Entscheidungsdatum: 06.05.2010
1. Wird bei der Einreise aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union über ein Asylgesuch ein behördliches Protokoll erstellt und dieses an das zuständige Bundesamt weitergeleitet, liegt ein förmlicher Asylantrag erst mit dem Eingang bei dieser Behörde vor (Weiterführung BGH, 21. November 2002, V ZB 49/02, BGHZ 153, 18 ff.) .
2. § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG erfasst auch die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung .
Dem Betroffenen wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt R. beigeordnet.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 6. November 2009 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Feststellungsantrag betreffend die Zeit ab dem 23. Oktober 2009 zurückgewiesen worden ist.
Es wird festgestellt, dass der angefochtene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, soweit die Haftanordnung zur Sicherung der Abschiebung über den 22. Oktober 2009 hinaus aufrechterhalten worden ist.
Von den Gerichtskosten trägt der Betroffene 12 % mit der Maßgabe, dass von der Erhebung von Dolmetscherkosten abzusehen ist; weitere Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Bundesrepublik Deutschland trägt 88 % der außergerichtlichen Kosten des Betroffenen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
I.
Der Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Betroffener), ein afghanischer Staatsangehöriger, traf am 12. Oktober 2009 mit einem Flug aus Heraklion (Griechenland) kommend auf dem Flughafen Frankfurt am Main ein. Bei einer Kontrolle durch Beamte der Beteiligten zu 2 wies er sich durch einen gefälschten Reisepass aus. Bei der Vernehmung gab er an, er sei mithilfe eines Schleusers über die Türkei nach Griechenland gebracht worden. Er stelle ein Asylgesuch. Das am 13. Oktober 2009 "von dem Sachverhalt" unterrichtete Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (im Folgenden: Bundesamt) ersuchte die griechischen Behörden um Übernahme des Betroffenen.
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht Frankfurt am Main am 13. Oktober 2009 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen bis einschließlich 12. Januar 2010 und die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung angeordnet. Der Betroffene hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt. Der Beschwerdebegründung vom 23. Oktober 2009 hat er eine Abschrift des an demselben Tage bei dem Verwaltungsgericht eingereichten Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beigefügt. Mit Beschluss vom 30. Oktober 2009 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Betroffenen gegen die Zurückschiebung nach Griechenland an. Zudem untersagte es Maßnahmen zur Verbringung des Betroffenen nach Griechenland für die Dauer von sechs Monaten.
Am 2. November 2009 wurde der Betroffene aus der Haft entlassen. Mit Schriftsatz vom selben Tage hat er die Feststellung beantragt, dass die Haft rechtswidrig gewesen sei. Das Landgericht hat diesen Antrag zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.
II.
Das Beschwerdegericht meint, der Antrag sei unbegründet. Insbesondere habe das Amtsgericht zu Recht die Haftgründe nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 u. 5 AufenthG bejaht. Dass sich der Betroffene der Bundespolizei gegenüber als Asylsuchender zu erkennen gegeben habe, habe die Anordnung der Sicherungshaft in Form der Zurückschiebungshaft nicht gehindert. Bei Einreise aus einem sicheren Drittstaat führe nur die Stellung eines förmlichen Asylantrages zu einer Aufenthaltsgestattung. Daran fehle es hier, weil der Betroffene keinen schriftlichen Antrag gestellt habe. Soweit vorgetragen worden sei, eine Zurückschiebung nach Griechenland sei wegen der dortigen Verhältnisse unzulässig, obliege die Prüfung dieses Einwands nicht dem Haftrichter, sondern sei Aufgabe der Verwaltungsgerichte. Daher sei die Sicherungshaft erst mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 30. Oktober 2009 unzulässig geworden. Zuvor habe nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestanden, dass die Abschiebung des Betroffenen nicht innerhalb von drei Monaten durchführbar sei.
III.
