Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 02.09.2010


BFH 02.09.2010 - V R 34/09

Keine Änderung der Bemessungsgrundlage vor Rückgewähr vereinnahmter Anzahlung - Eröffnung des Insolvenzverfahrens


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsdatum:
02.09.2010
Aktenzeichen:
V R 34/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 25. Juni 2009, Az: 6 K 1969/06, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Vereinnahmt der Unternehmer eine Anzahlung, ohne die hierfür geschuldete Leistung zu erbringen, kommt es erst mit der Rückgewähr der Anzahlung zur Minderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG (Fortführung von BFH-Urteil vom 18. September 2008 V R 56/06, BFHE 222, 162, BStBl II 2009, 250, entgegen BFH-Urteil vom 24. August 1995 V R 55/94, BFHE 178, 485, BStBl II 1995, 808) .

2. Wird die Leistung nach Vereinnahmung des Entgelts rückgängig gemacht, entsteht der Berichtigungsanspruch nach § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG erst mit der Rückgewähr des Entgelts (Fortführung von BFH-Urteil in BFHE 222, 162, BStBl II 2009, 250, entgegen BFH-Beschluss vom 20. August 1999 V B 74/99, BFH/NV 2000, 243) .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH. Das Insolvenzverfahren wurde am 3. Dezember 2001 eröffnet. Die GmbH hatte bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anzahlungen für noch nicht erbrachte Leistungen in Höhe von 5.207.546,31 DM einschließlich Umsatzsteuer in Höhe von 718.282,24 DM (367.251,87 €) vereinnahmt. Der Kläger entschied sich nach § 103 Abs. 2 Satz 1 der Insolvenzordnung (InsO) für die Nichterfüllung der den Anzahlungen zugrunde liegenden Verträge. Die Verträge wurden "rückabgewickelt".

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Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass Rückabwicklung und Berichtigung nach § 17 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) dem Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuzuordnen seien. Dem entsprach die durch den Kläger im Januar 2003 eingereichte Umsatzsteuererklärung 2001.

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Im Rahmen einer weiteren Umsatzsteuer-Sonderprüfung war der Kläger der Auffassung, dass die Umsatzsteuer erst für den Zeitpunkt der Ablehnungserklärung nach § 103 Abs. 2 InsO zu berichtigen sei. Er reichte am 1. März 2006 unter der Steuernummer S2, die der GmbH für die ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu erklärenden Umsätze erteilt worden war, eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für 2001 ein, in der er um 4.489.264 DM reduzierte Umsätze zu 16 % erklärte, während er zugleich um denselben Betrag die unter der Steuernummer S1, unter der die GmbH ihre Umsätze bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens versteuerte, zu erfassenden Umsätze erhöhte und beantragte die Änderung nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Das FA lehnte die Änderung mit Bescheid vom 20. April 2006 ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.

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Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) der Klage aus den in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2009, 1667 veröffentlichten Gründen statt. Die auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung gerichtete Klage sei zulässig, obwohl der Kläger im Ergebnis für 2001 keine betragsmäßige Änderung der Festsetzung begehre, da mit der vom FA vorgenommenen Zuordnung der Besteuerungsgrundlagen zum Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechtswirkungen verbunden seien, die zu einer Beschwer des Klägers führten. Diese Beschwer folge daraus, dass diese Zuordnung eine Aufrechnung mit Insolvenzforderungen ermögliche. Die Klage sei auch begründet, da dem Kläger ein Berichtigungsanspruch aus § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG zustehe.

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Mit seiner Revision macht das FA Verletzung materiellen Rechts geltend. Die Klage sei unzulässig, da der Kläger keine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer 2001 begehre. Die Vergabe der zweiten Steuernummer für das Insolvenzverfahren erfolge nur aus Praktikabilitätsgründen. Im Hinblick auf eine Aufrechnung sei die Klage gleichfalls nicht zulässig, da über die Zulässigkeit einer Aufrechnung durch gesonderten Abrechnungsbescheid zu entscheiden sei. Darüber hinaus sei die Klage zumindest unbegründet, da das FA zur Aufrechnung befugt sei. Insbesondere § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO stehe einer Aufrechnung nicht entgegen.

