Entscheidungsdatum: 25.10.2018
1. NV: Zur Vermeidung einer unbefugten Offenbarung von steuerlichen Verhältnissen an Dritte kann auf die Legitimation des um Akteneinsicht Ersuchenden nicht verzichtet werden .
2. NV: Fehlen Anhaltspunkte, die gegen eine ordnungsgemäße Ausführung des Nachsendeauftrags durch die Deutsche Post AG sprechen, kann im Regelfall von einer wirksamen Bekanntgabe im Anschluss an die von der Post vorgenommene Neuadressierung ausgegangen werden .
3. NV: Die prozessualen Möglichkeiten eines Klägers während der mündlichen Verhandlung und die besondere Bedeutung des Sitzungsprotokolls als öffentliche Urkunde erfordern die Gewissheit, dass es sich bei der anwesenden Person tatsächlich um den Kläger handelt .
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 8. Februar 2018 1 K 159/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist unbegründet.
1. Die geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) liegen nicht vor.
a) Die Rüge des Klägers, das Finanzgericht (FG) habe ihm die begehrte Akteneinsicht verweigert und dadurch den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--; § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, ist unbegründet.
Ausweislich der FG-Akte (Bl. 106) hat der Vorsitzende mit --per Fax übermitteltem-- Schreiben vom 7. Februar 2018 den Anspruch des Klägers auf Akteneinsicht ausdrücklich bestätigt und dem Prozessbevollmächtigten die Möglichkeit eröffnet, am Sitzungstag vor der mündlichen Verhandlung Einsicht in die Akten zu nehmen; die mündliche Verhandlung werde anschließend beginnen. Der Prozessbevollmächtigte hat hierauf geantwortet, dass gegen eine Akteneinsicht im FG grundsätzlich nichts einzuwenden sei und in diesem Zusammenhang mehrere Fragen aufgeworfen (Bl. 107 FG-Akte). Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, dass es dem Prozessbevollmächtigten nicht möglich gewesen wäre, die beantragte Akteneinsicht am Sitzungstag beim angerufenen FG wahrzunehmen.
Nimmt der Kläger --oder wie im Streitfall der Prozessbevollmächtigte-- die ihm angebotene Möglichkeit zur Akteneinsicht nicht wahr, kann er nicht mit Erfolg rügen, das FG habe ihm die Akteneinsicht verweigert und dadurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Dezember 2012 III B 118/12, BFH/NV 2013, 577).
Soweit die Akteneinsichtnahme am Sitzungstag daran gescheitert ist, dass sich der vor der Urkundsbeamtin Erschienene nicht durch Vorlage eines Lichtbildausweises als Kläger legitimieren konnte, hat dies der Kläger selbst zu verantworten. Im Hinblick darauf, dass die Akteneinsicht insbesondere Steuerakten betrifft und daher das Steuergeheimnis (§ 30 der Abgabenordnung --AO--) zu beachten ist (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 78 AO Rz 3 und 19, m.w.N.), kann zur Vermeidung einer unbefugten Offenbarung von steuerlichen Verhältnissen an Dritte auf die Legitimation des um Akteneinsicht Ersuchenden nicht verzichtet werden.
b) Mit seinem Vortrag, das FA habe den Umsatzsteuerbescheid 2012 rechtswidrig nach § 10 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) im Wege der öffentlichen Zustellung bekannt gegeben und dabei die Zweiwochenfrist des § 10 Abs. 2 Satz 4 VwZG nicht beachtet, macht der Kläger keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend. Darunter fallen nur solche Fehler, die dem FG bei der Handhabung des Verfahrens unterlaufen sind, nicht aber --wie vorliegend-- etwaige Fehler der Behörde im Verwaltungsverfahren (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. August 2016 VI B 10/16, BFH/NV 2017, 45, Rz 17; vom 14. August 2014 X B 174/13, BFH/NV 2014, 1725, Rz 17; vom 17. Februar 2011 VIII B 51/10, BFH/NV 2011, 761, Rz 7).
Selbst wenn die öffentliche Zustellung des Umsatzsteuerbescheids 2012 im Zeitraum 11. bis 25. Oktober 2013 unwirksam wäre, bestünden keine Zweifel an einer wirksamen Bekanntgabe dieses Bescheids. Denn diese erfolgte --wie der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) in der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2014 zu Recht ausführt-- bereits Anfang September 2013 durch die Post an eine Postfachadresse, die der Kläger durch Einrichten eines Nachsendeauftrags selbst angegeben hatte. Dass der den Umsatzsteuerbescheid 2012 enthaltende Brief nicht geöffnet, sondern an das FA zurückgeleitet wurde, steht einer wirksamen Bekanntgabe nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts nicht voraus, dass der Empfänger den Verwaltungsakt tatsächlich zur Kenntnis nimmt. Es genügt vielmehr, dass nach den allgemeinen Gepflogenheiten von ihm eine Kenntnisnahme erwartet werden kann (BFH-Urteil vom 9. Dezember 1999 III R 37/97, BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175, m.w.N.). Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Sendung entsprechend den postalischen Vorschriften zugestellt wurde (BFH-Urteile in BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175; vom 13. Oktober 1994 IV R 100/93, BFHE 176, 510, BStBl II 1995, 484, m.w.N.). So liegen die Verhältnisse im Streitfall: Nach der vom FA eingeholten Auskunft der Deutschen Post AG lag im Zeitraum der Bekanntgabe ein aktiver Nachsendeauftrag vor, der am 7. September 2013 zu einer Neuadressierung des Briefes an die auf einem gelben Aufkleber vermerkte (neue) Postfachadresse des Klägers führte. Anhaltspunkte, die gegen eine ordnungsgemäße Ausführung des Nachsendeauftrags durch die Deutsche Post AG und damit gegen eine wirksame Bekanntgabe im Anschluss an die Neuadressierung sprechen, sind weder ersichtlich noch vom Kläger vorgebracht worden.
c) Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge des Klägers, ihm sei zu Unrecht die (aktive) Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2018 verwehrt und damit sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.
aa) Nach § 92 Abs. 1 FGO eröffnet und leitet der Vorsitzende die mündliche Verhandlung. Im Anschluss an den Aufruf der Sache stellt der Vorsitzende als notwendigen Bestandteil des Sitzungsprotokolls (Niederschrift) die Namen der erschienenen Beteiligten fest (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 1 Nr. 4 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Die Identität der Beteiligten und ihrer Prozessbevollmächtigten ergibt sich zwar regelmäßig aus ihrer Kenntnis des Sach- und Streitstands, verbleibende Zweifel sind jedoch durch Vorlage des Personalausweises zu klären (Wendl in Gosch, FGO, § 92 Rz 37). In Anbetracht der prozessualen Möglichkeiten des Klägers während der mündlichen Verhandlung (Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit, Klageergänzungen und Klageänderungen, Klagebegründung, Beweis- und Befangenheitsanträge, Klagerücknahme) sowie der besonderen Bedeutung des Sitzungsprotokolls als öffentliche Urkunde i.S. von § 418 ZPO, die u.a. den Beweis dafür liefert, dass die im Protokoll genannten Personen anwesend waren (vgl. Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 94 AO, Rz 91, m.w.N.), ist es nicht nur zweckmäßig, sondern unerlässlich, Gewissheit darüber herzustellen, ob es sich bei der anwesenden Person tatsächlich um den Kläger handelt.
bb) Im Streitfall konnte der Vorsitzende von verbleibenden Zweifeln an der Identität der erschienenen Person mit dem Kläger ausgehen. Denn dieser war im bisherigen (schriftlichen) Verfahren nicht in Erscheinung getreten und auch nicht zur mündlichen Verhandlung geladen. Darüber hinaus war die vorgesehene Akteneinsicht an seiner fehlenden Legitimation gescheitert und das Angebot des Gerichts, sich einen Ausweis an das Gericht faxen zu lassen, nicht wahrgenommen worden. Schließlich hatte der mit der Wahrnehmung seiner Rechte vom Kläger beauftragte Prozessbevollmächtigte noch per Fax vor Sitzungsbeginn (um 8.09 Uhr) einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und war demgemäß nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen.
cc) Entgegen der Ansicht des Klägers war die Aufforderung zur Legitimation weder unverhältnismäßig noch unzumutbar. Abgesehen davon, dass in den jeweiligen Ladungen zur mündlichen Verhandlung bereits darauf hingewiesen wird, dass sich alle Verfahrensbeteiligten "Personenkontrollen im Eingangsbereich" unterziehen müssen, konnte der Kläger nicht davon ausgehen, am Sitzungstag ohne Identitätsnachweis in die dem Steuergeheimnis unterliegenden Behördenakten einzusehen. Soweit der Kläger rügt, das FG habe zur Identitätsfeststellung eine Internetrecherche durchführen müssen, berücksichtigt er nicht, dass der Vorsitzende die Namen der erschienenen Beteiligten festzustellen hat, insoweit aber nicht verpflichtet ist, eigene Ermittlungen anzustellen.
2. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.