Entscheidungsdatum: 25.01.2018
Bei einem überbesetzten Spruchkörper kann zum beauftragten Richter nur ein Richter bestimmt werden, der nach dem kollegiumsinternen Geschäftsverteilungsplan im Zeitpunkt der Übertragungsentscheidung mit der Sache befasst ist.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Ingolstadt - 2. Zivilkammer - vom 5. September 2017 wird auf Kosten des Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Dolmetscherkosten in allen Instanzen nicht erhoben werden.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
I.
Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, versuchte am 24. Juni 2017 mit dem Zug aus Österreich kommend in das Bundesgebiet einzureisen. Da er über keine aufenthaltslegitimierenden Dokumente verfügte, verweigerte die beteiligte Behörde ihm die Einreise. Mit Beschluss vom 30. Juni 2017 hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde Haft zur Sicherung der Zurückweisung des Betroffenen nach Marokko bis zum 15. September 2017 angeordnet. Auf dessen Beschwerde hat das Landgericht die Haftdauer auf den Zeitraum bis zum 12. September 2017 beschränkt und das Rechtsmittel im Übrigen zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene, der am 11. September 2017 nach Marokko zurückgeführt worden ist, festzustellen, durch den Beschluss des Amtsgerichts und des Landgerichts in seinen Rechten verletzt zu sein.
II.
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts sind die Voraussetzungen für die Anordnung der Zurückweisungshaft nach § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG gegeben. Der Haftantrag der beteiligten Behörde genüge den Anforderungen gemäß § 417 Abs. 2 FamFG. In materieller Hinsicht liege eine Zurückweisungsentscheidung vor, die nicht unmittelbar habe vollzogen werden können. Die Freiheitsentziehung genüge auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Beschleunigungsgrundsatz sei gewahrt. Die Verkürzung der Haftzeit beruhe darauf, dass für den 11. September 2017 ein Flug nach Casablanca habe gebucht werden können.
III.
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist - mit Ausnahme der von Amts wegen zu ändernden Kostenentscheidung des Beschwerdegerichts - unbegründet.
1. Das Verfahren des Beschwerdegerichts leidet entgegen den von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rügen an keinen Verfahrensfehlern.
a) Nicht zu beanstanden ist die von einem Mitglied des Beschwerdegerichts durchgeführte persönliche Anhörung des Betroffenen und die Verwertung des Anhörungsergebnisses durch die Kammer in der Spruchbesetzung.
aa) Hält das Beschwerdegericht gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine Anhörung des Betroffenen für angezeigt, bestehen keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, mit der Anhörung ein Mitglied des Beschwerdegerichts als beauftragten Richter zu befassen. Insoweit gelten die Regeln der Zivilprozessordnung, die sowohl die Vernehmung von Zeugen als auch die Vernehmung von Parteien durch den beauftragten Richter erlauben (§ 375 Abs. 1 ZPO und § 451 i.V.m. § 375 ZPO), entsprechend. Eine solche Übertragung scheidet nach der Rechtsprechung des Senats allerdings aus, wenn bereits im Zeitpunkt der Übertragungsentscheidung feststeht, dass es auf die Glaubwürdigkeit des Betroffenen und nicht nur auf die Glaubhaftigkeit seiner Aussage ankommt (Senat, Beschluss vom 13. Juli 2017 - V ZB 69/17, InfAuslR 2017, 454 Rn. 10). Dass ein solcher Ausnahmefall hier bei der Übertragungsentscheidung vom 16. August 2017 vorgelegen hat, macht die Rechtsbeschwerde nicht geltend.
bb) Sie hält das Vorgehen des Beschwerdegerichts vielmehr deshalb für verfahrensfehlerhaft, weil bei einem überbesetzten Spruchkörper beauftragter Richter nur derjenige Richter sein könne, der aufgrund des Geschäftsverteilungsplans an der Entscheidung mitwirke. Hier sei aber Vorsitzender Richter am Landgericht P. , auf den die Anhörung des Betroffenen übertragen worden sei und der die Anhörung auch durchgeführt habe, nicht Mitglied des Spruchköpers gewesen, der über die Haftanordnung des Amtsgerichts und die Aufrechterhaltung der angeordneten Haft entschieden habe. Letzteres ist zutreffend, vermag aber einen Verfahrensfehler nicht zu begründen.
(1) Richtig ist allerdings, dass bei einem überbesetzten Spruchkörper zum beauftragten Richter nur ein Richter bestimmt werden kann, der nach dem kollegiumsinternen Geschäftsverteilungsplan mit der Sache befasst ist (vgl. BeckOK ZPO/Bach, 26. Ed. 15.9.2017, § 355 Rn. 16.2). Gehört ein Richter zwar dem (überbesetzten) Spruchkörper - bei einem Landgericht der Kammer - an, ist er aber nach dem Geschäftsverteilungsplan nicht zur Mitwirkung an dem Verfahren berufen, scheidet seine Beauftragung mit einer Beweisaufnahme oder einer Anhörung aus. Hierfür kommt es aber entscheidend auf den Zeitpunkt an, zu dem die Übertragung beschlossen wird (unklar insoweit Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO, 4. Aufl., § 361 Rn. 3). Demgegenüber ist es unerheblich, ob der beauftragte Richter tatsächlich an der Schlussentscheidung mitwirkt. Dies lässt sich im Zeitpunkt der Übertragungsentscheidung nicht sicher feststellen, da nicht auszuschließen ist, dass der beauftragte Richter an der Mitwirkung der Schlussentscheidung verhindert ist oder dem Spruchkörper nicht mehr angehört. Dies ändert aber nichts an der Ordnungsmäßigkeit der Übertragung der Anhörung auf ihn.