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Das FA beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

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Er verteidigt die Vorentscheidung. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO sei eine Aufrechnung unzulässig. Es gelte der Grundsatz, dass das Insolvenzrecht dem Steuerrecht vorgehe.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision des FA ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die zulässige Klage als unbegründet abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Dem Kläger steht kein Berichtigungsanspruch nach § 17 UStG zu, da eine Berichtigung nach dieser Vorschrift im Fall eines bereits vereinnahmten Entgelts erst für den Besteuerungs- oder Voranmeldungszeitraum der Entgeltrückgewähr in Betracht kommt.

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1. Das FG geht bei seiner Entscheidung --entgegen der Auffassung des FA-- zu Recht von der Zulässigkeit der Klage aus.

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Der Kläger begehrt mit der Abgabe der berichtigten Umsatzsteuererklärung 2001 für den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Herabsetzung der für diesen Zeitraum festgesetzten Umsatzsteuer. Durch die Ablehnung der beantragten Änderung nach § 164 AO war der Kläger i.S. des § 40 Abs. 2 FGO beschwert.

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a) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens berührt zwar --ebenso wie vor Inkrafttreten der InsO die Eröffnung des Konkursverfahrens-- weder die Unternehmereigenschaft des Insolvenzschuldners (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG) noch den Umstand, dass das Unternehmen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG die gesamte gewerbliche und berufliche Tätigkeit des Unternehmers erfasst (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Juni 2000 V R 87/99, BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639; vom 18. Juli 2002 V R 56/01, BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705, jeweils m.w.N.). Dementsprechend bestimmt sich auch die Umsatzsteuer für das gesamte Unternehmen des Gemeinschuldners zunächst ohne Rücksicht auf die Vorschriften des Insolvenzrechts ausschließlich nach dem Umsatzsteuerrecht.

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b) Gleichwohl ist die Umsatzsteuer, soweit sie vor Insolvenzeröffnung begründet ist, als Insolvenzforderung zur Tabelle anzumelden und, soweit sie nach Insolvenzeröffnung begründet ist, durch einen an den Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheid geltend zu machen und von diesem vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639, und in BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705, zur Konkursordnung; vom 18. Mai 2010 X R 60/08, BFHE 229, 62, BFH/NV 2010, 1685, zur InsO und Einkommensteuer). Die einheitliche Umsatzsteuerschuld ist daher ggf. --aus Sicht des FA-- in eine Insolvenzforderung und eine Masseforderung aufzuteilen. Durch die Ablehnung der beantragten Änderung des an den Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheides zugunsten der Masse ist der Kläger --entgegen der Auffassung des FA-- ungeachtet dessen, dass sich die für den Besteuerungszeitraum insgesamt vom Unternehmer geschuldete Umsatzsteuer nicht ändert, i.S. des § 40 Abs. 2 FGO beschwert.

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2. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung lagen --entgegen der Auffassung des Klägers-- nicht vor, so dass eine Änderung des Steuerbescheides nicht in Betracht kommt. Denn die Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 1 UStG setzt für den Fall einer bereits erfolgten Entgeltvereinnahmung die Rückzahlung des Entgelts voraus.

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a) Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geändert, muss der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG in seiner im Streitjahr 2001 anzuwendenden Fassung den dafür geschuldeten Steuerbetrag berichtigen. Diese Berichtigung ist nach § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist.

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b) Mit Urteil vom 18. September 2008 V R 56/06 (BFHE 222, 162, BStBl II 2009, 250, Leitsatz) hat der Senat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden, dass, wenn der leistende Unternehmer und der Leistungsempfänger die vollständige oder teilweise Rückzahlung des bereits entrichteten Entgelts vereinbaren, sich die Bemessungsgrundlage i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG nur insoweit mindert, als das Entgelt tatsächlich zurückgezahlt wird, und die Berichtigung für den Besteuerungszeitraum der Rückgewähr vorzunehmen ist.

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Diese Rechtsprechung beruht maßgeblich darauf, dass unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) bei einer Besteuerung nach vereinbarten Entgelten die Solleinnahme zwar zunächst die Bemessungsgrundlage bildet, für eine Sollbesteuerung aber kein Raum bleibt, soweit der leistende Unternehmer das Entgelt vereinnahmt hat. Hat der Unternehmer das "Soll"-Entgelt bereits vereinnahmt, ändert sich die Bemessungsgrundlage nicht schon durch (bloße) Vereinbarung einer "Entgeltsminderung", sondern nur durch tatsächliche Rückzahlung des vereinnahmten Entgelts (BFH-Urteil in BFHE 222, 162, BStBl II 2009, 250, unter II.3.d).

