Entscheidungsdatum: 10.09.2018
Die Regelung in § 71 Abs. 8 AsylG entbindet den Haftrichter nicht von der erforderlichen Prognose zur Durchführbarkeit der Abschiebung.
In Änderung des Beschlusses vom 24. Juli 2017 wird dem Betroffenen Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. von Plehwe auch insoweit bewilligt, als er mit der Rechtsbeschwerde die Feststellung erstrebt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 20. März 2017 ihn auch in dem Zeitraum vom 15. bis zum 18. Mai 2017 in seinen Rechten verletzt hat.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 19. Mai 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beschwerde gegen die Haftanordnung des Amtsgerichts Wuppertal vom 20. März 2017 für den Zeitraum nach dem 14. Mai 2017 zurückgewiesen worden ist.
Es wird festgestellt, dass der Betroffene durch die vorgenannten Beschlüsse in seinen Rechten verletzt worden ist, soweit Sicherungshaft für den Zeitraum nach dem 14. Mai 2017 aufrechterhalten worden ist.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden für das Rechtsbeschwerdeverfahren vollständig, für die übrigen Instanzen zu 22% der Stadt Wuppertal auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
I.
Der aus Tschetschenien stammende Betroffene reiste im Jahr 2003 im Alter von sechs Jahren nach Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Ihm wurde jedoch eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Im Jahr 2014 reiste er in die Türkei aus und begab sich von dort nach Syrien, um sich - laut Angaben der Sicherheitsbehörden - dem IS anzuschließen. Daraufhin wurde er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels abgelehnt und die Wiedereinreise und der Aufenthalt im Bundegebiet für die Dauer von zehn Jahren untersagt. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt reiste der Betroffene wieder in das Bundesgebiet ein. Er wurde festgenommen und befand sich seit dem 8. Februar 2017 aufgrund eines Haftbefehls des Bundesgerichtshofs wegen Verdachts der Bildung terroristischer Vereinigungen in Untersuchungshaft.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 20. März 2017 Haft bis zum 30. Mai 2017 zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen nach Russland angeordnet. Eine für den 16. Mai 2017 geplante Abschiebung wurde storniert, nachdem der Betroffene am 11. Mai 2017 einen Asylfolgeantrag gestellt hatte. Das Landgericht hat die Beschwerde gegen die Haftanordnung mit Beschluss vom 19. Mai 2017 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er nach Ablauf der angeordneten Haftdauer die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung für den Zeitraum ab dem 15. Mai 2017 feststellen lassen will. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
Zugleich beantragt der Betroffene, die ihm mit Beschluss des Senats vom 24. Juli 2017 teilweise bewilligte Verfahrenskostenhilfe dahingehend zu erweitern, dass sie sich auch auf die Rechtsbeschwerde gegen die Haftanordnung für die Zeit vom 15. bis 18. Mai 2017 erstreckt.
II.
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht hat es versäumt, die erforderliche Prognose zu treffen, ob eine Abschiebung des Betroffenen innerhalb des bis zum 30. Mai 2017 angeordneten Haftzeitraums erfolgen wird.
1. Anlass für eine solche Prüfung bestand aufgrund des von dem Betroffenen während des Beschwerdeverfahrens gestellten Asylfolgeantrags.
a) Nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG darf ein Ausländer, der nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt, erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes abgeschoben werden, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) abgeschoben werden. Dieses mögliche Abschiebungshindernis muss bei der nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG anzustellenden Prognose berücksichtigt werden; der Haftrichter muss sich also vergewissern, dass mit einer Entscheidung des Bundesamts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG innerhalb von drei Monaten bzw. innerhalb des Haftzeitraums gerechnet werden kann. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts entfällt diese Verpflichtung nicht deshalb, weil nach § 71 Abs. 8 AsylG ein Folgeantrag der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegensteht. Dies entbindet den Haftrichter nicht von der erforderlichen Prognose zur Durchführbarkeit der Abschiebung (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 222/10, juris Rn. 11).
b) Das Beschwerdegericht hat zwar die Mitteilung des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen vom 15. Mai 2017, dass dieser einen Asylfolgeantrag gestellt habe, zum Anlass genommen, bei der beteiligten Behörde nach dem Stand des Asylfolgeverfahrens nachzufragen. Die Antwort der beteiligten Behörde beschränkte sich jedoch auf Rechtsausführungen zu § 14 AsylG, ohne dass sie sich dazu äußerte, wann im konkreten Fall mit einer Entscheidung des Bundesamts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu rechnen sei. Das Beschwerdegericht hätte daher bei dem Bundesamt direkt nachfragen müssen, wann es voraussichtlich über den Asylfolgeantrag des Betroffenen entscheiden werde.
2. Ein weiterer in die Prognose einzubeziehender Aspekt ergab sich aus dem von dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen am 18. Mai 2017 dem Beschwerdegericht vorgelegten, an das Verwaltungsgericht gerichteten Schreiben der Behörde vom 15. Mai 2017. In diesem Schreiben gab die Behörde gegenüber dem Verwaltungsgericht an, es seien „zum jetzigen Zeitpunkt keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen mehr beabsichtigt“. Das Beschwerdegericht hat sich das Schreiben von der Behörde zwar erläutern lassen. In ihrer Stellungnahme teilte diese aber lediglich mit, dass sie aufgrund der Asylfolgeantragstellung des Betroffenen die für den 16. Mai 2017 geplante Abschiebung storniert habe, „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ auf der Grundlage der Ordnungsverfügung vom 17. März 2017 unter Berücksichtigung des anhängigen Asylfolgeverfahrens „weiterhin beabsichtigt“ blieben. Dass eine Abschiebung des Betroffenen noch innerhalb des bis zum 30. Mai 2017 angeordneten Haftzeitraums erfolgen soll, lässt sich der Stellungnahme der Behörde nicht entnehmen. Vielmehr hat sie darin lediglich ihre allgemeine Absicht bekundet, den Aufenthalt des Betroffenen in Deutschland zu beenden, ohne dass sie dies durch konkret geplante Maßnahmen zeitlich näher präzisieren konnte. Auf dieser Grundlage musste das Beschwerdegericht davon ausgehen, dass seit dem 15. Mai 2017 feststand, dass eine Abschiebung des Betroffenen innerhalb der verbleibenden Haftzeit von zwei Wochen nicht mehr beabsichtigt war, und hätte daher die Haft aufheben und die Rechtswidrigkeit der Haft seit dem 15. Mai 2017 feststellen müssen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
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