Entscheidungsdatum: 12.09.2013
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom 19. Juni 2012 und der weitere Vollzug der Haft in dem Zeitraum vom 19. Juni bis zum 27. Juni 2012 ihn in seinen Rechten verletzt haben.
Die Kostenentscheidung im Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom 19. Juni 2012 wird aufgehoben. Der Betroffene trägt 2/3 der in den Rechtsmittelinstanzen entstandenen Gerichtskosten. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in den Rechtsmittelverfahren notwendigen Auslagen des Betroffenen werden zu 1/3 der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
I.
Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, wurde am 2. Juni 2012 von Beamten der beteiligten Behörde festgenommen, da er zwar einen gültigen afghanischen Reisepass, jedoch keinen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland bei sich führte. Eine EURODAC-Anfrage ergab, dass der Betroffene in den Niederlanden Asyl beantragt hatte, sein Antrag jedoch am 19. Februar 2012 abgelehnt worden war. Die beteiligte Behörde erließ gegen den Betroffenen eine Zurückschiebungsverfügung.
Auf den Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 3. Juni 2012 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen angeordnet. Der Betroffene hat durch einen Rechtsanwalt Beschwerde gegen die Haftanordnung eingelegt und beantragt, ihm Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts zu bewilligen. Das Landgericht hat dem Betroffenen Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerdeinstanz bewilligt, den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts jedoch abgelehnt. Nach Anhörung des Betroffenen ohne Beisein eines Rechtsanwalts hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 19. Juni 2012 die Beschwerde zurückgewiesen. Der Betroffene, der am 27. Juni 2012 in die Niederlande zurückgeschoben worden ist, beantragt mit der Rechtsbeschwerde festzustellen, dass er durch die Haftanordnung des Amtsgerichts und die Entscheidung des Beschwerdegerichts in seinen Rechten verletzt worden ist.
II.
Das Beschwerdegericht prüft die förmlichen Voraussetzungen des Haftantrags nach § 417 Abs. 2 FamFG, bejaht diese und stellt weiter fest, dass das für die Abschiebung erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft im Zeitpunkt der Haftanordnung vorgelegen habe. Es meint, die Haftanordnung sei auch materiell rechtmäßig, weil der Betroffene unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist und nach dessen Anhörung davon auszugehen sei, dass dieser - entgegen seinen Angaben - nicht freiwillig in die Niederlande zurückkehren, sondern in der Bundesrepublik untertauchen werde.
III.
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG nach Erledigung der Hauptsache durch die Zurückschiebung des Betroffenen mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151 Rn. 9 f.) und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist in der Sache teilweise begründet.
1. Der Feststellungsantrag bleibt ohne Erfolg, soweit er sich gegen die Haftanordnung des Amtsgerichts wendet. Diese ist rechtmäßig ergangen und hat den Betroffenen nicht in seinen Rechten verletzt. Von einer Begründung wird insoweit nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
2. Erfolg hat der Feststellungsantrag jedoch in Bezug auf die Entscheidung des Beschwerdegerichts.
a) Das Beschwerdegericht hat den Betroffenen zwar nach § 68 Abs. 3 Satz 1, § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG persönlich angehört, ihm aber die effektive Verwirklichung seiner Rechte in dem Verfahren dadurch vorenthalten, dass es ihm einen Rechtsanwalt nicht beigeordnet hat und der Betroffene deshalb bei seiner Anhörung nicht anwaltlich vertreten war. Der Senat hat - allerdings erst nach dem Erlass des angefochtenen Beschlusses - entschieden, dass einem unbemittelten Betroffenen, dem nach § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen ist, in der Regel auch ein Rechtsanwalt nach § 78 Abs. 2 FamFG beizuordnen ist (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2013 - V ZB 138/12, FGPrax 2013, 132, 133 Rn. 14 f).
