Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 27.06.2013


BGH 27.06.2013 - StB 7/13

Immunität von Konsulaten: Reichweite der Immunität der Mitglieder der konsularischen Vertretungen im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Aufgabenwahrnehmung; Begriff der konsularischen Aufgabenwahrnehmung im Falle der Informationsgewinnung über terroristische Organisationen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
27.06.2013
Aktenzeichen:
StB 7/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze
Art 5 Buchst a KonsÜbk Wien
Art 36 Abs 2 KonsÜbk Wien
Art 43 Abs 1 KonsÜbk Wien
Art 55 Abs 1 KonsÜbk Wien

Tenor

Die Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. April 2013 (1 BGs 121/13) wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Staatskasse.

Gründe

1

Der Beschuldigte ist als Mitglied des Verwaltungspersonals eines Konsulats seines Heimatstaates in Deutschland gemeldet. Der Generalbundesanwalt hat ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 StGB) gegen den Beschuldigten eingeleitet. Dieser soll über einen Mittelsmann Informationen über in Deutschland lebende Landsleute und verschiedene Organisationen eingeholt haben. Der Generalbundesanwalt hat beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs beantragt, die Überwachung und Aufzeichnung des über einen bestimmten Telefonanschluss geführten Kommunikationsverkehrs des Beschuldigten anzuordnen. Diesen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 15. April 2013 abgelehnt. Dies hat er damit begründet, dass ein Verfahrens- sowie Verfolgungshindernis nach § 19 GVG bestehe und es bereits an einem Tatverdacht fehle, weil die zufällig aus anderen Überwachungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse, die sowohl den Telefonanschluss des Konsulats als auch den privaten Mobilfunkanschluss des Beschuldigten beträfen, unverwertbar seien. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Generalbundesanwalts, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.

2

Das gemäß § 304 Abs. 5 StPO statthafte Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg; der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat den Antrag zu Recht abgelehnt.

3

Der vom Generalbundesanwalt begehrten Ermittlungsmaßnahme steht das von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis der fehlenden deutschen Strafgerichtsbarkeit gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 GVG, Art. 43 Abs. 1 WÜK entgegen.

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1. Der Beschuldigte ist als Bediensteter des Verwaltungspersonals (Art. 1 Abs. 1 Buchst. e, Art. 19 WÜK) vom persönlichen Anwendungsbereich des Art. 43 Abs. 1 WÜK erfasst.

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2. Die ihm zur Last gelegten Handlungen unterfallen dem sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift.

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a) Die konsularische Immunität nach Art. 43 Abs. 1 WÜK erstreckt sich ausschließlich auf Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben ("in the exercise of consular functions") vorgenommen worden sind. Die Abgrenzung zwischen einer konsularischen Aufgabenwahrnehmung im Sinne des Art. 5 WÜK und einer sonstigen Tätigkeit kann im Einzelnen schwierig sein (vgl. Yearbook of the International Law Commission, 1961, Vol. II, S. 117; Wagner/Raasch/Pröpstl, WÜK, 2007, S. 296 ff.). Im Zweifelsfall kommt es darauf an, ob das Handeln des Konsuls oder seiner Beamten mit ihrer dienstlichen Betätigung noch irgendwie in einem inneren Zusammenhang steht (BGH, Beschluss vom 4. April 1990 - StB 5/90, BGHSt 36, 396, 401; für eine eher weite Auslegung von Art. 5 Buchst. a bis e WÜK etwa Lee/Shidlowski/Roy, Canadian Yearbook of International Law 34 [1996], 293, 299). Ein solcher Zusammenhang ist hier gegeben.

7

Der Generalbundesanwalt verdächtigt den Beschuldigten, gezielt Informationen über Angehörige des eigenen Staates, insbesondere zu solchen, die mit einer bestimmten (möglicherweise terroristischen) Organisation zusammenarbeiteten, besorgt zu haben. Eine solche Informationsgewinnung kann zur Wahrnehmung der Interessen des Entsendestaates sowie seiner Angehörigen im Empfangsstaat erforderlich sein, die zu den konsularischen Aufgaben gehört (Art. 5 Buchst. a WÜK). Eine nähere Kenntnis über die Aktivitäten etwaiger terroristischer Organisationen, die sich gegen den Entsendestaat wenden, liegt möglicherweise nicht allein im Interesse des Entsendestaates selbst, sondern auch im Interesse seiner Angehörigen im Empfangsstaat, falls diese etwa als Angriffsziele terroristischer Handlungen in Betracht kommen. Insofern erschöpfen sich die in Art. 5 Buchst. a WÜK genannten konsularischen Aufgaben nicht in dem Verkehr mit Angehörigen des Entsendestaates gemäß Art. 36 WÜK. Im Ergebnis bedürfen die in der Beschwerdeschrift näher erörterten Voraussetzungen des Art. 36 WÜK hier somit keiner Prüfung.

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Die weiteren bislang bekannten Umstände sprechen - wie in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt - ebenfalls dafür, dass der Beschuldigte in Zusammenhang mit seiner konsularischen Tätigkeit handelte: So nimmt der Generalbundesanwalt an, dass der Beschuldigte auf Veranlassung des Entsendestaates handelte. Auch nutzte er bei den ihm vorgeworfenen Aktivitäten mehrfach den Telefonanschluss des Konsulats, was dem ersten Anschein nach für Telefonate in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben spricht (vgl. dazu Polakiewicz, ZaöRV 1990, 761, 767). Die teilweise Benutzung des privaten Telefonanschlusses steht einer solchen Aufgabenwahrnehmung nicht entgegen, da der Beschuldigte auch Gespräche über Pass- und Visaangelegenheiten (s. Art. 5 Buchst. d WÜK), teils erkennbar zu Bürozeiten und in den Räumen des Konsulats, über seinen Mobilfunkanschluss führte. Insgesamt besteht daher ein innerer Zusammenhang zur dienstlichen Betätigung.

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b) Für die konsularische Immunität kommt es nicht darauf an, ob die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben entfaltete Tätigkeit rechtmäßig war. Zwar zählt Art. 5 Buchst. a WÜK den Interessenschutz nur innerhalb der völkerrechtlich zulässigen Grenzen zu den konsularischen Aufgaben. Überdies sind die Rechtsvorschriften des Empfangsstaates allgemein zu beachten (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 WÜK; vgl. auch Art. 36 Abs. 2 WÜK). Doch ist die Rechtmäßigkeit nicht von entscheidender Bedeutung für das Vorliegen der Immunität, da diese ansonsten im Ergebnis weitgehend wirkungslos bliebe (s. BGH, aaO S. 401 f.). Im Hinblick darauf hat die Völkerrechtskommission (International Law Commission) bei Ausarbeitung des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen bewusst davon abgesehen, die Immunität weiter zu beschränken und davon abhängig zu machen, dass die amtlichen Handlungen jeweils innerhalb der Grenzen des Konsularrechts liegen (vgl. Yearbook of the International Law Commission, 1961, Vol. II, S. 117). Auch das Bundesverfassungsgericht hat am Rande einer (in der Beschwerdeschrift zitierten) Entscheidung bemerkt, dass die Art. 41 ff. WÜK selbst Spione vor der Strafverfolgung schützen könnten: Zwar könnten sich diese nicht auf die Grundsätze der Staatenimmunität berufen; doch gelte unter anderem dann eine Ausnahme, wenn sie den Schutz der Art. 41 ff. WÜK genössen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 1995 - 2 BvL 19/91 u.a., BVerfGE 92, 277, 321; s. auch Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen, Bd. 1, 2007, S. 443, 487 f.; aA Richtsteig, WÜD und WÜK, 2. Aufl., S. 211).

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Diese Auslegung des Art. 43 Abs. 1 WÜK führt nicht zur Schutzlosigkeit des Empfangsstaates. Soweit ein konsularischer Bediensteter im Rahmen seiner Aufgabenwahrnehmung die Rechte des Empfangsstaates verletzt, ergeben sich dessen Reaktionsmöglichkeiten aber allein aus dem Konsularrecht selbst. Dieses stellt insoweit eine in sich geschlossene Ordnung - ein "self-contained régime" - dar (s. IGH, Urteil vom 24. Mai 1980 - General List No. 64, I.C.J. Reports 1980, 3, 39 ff.; zur diplomatischen Immunität BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1997 - 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68, 83). So kann etwa der Empfangsstaat jederzeit notifizieren, dass ein Konsularbeamter persona non grata oder dass ein anderes Mitglied des konsularischen Personals ihm nicht genehm ist (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 WÜK), und damit dem etwaigen Missbrauch konsularischer Vorrechte begegnen (vgl. IGH, aaO S. 39 f.; BGH, Beschluss vom 4. April 1990 - StB 5/90, BGHSt 36, 396, 402; zu weiteren Reaktionsmöglichkeiten Lee/Shidlowski/Roy, Canadian Yearbook of International Law 34 [1996], 293, 299 f.).

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c) Einer Tätigkeit in Erfüllung konsularischer Aufgaben steht nicht entgegen, dass der Beschuldigte (lediglich) Bediensteter des Verwaltungspersonals ist. Soweit der Anwendungsbereich des Art. 43 WÜK eröffnet ist, ist unerheblich, in welcher Funktion das Mitglied der konsularischen Vertretung handelte (vgl. dazu insbesondere den Standpunkt der deutschen Delegation bei den Verhandlungen zum WÜK: United Nations, Conference on Consular Relations, Official Records, 1963, Vol. I, S. 57).

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2. Eine Ausnahme von der nach Art. 43 Abs. 1 WÜK gegebenen Immunität - etwa aufgrund Verzichts des Entsendestaats (Art. 45 WÜK) - liegt nicht vor.

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3. Da die deutsche Strafgerichtsbarkeit in Bezug auf den dem Beschuldigten vorgeworfenen Sachverhalt nicht gegeben ist, scheiden die vom Generalbundesanwalt begehrten Ermittlungsmaßnahmen aus. Denn soweit die Gerichtsbarkeit ("jurisdiction") des Empfangsstaates fehlt, sind gegen den jeweiligen konsularischen Mitarbeiter bereits Untersuchungshandlungen ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 1984 - 2 ARs 252/84, BGHSt 33, 97, 98; Kissel/Mayer, GVG, 7. Aufl., § 18 Rn. 18; LR/Böttcher, StPO, 26. Aufl., § 19 Rn. 8). Daher bedürfen die im Beschwerdeverfahren angesprochenen weiteren Fragen, ob die bislang gewonnenen Erkenntnisse verwertbar sind und inwieweit die Überwachung des privat angemeldeten Mobiltelefons zulässig ist, keiner Erörterung.

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