Entscheidungsdatum: 07.04.2011
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Leer vom 13. März 2010 und der Beschluss des Landgerichts Aurich vom 21. April 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben, soweit die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen angeordnet und die dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen worden ist.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in sämtlichen Instanzen trägt die Bundesrepublik Deutschland.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
I.
Der Betroffene, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste am 12. März 2010 aus den Niederlanden in einem Linienbus mit Fahrziel K. in das Bundesgebiet ein. Er legte bei der Kontrolle nur einen Ausweis für Asylbewerber in Schweden (Migrationsverket) sowie einen für die Fahrt nach K. ausgestellten Busfahrschein vor und wurde festgenommen. Die Beteiligte zu 2 verfügte die Zurückschiebung des Betroffenen nach Schweden.
Das Amtsgericht hat noch am Abend des 12. März 2010 die vorläufige Ingewahrsamnahme des Betroffenen zum Zweck der Vorführung bis zum Folgetag und am 13. März 2010 „einstweilen“ die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen für die Dauer von längstens drei Monaten sowie die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet; ferner hat es die Rechtmäßigkeit des bis zur Vorführung des Betroffenen vollzogenen Gewahrsams festgestellt. In den Verfahrensakten befindet sich kein Haftantrag der Beteiligten zu 2. Eine Ablichtung eines fünfseitigen Antrags auf Anordnung der Sicherungshaft vom 13. März 2010 enthalten die jedenfalls dem Beschwerdegericht vorgelegten Ermittlungsakten der Bundespolizei.
Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Mit der hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde möchte der Betroffene nach erfolgter Zurückschiebung die Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse sowie die Feststellung erreichen, dass diese ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II.
Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung lägen vor. Es bestehe der begründete Verdacht, dass sich der Betroffene der Zurückschiebung entziehen werde. Die Einlassung des Betroffenen, er sei auf dem Weg nach Schweden gewesen, sei angesichts des für das Fahrziel K. ausgestellten Fahrscheins nicht glaubhaft.
III.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, NVwZ 2010, 1508, 1509) und auch im Übrigen zulässig (§ 71 Abs. 1 und 2 FamFG). Trotz der vom Amtsgericht im Beschlusstenor gewählten Formulierung ("einstweilen") handelt es sich bei der von ihm angeordneten Zurückschiebungshaft nicht um eine mit der Rechtsbeschwerde nicht angreifbare (§ 70 Abs. 4 FamFG) vorläufige Freiheitsentziehung im Sinne von § 427 Abs. 1 FamFG. Aus den Entscheidungsgründen lässt sich entnehmen, dass das Amtsgericht eine endgültige Entscheidung über die Zurückschiebungshaft nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 5 AufenthG getroffen hat.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sowohl die Haftanordnung als auch die Beschwerdeentscheidung haben den Betroffenen in seinem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt (§ 62 Abs. 1 FamFG). Die Haft hätte schon deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil es an einem zulässigen Haftantrag (§ 417 FamFG) fehlte.
Das Vorliegen eines solchen Antrags ist Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, NVwZ 2010, 1508, 1509; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, FGPrax 2010, 316, 317; Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10, Rn. 6, juris).
a) Da der Antrag und dessen Begründung die Grundlage für die Anhörung des Betroffenen bilden, muss sowohl die Antragstellung als auch die Antragsbegründung aus den Verfahrensakten selbst ersichtlich sein; diese müssen daher entweder den vollständigen schriftlichen Haftantrag enthalten, oder die Antragsbegründung muss sich aus dem Protokoll über die Anhörung des Betroffenen ergeben (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10, Rn. 13, juris; Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10, Rn. 6, juris). Fehlt beides, ist eine Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Haftanordnung in den Rechtsmittelinstanzen nicht möglich (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO; Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10, aaO).
So verhält es sich hier. Aus dem Protokoll der persönlichen Anhörung vom 13. März 2010 ergibt sich zwar, dass dem Betroffenen ein Antrag der Beteiligten zu 2 vom 13. März 2010 bekannt gemacht worden ist. Ein solcher findet sich jedoch nicht in den Verfahrensakten, sondern - jeweils in Ablichtung - nur in der Verwaltungsakte und der polizeilichen Ermittlungsakte. Dass diese dem Haftrichter vorgelegen hätten, lässt sich der Verfahrensakte nicht entnehmen. Hinzu kommt, dass aus den Verfahrensakten die Begründung des Haftantrags nicht ersichtlich ist. Damit bleiben Zweifel an einer den Anforderungen nach § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG entsprechenden Antragstellung. Dies wirkt zu Lasten der Behörde (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO; Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10, aaO).
b) Durch die Beiziehung der polizeilichen Ermittlungsakten im Beschwerdeverfahren konnte der Verfahrensmangel nicht mit Wirkung für die Vergangenheit geheilt werden. Denn bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde handelt es sich um eine Verfahrensgarantie, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert (vgl. BVerfG, NVwZ-RR 2009, 304, 305; Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO).
c) Im Übrigen entspricht der in der - vom Landgericht beigezogenen - Ermittlungsakte befindliche Haftantrag vom 13. März 2010 nicht den inhaltlichen Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG. Danach müssen u.a. die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung dargelegt werden. Daher muss der Antrag Ausführungen dazu enthalten, ob das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorlag, wenn sich aus ihm selbst oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist. Fehlt diese Mitteilung, ist der Antrag unzulässig (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, Rn. 9, juris; Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, Rn. 7, juris). So liegt es hier.
aa) In dem Antrag ist ausgeführt, dass die Staatsanwaltschaften M. und O. den Betroffenen zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben haben und dass im Hinblick auf die Einreise vom 13. März 2010 ein neues Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Angaben, ob die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorlag, enthält der Antrag nicht.
bb) Ohne das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft scheiden nicht nur die Ausweisung und Abschiebung (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 93/10, NVwZ 2010, 1574 f.; Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440; Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, Rn. 9, juris) aus. Vielmehr erfordert der Zweck des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG die Anwendung der Vorschrift auch auf den Fall der Zurückschiebung (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, Rn. 13, 17, juris).
Die vom Landgericht gebilligte Feststellung des Amtsgerichts, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen bis zur Haftvorführung rechtmäßig war, wird vom Betroffenen nicht angegriffen. Daher war insoweit keine Entscheidung zu treffen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG), zur Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
Krüger Stresemann Czub
Brückner Weinland