1. Das Rechtsmittel ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Rechtsbeschwerde des Betroffenen auch dann ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft, wenn sich die Hauptsache durch die Haftentlassung - wie hier - erledigt hat und mit dem Rechtsmittel allein das Ziel verfolgt wird, die Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG festzustellen (Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, Rdn. 9 ff., juris).
2. Die Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet. Zwar verletzte nicht schon die Inhaftierung den Betroffenen in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, wohl aber die das Rechtsmittel zurückweisende Entscheidung des Beschwerdegerichts.
a) Der durch die zuständige Behörde (§ 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, § 417 Abs. 1 FamFG) gestellte Haftantrag war im Zeitpunkt der Haftanordnung begründet.
aa) Das Beschwerdegericht hat zu Recht die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung nach § 57 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG bejaht. Der Betroffene war auf Grund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig (zur Prüfungspflicht des Haftrichters bei einer nicht bestandskräftigen, verwaltungsgerichtlich noch nicht überprüften und für sofort vollziehbar erklärten Zurückschiebungsverfügung nach § 57 Abs. 1 AufenthG vgl. Senat, Beschl. v. 16. Dezember 2009, V ZB 148/09, Rdn. 7, InfAuslR 2010, 50; Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, Rdn. 15, juris, m.w.N.). Wie das Beschwerdegericht zutreffend und von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet ausgeführt hat, lag auch der begründete Verdacht vor, der Betroffene werde sich der Zurückschiebung nach Griechenland entziehen.
bb) Dass der Betroffene gegenüber der Beteiligten zu 2 bei der Ingewahrsamnahme um Asyl nachgesucht hat, stand nach § 18 Abs. 3 i.V.m. § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG der Zurückschiebung nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass bei der Einreise aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht bereits mit der Protokollierung des Asylersuchens durch die Grenzbehörde erworben wird, sondern erst mit der Stellung des Antrages bei dem zuständigen Bundesamt (vgl. Senat, BGHZ 153, 18, 20; Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, Rdn. 17 ff., juris). Er hat dabei insbesondere darauf hingewiesen, dass der gegenteilige Rechtsstandpunkt nicht nur der bundesgesetzlichen Regelung in § 18 AsylVfG widerspricht, sondern auch nicht mit der europarechtlichen Vorschrift über das sog. Dringlichkeitsverfahren in Art. 17 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-Verordnung) zu vereinbaren ist (Beschl. v. 25. Februar 2010, aaO). Hinzu kommt, dass nach der unzweideutigen Regelung des Art. 4 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-Verordnung ein Asylantrag erst dann als gestellt gilt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaates ein von dem Asylbewerber eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Die Rechtslage ist klar. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union scheidet damit aus (vgl. EuGH, Urt. v. 6. Oktober 1982, Rs 283/81 C.I.L.F., Slg 1982, 3415 Rdn. 16; Schmidt-Räntsch in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 23 Rdn. 31).
cc) Allerdings rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass die Erwägung des Beschwerdegerichts, wonach bei dem Bundesamt kein förmlicher Asylantrag eingegangen sei, weil der Betroffene keinen schriftlichen Antrag gestellt habe, einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält. Nur wirkt sich dieser Rechtsfehler im Ergebnis nicht aus, wobei mangels tatrichterlicher Feststellungen unterstellt werden kann, dass das protokollierte Gesuch - was nicht ausreichend wäre - mehr enthält als die Worte "Asyl" oder "Asylantrag" (vgl. Senat, BGHZ 153, 18, 21 f.).
Das Beschwerdegericht geht zwar zutreffend davon aus, dass das Asylverfahrensgesetz eine Weiterleitung nur für schriftliche Asylanträge vorsieht, die bei der Ausländerbehörde eingereicht werden (§ 14 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG) und die Aufnahme eines mündlichen Antrags zur Niederschrift und dessen Weiterleitung durch die Polizei oder den Haftrichter weder im Verwaltungsverfahrensgesetz noch im Asylverfahrensgesetz vorgesehen ist (vgl. Senat, BGHZ 153, 18, 21). Jedoch folgt spätestens aus der bereits genannten Vorschrift des Art. 4 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-Verordnung, dass ein behördlich protokollierter Asylantrag im Falle seiner Weiterleitung mit dem Eingang bei dem Bundesamt als förmlicher Antrag zu qualifizieren ist. Er wirkt nur nicht auf den Zeitpunkt der Protokollierung zurück, weil der Antrag nach der zitierten Bestimmung erst als gestellt gilt, wenn er der zuständigen Behörde zugegangen ist. Da der protokollierte Antrag vorliegend erst nach der Beschlussfassung durch das Amtsgericht bei dem Bundesamt eingegangen ist, stand er der Haftanordnung nicht entgegen.
