Entscheidungsdatum: 18.10.2012
Werden mehrere Grundstücke sowohl einzeln als auch gemeinsam ausgeboten und ist dem nach § 63 Abs. 3 Satz 2 ZVG günstigeren Gesamtmeistgebot wegen Nichterreichens der Wertgrenze des § 85a ZVG der Zuschlag zu versagen, ist auf die Einzelmeistgebote zurückzugreifen.
Auf die Rechtsmittel der Beteiligten zu 3 werden der Beschluss des Amtsgerichts Wolfach vom 6. Mai 2011, soweit eine Entscheidung über das von der Beteiligten zu 3 abgegebene Meistgebot auf das Einzelausgebot unterblieben ist, und der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Offenburg vom 27. Dezember 2011 aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Wolfach zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 184.950 € für die Vertretung der Beteiligten zu 3.
I.
Auf Antrag der Beteiligten zu 1 ordnete das Amtsgericht die Zwangsversteigerung der im Eingang dieses Beschlusses bezeichneten, dem Schuldner gehörenden beiden Grundstücke an. Die Beteiligten zu 2 und 3, weitere Gläubigerinnen des Schuldners, traten dem Verfahren bei. Im Versteigerungstermin wurden die Grundstücke antragsgemäß neben dem Einzelausgebot im Gesamtausgebot ausgeboten. Auf das Einzelausgebot für das eine der Grundstücke gab die Beteiligte zu 3, auf das Gesamtausgebot der Beteiligte zu 4 das Meistgebot ab.
Das Amtsgericht, dessen Gebotsvergleich zugunsten des Gesamtausgebotes ausfiel, hat dem hierauf abgegebenen Gebot des Beteiligten zu 4 den Zuschlag versagt, weil dieses die 5/10 Grenze des § 85a Abs. 1 ZVG nicht erreicht habe. Ob der Zuschlag auf das Einzelmeistgebot der Beteiligten zu 3 zu erteilen ist, hat es nicht geprüft, weil es meint, auf dieses Gebot nicht zurückgreifen zu dürfen.
Die gegen die unterlassene Entscheidung über ihr Gebot gerichtete sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 3 ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will sie die Erteilung des Zuschlags auf ihr Meistgebot auf das Einzelausgebot erreichen.
II.
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts kann auf das Meistgebot der Beteiligten zu 3 auf die Einzelausgebote nicht zurückgegriffen werden. Durch den in § 63 Abs. 3 Satz 2 ZVG angeordneten Gebotsvergleich sei vorgegeben, nach welcher Verwertungsart - "Zuschlag auf Einzelausgebote" oder "Zuschlag auf Gesamtausgebot" - sich die Verwertung im konkreten Versteigerungstermin richte. Ein Rückgriff auf die durch § 63 Abs. 3 Satz 2 ZVG ausgeschlossene Verwertungsart sei in diesem Termin auch dann nicht möglich, wenn das Meistgebot in der maßgeblichen Verwertungsart - wie hier - unterhalb der Wertgrenze des § 85a ZVG liege. Dies folge aus dem Wortlaut des § 85a ZVG, der systematischen Stellung des § 63 ZVG sowie aus teleologischen Überlegungen.
III.
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Vollstreckungsgericht hätte, nachdem es auf das Gesamtmeistgebot des Beteiligten zu 4 den Zuschlag gemäß § 85a ZVG versagt hat, sich mit dem Einzelmeistgebot der Beteiligten zu 3 befassen und prüfen müssen, ob dieser der Zuschlag zu erteilen ist.
1. Nach überwiegender Meinung, die sich auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. vom 19. Mai 1995 stützt (Rpfleger 1995, 512, 513), kann bei der Versteigerung mehrerer Grundstücke, wenn der Gebotsvergleich nach § 63 Abs. 3 Satz 2 ZVG zugunsten des Gesamtausgebots ausfällt, aber im Hinblick auf § 85a oder § 74a ZVG eine Zuschlagserteilung ausscheidet, im Versteigerungstermin auf die Ergebnisse der Meistgebote auf die Einzelausgebote zurückgegriffen werden. Der Grundsatz des Einzelausgebots (§ 63 Abs. 1 ZVG) werde durch ein in der Gesamtheit günstigeres, für den Zuschlag aber unzulängliches Ergebnis beim Gesamtausgebot nicht verdrängt (vgl. nur Stöber, ZVG, 20. Aufl., § 74a Rn. 3.4 und § 85a Rn. 2.7; Böttcher, ZVG, 5. Aufl., § 85a Rn. 7; Siwonia in Löhnig, ZVG, § 63 Rn. 17; Stumpe in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, § 63 ZVG Rn. 20; Hintzen in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 63 Rn. 44). Nach einer Gegenauffassung ist im Hinblick auf das Interesse aller Beteiligten an einer möglichst günstigen Verwertung der Grundstücke ein Rückgriff auf die - gegenüber dem Gesamtausgebot ungünstigeren - Einzelausgebote unzulässig (OLG Hamm, Rpfleger 1959, 57, 58).
