Entscheidungsdatum: 18.08.2015
1. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Steuerschuldners ist die Feststellung der vor Insolvenzeröffnung mit Einspruch und Klage angefochtenen und im Prüfungstermin vom Insolvenzverwalter bestrittenen Steuerforderung durch das FA nicht mit Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO, sondern nur durch Aufnahme des unterbrochenen Klageverfahrens zu betreiben. Das ursprüngliche Anfechtungsverfahren wandelt sich dabei in ein Insolvenzfeststellungsverfahren um, wodurch sich die Parteirollen der Beteiligten ändern .
2. Erlässt das FA gleichwohl einen Feststellungsbescheid, entfällt spätestens mit dessen Bestandskraft das für die Zulässigkeit des Insolvenzfeststellungsverfahrens erforderliche Feststellungsinteresse .
3. Das Rechtsschutzinteresse kann auch noch nachträglich im Revisionsverfahren entfallen mit der Folge, dass das Urteil der Vorinstanz unrichtig und die Klage unzulässig wird .
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 29. Oktober 2013 8 K 3605/06 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat das Finanzamt zu tragen.
I. Steuerberater B, der spätere Insolvenzschuldner, gab für die Streitjahre 2000 und 2001 zunächst keine Umsatzsteuererklärungen ab. Der Kläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte nach einer Umsatzsteuersonderprüfung die Umsatzsteuer 2000 und 2001 auf der Grundlage von Kontrollmitteilungen und Hinzuschätzungen mit Bescheiden vom 6. September 2002 fest. Im Einspruchsverfahren reichte B Steuererklärungen ein. Das FA änderte die Umsatzsteuerfestsetzungen 2000 und 2001 mit Bescheiden vom 22. Mai 2003. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klagen 8 K 5787/03 und 8 K 227/04 nahm B zurück.
Unter dem 12. Mai 2004 erließ das FA den Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr 2002. B legte hiergegen Einspruch ein und das FA führte im Jahr 2006 eine Betriebsprüfung für 2000 bis 2002 durch, in deren Folge es am 6. April 2006 geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2000 bis 2002 erließ. Den hiergegen eingelegten Einspruch beschied das FA mit Einspruchsentscheidung vom 18. August 2006.
Am 6. September 2006 erhob B Klage gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide vom 6. April 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. August 2006. Während des Klageverfahrens wurde eine Steuerfahndungsprüfung bei B durchgeführt. Durch Beschluss des Amtsgerichts ... (AG) vom 23. Juni 2008 wurde der spätere Beklagte und Revisionskläger (Beklagte) zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Am 20. Oktober 2008 erließ das FA auf der Grundlage der Ergebnisse der Fahndungsprüfung geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 2000 bis 2002. Durch Beschluss des AG vom 6. November 2008 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des B eröffnet und der spätere Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser erhob Widerspruch gegen die vom FA zur Tabelle angemeldeten Umsatzsteuerforderungen.
Das FA erließ am 7. Juni 2010 einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO). Die Klage des Insolvenzschuldners B wies das Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 29. Juli 2014 ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision wies der VII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) durch Beschluss vom 23. Juli 2015 VII B 132/14 zurück.
Am 4. Oktober 2012 nahm das FA das Verfahren 8 K 3605/06 wegen Umsatzsteuer 2000 bis 2002 auf. Das bisherige Anfechtungsverfahren wandelte sich dadurch in ein Insolvenzfeststellungsverfahren mit dem FA als Kläger und dem Insolvenzverwalter als Beklagten um.
Das FG gab der Klage des FA statt und stellte fest, dass die Anmeldung der Umsatzsteuer 2000 bis 2002 zur Insolvenztabelle in der angemeldeten Höhe zu Recht erfolgt sei, weil die Umsatzsteuerbescheide rechtmäßig gewesen seien. Die ursprünglichen Bescheide hätten auf dem nachvollziehbaren Prüfungsbericht vom 3. März 2006 beruht. Soweit die Umsatzsteuerbescheide im Klageverfahren --noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens-- erneut geändert worden seien, beruhe dies auf dem Teilbericht der Steuerfahndung vom 25. September 2008, der vollumfänglich zutreffend sei.
Hiergegen richtet sich der Beklagte mit der Revision, mit der er Verletzung materiellen Rechts und Verfahrensfehler geltend macht. Werde nach Rechtshängigkeit eines gegen einen Steuerbescheid gerichteten Anfechtungsprozesses das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet und erlasse das FA noch bevor es sich dem Gericht gegenüber zu der Frage geäußert habe, ob es den anhängigen Prozess als Insolvenzfeststellungsverfahren fortführen wolle, einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO, so trete dieser an die Stelle des angefochtenen Steuerbescheides und ersetze diesen. Der vorliegenden Klage des FA fehle seit Bekanntgabe des Feststellungsbescheides nach § 251 Abs. 3 AO das Feststellungsinteresse. Im Übrigen bestünden die vom FA geltend gemachten Umsatzsteuerforderungen nicht.
Die geltend gemachten Verfahrensmängel werden in der Revisionsbegründung nicht erläutert.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage des FA abzuweisen.
Das FA beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise die Revision als unbegründet zurückzuweisen,
äußerst hilfsweise, das Verfahren bis zur Entscheidung des BFH in dem Verfahren VII B 132/14 gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen.
Die Revision sei unzulässig, weil die Prozessbevollmächtigten tatsächlich nicht im Namen und im Auftrag des Beklagten, sondern des Insolvenzschuldners tätig würden. Die vom Beklagten erteilte Vollmacht zur Einlegung der Revision sei rechtsmissbräuchlich, weil damit die sich aus § 80 der Insolvenzordnung (InsO) ergebenden Kompetenzverteilungen umgangen würden.
Jedenfalls aber sei die Revision unbegründet. Denn liege --wie hier-- im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits ein vom Schuldner mit der Klage angefochtener Steuerbescheid über die im Prüfungstermin vom FA angemeldeten und vom Insolvenzverwalter bestrittenen Steuerforderungen vor, so sei nach der Rechtsprechung des BFH gemäß § 180 Abs. 2 i.V.m. § 185 InsO die Feststellung durch Aufnahme des durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Klageverfahrens zu betreiben.
Dass das FA vor Aufnahme des Verfahrens einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO erlassen habe, führe zu keinem anderen Ergebnis.
II. Die Revision ist zulässig und begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Das FG hat zwar zutreffend erkannt, dass sich das ursprüngliche Anfechtungsverfahren durch die Aufnahme des FA in eine Insolvenzfeststellungsklage des FA gewandelt hat. Diese Feststellungsklage ist aber unzulässig, weil es spätestens seit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des Feststellungsbescheides vom 7. Juni 2010 mit Bekanntgabe des BFH-Beschlusses vom 23. Juli 2015 VII B 132/14 an dem Feststellungsinteresse des FA fehlt. Fällt das Feststellungsinteresse während des Revisionsverfahrens weg, entfällt diese Sachentscheidungsvoraussetzung auch für die Klage.
1. Die Revision ist zulässig. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Prozessbevollmächtigten nicht im Auftrag und Namen des Beklagten tätig werden. Die Spekulationen des FA über die Interessenlage der Beteiligten sind nicht geeignet, eine wirksame Bevollmächtigung in Frage zu stellen. Der Beklagte macht auch geltend, durch das Urteil der Vorinstanz in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 121 i.V.m. § 40 Abs. 2 FGO), weil durch die Feststellung des FG, dass die Umsatzsteuerforderungen des FA zu Recht zur Tabelle angemeldet worden seien, sein Widerspruch gegen eben diese Anmeldung beseitigt worden ist. Da es zu den Aufgaben des Insolvenzverwalters gehört, unberechtigte Steuerforderungen von der Masse abzuhalten, genügt das für die erforderliche Beschwer. Der Beklagte macht auch geltend, dass die Beschwer auf der Verletzung von Bundesrecht, nämlich § 251 Abs. 3 AO, durch das FG-Urteil beruht (§§ 118, 121 FGO). Ob der Insolvenzschuldner denen des Insolvenzverwalters gleichgerichtete Interessen hat oder verfolgt, ist für die Zulässigkeit der Revision unerheblich.
