufungsgericht ihn für rechtlich unerheblich gehalten haben - deren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip); dieser verbietet es den Gerichten, die Anforderungen an den Zugang zur Rechtsmittelinstanz zu überspannen. Der Verstoß führt unabhängig davon, ob er sich auf das Endergebnis auswirkt, zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368; BGH, Beschluss vom 26. Januar 2009 - II ZB 6/08, NJW 2009, 1083, 1084).
2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet, weil die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt worden ist.
a) Die Prozessbevollmächtigte der Kläger durfte sich nur dann auf den Erledigungsvermerk hinsichtlich des Postversands verlassen, wenn sie infolge der Kanzleiorganisation davon ausgehen konnte, dass dieser zu einem Zeitpunkt angebracht worden war, zu dem die Angestellte alles Erforderliche zur Fristwahrung auf dem Postweg veranlasst hatte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Prozessbevollmächtigte bei fristwahrenden Schriftsätzen, die per Post versandt werden, sicherstellen, dass die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst gestrichen oder anderweit als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt worden ist. Wird für die Fristenkontrolle bereits daran angeknüpft, dass der Schriftsatz postfertig gemacht worden ist, muss die Beförderung zu der Stelle, für die der Schriftsatz bestimmt ist, organisatorisch so weit vorbereitet sein, dass sie durch Versehen, welche die eigentliche Beförderung nicht betreffen, nicht mehr verhindert werden kann. Das ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn der Schriftsatz in ein Postausgangsfach eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Stelle gebracht wird, das Postausgangsfach also „letzte Station“ auf dem Weg zum Adressaten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2011 - VI ZB 6/10, NJW 2011, 2051, 2052 Rn. 7 f.; Beschluss vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00, NJW 2001, 1577, 1578; Beschluss vom 9. September 1997 - IX ZB 80/97, NJW 1997, 3446 f.).
Dass das Büro der Prozessbevollmächtigten entsprechend organisiert ist und damit ein Organisationsverschulden als Grund für den verspäteten Eingang der Berufungsbegründung per Post ausscheidet, lässt sich dem Wiedereinsetzungsantrag nicht entnehmen. In der eidesstattlichen Versicherung der für den Postversand zuständigen Angestellten heißt es lediglich, der Postausgang sei „im Anschluss an die Eintütung“ notiert worden. Das lässt nicht erkennen, wo innerhalb der Kanzlei sich der Schriftsatz bei Anbringung des Erledigungsvermerks befindet. Entsprechende Angaben enthält auch die Rechtsbeschwerde nicht. Zudem wäre eine Nachholung dieser Angaben nach Ablauf der Frist des § 234 ZPO nicht möglich. Wird die Fristversäumung auf ein Verschulden des Büropersonals gestützt, muss bereits der Wiedereinsetzungsantrag die Büroorganisation des Anwalts erkennen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2002 - IX ZA 10/01, NJW 2002, 2180, 2181; Beschluss vom 26. Mai 1994 - III ZB 16/93, Rn. 13 f., juris; BGH Beschluss vom 27. September 1989 - IVb ZB 73/89, VersR 1989, 1316). Für einen richterlichen Hinweis (§ 139 ZPO) besteht nur Anlass, wenn Details im Organisationsablauf der Erläuterung oder der Vervollständigung bedürfen.
Eine unzureichende Büroorganisation wäre für den verspäteten Eingang der Berufungsbegründung bei Gericht zwar nicht ursächlich gewesen, wenn glaubhaft gemacht wäre, dass die Berufungsbegründung am 15. November 2010 tatsächlich zur Post gegeben worden ist. Das ist aber nicht der Fall. Die für den Postversand zuständige Angestellte kann sich ausweislich ihrer eidesstattlichen Versicherung („…kann ich davon ausgehen, dass es auch an diesem Tag von mir zur Post gebracht wurde“) nicht konkret daran erinnern, welche Schriftsätze sie an diesem Tag zur Post gebracht hat, sondern nur aus den üblichen Abläufen in der Kanzlei schlussfolgern, dass die Berufungsbegründung dabei gewesen sein müsse.
b) Die Prozessbevollmächtigte der Kläger konnte auf die Fristwahrung auch nicht aufgrund des Vermerks über die Übermittlung der Berufungsbegründung per Fax vertrauen. Die Annahme des Berufungsgerichts, sie hätte bei der abendlichen Kontrolle der Fristenerledigung den fehlenden Sendebericht bemerken müssen, überspannt nach den hier gegebenen Umständen nicht die Anforderungen an die anwaltlichen Pflichten.
Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört die Anordnung, dass die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird; erforderlich ist dabei eine nochmalige, selbständige Prüfung (BGH, Beschluss vom 13. September 2007 - III ZB 26/07, FamRZ 2007, 1879, 1880 Rn. 15; Beschluss vom 11. September 2007 - XII ZB 109/04, NJW 2007, 3497, 3498 Rn. 13). Schon wegen dieser Prüfungspflicht durfte sich die Prozessbevollmächtigte der Kläger - die die abendliche Prüfung selbst übernommen hatte - nicht allein auf den Erledigungsvermerk verlassen.
Hinzu kommt, dass das Wiedereinsetzungsgesuch wiederum keine Büroorganisation erkennen lässt, die eine wirksame Fristenkontrolle durch die Angestellten sicherstellt. Eine solche erfordert grundsätzlich die allgemeine Kanzleianweisung, nach der Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu prüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist, und die Frist im Fristenkalender erst anschließend zu streichen. Fehlt es an einer allgemeinen Anweisung, muss sich die Einzelanweisung, einen bestimmten Schriftsatz sogleich per Telefax abzusenden, in gleicher Weise auf die Ausgangskontrolle erstrecken; die Kanzleiangestellte ist also zusätzlich anzuweisen, die Frist erst nach einer Kontrolle der vollständigen Übermittlung anhand des Sendeprotokolls zu streichen (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 - XII ZB 572/10, NJW 2011, 2367, 2368 Rn. 13 mwN). Vortrag, aus dem sich ergibt, dass die Prozessbevollmächtigte eine solche - allgemeine oder einzelfallbezogene - Anweisung erteilt hat, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Kann somit nicht von einer wirksamen Ausgangskontrolle durch die Büroangestellten ausgegangen werden, musste die Anwältin sie bei der Prüfung der Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend selbst durchführen, mithin auch das Sendeprotokoll überprüfen.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger Stresemann Roth
Brückner Weinland