Entscheidungsdatum: 01.06.2017
1. Die Haftfähigkeit des Betroffenen zu prüfen, ist Aufgabe des Haftrichters.
2. Ob die fehlende oder eingeschränkte Reisefähigkeit eine Aussetzung der Abschiebung (vergleiche etwa § 60a Abs. 2 AufenthG) oder begleitende Maßnahmen erforderlich macht, haben dagegen die beteiligte Behörde und die Verwaltungsgerichte zu prüfen. Der Haftrichter hat nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nur festzustellen, ob die Abschiebung nach den von der beteiligten Behörde ergriffenen Maßnahmen und im Hinblick auf etwaige von dem Betroffenen bei den Verwaltungsgerichten eingeleitete Verfahren voraussichtlich durchgeführt werden kann.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 30. Oktober 2015 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
I.
Der Betroffene reiste am 26. September 1996 erstmals nach Deutschland ein und wurde nach einem erfolglosen Asylverfahren am 20. Juni 2006 in sein Heimatland Guinea abgeschoben. Am 24. November 2011 reiste er erneut nach Deutschland ein und stellte wiederum einen Asylantrag, den das zuständige Bundesamt mit Bescheid vom 10. Januar 2012 ablehnte. Eine für den 2. April 2012 angekündigte Abschiebung scheiterte daran, dass der Betroffene in seiner Unterkunft nicht angetroffen wurde und untertauchte. Am 13. August 2015 wurde er aus den Niederlanden nach Deutschland rücküberstellt.
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 13. August 2015 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung von dessen Abschiebung nach Guinea bis zum 13. November 2015 angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte er nach Auslaufen der Haft die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit erreichen.
II.
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war die angeordnete Haft rechtmäßig. Der Haftantrag sei zulässig gewesen. Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG habe vorgelegen. Der Betroffene habe sich der Abschiebung am 2. April 2012 entzogen und sei dann untergetaucht. Er habe im Beschwerdeverfahren seine Reiseunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht. Sie liege auch eher fern, weil er vor Beginn der Haft aus den Niederlanden rücküberstellt worden sei.
III.
Diese Erwägungen halten im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung stand.
1. Das Beschwerdegericht musste den Betroffenen im Beschwerdeverfahren nicht erneut persönlich anhören. Etwas anderes ergibt sich entgegen dessen Ansicht nicht daraus, dass er Zweifel an seiner Reisefähigkeit dargelegt und die Notwendigkeit einer begleiteten Abschiebung geltend gemacht hat.
a) Allerdings verletzt die Aufrechterhaltung der angeordneten Sicherungshaft durch das Beschwerdegericht die Rechte des Betroffenen nach Art. 104 Abs. 1 GG, wenn dessen zwingend gebotene erneute persönliche Anhörung unterbleibt; es kommt in diesem Fall auch nicht darauf an, ob die Haft in der Sache zu Recht aufrechterhalten worden ist. Das Beschwerdegericht ist indessen im Unterschied zum Haftrichter nicht in jedem Fall verpflichtet, den Betroffenen vor seiner Entscheidung (erneut) persönlich anzuhören. Es darf davon vielmehr unter den in § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG genannten Voraussetzungen absehen. Zu einer Verletzung der Rechte des Betroffenen nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG führt ein Absehen von der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren deshalb nur, wenn diese Voraussetzungen nicht vorlagen und die Anhörung auch im Beschwerdeverfahren zwingend geboten war (Senat, Beschluss vom 14. April 2016 - V ZB 112/15, juris Rn. 12 mwN).
b) Das war hier nicht der Fall.
aa) Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens hat der Betroffene allerdings unter Vorlage eines ärztlichen Attestes bezweifelt, ob er im Hinblick auf eine posttraumatische Belastungsstörung reisefähig sei. Die posttraumatische Belastungsstörung eines Betroffenen kann zwar auch im Verfahren der Freiheitsentziehung Bedeutung erlangen. Uneingeschränkt gilt das aber nur, wenn sie dessen Haftfähigkeit in Frage stellt. Denn diese zu prüfen ist Aufgabe des Haftrichters. Anders liegt es dagegen, wenn Bedenken gegen die Reisefähigkeit des Betroffenen erhoben und begleitende Maßnahmen gefordert werden. Ob die fehlende oder eingeschränkte Reisefähigkeit eine Aussetzung der Abschiebung (vgl. etwa § 60a Abs. 2 AufenthG) oder begleitende Maßnahmen erforderlich macht, haben die beteiligte Behörde und die Verwaltungsgerichte zu prüfen. Der Haftrichter hat nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nur festzustellen, ob die Abschiebung nach den von der beteiligten Behörde ergriffenen Maßnahmen und im Hinblick auf etwaige von dem Betroffenen bei den Verwaltungsgerichten eingeleitete Verfahren voraussichtlich durchgeführt werden kann. Dazu hat er eigene Ermittlungen anzustellen; insbesondere muss er sich über den Stand und die Erfolgsaussichten eines behördlichen oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erkundigen, in dem über das Vorliegen etwaiger Abschiebungshindernisse oder die Notwendigkeit begleitender Maßnahmen entschieden wird (zum Ganzen: Senat, Beschluss vom 14. April 2016 - V ZB 112/15, juris Rn. 16).