2. Die herrschende Meinung trifft zu. Aus dem gesetzlichen Vorrang der Einzelausgebote folgt, dass sie nicht in Wegfall geraten, wenn das Meistgebot auf das Gesamtausgebot nach § 85a Abs. 1 ZVG nicht zuschlagsfähig ist.
a) Das Zwangsversteigerungsgesetz geht auch bei mehreren in demselben Verfahren zu versteigernden Grundstücken (§ 18 ZVG) von dem Grundsatz der Einzelversteigerung aus (§ 63 Abs. 1 ZVG); nur ausnahmsweise können neben dem Einzelausgebot alle Grundstücke zusammen ausgeboten werden (§ 63 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZVG). Nach § 63 Abs. 3 Satz 2 ZVG wird der Zuschlag auf Grund des Gesamtausgebots nur erteilt, wenn das hierauf abgegebene Meistgebot höher ist als das Ergebnis der Einzelausgebote. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bei der Zuschlagsentscheidung die Meistgebote auf die Einzelausgebote grundsätzlich den Vorrang haben (Siwonia in Löhnig, ZVG, § 63 Rn. 17). Werden neben dem Einzelausgebot alle Grundstücke zusammen ausgeboten, verdrängt das Gesamtausgebot das Einzelausgebot daher nicht, sondern tritt diesem nur als zusätzliche Versteigerungsmodalität zur Seite (Senat, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - V ZB 41/08, NJW-RR 2009, 158). Dies macht auch die Regelung des § 63 Abs. 3 Satz 1 ZVG deutlich, wonach eine Erhöhung des geringsten Gebots bei dem Gesamtausgebot um den Mehrbetrag erfolgt, wenn bei einem Einzelausgebot auf eines der Grundstücke ein Gebot abgegeben wird, das mehr beträgt als das geringste Gebot für dieses Grundstück; dem Gläubiger sollen also die Vorteile aus den abgegebenen Einzelausgeboten erhalten bleiben (OLG Frankfurt, Rpfleger 1995, 512, 513). Wegen des gesetzlichen Vorrangs des Einzelausgebots sind für die Entscheidung über den Zuschlag daher nicht nur dann die Einzelgebote maßgeblich, wenn der Gebotsvergleich nach § 63 Abs. 3 Satz 2 ZVG zu ihren Gunsten ausfällt, sondern auch dann, wenn ein Zuschlag auf das in der Gesamtheit günstigere Gesamtgebot wegen Nichterreichens der Wertgrenze des § 85a ZVG zu versagen ist.
b) Dem steht nicht - wie das Beschwerdegericht meint - der Wortlaut des § 85a Abs. 1 ZVG entgegen. Diese Regelung, die die Gewährleistung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes des Schuldners vor einer Verschleuderung seines Grundbesitzes in der Zwangsversteigerung bezweckt (Senat, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - V ZB 75/07, NJW-RR 2008, 688, 689; Beschluss vom 10. Mai 2007 - V ZB 83/06, BGHZ 172, 218, 224), besagt nichts über das Verhältnis von Einzelausgebot und Gesamtausgebot.
c) Auch der im Zwangsversteigerungsverfahren geltende Grundsatz, dass bei dem Zuschlag das Gebot zum Zuge kommen soll, welches das für alle Beteiligten günstigste Ergebnis der Versteigerung herbeiführt (vgl. Senat, Beschluss vom 28. September 2006 - V ZB 55/06, NJW-RR 2007, 1139, 1140), führt zu keinem anderen Ergebnis (so aber OLG Hamm, Rpfleger 1959, 57, 58). Dieser Gesichtspunkt trägt in den Fällen gerade nicht, in denen auf das Gesamtausgebot im Hinblick auf § 85a ZVG der Zuschlag nicht erteilt werden kann. Lehnte man einen Rückgriff auf die Einzelausgebote ab, hätte dies zur Folge, dass ein unter der Wertgrenze des § 85a Abs. 1 ZVG liegendes Meistgebot auf das Gesamtausgebot ein Einzelausgebot, das über der Wertgrenze des § 85a Abs. 1 ZVG liegt, zu Fall bringen könnte. Da in einem neuen Versteigerungstermin der Zuschlag auf das Gesamtausgebot nicht nach § 85a Abs. 1 ZVG verweigert werden darf (§ 85a Abs. 2 Satz 2 ZVG), bestünde die Gefahr, dass entgegen dem Anliegen des Gesetzes gerade nicht der bestmögliche Verwertungserlös erzielt wird.
IV.
Die angefochtene Entscheidung ist danach aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO), da die erforderlichen Feststellungen dazu fehlen, ob der Zuschlag auf das Gebot der Beteiligten zu 3 erteilt werden könnte (vgl. § 85a Abs. 3 ZVG). Dabei hat der Senat entsprechend § 572 Abs. 3 ZPO von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, auch den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben, soweit eine Entscheidung über das von der Beteiligten zu 3 abgegebene Meistgebot auf das Einzelausgebot unterblieben ist, und die Sache unmittelbar an das Vollstreckungsgericht zurückzuverweisen (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2011 – V ZB 18/11, NJW-RR 2012, 87, 88; BGH, Beschluss vom 22. Juli 2004 – IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176, 185 f.). Dieses hat die Entscheidung über den Zuschlag auf das von der Beteiligten zu 3 abgegebene Gebot nachzuholen.
V.
Der Gegenstandswert für die außergerichtliche Vertretung der Beteiligten zu 3 bemisst sich nach dem Wert des Grundstücks, auf das sich ihr Gebot bezieht (§ 26 Nr. 1 Halbsatz 4 RVG).
Stresemann Schmidt-Räntsch Roth
Brückner Weinland