Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 18.08.2010


BGH 18.08.2010 - V ZB 45/10

Berufungsbeschwer nach Abweisung einer Unterlassungsklage eines Grundstückseigentümers gegen eine Bagatellstörung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
18.08.2010
Aktenzeichen:
V ZB 45/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Gießen, 2. Februar 2010, Az: 1 S 220/09, Beschlussvorgehend AG Gießen, 12. Mai 2009, Az: 43 C 226/09
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 2. Februar 2010 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 150 €.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, das mit einem Wegerecht zugunsten des dahinter liegenden, im Eigentum seines Bruders stehenden Grundstücks belastet ist.

2

Die Mutter des Klägers, die Beklagte, überquert regelmäßig dessen Grundstück, um die Familie ihres zweiten Sohnes zu besuchen. In einer Schlichtungsverhandlung verpflichtete sie sich, ein im Eigentum des Klägers stehendes Hoftor, welches beide Grundstücke voneinander abgrenzt, nach dem Durchqueren seines Grundstücks zu schließen und den Riegel vorzuschieben.

3

Nachdem die Beklagte das Tor mehrfach offen gelassen hatte, erteilte der Kläger ihr Hausverbot. Er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung von Ordnungsgeld zu unterlassen, sein Grundstück zu betreten. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil der Wert der Beschwer den Betrag von 600 € nicht erreiche. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4

Das Berufungsgericht meint, der Wert der Beschwer sei nach dem Interesse des Klägers an der Unterlassung der Störung zu bemessen. Es entspreche dem Geldbetrag, den er aufwenden müsste, wenn er der Beklagten erlaubte, das Tor offen zu lassen. Da der Kläger mit einem Aufwand von nicht mehr als 150 € eine Vorrichtung installieren könne, die das Tor, etwa durch Federkraft, nach dem Öffnen automatisch schließe, beschränke sich seine Beschwer auf diesen Betrag.

III.

5

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nur zulässig, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO). Daran fehlt es.

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1. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch liegt der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts vor. Es ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass sich die Beschwer der klagende Partei bei Abweisung einer Unterlassungsklage nach ihrem Interesse an der Unterlassung der Störung bemisst, und dass dieses Interesse unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gemäß § 3 ZPO zu bestimmen ist (vgl. Senat, Urteil vom 24. April 1998 - V ZR 225/97, NJW 1998, 2368; Beschluss vom 13. Dezember 2007 - V ZB 98/07, juris). Hiervon geht auch das Berufungsgericht aus.

7

2. a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Berufungsgericht das Interesse des Klägers an der Unterlassung der Störung nach den Kosten bemessen hat, die der Kläger zur Vermeidung der Störung aufwenden müsste, statt auf die durch die Störung eintretende Wertminderung des Grundstücks abzustellen.

8

Richtig ist zwar, dass die Wertminderung, die das Grundstück der klägerischen Partei durch die zu unterlassende Störung erleidet, einen geeigneten Anhaltspunkt für die Bemessung der Beschwer darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juli 2009 - V ZR 251/08, GuT 2010, 128; Urteil vom 6. November 1998 - V ZR 48/98, ZfIR 1998, 749). Lässt sich diese aber - etwa wegen des Bagatellcharakters der Störung - nur schwer ermitteln, während gleichzeitig feststeht, dass der Kläger die Beeinträchtigung mit verhältnismäßig geringem Aufwand abwehren kann, ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn sein Interesse an dem Erfolg der Unterlassungsklage nach diesen Kosten bemessen wird.

9

So verhält es sich auch hier. Der Annahme des Berufungsgerichts, die von dem Verhalten der Beklagten ausgehende Störung lasse sich mit einem Kostenaufwand von höchstens 150 € durch Anbringen einer automatischen Schließeinrichtung für das Hoftor abwehren, tritt die Rechtsbeschwerde in tatsächlicher Hinsicht nicht entgegen; sie legt auch nicht dar, dass und warum dennoch eine höhere Wertminderung des Grundstücks und damit eine höhere Beschwer des Klägers in Betracht kommt. Die bloße Behauptung, die aus dem Verhalten der Beklagten folgende Wertminderung des Grundstücks betrage mindestens 20.000 €, genügt nicht. Aus diesem Grund ist auch der Vorwurf der Rechtsbeschwerde unberechtigt, das Berufungsgericht habe das Interesse des Klägers an der Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise mit maximal 150 € bemessen.

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b) Die angefochtene Entscheidung verletzt den Kläger schließlich nicht in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

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Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er gewährt jedoch keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Das Gericht muss sich in den Entscheidungsgründen auch nicht mit jedem Einzelvorbringen auseinandersetzen; vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es von ihm entgegengenommenes Vorbringen zur Kenntnis genommen hat. Eine Verletzung dieses Prozessgrundrechts ist nur dann feststellbar, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen oder Rechtsausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden sind (vgl. BVerfGE 54, 86, 91 f.; 85, 386, 404; BVerfG NJW-RR 1995, 1033, 1034).

12

Dass das Berufungsgericht nicht auf den Vortrag des Klägers eingegangen ist, er fühle sich von der Beklagten zusätzlich dadurch gestört, dass sie das Wegerecht nutze, um sich auf seinem Grundstück aufzuhalten und dort länger andauernde Gespräche zu führen, lässt demnach nicht den Schluss auf eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG zu. Näher liegt die Annahme, dass das Gericht den Vortrag aus Gründen des materiellen Rechts für unerheblich gehalten und ihn deswegen unerwähnt gelassen hat. Die Beschwerdeerwiderung weist zutreffend darauf hin, dass das Hausverbot, welches der Kläger durchsetzen möchte, in der Klageschrift nur mit der Weigerung der Beklagten begründet worden ist, das Hoftor bei Betreten und Verlassen des klägerischen Grundstücks zu schließen. Dass er sich daneben durch andere Verhaltensweisen der Beklagten gestört fühlt, hat der Kläger erstmals in zweiter Instanz, und dort auch nicht in der Berufungsbegründung, sondern aus Anlass eines nachfolgenden gerichtlichen Hinweises zur Darlegung seiner Beschwer vorgebracht. Das Berufungsgericht durfte hieraus folgern, dass die auf § 1004 BGB gestützte Klage nur wegen der von dem offen gelassenen Hoftor ausgehenden Störungen erhoben worden ist, sonstige Verhaltensweisen der Beklagten also nicht streitgegenständlich und damit für die Bemessung der Beschwer des Klägers unmaßgeblich sind (vgl. zu dem Streitgegenstand einer Unterlassungsklage Senat, Urteil vom 24. April 1998 - V ZR 225/97, NJW 1998, 2368).

IV.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger                                      Lemke                                 Schmidt-Räntsch

                   Stresemann                                   Czub