b) Die Aufrechterhaltung der Haft über den Zeitpunkt der (unterstellten) Stellung des Asylantrages hinaus, war nicht schon von dem Zeitpunkt der Asylantragstellung rechtswidrig. In den Fällen des § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG steht die Antragstellung der Aufrechterhaltung der Haft nicht entgegen.
Aus § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AsylVfG folgt zwar, dass die Aufrechterhaltung der Haft nicht mehr auf § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gestützt werden konnte, weil sich der Betroffene noch nicht länger als einen Monat unerlaubt im Bundesgebiet aufgehalten hatte (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4). Dies ist jedoch unschädlich, weil auch der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG fortbestand (vgl. § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG). Dass § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG auch die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung als eine Form der Abschiebungshaft (vgl. §§ 57 Abs. 3, 62 AufenthG) erfasst (dazu eingehend OLG München, Beschl. v. 30. Januar 2008, 34 Wx 136/07, Rdn. 29 ff. m.w.N., juris), ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG NVwZ-RR 2009, 616, 617). Nach dem gesetzgeberischen Anliegen besteht der Zweck der Vorschrift gerade auch in der Sicherstellung, dass Ausländer, die im Rahmen des Dublin II-Verfahrens möglichst rasch in den für das Asylverfahren zuständigen Staat verbracht werden sollen, nicht vorzeitig aus der Haft entlassen werden und untertauchen (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 215).
c) Teilweise Erfolg hat die Rechtsbeschwerde jedoch deshalb, weil das Beschwerdegericht verkannt hat, dass der Haftrichter bei der nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG anzustellenden Prognose, ob die Abschiebung innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden kann, das voraussichtliche Ergebnis eines von dem Ausländer bei dem Verwaltungsgericht gestellten Antrags nach §§ 80, 123 VwGO auf Aussetzung des Vollzugs der Zurückschiebung berücksichtigen muss. Wird solchen Eilanträgen regelmäßig entsprochen, darf er, wenn die Sache bei dem Verwaltungsgericht anhängig gemacht worden ist, eine Haft zur Sicherung der Abschiebung nicht anordnen. Eine bereits angeordnete Haft ist auf die Beschwerde des Betroffenen nach § 426 FamFG aufzuheben (Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, Rdn. 24 ff., juris).
Vorliegend hat der Betroffene am 23. Oktober 2009 einstweiligen Rechtsschutz vor dem zuständigen Verwaltungsgericht beantragt. Da solchen Anträgen derzeit bei Überstellungen nach Griechenland gemäß Art. 19 Dublin II-Verordnung regelmäßig stattgegeben wird (vgl. Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, Rdn. 25 f., juris, m.w.N.), entstand das einem baldigen Vollzug des Zurückschiebungsbescheides entgegenstehende Hindernis mit der dem Beschwerdegericht zur Kenntnis gebrachten Antragstellung bei dem Verwaltungsgericht. Die Aufrechterhaltung der Haftanordnung über diesen im Zeitpunkt hinaus war rechtswidrig.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1, 83 Abs. 2 FamFG, 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung des Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen der Körperschaft anteilig aufzuerlegen, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, zur Veröffentlichung bestimmt). Von der Erhebung von Dolmetscherkosten ist in Abschiebungshaftsachen abzusehen (Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 222/09, Rdn. 20, juris). Die Festsetzung des Werts folgt aus §§ 128c Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO.
Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth