Entscheidungsdatum: 11.04.2013
1. NV: Partyserviceunternehmen erbrachten nach der vor Inkrafttreten der MwSt-DVO bestehenden Rechtslage im Regelfall --und damit bei Fehlen besonderer Umstände wie der Zubereitung bloßer Standardspeisen-- sonstige Leistungen.
2. NV: Zu den Anforderungen an den Gestaltungsmissbrauch im Umsatzsteuerrecht.
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb in den Streitjahren 2000 und 2001 eine Metzgerei und einen Partyservice. Die Ehefrau des Klägers betrieb eine Gaststätte. In beiden Streitjahren versteuerte der Kläger seine Umsätze nach dem ermäßigten Steuersatz.
Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass die Leistungen des vom Kläger betriebenen Partyservices in den Fällen dem Regelsteuersatz unterlägen, in denen er oder seine Ehefrau den Kunden Leihgeschirr und –besteck zur Verfügung gestellt hatten und erließ geänderte Umsatzsteuerbescheide für beide Streitjahre. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.
Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit den in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2011, 1561 veröffentlichten Gründen statt. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) lägen dem ermäßigten Steuersatz unterliegende Leistungen des Klägers vor. Der Kläger und seine Ehefrau hätten jeweils selbständige Unternehmen betrieben und jeweils eigenständige Leistungen erbracht. Auf das vom FA als maßgeblich angesehene Gesamtkonzept komme es nicht an. Der Kläger habe die Kunden darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit bestehe, Besteck und Teller auch über andere Unternehmer als die Ehefrau des Klägers zu beziehen. Ein Gestaltungsmissbrauch liege nicht vor. Im Übrigen seien nur Standardspeisen ohne zusätzliches Dienstleistungselement geliefert worden. Warmhalten und zeitgerechte Anlieferung seien für die Abgrenzung von Lieferung und sonstiger Leistung nicht ausschlaggebend, da sonst jeder Partyservice Dienstleistungen erbringe. Daher sei die Zubereitung von Speisen mit zeitgerechter warmer Anlieferung kein hinreichendes Dienstleistungselement, das der Annahme einer Lieferung entgegenstehe.
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision, für die es die Verletzung materiellen Rechts anführt. Das FG habe zu Unrecht den Begriff der Standardspeise mit dem Standardangebot eines Partyserviceunternehmens gleichgesetzt. Bei den vom Kläger den Kunden zur Verfügung gestellten Speisen habe es sich z.B. um "frische Salate der Saison", "Hühnerbrust Indisch", "Schweinefilet in Pfefferrahm", "Pariser Kartoffeln", "Gemüseplatten", "internationale Käseplatten", "Krabbensalat", "Kartoffelgratin", "Geflügelplatten" oder "Tafelspitz mit Remouladensauce" gehandelt. Es handele sich nicht um Standardspeisen.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der ermäßigte Steuersatz sei anzuwenden. Es bestehe eine Bindung an die Feststellungen des FG. Das FA sei zudem nach dem Gleichheitsgrundsatz an ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 14. September 2012 gebunden. Die Steuerforderung sei auch schon wegen Zahlungsverjährung nach § 228 der Abgabenordnung (AO) erloschen.
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat keine hinreichenden Feststellungen zur Frage getroffen, ob Gegenstand der durch den Kläger erbrachten Leistungen Standardspeisen waren.
1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für "die Lieferungen" der in der Anlage bezeichneten Gegenstände.
Nach § 3 Abs. 1 UStG sind "Lieferungen eines Unternehmens ... Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht)". § 3 Abs. 9 UStG hatte in den Streitjahren folgenden Wortlaut: "Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind. ... Die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle ist eine sonstige Leistung. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden."
Diese Vorschriften beruhen unionsrechtlich auf Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, wonach als Lieferung eines Gegenstands die Übertragung der Befähigung gilt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, und auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, wonach als Dienstleistung jede Leistung gilt, die keine Lieferung eines Gegenstands i.S. des Art. 5 dieser Richtlinie ist.
2. Bei der Abgrenzung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen im Bereich der Speisenzubereitung ist das EuGH-Urteil vom 10. März 2011 in den verbundenen Rechtssachen C-497/09, C-499/09, C-501/09 und C-502/09, Bog u.a. (Slg. 2011, I-1457) zu beachten (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. Oktober 2011 V R 66/09, BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250; vom 23. November 2011 XI R 6/08, BFHE 235, 563, BStBl II 2013, 183).
a) Nach dieser Rechtsprechung sind die Tätigkeiten eines Partyservices außer in den Fällen, in denen dieser lediglich Standardspeisen ohne zusätzliches Dienstleistungselement liefert oder in denen weitere, besondere Umstände belegen, dass die Lieferung der Speisen der dominierende Bestandteil des Umsatzes ist, Dienstleistungen (EuGH-Urteil Bog u.a. in Slg. 2011, I-1457, Leitsatz 1 zweiter Gedankenstrich).
Bei einem Partyservice, dessen Leistungen "von der bloßen Zubereitung und Lieferung von Speisen bis zu einer umfassenden Leistung reichen können, die auch die Bereitstellung von Geschirr, Mobiliar (Tische und Stühle), die Darreichungsform der Gerichte, die Dekoration, die Bereitstellung von Personal für die Bedienung und die Beratung über die Zusammenstellung des Menüs und gegebenenfalls die Auswahl der Getränke umfassen kann" (EuGH-Urteil Bog u.a. in Slg. 2011, I-1457 Rdnr. 75), ist die Abgabe von Speisen, die "nicht das Ergebnis einer bloßen Standardzubereitung sind, sondern einen deutlich größeren Dienstleistungsanteil aufweisen und mehr Arbeit und Sachverstand erfordern", als Dienstleistung anzusehen. Der EuGH stellt hierfür auf die "Qualität der Gerichte, die Kreativität sowie die Darreichungsform" (EuGH-Urteil Bog u.a. in Slg. 2011, I-1457 Rdnr. 77) sowie darauf ab, dass die Speisen "in verschlossenen Warmhalteschalen angeliefert oder ... [durch den Unternehmer] aufgewärmt" werden, wobei für "den Kunden wesentlich ist, dass die Speisen genau zu dem von ihm festgelegten Zeitpunkt geliefert werden (EuGH-Urteil Bog u.a. in Slg. 2011, I-1457 Rdnr. 78).
b) Werden danach nicht lediglich "Standardspeisen" als Ergebnis einfacher und standardisierter Zubereitungsvorgänge nach Art eines Imbissstandes abgegeben und werden derartige Speisen zu festen Zeitpunkten in Warmhaltebehältern angeliefert, liegt keine Lieferung, sondern eine sonstige Leistung vor.
Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, ergibt sich aus § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG nichts anderes. Die Sätze 4 und 5 bestimmen nicht abschließend, unter welchen Voraussetzungen die Abgabe von Speisen als sonstige Leistung zu beurteilen ist (BFH-Urteil in BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250, unter II.2.c).
c) Darüber hinaus hat der erkennende Senat entschieden, dass aufgrund des EuGH-Urteils Bog u.a. in Slg. 2011, I-1457 an seiner früheren Rechtsprechung, nach der erst aufgrund zusätzlicher Dienstleistungselemente wie dem Endreinigen von Geschirr, dem Abräumen und Endreinigen von Tischen und Geschirr oder der Überlassung, Abholung und Reinigung von Geschirr und Besteck von einer sonstigen Leistung auszugehen ist, nur noch für den Fall festzuhalten ist, dass Leistungsgegenstand lediglich Standardspeisen sind, da Leistungen eines Partyservices, die auch in der bloßen Zubereitung und Lieferung von Speisen bestehen können, nur dann keine sonstigen Leistungen sind, wenn lediglich Standardspeisen ohne zusätzliche Dienstleistungselemente geliefert werden oder besondere Umstände belegen, dass die Lieferung der Speisen der dominierende Bestandteil des Umsatzes ist. Die Zubereitung anderer als bloßer Standardspeisen kann daher auch ohne zusätzliches Dienstleistungselement, wie z.B. dem Abräumen und Endreinigen von Tischen und Geschirr, zu einer Dienstleistung führen (BFH-Urteile in BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250, unter II.2.d, und in BFHE 235, 563, BStBl II 2013, 253, unter II.3.).
3. Im Streitfall ist das Urteil des FG aufzuheben.
a) Nach der Rechtsprechung des EuGH, der sich der BFH angeschlossen hat, sind Leistungen eines Partyservices, die auch in der bloßen Zubereitung und Lieferung von Speisen bestehen können, nur dann keine sonstigen Leistungen, wenn lediglich Standardspeisen ohne zusätzliche Dienstleistungselemente geliefert werden oder besondere Umstände belegen, dass die Lieferung der Speisen der dominierende Bestandteil des Umsatzes ist (s. oben II.2.c).
Zwar ist das FG davon ausgegangen, dass der Kläger lediglich Standardspeisen ohne zusätzliches Dienstleistungselement geliefert habe. Es fehlt aber, da das tatsächliche Vorbringen des FA im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden kann, entgegen der Auffassung des Klägers an in einem Revisionsverfahren nachprüfbaren Feststellungen des FG zu den tatsächlichen Umständen, die diese Beurteilung zur Abgrenzung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen rechtfertigen (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil in BFHE 235, 563, BStBl II 2013, 563). Entgegen dem Urteil des FG ist zudem auf der Grundlage der EuGH-Rechtsprechung davon auszugehen, dass Partyserviceunternehmen im Regelfall --und damit bei Fehlen besonderer Umstände wie der Zubereitung bloßer Standardspeisen-- sonstige Leistungen erbringen (BFH-Urteil in BFHE 235, 563, BStBl II 2013, 253, Leitsatz 1).
b) Soweit sich der Kläger auf ein nicht näher bezeichnetes "BMF-Schreiben vom 14. September 2012" beruft, kommt dem im gerichtlichen Verfahren keine Bedeutung zu, da es sich hierbei um eine norminterpretierende Verwaltungsanweisung handeln könnte, die die Gerichte nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht bindet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10. November 2011 V R 34/10, BFH/NV 2012, 803, m.w.N.).
c) Im Streitfall nicht zu berücksichtigen ist Art. 6 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Richtlinie 2006/112/EG. Denn die Verordnung gilt nach ihrem Art. 65 erst ab 1. Juli 2011. Die Frage, welche Bedeutung dieser Regelung unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung zukommt, stellt sich im Streitfall nicht.
d) Die Frage der Zahlungsverjährung nach § 228 AO betrifft das Erhebungsverfahren, auf das es im Streit über die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung nicht ankommt.
4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat die noch fehlenden Feststellungen nachzuholen. Im zweiten Rechtsgang wird dabei Folgendes zu berücksichtigen sein:
a) Nach der Rechtsprechung des Senats dürfen Verzehrvorrichtungen aufgrund des EuGH-Urteils Bog u.a. in Slg. 2011, I-1457 nur als Dienstleistungselement berücksichtigt werden, wenn sie vom Leistenden als Teil einer einheitlichen Leistung zur Verfügung gestellt werden (BFH-Urteil vom 30. Juni 2011 V R 18/10, BFHE 234, 496, BFH/NV 2011, 1813, Leitsatz 1). Dies gilt auch für die Überlassung von Geschirr und Besteck.
Voraussetzung für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung anstelle mehrerer selbständiger Leistungen ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH zudem, dass es sich um Tätigkeiten desselben Unternehmers handelt. Entgeltliche Leistungen verschiedener Unternehmer sind auch dann umsatzsteuerrechtlich eigenständig, wenn sie gegenüber demselben Leistungsempfänger erbracht werden und die weiteren Voraussetzungen für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung erfüllt wären (BFH-Urteil vom 29. Oktober 2008 XI R 74/07, BFHE 223, 498, BStBl II 2009, 256, unter II.2.c).
Danach hat das FG zu Recht entschieden, dass für die Abgrenzung, ob der Kläger mit seinem Partyservice Lieferungen ausgeführt oder sonstige Leistungen erbracht hat, die Gestellung von Geschirr und Besteck durch seine Ehefrau, die insoweit im Rahmen eines eigenständigen Unternehmens gehandelt hat, grundsätzlich nicht zu berücksichtigen ist.
b) Eine hiervon abweichende Würdigung kann sich nur unter den Voraussetzungen eines Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 AO) ergeben. Bei der Anwendung dieser Vorschrift im Umsatzsteuerrecht ist aber zu berücksichtigen, dass nach dem EuGH-Urteil vom 22. Dezember 2010 C-277/09, RBS Deutschland (Slg. 2010, I-13805 Rdnr. 49) "die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer zum einen voraussetzt, dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe, und zum anderen aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen lediglich ein Steuervorteil bezweckt wird". Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob es sich um Umsätze zwischen zwei Parteien handelt, zwischen denen keine rechtliche Verbindung besteht, und ob Umsätze vorliegen, die im normalen Handelsverkehr getätigt werden (EuGH-Urteil RBS Deutschland in Slg. 2010, I-13805 Rdnr. 50; vgl. hierzu auch Korf, Internationales Steuerrecht 2011, 146, und Wäger, Deutsches Steuerrecht 2012, 49).
Nach diesen Maßstäben wird bei der Prüfung eines Gestaltungsmissbrauchs zu beachten sein, dass zwar der Kläger und seine Ehefrau nahestehende Personen sind, dass aber nach den bisherigen Feststellungen des FG weder der Kläger noch seine Ehefrau rechtliche oder familiäre Beziehungen zu ihren Kunden unterhielten und daher zwischen dem jeweils Leistenden --dem Kläger und seiner Ehefrau-- und dem jeweiligen Kunden kein Näheverhältnis bestanden hat, zumal die Leistungen des Klägers grundsätzlich als im normalen Handelsverkehr erbracht anzusehen sind. Ein Gestaltungsmissbrauch könnte sich ggf. aber auch daraus ergeben, dass der Kläger die Kosten für die Überlassung von Geschirr und Besteck durch seine Ehefrau getragen hat. Im Übrigen kann die Überlassung von Geschirr und Besteck nur im Fall der Überlassung durch den Kläger selbst als Dienstleistungsanteil zu berücksichtigen sein.
c) Sollte danach vom Vorliegen von Lieferungen auszugehen sein, ist schließlich zu prüfen, ob es sich bei den vom Kläger dann gelieferten Gegenständen ausschließlich um Gegenstände i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m der Anlage 2 zum UStG gehandelt hat.