(2) Hier war der Vorsitzende Richter am Landgericht P. im Zeitpunkt des Übertragungsbeschlusses vom 16. August 2017 zur Mitwirkung an dem Beschwerdeverfahren berufen, so dass er auch mit der Durchführung der Anhörung beauftragt werden konnte.
(3) Eine andere Frage ist es, ob bei einer ordnungsgemäßen Übertragung der Anhörung auf ein Mitglied des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers das Ergebnis dieser Anhörung verwertet werden darf, obwohl - wie hier - der beauftragte Richter an der Schlussentscheidung nicht mitwirkt. Dies ist grundsätzlich und auch hier zu bejahen. Zwar muss auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl. § 355 Abs. 1 ZPO) beachtet werden, wenn das Gericht eine förmliche Beweisaufnahme anordnet (vgl. hierzu etwa Keidel/Sternal, FamFG, 19. Aufl., § 30 Rn. 19 f.). Es entspricht aber ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass ein Wechsel in der Besetzung des Gerichts nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht generell die Wiederholung der Beweiserhebung erfordert. Frühere Zeugenaussagen können vielmehr im Wege des Urkundenbeweises durch Auswertung des Vernehmungsprotokolls verwertet werden. Das Gericht darf bei der Beweiswürdigung allerdings nur das berücksichtigen, was auf der Wahrnehmung aller an der Entscheidung beteiligten Richter beruht oder aktenkundig ist und wozu die Parteien sich erklären konnten (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2016 - XI ZR 145/14, BGHZ 212, 286 Rn. 28 mwN). Bei der Verwertung einer durch den beauftragten Richter durchgeführten Anhörung in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt nichts anderes (vgl. BayObLGZ 1956, 300, 303).
(4) Hier hat das Beschwerdegericht in seiner Entscheidung nur solche Umstände berücksichtigt, die sich aus dem Protokoll der Anhörung durch den Vorsitzenden Richter P. ergeben haben. Eine Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme lässt sich damit nicht feststellen.
b) Soweit die Rechtsbeschwerde als weiteren Verfahrensfehler einen Verstoß gegen den Anspruch des Betroffenen auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) geltend macht, weil der Vorsitzende Richter an der Beschwerdeentscheidung nicht mitgewirkt habe, obwohl aus den Gerichtsakten die Feststellung eines Vertretungsfalles nicht zu entnehmen sei, ist die Rüge bereits nicht ordnungsgemäß erhoben.
aa) Gemäß § 74 Abs. 3 Satz 3 FamFG darf die angefochtene Entscheidung auf Verfahrensfehler, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 FamFG gerügt worden sind. Hierzu ist gemäß § 71 Abs. 3 Nr. 2 b) FamFG die Bezeichnung der Tatsachen erforderlich, die den Verfahrensmangel ergeben. Zur Begründung einer Verfahrensrüge nach § 72 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 547 Nr. 1 ZPO (nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts) ist die Angabe der Einzeltatsachen nötig, aus denen sich der Fehler, im vorliegenden Fall also die angeblich fehlende Verhinderung des Vorsitzenden, ergibt. Wenn es sich dabei um gerichtsinterne Vorgänge handelt, muss die Rechtsbeschwerde zumindest darlegen, dass sie zweckentsprechende Aufklärung gesucht hat; die Rüge darf nicht auf bloßen Verdacht erhoben werden (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1991 - VII ZR 11/91, NJW 1992, 512 zu der gleichgelagerten Frage der Anforderungen einer Verfahrensrüge gemäß § 551 Nr. 1 ZPO aF (= § 547 Nr. 1 ZPO nF) im Revisionsverfahren).
bb) Die Rüge der Rechtsbeschwerde ist eine solche auf Verdacht. Zwar entscheiden die Kammern eines Landgerichts regelmäßig in der Besetzung von einem Vorsitzenden und zwei Richtern (§ 72 Abs. 1 Satz 2, § 75 GVG). Bei Verhinderung des Vorsitzenden führt den Vorsitz jedoch das vom Präsidium bestimmte Mitglied der Kammer und bei dessen Verhinderung das jeweils dienstälteste Mitglied (§ 21 f Abs. 2 GVG). Warum der Vorsitzende hier nicht verhindert gewesen sein soll, legt die Rechtsbeschwerde nicht dar. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine zweckentsprechende Aufklärung wenigstens versucht worden ist.
2. Erfolg hat die Rechtsbeschwerde nur insoweit, als das Beschwerdegericht im Rahmen seiner Kostenentscheidung nicht von der Erhebung von Dolmetscherkosten abgesehen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, Rn. 21; Beschluss vom 20. Juli 2017 - V ZB 155/16, juris Rn. 1).
3. Im Übrigen wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG von einer Begründung abgesehen.
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