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Unerheblich ist, ob das vereinbarte Entgelt ganz oder zum Teil vereinnahmt oder die volle oder nur teilweise Minderung vereinbart ist. Soweit das vereinbarte Entgelt vereinnahmt worden ist, kann die Bemessungsgrundlage nicht mehr durch (bloße) Vereinbarung, sondern nur durch tatsächliche Rückzahlung des (teilweise) vereinnahmten Entgelts geändert werden.

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3. Für die in § 17 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 UStG geregelten Fälle gelten keine Besonderheiten. Auch nach § 17 Abs. 2 Nrn. 2 und Nr. 3 UStG setzt die Berichtigung im Fall einer bereits erfolgten Entgeltvereinnahmung die Rückgewähr des Entgelts voraus.

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a) Nach § 17 Abs. 2 UStG gilt Abs. 1 dieser Vorschrift sinngemäß, wenn "für eine vereinbarte Lieferung oder sonstige Leistung ein Entgelt entrichtet, die Lieferung oder sonstige Leistung jedoch nicht ausgeführt worden ist" (§ 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG) oder wenn "eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder ein steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb rückgängig gemacht worden ist" (§ 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG).

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b) § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG setzt schon nach seinem Wortlaut voraus, dass ein Entgelt entrichtet worden ist. Auch für diesen Fall liegt aus den zuvor genannten Gründen eine Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 1 UStG erst aufgrund der Rückgewähr des Entgelts vor (s. oben II.2.). An der gegenteiligen Auffassung in dem BFH-Urteil vom 24. August 1995 V R 55/94 (BFHE 178, 485, BStBl II 1995, 808, unter II.1.) hält der Senat zu § 17 Abs. 1 UStG nicht fest (vgl. bereits BFH-Urteil vom 17. Mai 2001 V R 38/00, BFHE 195, 437, BStBl II 2003, 434, unter II.2.).

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c) Nichts anderes gilt für den in § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG geregelten Fall. Diese Regelung erfasst den Fall der Rückgängigmachung der steuerpflichtigen Leistung. Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut grundsätzlich auch anwendbar, wenn eine Leistung rückgängig gemacht wird, für die das Entgelt bereits entrichtet worden ist. Auch in diesem Fall entsteht der Berichtigungsanspruch im Rahmen der sinngemäßen Anwendung des § 17 Abs. 1 UStG aus den vorstehend genannten Gründen (s. oben II.3.b) erst nach Rückgängigmachung und Rückzahlung des Entgelts, ohne dass der Senat abschließend zu entscheiden hat, ob auf derartige Fallgestaltungen letztlich § 17 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 UStG anzuwenden ist. Soweit dem BFH-Beschluss vom 20. August 1999 V B 74/99 (BFH/NV 2000, 243, unter II.2.) Entgegenstehendes entnommen werden kann, hält der Senat nicht daran fest.

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4. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Dem Kläger steht im Streitjahr kein Berichtigungsanspruch nach § 17 UStG zu. Denn im Fall eines bereits vereinnahmten Entgelts setzt die Berichtigung sowohl nach § 17 Abs. 1 UStG als auch nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG wie auch nach § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG die Rückgewähr des vereinnahmten Entgelts voraus. Von einer derartigen Rückgewähr an die Insolvenzgläubiger ist aber auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen nicht auszugehen. Sie könnte unter Berücksichtigung des über das Vermögen der GmbH erst am 3. Dezember 2001 eröffneten Insolvenzverfahrens nur und insoweit vorliegen, als Gläubiger der GmbH den sich aus der Erfüllungsablehnung nach § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO ergebenden Anspruch auf Rückgewähr von Anzahlungen als Insolvenzgläubiger geltend gemacht haben und nach Ablauf des Streitjahrs gemäß §§ 174 ff. InsO quotal befriedigt wurden. Anhaltspunkte dafür liegen nicht vor.