Entscheidungsdatum: 14.06.2011
1. NV: Im Hinblick darauf, dass der Vorbehaltsvermerk nach § 164 Abs. 3 Satz 1 AO jederzeit und ohne besondere Begründung aufgehoben werden kann, erscheint ein Antrag auf dessen Aufrechterhaltung nicht sinnlos, auch wenn er lediglich die Möglichkeit eröffnet, einen Änderungsantrag nach § 164 Abs 2 AO bis zum Ablauf der regulären Festsetzungsverjährung zu stellen .
2. NV: Die Rechtsfragen, ob eine Umdeutung von Verfahrenserklärungen für Steuerberater möglich ist und/oder die Grundsätze des § 140 BGB auch im Steuerrecht gelten, sind nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärbar, wenn der entsprechende Antrag nicht "sinnlos" ist .
Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Soweit der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) einen Grund für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt hat, liegt ein solcher Grund jedenfalls nicht vor.
1. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) bei der Auslegung oder bei der Umdeutung von außerprozessualen Willenserklärungen zuzulassen.
Die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (Divergenz) setzt eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung der angefochtenen Entscheidung voraus. Dies erfordert, dass das Finanzgericht (FG) bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als insbesondere ein oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Februar 2011 XI B 86/10, BFH/NV 2011, 997; vom 14. Oktober 2009 IX B 105/09, BFH/NV 2010, 443; vom 28. September 2009 IV B 99/08, BFH/NV 2010, 167). Keine Abweichung in diesem Sinne liegt vor, wenn das FG erkennbar von den in der Rechtsprechung entwickelten und auch der vorgeblichen Divergenzentscheidung zugrunde liegenden Rechtsgrundsätzen ausgeht, diese aber fehlerhaft auf die Besonderheiten des Streitfalls angewendet hat (BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 997).
a) Die gerügte Abweichung von den zitierten Entscheidungen des BFH, des Bundesgerichtshofs (BGH) und eines FG bei der Auslegung von außerprozessualen Willenserklärungen liegt nicht vor:
aa) Eine Abweichung vom BFH-Urteil vom 19. März 2009 V R 17/06 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2009, 960) liegt entgegen der Ansicht des Klägers schon deshalb nicht vor, weil das FG den abstrakten Rechtssatz "Erklärungen eines Steuerberaters sind nicht auszulegen, solange die Erklärung einen Antrag beinhaltet, der einen klaren Wortlaut hat, auch wenn ein solcher Antrag im Gesetz nicht vorgesehen ist" nicht aufgestellt hat. Es ist vielmehr in den Entscheidungsgründen auf Seite 6 unter 1.a) davon ausgegangen, dass Erklärungen in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB-- auszulegen sind und dass dies grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen gilt. Voraussetzung hierfür sei aber, dass die Erklärung auslegungsbedürftig ist. Daran fehle es, wenn die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt habe.
Diese abstrakten Rechtssätze stimmen mit dem Rechtssatz im BFH-Urteil in HFR 2009, 960 überein, wonach auch Schreiben fachkundiger Bevollmächtigter der Auslegung zugänglich sind, soweit sie nicht eindeutig formuliert sind. Soweit das FG eine Auslegung des Schreibens vom 6. Juli 2001 als Antrag auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 1995 bis 1998 ausgeschlossen hat, weil es den Wortlaut des Antrags für eindeutig erachtete, eine irrige Bezeichnung oder Verwechselung ausschloss und den Antrag auch nicht für widersinnig hielt, handelt es sich um das Ergebnis einer rechtlichen Würdigung aller Umstände des Einzelfalls durch das FG.
bb) Soweit der Kläger ausführt, das FG habe den Rechtssatz aus dem BFH-Urteil vom 13. November 2008 V R 24/06 (HFR 2009, 817) "Schreiben fachkundiger Bevollmächtigter sind der Auslegung zugänglich, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Rechtsbehelfsführer den Rechtsbehelf einlegen will, der seinen Belangen entspricht und der zu dem von ihm angestrebten Erfolg führen kann" bei der Auslegung seines Antrags nicht berücksichtigt, legt er keine Divergenz zu einem davon abweichenden abstrakten Rechtssatz des FG dar, sondern rügt lediglich in der Art einer Revisionsbegründung die unzutreffende Rechtsanwendung durch das FG. Selbst wenn dem FG bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts Fehler unterlaufen sein sollten, rechtfertigt dies grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25. Januar 2011 V B 144/09, BFH/NV 2011, 863; vom 1. Juni 2010 V B 13/09, BFH/NV 2010, 2084, und in BFH/NV 2010, 443).
cc) Der Vortrag des Klägers zur Abweichung der angefochtenen Entscheidung des FG zum BFH-Beschluss vom 9. Februar 2006 VI B 99/05 (BFH/NV 2006, 1118) ist unschlüssig. Eine Abweichung der Vorentscheidung von einer Entscheidung des BFH setzt voraus, dass in der Divergenzentscheidung über eine revisible Rechtsfrage entschieden wurde. In Beschlüssen, die in einem Nichtzulassungsverfahren ergangen sind, werden jedoch keine Rechtsfragen entschieden, sodass diese als Divergenzentscheidungen i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO ausscheiden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13. Juli 2010 V B 121/09, BFH/NV 2010, 2015, und vom 13. Juli 2004 X B 175/03, BFH/NV 2004, 1544).
dd) Einer Divergenz des Urteils des FG zu den BGH-Urteilen vom 4. Juni 1996 IX ZR 51/95 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1996, 2684), vom 11. Juli 1997 V ZR 246/96 (NJW 1997, 2874) und vom 5. Juli 2002 V ZR 143/01 (NJW 2002, 3164) steht bereits entgegen, dass diese den vom Kläger behaupteten abstrakten Rechtssatz "Eine Auslegung ist nur bei einer absolut eindeutigen Erklärung nicht notwendig" nicht enthalten.
Im BGH-Urteil in NJW 1996, 2684 findet sich zwar der abstrakte Rechtssatz "Auslegung setzt erst ein, wenn der Wortlaut einer Erklärung zu Zweifeln überhaupt Anlass gibt". Dieser Rechtssatz entspricht jedoch den abstrakten Rechtssätzen, die das FG seinem Urteil zugrunde gelegt hat und begründet daher keine Divergenz.
Soweit der Kläger als Divergenzentscheidungen die BGH-Urteile in NJW 1997, 2874 und in NJW 2002, 3164 bezeichnet, hat er nicht dargelegt, dass diese Urteile einen vergleichbaren Sachverhalt und eine vergleichbare Rechtsfrage betreffen.
ee) Schließlich begründet auch die Berufung auf den abstrakten Rechtssatz im Urteil des FG Nürnberg vom 11. September 2003 VI 322/2002 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2003, 1751): "Geht in einem Schätzungsfall nach Erlass eines unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Schätzungsbescheids innerhalb der Einspruchsfrist beim FA die Steuererklärung ohne weitere Erläuterungen ein, ist dies als Antrag auf Aufhebung oder Änderung des Schätzungsbescheids zu werten" keine Divergenz zu der angefochtenen Entscheidung. Abgesehen davon, dass im Streitfall keine Schätzbescheide erlassen wurden, geht es in der angefochtenen Entscheidung nicht um die Auslegung einer ohne weitere Erläuterungen eingereichten Steuererklärung, sondern um die Auslegung eines Bevollmächtigten-Schreibens mit dem ausdrücklichen Antrag, den Vorbehalt der Nachprüfung aufrecht zu erhalten.
b) Eine Abweichung des angefochtenen Urteils von dem Urteil des FG Köln vom 28. Januar 1999 2 K 4074/97 (EFG 1999, 649) zur Umdeutung von außerprozessualen Willenserklärungen liegt nicht vor.
aa) Das FG hat entgegen dem Vortrag des Klägers nicht den abs-trakten Rechtssatz aufgestellt "(Verfahrens-)Erklärungen eines Steuerberaters können nicht umgedeutet werden. Sie sind beim Wort zu nehmen", sondern in den Entscheidungsgründen unter 1.b) auf Seite 7 ausgeführt, dass eine Umdeutung von Verfahrenserklärungen von Angehörigen der rechts- oder steuerberatenden Berufe "regelmäßig" ausscheidet. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, wonach es ein Gebot der Rechtssicherheit ist, Angehörige der steuerberatenden Berufe oder Rechtsanwälte beim Wort zu nehmen (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 2006 II R 35/06, BFH/NV 2006, 1800; BFH-Beschlüsse vom 29. Juli 1993 X B 210/92, BFH/NV 1994, 382; vom 10. April 2002 VIII B 122/01, BFH/NV 2002, 1309, und vom 21. Juli 2005 VIII B 77/05, BFH/NV 2005, 1861). Denn bei diesen Personen kann davon ausgegangen werden, dass sie sich über die rechtliche Tragweite ihrer Erklärungen im Klaren sind (BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 1800, und vom 29. Juli 1986 IX R 123/82, BFH/NV 1987, 359, m.w.N.).
bb) Das FG ist mit dem unter aa) bezeichneten abstrakten Rechtssatz auch nicht vom Urteil des FG Köln in EFG 1999, 649 abgewichen. Nach dessen Leitsatz 3 kann ein formunwirksamer Erstattungsantrag nach § 50d Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zwar in einen wirksamen Freistellungsantrag umgedeutet werden. Die Sachverhalte sind aber schon deswegen nicht vergleichbar, weil es in dem zugrunde liegenden Streitfall nicht um die Umdeutung eines von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe gestellten Erstattungsantrags in einen Freistellungsantrag ging. Ausweislich des Tatbestands des FG-Urteils beantragte vielmehr eine X-GmbH im Auftrag der Klägerin die Erstattung von Abzugssteuern. Hinzu kommt, dass in der Entscheidung des FG Köln ein formunwirksamer und damit eine Umdeutung ermöglichender Erstattungsantrag vorlag. Der Antrag, "den Vorbehalt der Nachprüfung … aufrecht zu erhalten", ist dagegen weder unwirksam noch --wie der Kläger meint-- deswegen sinnlos, weil dem Steuerpflichtigen dadurch keine Verbesserung seiner steuerlichen Lage entstehen würde. Im Hinblick darauf, dass der Vorbehaltsvermerk nach § 164 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) "jederzeit" und ohne besondere Begründung aufgehoben werden kann, erscheint ein Antrag auf Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung nicht sinnlos, auch wenn mit ihm lediglich erreicht werden kann, dass ein erfolgreicher Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO im Falle einer begünstigenden Rechtsprechungsänderung lediglich bis zum Ablauf der regulären Festsetzungsverjährung gestellt werden kann.
2. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO wegen eines schwerwiegenden Rechtsfehlers zuzulassen.
a) Eine Entscheidung des BFH ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, wenn ein Rechtsfehler des FG zu einer "greifbar gesetzeswidrigen" Entscheidung geführt hat. Voraussetzung hierfür ist, dass die Entscheidung des FG derart fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wieder hergestellt werden könnte (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. März 2011 V B 45/10, BFH/NV 2011, 999, und vom 29. Mai 2008 V B 160/07, BFH/NV 2008, 1544, m.w.N.). Davon ist nach ständiger Rechtsprechung insbesondere dann auszugehen, wenn das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat oder wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 8. Februar 2006 III B 128/04, BFH/NV 2006, 1116; vom 7. Juli 2005 IX B 23/05, BFH/NV 2005, 2031; vom 28. Juli 2003 V B 72/02, BFH/NV 2003, 1597). Unterhalb dieser Grenze liegende Rechtsfehler reichen indes nicht aus, um eine greifbare Gesetzeswidrigkeit oder eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 2031).
b) Das Vorliegen eines derart schwerwiegenden (qualifizierten) Rechtsfehlers hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt.
3. Die Revision kann auch nicht zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO zugelassen werden.
a) Der Zulassungsgrund der Notwendigkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts setzt eine klärungsbedürftige, entscheidungserhebliche und klärbare Rechtsfrage voraus, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist (BFH-Beschluss vom 9. Februar 2006 X B 107/05, BFH/NV 2006, 938).
b) Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen, "ob eine Umdeutung von Verfahrenserklärungen eines Steuerberaters dann zu erfolgen hat, wenn nur durch eine solche Umdeutung dem Gebot der Gewährung von effektivem Rechtsschutz entsprochen werden kann" und "ob die Grundsätze des § 140 BGB auch im Steuerrecht gelten", wären in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärbar.
Auch wenn die Umdeutung von Verfahrenserklärungen für Steuerberater grundsätzlich möglich wäre und/oder die Grundsätze des § 140 BGB im Steuerrecht gelten würden, erforderte eine Umdeutung in entsprechender Anwendung des § 140 BGB das Vorliegen einer nichtigen oder wegen Anfechtung unwirksamen Verfahrenserklärung. Daran fehlt es im Streitfall. Der Antrag auf Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung ist weder nichtig noch aus anderen Gründen unwirksam. Der Senat kann offen lassen, ob eine Umdeutung auch bei "sinnlosen" Verfahrenserklärungen möglich wäre. Wie oben (unter 1.b) bb) bereits ausgeführt wurde, ist ein Antrag auf Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung im Hinblick auf die Möglichkeit der Finanzbehörde, den Vorbehaltsvermerk jederzeit aufzuheben, nicht sinnlos.