Entscheidungsdatum: 14.10.2010
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. März 2010 aufgehoben.
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 6.500 €.
I.
Das Landgericht hat mit dem Kläger am 29. September 2009 zugestelltem Urteil die Klage abgewiesen. Dagegen hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Mit einem Schriftsatz vom 30. November 2009, dem letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist, hat er deren Verlängerung um einen Monat beantragt. Das vorgesehene Vorabtelefax dieses Schriftsatzes ist bei dem Oberlandesgericht nicht, das Original erst am 3. Dezember 2009 dort eingegangen. Von dem Oberlandesgericht darauf hingewiesen, hat der Kläger die Berufung am 21. Dezember 2009 begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags die Berufung des Klägers wegen Versäumung der Begründungsfrist als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, § 575 ZPO) und begründet. Der angegriffene Beschluss steht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und verletzt den Kläger in seinem durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verbürgten Recht auf eine faire Verfahrensgestaltung. Dem Kläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.
1. Das Berufungsgericht meint, dem Antrag des Klägers auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei zwar bei rechtzeitigem Eingang zu entsprechen gewesen. Das scheitere aber daran, dass die Begründungsfrist bei Eingang des Antrags versäumt gewesen und dem Kläger eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zu versagen sei. Diese sei nicht unverschuldet. Dem Sendebericht des Telefaxgeräts der Prozessbevollmächtigten des Klägers sei zwar kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen gewesen, dass die Übermittlung des Vorabtelefax des Verlängerungsantrags fehlgeschlagen sei. Die Versäumung der Frist habe der Kläger aber deshalb zu vertreten, weil die Handhabung der Fristenkontrolle im Büro seiner Prozessbevollmächtigten nicht den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspreche. Danach dürfe die Verlängerung der Begründungsfrist auch dann nicht endgültig, sondern nur vorläufig notiert werden, wenn der Rechtsanwalt damit rechnen dürfe, dass dem Antrag entsprochen werde. Hier sei die neue Frist aber gleich nach Absendung des Telefax nicht nur vorläufig, sondern endgültig notiert worden.
2. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
a) Der Kläger hat allerdings die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Sie lief bis zum Ablauf des 30. November 2009. Der Antrag des Klägers auf Verlängerung der Begründungsfrist ist bei dem Berufungsgericht nicht mehr - als Telefax - an diesem Tag, sondern erst im Original am 3. Dezember 2009 eingegangen und war verspätet. Daran ändert der Hinweis der Rechtsbeschwerde auf das Journal des Telefaxgeräts des Berufungsgerichts nichts. Dieses weist zwar unter Nr. 917 einen Übermittlungsversuch aus, der nach dem vermerkten Zeitpunkt (30. November 2009, 9.01 Uhr) auch der des Klägers gewesen sein kann. Die fehlende Angabe der Absendernummer und die angegebene Sendezeit von 0 Sekunden geben aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Antrag (elektronisch) vollständig eingegangen und nur nicht (ordnungsgemäß) ausgedruckt war (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2001 - XII ZR 51/99, NJW 2001, 1581, 1582). Diese Angaben belegen vielmehr, dass der Versuch nicht gelungen und das Telefax tatsächlich nicht bei dem Berufungsgericht eingegangen ist.
b) Dem Kläger ist aber auf seinen frist- und formgerechten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, weil er deren Versäumung nicht zu vertreten hat.
aa) Der Kläger durfte die Begründungsfrist bis zum letzten Tag ausschöpfen (Senat, Beschluss vom 18. September 2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rn. 7). Er hat mit der Stellung des Verlängerungsantrags an diesem Tag auch das seinerzeit Erforderliche unternommen, um die Frist einzuhalten. Er durfte nämlich damit rechnen, dass diesem Antrag zumindest dem Grunde nach entsprochen werden würde, weil es sein erster Verlängerungsantrag war und der Hinweis auf die Arbeitsbelastung seiner Prozessbevollmächtigten ausreichend war (Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 42/10, juris Rn. 10 f.).
bb) Der Kläger hat auch nicht zu vertreten, dass der Verlängerungsantrag nicht mehr rechtzeitig bei dem Berufungsgericht eingegangen ist. Die mit der Absendung befasste Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat nach ihrer eidesstattlichen Versicherung den Verlängerungsantrag am 30. November 2009 um 9.07 Uhr an das Berufungsgericht per Telefax übermittelt. Das wird durch den vorgelegten Sendebericht des dazu benutzten Telefaxgeräts bestätigt, der den Antrag zudem vollständig abbildet. Dieser kennzeichnet die Übermittlung mit dem Vermerk "OK" als erfolgreich. Es gab deshalb, was das Berufungsgericht nicht anders sieht, weder Anhaltspunkte dafür, dass die Übermittlung dennoch fehlgeschlagen sein könnte, noch Anlass, bei dem Berufungsgericht nachzufragen, ob das Telefax auch eingegangen war. Vielmehr durfte der Kläger davon ausgehen, dass alles Erforderliche veranlasst war (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 - VI ZA 3/09, NJW 2010, 3101 Rn. 8).
cc) Ein Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung, das sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste, ergibt sich auch nicht daraus, dass deren Mitarbeiterin nach erfolgter Absendung des Telefax die Begründungsfrist gestrichen hat. Das entspricht zwar nicht den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die Führung des Fristenkalenders. Danach nämlich darf eine Rechtsmittelbegründungsfrist nach Stellung eines Verlängerungsantrags im Fristenkalender auch dann nicht sofort endgültig gestrichen werden, wenn der Rechtsanwalt darauf vertrauen kann, dass diesem entsprochen wird. Das darf vielmehr erst geschehen, wenn die Frist auch tatsächlich verlängert wird (Beschluss vom 24. November 2009 - VI ZB 69/08, MDR 2010, 401). Diesen Fehler hat der Kläger hier aber deshalb nicht zu vertreten, weil er für die Versäumung der Frist nicht ursächlich war (vgl. Senat, Beschlüsse vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217, 1218; vom 19. Februar 2009 - V ZB 168/08, juris Rn. 15). Diese beruht nicht auf der Streichung der Begründungsfrist im Kalender, sondern darauf, dass die zu diesem Zeitpunkt bereits rechtzeitig erfolgte Übermittlung des Verlängerungsantrags an das Berufungsgericht mittels Telefax fehlgeschlagen und dies nicht zu erkennen war. Aus diesem Grund ist auch die einzige Maßnahme unterblieben, durch die die Frist noch hätte gewahrt werden können, nämlich den Antrag dem Berufungsgericht noch einmal (mit Telefax) zuzuleiten. An diesem Befund änderte sich nichts, wenn die Mitarbeiterin die am 30. November 2009 ablaufende Begründungsfrist nach der vermeintlich ordnungsgemäßen Absendung des Telefax nicht oder nur vorläufig gestrichen hätte. Zu einer erneuten Vorlage der Akten am 30. November 2009 hätte auch dann kein Anlass bestanden. Die Akten waren vorgelegt und die Fristverlängerung beantragt worden. Da sie am letzten Tag der Frist erfolgte und mit deren Bewilligung zu rechnen war, bedurfte es keiner weiteren Nachfrage bei Gericht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 - IV ZR 132/06, MDR 2008, 41). Das tatsächliche Scheitern dieser Bemühungen und damit der einzig denkbare Anlass für eine erneute Vorlage der Akten waren gerade nicht zu erkennen.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Stresemann Czub