Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 14.10.2010


BGH 14.10.2010 - V ZB 214/10

Rechtsbeschwerde im Abschiebungshaftverfahren: Formularzwang beim Verfahrenskostenhilfeantrag eines Betroffenen nach seiner Abschiebung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
14.10.2010
Aktenzeichen:
V ZB 214/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Krefeld, 4. August 2010, Az: 7 T 289/09, Beschlussvorgehend AG Krefeld, 8. September 2009, Az: 29 XIV 37/09/B
Zitierte Gesetze
§ 1 PKHVV
§ 2 PKHVV

Leitsätze

Ein Betroffener muss grundsätzlich auch nach seiner Abschiebung die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem durch § 1 PKHVV festgelegten Formular abgeben oder eine gleichgestellte Unterlage vorlegen .

Tenor

Der Antrag der Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 4. August 2010 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Betroffene ist ukrainische Staatsangehörige. Sie hatte sich mehrere Jahre in Tschechien aufgehalten und war dann nach Deutschland ausgereist. Sie wandte sich am 7. September 2009 an die Polizei in Kaldenkirchen, um den Verlust ihres Rucksacks und Passes zu melden. Dort wurde sie festgenommen. Auf Antrag des Beteiligten zu 2 vom 8. September 2009 ordnete das Amtsgericht gegen die Betroffene Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 7. Dezember 2009 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an.

2

Am 10. November 2009 hat die Betroffene bei dem Amtsgericht beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts vom 8. September 2009 aufzuheben und festzustellen, dass die "Inhaftierung in Abschiebungshaft" rechtswidrig gewesen ist. Gegen die Zurückweisung ihres Antrags hat die Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt, nach ihrer Abschiebung in die Ukraine am 25. November 2009 mit dem Antrag festzustellen, dass die "Inhaftierung in Abschiebungshaft" rechtswidrig war. Das Landgericht hat das Rechtsmittel zurückgewiesen. Dagegen hat die Betroffene fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt. Sie beantragt, ihr für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat die Betroffene nicht vorgelegt.

II.

3

Der Antrag der Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist unbegründet.

4

1. Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe setzt nach § 76 FamFG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO nicht nur voraus, dass der Betroffene nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen und unter Einsatz seines Einkommens und Vermögens nach Maßgabe von § 115 ZPO die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Nach § 117 Abs. 4 ZPO muss er sich zu der dafür erforderlichen Darlegung des in § 1 i.V.m. Anlage 1 PKHVV festgelegten Formulars bedienen. Dieses muss vollständig und so ausgefüllt werden, dass eine gerichtliche Prüfung der Antragsvoraussetzungen möglich ist (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2008 - XII ZB 83/07, FamRZ 2008, 868; Beschluss vom 13. Februar 2008 - XII ZB 151/07, FamRZ 2008, 871). Hat der Betroffene in der Beschwerdeinstanz das vorgeschriebene Formular vollständig ausgefüllt zu den Akten gereicht, genügt in der Rechtsbeschwerdeinstanz eine Bezugnahme auf die vorliegende Erklärung, wenn sie unmissverständlich ist und Veränderungen seitdem nicht eingetreten sind (Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2004 - V ZA 8/04, FamRZ 2004, 1961).

5

2. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

6

a) Die Betroffene hat im Rechtsbeschwerdeverfahren keine Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen vorgelegt. Sie hat allerdings auf ihre in der Beschwerdeinstanz vorgelegte formgerechte Erklärung Bezug genommen. Diese Bezugnahme war indessen nicht ausreichend, weil sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen durch ihre Abschiebung in die Ukraine grundlegend verändert haben. Dass sie sich trotz der Veränderung ihrer Lebensumstände im Ergebnis nicht verändert hätten, hat die Betroffene nicht erklärt.

7

b) Die Vorlage der Erklärung auf dem vorgeschriebenen Formular ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil sich die Betroffene in der Ukraine aufhält und unsicher ist, ob ihr Verfahrensbevollmächtigter in der Rechtsbeschwerdeinstanz mit ihr Kontakt aufnehmen und das Formular vollständig ausgefüllt vorlegen kann.

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aa) Der Formularzwang gilt auch für Anträge auf Verfahrenskostenhilfe von Verfahrensbeteiligten, die ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in einem anderen Staat haben. § 117 Abs. 4 ZPO sieht für sie keine Ausnahme vor. Die Zivilprozessordnung verweist im Gegenteil für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an Beteiligte im EU-Ausland in § 1076 ZPO uneingeschränkt auch auf § 117 Abs. 4 ZPO. Beteiligte im EU-Ausland haben dazu zwar das in § 1 EG-Prozesskostenhilfevordruckverordnung i.V.m. der Anlage zu dieser Vorschrift bestimmte Formular zu verwenden. Dieses Formular folgt in der Diktion dem auf Grund von Art. 16 der Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ABl. Nr. L 26 S. 41, berichtigt in ABl. Nr. L 32 S. 15) bestimmten Standardformular, unterscheidet sich aber inhaltlich nicht von dem sonst zu verwendenden Formular.

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bb) Eine (zu berücksichtigende) Erklärung der ukrainischen Behörden oder der deutschen diplomatischen Vertretung in der Ukraine, in der die Bedürftigkeit der Betroffenen nach Maßgabe von Art. 21 des im Verhältnis zur Ukraine anwendbaren Haager Übereinkommens über den Zivilprozess vom 1. März 1954 (BGBl. 1958 II S. 576 i.V.m. Bek. vom 18. November 1999, BGBl. 2000 II S. 18) bescheinigt wird, hat die Betroffene ebenfalls nicht vorgelegt.

10

c) Von der Abgabe der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes abzusehen.

11

aa) Der Betroffene eines Freiheitsentziehungsverfahrens vor deutschen Gerichten hat zwar einen aus dem Rechtsstaatsprinzip resultierenden verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (BVerfGE 85, 337, 345; 88, 118, 123 f.; 108, 341, 347). Der Zugang zu den Gerichten und zu den im Verfahrensrecht vorgesehenen Rechtsmittelverfahren darf ihm nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfGE 81, 123, 129). Diese Anforderungen sind auch bei der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, die die Situation einer unbemittelten Person weitgehend der Situation eines Bemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes angleichen soll, zu beachten (vgl. BVerfGE 67, 245, 248). Sie stehen aber dem Zwang zur Verwendung des mit § 1 PKHVV festgelegten Formulars für die Erklärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Beteiligten mit Aufenthalt in einem anderen Staat nicht entgegen. Denn auch solchen Beteiligten steht Verfahrenskostenhilfe nur zu, wenn sie bedürftig sind und dies in der von dem Gesetzgeber festgelegten Form darlegen. Diese Darlegung wird durch den Formularzwang auch bei Abgabe der Erklärung im Ausland nicht erschwert.

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bb) Es mag allerdings Fälle geben, in denen der Betroffene in dem Staat, in den er abgeschoben worden ist, aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen, etwa infolge einer Inhaftierung, gehindert ist, die Erklärung zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen unter Verwendung des vorgeschriebenen Formulars oder durch eine gleichwertige Bescheinigung des Aufenthalts- oder des Heimatstaats abzugeben. Wie dann zu verfahren ist, bedarf hier keiner Entscheidung, weil die Betroffene nicht vorgetragen hat, dass es sich in ihrem Fall so verhält.

Krüger                                     Lemke                                   Schmidt-Räntsch

                   Stresemann                                     Czub