Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 26.11.2012


BGH 26.11.2012 - NotZ (Brfg) 7/12

Notarbestellungsverfahren in Hessen: Erfüllung der Wartezeit für einen Rechtsanwalt mit einer Zweigstelle im Amtsbezirk eines Anwaltsnotariats


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
Senat für Notarsachen
Entscheidungsdatum:
26.11.2012
Aktenzeichen:
NotZ (Brfg) 7/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Frankfurt, 12. April 2012, Az: 1 Not 7/11, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des 1. Senats für Notarsachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. April 2012 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin geht gegen die Entscheidung der Beklagten über die Besetzung von Notarstellen im Amtsgerichtsbezirk F.         vor.

2

Die Klägerin ist seit 1998 als Rechtsanwältin in O.         zugelassen. Ihre Kanzlei befindet sich in etwa 500 m Entfernung zur Stadtgrenze zu F.           . Im Justizministerialblatt für Hessen vom 1. Juli 2010 schrieb die Beklagte 47 Notarstellen für den Amtsgerichtsbezirk F.          aus, auf die sich unter anderem die Klägerin - hilfsweise für den Fall, dass ihr eine Notarstelle in O.         nicht zugeteilt wird - und die Beigeladene bewarben. In dem Auswahlverfahren, das noch nach dem Punktesystem gemäß Abschnitt A Nr. II 3 des Runderlasses der Beklagten über die Ausführung der Bundesnotarordnung vom 25. Februar 1999 (JMBl. S. 222) in der Fassung vom 26. Oktober 2009 (JMBl. S. 563) abgewickelt wurde, erhielt die Klägerin 249,55 Punkte zugebilligt, während die Beigeladene 82,15 Punkte erzielte.

3

Mit Bescheid vom 5. August 2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, ihrer Bewerbung könne nicht entsprochen werden, da sie nicht die Voraussetzung des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO erfülle. Sie sei im Amtsgerichtsbezirk O.        und nicht in F.          als Rechtsanwältin tätig. Die Bestimmung eröffne nicht die Möglichkeit, von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit vollständig abzusehen. Aber selbst wenn man hiervon ausgehe, seien dem Ermessen der Justizverwaltung enge Grenzen gesetzt. Ausnahmen von der Wartezeit seien auf außergewöhnliche Sachverhalte zu beschränken. Weder aus zwingenden Gründen der Gerechtigkeit noch zur Wahrung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege sei es zu rechtfertigen, zugunsten der Klägerin von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit abzusehen. Deshalb sei beabsichtigt, die ausgeschriebenen Notarstellen an andere Bewerber, unter anderem an die Beigeladene, zu vergeben.

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Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage, mit der die Klägerin die Neubescheidung ihrer Bewerbung begehrt, hat das Oberlandesgericht abgewiesen. Die Klägerin beantragt die Zulassung der Berufung gegen die vorinstanzliche Entscheidung.

II.

5

Der Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet. Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Oberlandesgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111b Abs. 1 BNotO) noch stellen sich entscheidungserhebliche Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 111b Abs. 1 BNotO).

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1. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 21. Februar 2011 (NotZ (Brfg) 6/10, NJW 2011, 1517 Rn. 2 zu § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO a.F.) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 110, 304, 322 ff.; NJW 2003, 1108) ausgeführt, die Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO a.F. sei nicht in Zweifel zu ziehen. Die Klägerin hat mit ihren Darlegungen keine neuen Gesichtspunkte aufgezeigt, die diese Beurteilung infrage stellen könnten.

7

Gleiches gilt für die von der Klägerin geltend gemachte Europarechtswidrigkeit der Norm. In seinem Urteil vom 5. März 2012 (NotZ(Brfg) 14/11, NJW 2012, 1888 Rn. 9) hat der Senat gerade unter Bezugnahme auf das von der Klägerin angeführte Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 24. Mai 2011 (C 54/08, NJW 2011, 2941) bereits dargelegt, es sei nicht ersichtlich, inwiefern diese den Staatsangehörigkeitsvorbehalt betreffende Entscheidung für Notare Bedeutung hinsichtlich der Vorschriften über die Wartezeit haben könne. Da § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO a.F. für deutsche Staatsangehörige und EU-Ausländer gleichermaßen gilt, ist auch weiterhin nicht erkennbar, dass das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union für die Beurteilung der Rechtslage im vorliegenden Sachverhalt von Bedeutung sein könnte.

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2. Entgegen der Ansicht der Klägerin vermittelt auch ihr gegenüber der Beigeladenen der Gesamtsumme nach deutlich besseres Punkteergebnis keinen Anspruch auf eine Ausnahme von der Regelvoraussetzung des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO a.F.. Das Erfordernis der Einhaltung der allgemeinen und der örtlichen Wartezeit ist der Auswahl unter den geeigneten Bewerbern (§ 6 Abs. 3 BNotO) vorgelagert (Senatsurteil vom 5. März 2012 aaO, Rn. 5; Senatsbeschlüsse vom 21. Februar 2011 aaO; vom 24. Juli 2006 - NotZ 13/06, DNotZ 2007, 75, 77 und vom 3. Dezember 2001 - NotZ 17/01, NJW 2002, 968, 969). Würde schon die bessere Eignung als solche genügen, von den Erfordernissen des § 6 Abs. 2 BNotO a.F. abzusehen, verlören diese ihre eigenständige Bedeutung (Senatsbeschlüsse vom 21. Februar 2011 und vom 3. Dezember 2001 jeweils aaO). Dementsprechend hat grundsätzlich eine Auswahl nach der besseren Eignung und Befähigung nur unter den Bewerbern stattzufinden, die die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BNotO a.F. erfüllen.

9

Allerdings hat der Senat in seinem Beschluss vom 3. Dezember 2001 (aaO) ausgeführt, dass ein öffentliches Interesse, von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit abzusehen, auch in der Bestenauslese liegen könne, da umfassender Auswahlmaßstab für das Notariat die persönliche und fachliche Eignung sei. Allerdings sei der Verzicht auf die Einhaltung der Regelvoraussetzungen des § 6 Abs. 2 BNotO a.F. auf seltene Ausnahmefälle beschränkt. Die Bevorzugung des fachlich besser geeigneten, die Wartezeit aber (noch) nicht erfüllenden Bewerbers müsse aufgrund eines außergewöhnlichen Sachverhalts zwingend erscheinen. Zudem müsse den Gründen der örtlichen Wartezeit, wenn auch auf andere Weise, genügt sein (Senat aaO). Ein solcher außergewöhnlicher Sachverhalt ist nicht erkennbar. Abgesehen davon, dass es ein häufig anzutreffender Umstand ist, dass ein Bewerber seinen Kanzleisitz nahe der Grenze zu einem anderen Amtsgerichtsbezirk unterhält und oftmals auch in diesem tätig wird (siehe hierzu sogleich unter Nummer 3), ergibt sich aus ihrem vordergründig beträchtlichen Punktevorsprung entgegen den Ausführungen der Klägerin kein "extremer" Eignungsvorteil gegenüber der Beigeladenen. Die höhere Punktezahl der Klägerin beruht allein darauf, dass sie 192 Punkte für Fortbildungskurse erhalten, während die Beigeladene insoweit außer der Teilnahme an dem Pflichtkurs nichts aufzuweisen hat. Dies begründet aber keinen außerordentlichen Eignungsvorsprung. Nach der Senatsrechtsprechung lässt sich die fachliche Eignung nur unter Heranziehung sowohl der theoretischen Fortbildung als auch der praktisch erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse zuverlässig beurteilen (z.B. Senatsbeschlüsse vom 26. Oktober 2009 - NotZ 1/09, juris Rn. 25 und vom 20. November 2006 - NotZ 4/06, ZNotP 2007, 109 Rn. 29). Die Klägerin hat jedoch mit lediglich 1,8 Beurkundungspunkten - wie allerdings die Beigeladene auch - kaum Erfahrungen in der notariellen Praxis. Davon, dass sie, wie der Bevollmächtigte der Klägerin meint, auch in der Praxis "bestens" qualifiziert sei, kann damit keine Rede sein.

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3. Schließlich war auch im Übrigen das Ermessen der Beklagten nicht dergestalt auf null reduziert, dass sie die Nichteinhaltung der örtlichen Wartefrist gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO a.F. durch die Klägerin unberücksichtigt lassen musste.

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Die in diesem Zusammenhang von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage, ob auf die Einhaltung der örtlichen Wartefrist des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO gänzlich oder nur teilweise verzichtet werden kann (offen gelassen in den Senatsbeschlüssen vom 24. Juli 2006 - NotZ 13/06, DNotZ 2007, 75 und vom 3. Dezember 2001 - NotZ 17/01, NJW 2002, 968), ist nicht entscheidungserheblich. Selbst, wenn diese Rechtsfrage in dem von der Klägerin für richtig gehaltenen Sinn zu beantworten wäre, könnte sie nicht obsiegen. Die Beklagte hat in ihrer Hilfserwägung unterstellt, dass auch ein vollständiger Verzicht auf die Einhaltung des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO a.F. grundsätzlich möglich ist, jedoch die inhaltlichen Voraussetzungen für ein Abweichen von der Sollvorschrift verneint. Dies ist frei von Ermessensfehlern.

12

Nach der Rechtsprechung des Senats (z.B. Beschlüsse vom 24. Juli 2006 aaO, S. 76 und vom 3. Dezember 2001 aaO, S. 969) sind der Landesjustizverwaltung bei Ausübung des von § 6 Abs. 2 BNotO a.F. eröffneten Ermessens, auf die Wahrung der darin bestimmten Wartezeiten zu verzichten, enge Grenzen gesetzt. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn sich die Justizverwaltung auf außergewöhnliche Sachverhalte beschränkt, die das Absehen von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit aus Gerechtigkeits- oder Bedarfsgründen als zwingend erscheinen lassen. Anderenfalls wäre das vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollte Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt und das diesem innewohnende Element der Chancengleichheit aller Bewerber verletzt (Senat aaO).

13

Einen solchen außergewöhnlichen Sachverhalt haben die Beklagte und ihr folgend das Oberlandesgericht in nicht zu beanstandender Weise verneint. Dass ein Rechtsanwalt seinen Kanzleisitz in unmittelbarer geografischer Nähe zu einem anderen Amtsgerichtsbezirk unterhält, sich sein Mandantenstamm auch aus diesem Bezirk speist und er vielfach (auch) vor Gerichten und Behörden des Nachbarbezirks auftritt, ist kein ungewöhnlicher Vorgang. Er ist nicht auf Ballungsgebiete, zumal nicht auf den Großraum F.            , beschränkt. Gerade auch in ländlichen Gebieten kommt eine solche Fallgestaltung oftmals vor. Solche Situationen sind vielmehr im Rahmen des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO a.F. regelmäßige Folge jedweder Abgrenzung von Amtsgerichtsbezirken. Die damit für die am geografischen Rand eines Bezirks tätigen Rechtsanwälte verbundenen Misshelligkeiten werden zumindest teilweise dadurch ausgeglichen, dass § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO a.F. grundsätzlich auch umgekehrt Bewerbungen potentiell konkurrierender benachbarter Rechtsanwälte aus dem angrenzenden Bezirk entgegensteht.

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4. Auf die Frage, ob die Beigeladene nicht ordnungsgemäß an dem Vorbereitungslehrgang teilgenommen hat, kommt es für die Entscheidung nicht an. Da die Klägerin aufgrund des Fehlens der Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO a.F. nicht zu den nach § 6 Abs. 3 BNotO in die Auswahl einzubeziehenden Personenkreis gehört, könnte sie selbst dann in dem Besetzungsverfahren nicht berücksichtigt werden, wenn die Beigeladene nicht die Mindestvoraussetzungen erfüllte.

Galke                            Herrmann                              Wöstmann

                Strzyz                                  Frank