Entscheidungsdatum: 17.06.2010
Will die Wohnungseigentümergemeinschaft gegen einen ihrer Mitglieder Beitragsforderungen gerichtlich geltend machen, kann ihr Prozesskostenhilfe bewilligt werden; diese Rechtsverfolgung liegt jedenfalls dann im allgemeinen Interesse, wenn weder die Gemeinschaft noch sämtliche Mitglieder die Kosten aufbringen können .
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der Zivilkammer 18 des Landgerichts Hamburg vom 6. Januar 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 2.621,65 €.
I.
Die Parteien sind die einzigen Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung am 29. Mai 2009 wurde die Klägerin ermächtigt, für die Gemeinschaft gegen den Beklagten einen Zahlungsrückstand von 18.607,84 € aus den Jahresabrechnungen 2006 bis 2008 im Klageweg geltend zu machen.
Die Klägerin hat für das Klageverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt, weil sie die Kosten der Prozessführung nicht tragen kann und weder der Beklagte noch die Wohnungseigentümergemeinschaft über Vermögenswerte verfügen. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihren Prozesskostenhilfeantrag weiter.
II.
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts macht die Klägerin einen Anspruch der Wohnungseigentümergemeinschaft im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft geltend. Deshalb sei nicht auf ihre Bedürftigkeit, sondern auf die der Wohnungseigentümergemeinschaft abzustellen. Da diese und die Parteien als die am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten vermögenslos seien, müsste zwar unter diesem Gesichtspunkt Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Das ließe aber die in § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO normierte und auch hier zu fordernde weitere Voraussetzung außer Betracht, dass die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderliefe. Dies sei jedoch nicht der Fall.
III.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend - und von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen - geht das Beschwerdegericht allerdings davon aus, dass die Klägerin in gewillkürter Prozessstandschaft einen Anspruch geltend macht, welcher der aus den Parteien bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft zusteht.
2. Ebenfalls zutreffend und nicht angegriffen nimmt das Beschwerdegericht an, dass es deshalb für die Prüfung der Bedürftigkeit nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin, sondern auf die der Wohnungseigentümergemeinschaft ankommt. Dieser kann Prozesskostenhilfe bewilligt werden, weil sie im Hinblick auf die der Klage zugrunde liegende Forderung ein rechtsfähiger Verband (vgl. § 10 Abs. 6 Satz 1 WEG) und damit eine parteifähige Vereinigung (§ 50 Abs.1 ZPO) im Sinne von § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO ist.
3. Schließlich geht das Beschwerdegericht zu Recht davon aus, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen. Denn sowohl die Wohnungseigentümergemeinschaft als auch die Parteien können die Prozesskosten nicht aufbringen. Deshalb ist es unerheblich, ob es bei der Bedürftigkeitsprüfung nur auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Gemeinschaft oder auch auf die der Wohnungseigentümer ankommt (letzteres bejahend LG Berlin ZMR 2007, 145; Elzer in Hügel/Elzer, Das neue WEG-Recht, § 13 Rdn. 296; verneinend Meffert, ZMR 2007, 145; Abramenko/Wollicki, Handbuch WEG, § 10 Rdn. 172).
4. Zu Unrecht verneint das Beschwerdegericht jedoch, dass die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde (§ 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
a) Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist ein auf Dauer angelegter Zusammenschluss der Wohnungseigentümer. Sie ist unauflöslich. Kein Wohnungseigentümer kann die Aufhebung der Gemeinschaft verlangen, auch nicht aus wichtigem Grund (§ 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 WEG). Das Recht eines Pfändungsgläubigers (§ 751 BGB) und das im Insolvenzverfahren bestehende Recht (§ 84 Abs. 2 InsO), die Aufhebung der Gemeinschaft zu verlangen, sind ausgeschlossen (§ 11 Abs. 2 WEG). Über das Verwaltungsvermögen der Wohnungseigentümergemeinschaft findet kein Insolvenzverfahren statt (§ 11 Abs. 3 WEG). Sie wird nur im Fall der Vereinigung aller Wohnungseigentumsrechte in einer Person, durch einvernehmliche Aufhebung sämtlicher Sondereigentumsrechte, solange das Gebäude besteht, oder nach § 11 Abs. 1 Satz 3 WEG bei vollständiger bzw. teilweiser Zerstörung des Gebäudes auf Verlangen eines Wohnungseigentümers, sofern eine Vereinbarung dies vorsieht, aufgelöst.
b) Diesen rechtlichen Besonderheiten, die es bei juristischen Personen und anderen parteifähigen Vereinigungen nicht gibt, wird es nicht gerecht, die Wohnungseigentümergemeinschaft finanziell ausbluten zu lassen. Deshalb sind ihre Mitglieder verpflichtet, Beiträge entsprechend den von ihnen zu beschließenden Wirtschaftsplänen (§ 28 Abs. 1 WEG), Jahresabrechnungen (§ 21 Abs. 3 WEG) und Sonderumlagen (Senat, BGHZ 108, 44, 47) zu leisten. Dadurch erhält die Wohnungseigentümergemeinschaft die finanziellen Mittel, die zur Erfüllung bestehender und künftiger Verwaltungsschulden notwendig sind. Die Beitragsforderungen sind Ansprüche der Gemeinschaft. Kommt ein Wohnungseigentümer seiner Zahlungsverpflichtung nicht nach, ist der Verwalter nach § 27 Abs. 1 Nr. 4 WEG zur außergerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs berechtigt. Führt dies nicht zum Erfolg, kann die Gemeinschaft - oder, wie hier, ein Wohnungseigentümer aufgrund einer Ermächtigung durch Gemeinschaftsbeschluss (Senat, BGHZ 111, 148, 150 ff.) - den Anspruch gerichtlich durchsetzen.
c) Diese Durchsetzung liegt im allgemeinen Interesse, weil nicht nur Belange des Einzelnen berührt werden. Zwar betreffen die wirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen Klage unmittelbar nur die Wohnungseigentümergemeinschaft und ihre Mitglieder. Aber darüber hinaus dient sie der Sicherung des von dem Gesetz vorgegebenen Rechtszustands. Die in § 11 WEG normierte Unauflöslichkeit und Insolvenzunfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft zeigt, dass - anders als bei juristischen Personen (BVerfGE 35, 348, 356) - die Rechtsordnung die Existenzberechtigung der Wohnungseigentümergemeinschaft auch dann anerkennt, wenn sie ihre Ziele und Aufgaben nicht aus eigener Kraft, also mit eigenen finanziellen Mitteln, verfolgen kann. Deshalb muss sie in die Lage versetzt werden, auch bei Bedürftigkeit im Sinne von § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Beiträge eines Wohnungseigentümers einzuklagen, damit sie ihren Anspruch im Wege der Zwangsvollstreckung - gegebenenfalls durch die Zwangsversteigerung des Wohnungseigentums des Schuldners (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG) - durchsetzen kann. Die dadurch gesicherte wirtschaftliche Existenz der Wohnungseigentümergemeinschaft liegt im Interesse der Rechtsordnung, weil nur so die rechtlich auf Dauer angelegte Gemeinschaft mit Leben erfüllt werden kann. Die Verwirklichung des Interesses der Rechtsordnung wiederum ist von allgemeinem Interesse.
IV.
Die Sache ist nicht entscheidungsreif und deshalb an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 und 5 ZPO). Bisher ist nicht geprüft worden, ob die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§§ 114 Satz 1 letzter Halbsatz, 116 Satz 2 ZPO). Dies muss das Beschwerdegericht nachholen.
Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth