Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 28.01.2016


BGH 28.01.2016 - V ZB 131/15

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Erforderlichkeit einer Rechtsmittelbelehrung bei Verwerfung der von einer anwaltlich nicht vertretenen Partei eingelegten Berufung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
28.01.2016
Aktenzeichen:
V ZB 131/15
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:280116BVZB131.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Koblenz, 12. August 2015, Az: 1 U 763/15vorgehend LG Mainz, 12. Juni 2015, Az: 4 O 146/14
Zitierte Gesetze
§§ 511ff ZPO

Leitsätze

Legt eine anwaltlich nicht vertretene Partei Berufung ein und verwirft das Berufungsgericht die Berufung deshalb als unzulässig, ist die Entscheidung mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen.

Tenor

Den Klägern wird gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist und der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 12. August 2015 wird auf Kosten der Kläger als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 15.000 €.

Gründe

I.

1

Das Landgericht hat die Klage der Kläger abgewiesen. Das Urteil ist ihrem Prozessbevollmächtigten am 16. Juni 2015 zugestellt worden. Mit persönlichem Schreiben vom 9. Juli 2015 haben die Kläger hiergegen Berufung eingelegt und unter Hinweis auf § 121 ZPO die gerichtliche Beiordnung eines Rechtsanwaltes „zur Durchsetzung ihrer Rechtsschutzbedürfnisse“ beantragt.

2

Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.

II.

3

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil sie nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt wurde. Einen Prozesskostenhilfeantrag hätten die Kläger nicht gestellt; die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 121 ZPO komme daher nicht in Betracht.

III.

4

1. Den Klägern ist antragsgemäß gemäß §§ 233, 234 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren.

5

a) Sie waren ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist des § 575 Abs. 1 und 2 ZPO für die Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gehindert.

6

Nach § 233 Satz 2 ZPO wird ein Fehlen des Verschuldens vermutet, wenn die nach § 232 ZPO vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. So verhält es sich im vorliegenden Fall; das Berufungsgericht hat die Berufungsverwerfung nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen. Eine Belehrung war hier jedoch erforderlich. Zwar gilt gemäß § 232 Satz 2 Halbs. 1 ZPO die Pflicht zur Belehrung grundsätzlich nicht in Verfahren, in denen eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt gemäß § 78 ZPO vorgeschrieben ist. Denn in Verfahren mit obligatorischer anwaltlicher Vertretung ist der Rechtsanwalt gleichermaßen wie das Gericht in der Lage, eine auf den konkreten Einzelfall zugeschnittene Beratung und Belehrung über die statthaften Rechtsbehelfe zu erteilen; das Schutzbedürfnis der Parteien entfällt dadurch (BT-Drucks. 17/10490, S. 12). Der Grundsatz, dass eine Belehrungspflicht nur in Verfahren gilt, in denen eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht gemäß § 78 ZPO vorgeschrieben ist, gilt aber nicht ausnahmslos. Nach § 232 Satz 2 Halbs. 2 ZPO besteht auch in Verfahren mit Anwaltszwang die Verpflichtung zur Belehrung über die Möglichkeiten zum Einspruch gegen ein Versäumnisurteil und zum Widerspruch gegen Beschlüsse im einstweiligen Rechtsschutz. Dahinter steht die Überlegung, dass solche Entscheidungen auch gegenüber der nicht anwaltlich vertretenen Partei ergehen können (BT-Drucks. 17/10490, S. 12).

7

Diese Ausnahmen machen deutlich, dass auch in Fällen mit obligatorischer Vertretung durch einen Rechtsanwalt eine Rechtsbehelfsbelehrung zu erteilen ist, wenn aufgrund der Verfahrenssituation eine Beratung und Belehrung durch einen Rechtsanwalt nicht sichergestellt ist (vgl. OLG Schleswig, NJW-RR 2014, 1338 Rn. 7). Eine solche Verfahrenssituation liegt hier vor. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger deshalb als unzulässig verworfen, weil sie entgegen § 78 ZPO nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten waren. Die Vorschrift des § 232 Satz 2 Halbs. 2 ZPO muss nach ihrem Sinn und Zweck auch in derartigen Fällen Anwendung finden, da es sich um eine Entscheidung handelt, die zwangsläufig gegenüber einer anwaltlich nicht vertretenen Partei ergeht und dieser damit gerade kein Rechtsanwalt zur Seite steht, der sie über die statthaften Rechtsbehelfe beraten kann.

8

b) Der Wiedereinsetzungsantrag nebst Rechtsbeschwerde und ihrer Begründung sind auch fristgerecht eingereicht worden (§ 234 Abs. 1 und 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

9

2. Die kraft Gesetzes statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) ist aber als unzulässig zu verwerfen. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO), da die Kläger in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) nicht verletzt sind.

10

a) Rechtsfehlerfrei und von der Rechtsbeschwerde nicht beanstandet nimmt das Berufungsgericht an, dass die Berufungseinlegung nicht dem gesetzlichen Formerfordernis genügt, da der Schriftsatz nicht von einem Rechtsanwalt, sondern von den Klägern gefertigt und unterzeichnet worden war (vgl. § 78 Abs. 1 ZPO).

11

b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war die Berufungseinlegung durch die Kläger nicht in einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe umzudeuten.

12

Die Rechtsbeschwerde weist zwar zu Recht darauf hin, dass sich die Kläger in ihren Schriftsätzen vom 9. und 16. Juli 2015 auf § 121 ZPO und damit auf eine Vorschrift des Prozesskostenhilfeverfahrens bezogen haben. Die beiden Schreiben dürfen aber nicht isoliert betrachtet werden. Die Kläger haben auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 121 ZPO die Beantragung und Bewilligung von Prozesskostenhilfe voraussetze, mit Schreiben vom 28. Juli 2015 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 121 ZPO „außerhalb der Prozesskostenhilfe“ gestellt worden sei. Angesichts dieser Klarstellung seitens der Kläger bestand für das Berufungsgericht kein Raum für eine Umdeutung der formunwirksamen Berufung in einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe. Im Übrigen haben die Kläger – ohne dass es hierauf für die Entscheidung ankommt – in der von ihnen persönlich formulierten Rechtsbeschwerde nochmals betont, dass sie bei dem Oberlandesgericht Prozesskostenhilfe nicht beantragt hätten.

13

3. Den Klägern ist für das Verfahren der Rechtsbeschwerde mangels Erfolgsaussicht keine Prozesskostenhilfe zu gewähren (§ 114 ZPO).

Stresemann                     Czub                             Weinland

                      Kazele                   Haberkamp