bb) Danach bestimmt sich auch, wann das Beschwerdegericht den Betroffenen gemäß § 68 Abs. 3, § 420 FamFG erneut anzuhören hat. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn sich im Beschwerdeverfahren Anzeichen für das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses ergeben, sondern nur, wenn sich entweder neue Anhaltspunkte für die Haftunfähigkeit des Betroffenen oder ausreichende neue Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es aufgrund des möglichen Abschiebungshindernisses zu einem Abbruch oder einer im angeordneten Haftzeitraum nicht zu bewältigenden Verzögerung der geplanten Abschiebung kommen könnte. Fehlt es an solchen Anhaltspunkten, kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 FamFG von einer erneuten Anhörung des Betroffenen absehen (Senat, Beschlüsse vom 10. Oktober 2012 - V ZB 274/11, FGPrax 2013, 40 Rn. 11 und vom 14. April 2016 - V ZB 112/15, juris Rn. 14).
cc) Danach musste das Beschwerdegericht den Betroffenen nicht persönlich anhören.
(1) Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene haftunfähig sein könnte bestanden nicht. Dieser hatte seine Reisefähigkeit bezweifelt und in der ergänzenden Stellungnahme vom 26. Oktober 2015 nur die Ansicht vertreten, die beteiligte Behörde habe zu prüfen, ob er derart krank sei, dass er nicht reisefähig oder gar haftunfähig sei, was aber auf dasselbe hinauslaufe. Er hat aber im Beschwerdeverfahren nicht einmal behauptet, dass er nicht haftfähig sei, oder dass er dies während der zu diesem Zeitpunkt schon etwa zwei Monate dauernden Sicherungshaft der Vollzugsverwaltung gegenüber geltend gemacht habe. Im Rechtsbeschwerdeverfahren macht er auch nur geltend, das Beschwerdegericht habe seiner Reisefähigkeit und der Notwendigkeit einer begleiteten Abschiebung nachgehen müssen.
(2) Dazu war das Beschwerdegericht indessen nicht verpflichtet. Es hatte der Frage der Reisefähigkeit nicht nachzugehen, sondern nur zu prüfen, ob die beteiligte Behörde das Vorbringen des Betroffenen zum Anlass nahm, dieser Frage nachzugehen und von der Abschiebung vorerst abzusehen oder eine begleitete Abschiebung vorzusehen oder ob der Betroffene selbst wegen der Zweifel an seiner Reisefähigkeit und der Notwendigkeit einer begleiteten Abschiebung die Verwaltungsgerichte anrufen würde. Entsprechendes gilt für die weitere Frage, ob die posttraumatische Belastungsstörung, die der Betroffene geltend gemacht hatte, eine begleitete Abschiebung erforderlich machte. In diesem eingeschränkten Prüfungsrahmen zu berücksichtigende Umstände lagen nicht vor. Der Betroffene hatte weder mitgeteilt, die Verwaltungsgerichte angerufen zu haben, noch, dies noch tun zu wollen. Die beteiligte Behörde hat in ihrer Stellungnahme mitgeteilt, der Betroffene werde erforderlichenfalls vor der Abschiebung noch einmal medizinisch untersucht. Es erscheine aber nicht plausibel, dass er reiseunfähig sei, zumal er kürzlich erst aus den Niederlanden rücküberstellt worden sei. Es sei Sache des Betroffenen, gegebenenfalls bei den Verwaltungsgerichtsgerichten Rechtsschutz zu beantragen. Daraus ergab sich, dass die beteiligte Behörde keine Veranlassung sah, ihre Planungen zu ändern. Damit bestand für das Beschwerdegericht kein Anlass zu einer erneuten persönlichen Anhörung.
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Stresemann |
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Schmidt-Räntsch |
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Brückner |
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Göbel |
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Haberkamp |
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