aa) Nach § 78 Abs. 2 FamFG ist ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Dabei kommt es nicht nur auf die objektiven Umstände, sondern auch auf die subjektiven Fähigkeiten des Betroffenen an (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2010 - XII ZB 232/09, BGHZ 186, 70, 78, Rn. 21). Dem unbemittelten Betroffenen ist dann ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn ein bemittelter Betroffener in seiner Lage vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2013 - V ZB 138/12, aaO, mwN). Die Auslegung der Vorschrift in § 78 Abs. 2 FamFG hat sich daran zu orientieren, dass die Rechtsschutzgarantie in Art. 19 Abs. 4 GG unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und des Sozialstaatsprinzips verlangt, dass die Situation von Bemittelten und von Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend angeglichen werden muss (BVerfG, NJW 1997, 2103, 2104; NJW-RR 2007, 1713, 1714).
bb) Gemessen daran hätte das Beschwerdegericht dem Betroffenen einen Rechtsanwalt zu seiner Vertretung im Beschwerdeverfahren beiordnen müssen. Das gilt auch bei einem einfachen Ausgangssachverhalt, wenn der Betroffene - wie hier - Verfahrensfehler und einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geltend machen will. Dazu ist er nur mit Unterstützung eines Rechtsanwalts in der Lage, den auch eine bemittelte Partei mit ihrer Vertretung beauftragt hätte (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2013 - V ZB 138/12, aaO Rn. 15).
Verfehlt sind dagegen die auf die Vorschrift über die Bestellung eines Verfahrenspflegers (§ 419 Abs. 1 FamFG) gestützten Erwägungen des Beschwerdegerichts im Beschluss über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, mit denen es die Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt hat. Die Vorschrift regelt einen anderen Gegenstand. In § 419 FamFG ist bestimmt, dass das Gericht dem Betroffenen (unabhängig von seiner finanziellen Lage) einen Verfahrenspfleger beiordnen muss, wenn das zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist vor diesem Hintergrund insbesondere dann notwendig, wenn der Betroffene sich in einem seine freie Willensbildung ausschließenden Zustand oder einer vergleichbaren hilflosen Lage befindet (vgl. BT-Drucks. 16/6308, S. 292). Dafür ist hier indessen weder etwas vorgetragen noch ersichtlich.
b) Ist die Beschwerde eines mittellosen Ausländers gegen eine Haftanordnung ohne die gebotene Beiordnung eines Rechtsanwalts zurückgewiesen worden, stellt sich der weitere Vollzug der Abschiebungshaft als eine Verletzung des Freiheitgrundrechts dar (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Februar 2013 - V ZB 138/12, FGPrax 1013, 132, 133 Rn. 12 ff.). Für die im Rechtsbeschwerdeverfahren zu treffende Feststellung analog § 62 FamFG ist es unerheblich, ob die Beschwerde nach Beiordnung eines Rechtsanwalts auf der Grundlage des Vorbringens des Betroffenen im Beschwerdeverfahren zurückzuweisen gewesen wäre. Die unter Verletzung des Anspruchs des nicht bemittelten Betroffenen auf Rechtsschutzgleichheit durch Beiordnung eines Rechtsanwalts (vgl. BVerfG, NJW-RR 2007, 1713, 1714) durchgeführte Anhörung im Beschwerdeverfahren drückt der Fortsetzung der Haft den Makel der Grundrechtsverletzung auf, weil nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin beschriebenen Formen beschränkt werden darf (BVerfGE 10, 302, 303; 58, 208, 220; NVwZ 2011, 1254, 1255 - std. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts).
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2, § 84, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Dem Betroffenen werden danach die in den Rechtsmittelverfahren entstandenen Gerichtskosten insoweit anteilig auferlegt, wie sein Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist. Über die weiteren Gerichtskosten bedarf es auf Grund des Umstands keiner Entscheidung, dass von der beteiligten Behörde Gebühren nicht erhoben werden (§ 128c Abs. 3 Satz 2 KostO). Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 EMRK entspricht es zudem billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland, der die beteiligte Behörde angehört, zur Erstattung eines Teils der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten. Die Quote entspricht dem Verhältnis des gesamten Haftzeitraums zu dem Zeitraum, für den die Rechtsbeschwerde Erfolg hat. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 128c Abs. 2, § 30 Abs. 2 KostO.
Stresemann Czub Brückner
Weinland Kazele