2. Die Revision ist auch begründet. Die Feststellungsklage ist unzulässig, weil es im Zeitpunkt der Entscheidung an dem erforderlichen Feststellungsinteresse des FA fehlt.
a) Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Steuerschuldners ist die Feststellung der vor Insolvenzeröffnung mit einem Einspruch angefochtenen und im Prüfungstermin vom Insolvenzverwalter bestrittenen Steuerforderung nur durch Aufnahme des unterbrochenen Klageverfahrens zu betreiben (BFH-Urteile vom 23. Februar 2005 VII R 63/03, BFHE 209, 23, BStBl II 2005, 591; vom 23. Februar 2010 VII R 48/07, BFHE 228, 134, BStBl II 2010, 562, Rz 15, mit Nachweisen aus dem Schrifttum). Das ursprüngliche Anfechtungsverfahren hat sich durch die Aufnahme des Verfahrens durch das FA in ein Insolvenzfeststellungsverfahren gewandelt, wodurch sich die Parteirollen der Beteiligten geändert haben. Das FA tritt nunmehr als Klagepartei hinsichtlich des von ihm erhobenen Feststellungsantrags auf. Streitgegenstand ist dabei die Beseitigung des Widerspruchs durch Feststellung der im Prüfungstermin geltend gemachten Forderung zur Tabelle (vgl. BFH-Urteil vom 13. November 2007 VII R 61/06, BFHE 220, 289, BStBl II 2008, 790).
b) Diese Feststellungsklage ist unzulässig, weil das gemäß § 41 Abs. 1 FGO erforderliche Feststellungsinteresse des FA spätestens mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des am 7. Juni 2010 erlassenen Feststellungsbescheides durch den BFH-Beschluss vom 23. Juli 2015 VII B 132/14 entfallen ist; die Vorentscheidung ist dadurch unrichtig geworden.
aa) Die Feststellungsklage ist gemäß § 41 Abs. 1 FGO nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an baldiger Feststellung gegenüber dem Beklagten hat (vgl. BFH-Urteile vom 30. März 2011 XI R 5/09, BFH/NV 2011, 1724, Rz 16; vom 23. November 1993 VII R 56/93, BFHE 173, 201, BStBl II 1994, 356, unter II.1.c). Dieses Feststellungsinteresse ist eine besondere Erscheinungsform des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2012 VII R 69/11, BFH/NV 2013, 739, Rz 18).
Ein gemäß § 251 Abs. 3 AO wirksam erlassener Bescheid enthält die Feststellung, dass der bestrittene Anspruch in der geltend gemachten Höhe besteht und i.S. von § 38 InsO begründet ist (BFH-Urteil vom 24. August 2004 VIII R 14/02, BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 251 AO Rz 68). Festgestellte Steueransprüche werden von der rechtskraftähnlichen Wirkung des Tabelleneintrages i.S. von § 178 Abs. 3 InsO erfasst, so dass sie ohne Steuerbescheid durchgesetzt werden können. Wird der Feststellungsbescheid --wie hier-- unanfechtbar, wirkt er in entsprechender Anwendung der Regelung in § 183 Abs. 1 InsO wie eine rechtskräftige Entscheidung gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2013 XI R 22/11, BFHE 244, 209, BStBl II 2014, 332, Rz 25). Ein weitergehendes Feststellungsinteresse des FA besteht im vorliegenden Verfahren jedenfalls seit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Feststellungsbescheides vom 7. Juni 2010 mit Bekanntgabe des BFH-Beschlusses vom 23. Juli 2015 VII B 132/14 nicht.
bb) Das Feststellungsinteresse muss auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung durch den BFH über die Revision vorliegen. Ob die Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind, muss der BFH von Amts wegen prüfen. Insoweit muss er auch neue Tatsachen, die sich auf Sachurteilsvoraussetzungen beziehen und damit für den Rechtsstreit in seiner Gesamtheit erheblich sind, feststellen und berücksichtigen (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 118 FGO Rz 260, 265; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 118 FGO Rz 92). Eine Unrichtigkeit des FG-Urteils kann deshalb auch nachträglich noch während des Revisionsverfahrens durch Tatsachen eintreten, die den Fortgang des Verfahrens betreffen (BFH-Urteil vom 8. März 1996 VIII R 92/89, BFH/NV 1996, 776, unter II.4.; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 3/78, BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378, unter II.5.a, Rz 33). Eine solche Tatsache stellt die vom Revisionsgericht in jeder Lage des Verfahrens zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung des fortbestehenden Rechtsschutzinteresses dar. Fällt das Rechtsschutzinteresse während des Revisionsverfahrens weg, entfällt diese Sachentscheidungsvoraussetzung auch für die Klage (BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 776, unter II.4.). Da das Feststellungsinteresse nur eine besondere Erscheinungsform des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses ist (BFH-Urteil in BFH/NV 2013, 739, Rz 18), gilt für den Fortfall des Feststellungsinteresses dasselbe.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.