Entscheidungsdatum: 05.03.2012
Beantwortet ein Bewerber für eine Notarstelle in der Selbstauskunft zu seinem Antrag eine Frage, deren Zulässigkeit nicht in Zweifel steht, muss die Auskunft richtig und vollständig sein.
Der Antrag des Beigeladenen zu 3 auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Senats für Notarsachen des Kammergerichts vom 16. August 2011 wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene zu 3 trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auf 50.000 € festgesetzt.
I.
Der Beigeladene zu 3 begehrt die Zulassung der Berufung, weil das Kammergericht die Beklagte verpflichtet hat, den Antrag des Klägers auf Übertragung einer Notarstelle unter Berücksichtigung der Zweifel an der persönlichen Eignung des Beigeladenen zu 3 für das Amt des Notars neu zu bescheiden.
Der Beigeladene zu 3 bewarb sich auf eine der mit Ausschreibung vom 26. September 2008 (Amtsblatt S. 2279 ff.) zu besetzenden 30 Notarstellen, von denen 28 für Bewerber mit der zweiten juristischen Staatsprüfung nach dem Deutschen Richtergesetz und zwei für Bewerber mit juristischem Diplomabschluss nach der Prüfungsordnung der DDR vorgesehen sind. Die Bewerbungsfrist lief zum 17. November 2008 ab. In der Anlage zur Bewerbung gab der Beigeladene zu 3 eine Nebentätigkeit als Lehrbeauftragter für osteuropäisches Recht und die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der K. Holding GmbH an. Die Frage unter Ziff. 4 a) der Selbstauskunft nach straf-, disziplinar- oder standesrechtlichen Ermittlungsverfahren beantwortete der Beigeladene zu 3 mit "nein". In Ziff. 4 wird ausdrücklich klargestellt, dass auch Verfahren anzugeben sind, die nicht zu einer Bestrafung oder Ahndung geführt haben. Mit Schreiben vom 3. Mai 2010 forderte die Beklagte den Beigeladenen zu 3 zu einer ergänzenden Stellungnahme hinsichtlich der von ihm angegebenen Nebentätigkeiten auf. Dabei gab sie Gelegenheit, sich dazu zu äußern, dass er im Rahmen früherer Bewerbungen um eine Notarvertretung beide Tätigkeiten in den dort abgegebenen Selbstauskünften trotz einer ausdrücklichen Nachfrage nach etwaigen Nebentätigkeiten nicht angegeben hatte. Hierfür entschuldigte sich der Beigeladene zu 3 nach Fristsetzung durch die Beklagte vom 19. Mai 2010 im Schreiben vom 6. Juni 2010 und versicherte, er werde zukünftig sicherstellen, dass die Tätigkeiten in den Selbstauskünften vollständig angegeben werden. In weiteren Selbstauskünften zu Anträgen auf Bestellung zum Notarvertreter vom 17. Juni 2009, 17. August 2009, 15. Dezember 2009, 7. April 2010 und 16. Juli 2010 gab der Beigeladene zu 3 das gegen ihn von der Staatsanwaltschaft Berlin wegen des Vorwurf des Betrugs geführte und ihm seit April 2009 bekannte Ermittlungsverfahren Az. 61 Js 1046/09 nicht an. Dem Verfahren liegt die Anzeige wegen Betruges durch die Gegenpartei eines Mandanten des Beigeladenen zu 3 zugrunde, gegen den ein Vollstreckungsverfahren für eine bereits beglichene Forderung eingeleitet worden war. Nach Stellungnahme durch den anwaltlichen Vertreter des Beigeladenen zu 3 vom 10. Juni 2009, dass das Vollstreckungsverfahren während des Urlaubs des Beigeladenen zu 3 durch die Kanzlei eingeleitet worden sei, wurde das Verfahren am 12. Juni 2009 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Erst nach einem mit einer Mitarbeiterin der Beklagten am 20. Juli 2010 geführten Telefonat wegen eines älteren Ermittlungsverfahrens, das nicht in den Bewerbungsunterlagen genannt war, äußerte sich der Beigeladene zu 3 im Schreiben vom 18. August 2010 dahingehend, dass er das Ermittlungsverfahren schlicht vergessen habe, weil es durch ein ihm persönlich nicht vorzuwerfendes Verhalten veranlasst worden sei.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 2. November 2010 dem Beigeladenen zu 3 mitgeteilt, dass er den 24. Rang erreicht habe und beabsichtigt sei, ihm eine der zu besetzenden Notarstellen zu übertragen. Auf die Klage des Mitbewerbers mit der Rangstelle 29 hat das Kammergericht durch Urteil vom 16. August 2011 den Bescheid der Beklagten vom 2. November 2010 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Das Kammergericht hat die Berufung nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Beigeladene zu 3, der die Zulassung der Berufung begehrt.
II.
1. Gegen die Zulässigkeit des von dem Beigeladenen zu 3 gestellten Antrags bestehen keine Bedenken. Er ist insbesondere rechtzeitig eingereicht und begründet worden (§ 124a Abs. 4 VwGO i.V.m. § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO). Der durch Beschluss vom 12. April 2011 Beigeladene zu 3 ist durch das Urteil des Kammergerichts auch beschwert, weil er durch dessen Bindungswirkung gemäß § 65 Abs. 1, § 121 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO präjudiziell und unmittelbar in seinen Rechten beeinträchtigt wird (vgl. BVerwGE 104, 289). Nach dem Urteil des Kammergerichts darf dem Beigeladenen zu 3 die vorgesehene Notarstelle nicht übertragen werden, weil Zweifel an seiner persönlichen Eignung bestehen. Mithin greift das Urteil des Kammergerichts unmittelbar in die ihm im Bescheid der Beklagten vom 2. November 2010 eingeräumte Rechtsposition ein.
2. Der Antrag hat in der Sache allerdings keinen Erfolg, da entgegen der Ansicht des Beigeladenen zu 3 ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht bestehen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO).
a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen, wenn gegen sie nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen (Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl., § 124 Rn. 7 mwN). Hiervon ist auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00, juris Rn. 15) und sich ohne nähere Prüfung nicht beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (ausführlich hierzu: Kopp/Schenke aaO Rn. 7, 7a-d mwN). Die Entscheidung des Kammergerichts begegnet unter Berücksichtigung des Auswahl- und Ermessensspielraums des Beklagten und der deshalb nach § 114 Satz 1 VwGO i.V.m. § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO eingeschränkten Nachprüfbarkeit der angefochtenen Entscheidung durch die Gerichte solchen Bedenken nicht.
b) Zutreffend geht das Kammergericht davon aus, dass eine Eignungsvermutung zugunsten der Bewerber um ein Notaramt nicht besteht, vielmehr verbleibende Zweifel zu Lasten des jeweiligen Bewerbers gehen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. November 2008 - NotZ 10/08, NJW-RR 2009, 350 Rn. 9). Auf der Grundlage einer Gesamtschau des Verhaltens des Beigeladenen zu 3 in früheren Bewerbungsverfahren zur Bestellung als Notarvertreter und seinem Verhalten im vorliegenden Verfahren sind Zweifel an der persönlichen Eignung des Beigeladenen zu 3 für das Amt des Notars begründet.
c) Gegen die persönliche Eignung des Beigeladenen zu 3 spricht entscheidend, dass er in den Selbstauskünften am 17. Juni 2009, 17. August 2009, 15. Dezember 2009 und 7. April 2010 das gegen ihn von der Staatsanwaltschaft Berlin geführte Ermittlungsverfahren Az. 61 Js 1046/09 verschwiegen hat. Die dafür vorgebrachte Begründung, er habe das Ermittlungsverfahren vergessen, weil ihm ein Sachverhalt zugrunde gelegen habe, der von einem Kollegen seiner Kanzlei in Gang gebracht worden sei, hat das Kammergericht ohne Rechtsfehler schon im Hinblick auf den zeitlichen Ablauf als Schutzbehauptung gewertet, der nicht gefolgt werden kann.
Der Beigeladene zu 3 hatte den Gegner des Anzeigeerstatters im Prozess selbst vertreten. Die Anzeige und Einleitung des Ermittlungsverfahrens wurde ihm am 2. April 2009 mitgeteilt. Zwar erschien er nicht zur polizeilichen Vernehmung, er teilte aber mit, dass er sich äußern werde. Am 10. Juni 2009 gab ein Rechtsanwalt seiner Sozietät eine umfangreiche Stellungnahme ab. Die Einstellungsverfügung vom 16. Juni 2009 wurde dem Verteidiger am 9. Juli 2009 mitgeteilt. Dass ein solcher Vorgang bei Abgabe der Selbstauskünfte am 17. Juni 2009, 17. August 2009, 15. Dezember 2009 und 7. April 2010 dem Beigeladenen zu 3 präsent war und er vorsätzlich zu täuschen versuchte, liegt nahe. Unerheblich für die Bewertung des Verhaltens des Beigeladenen zu 3 ist dabei der Umstand, dass von der Mitarbeiterin nach einem älteren Ermittlungsverfahren (Az. 63 Js 7188/07), das dem Beigeladenen zu 3 nicht zur Kenntnis gekommen war, nachgefragt worden ist und der Beigeladene zu 3 lediglich wegen dieses Missverständnisses seine Angaben ergänzte, zu denen er ohnehin von Anfang an verpflichtet war. Das Verhalten belegt, wie das Kammergericht ohne Rechtsfehler ausgeführt hat, einen sehr nachlässigen Umgang mit der Wahrheitspflicht bei Angaben gegenüber der Landesjustizverwaltung und weckt berechtigte Zweifel an der persönlichen Eignung des Beigeladenen zu 3 für das Amt des Notars.
Der Senat vermag sich nicht der Auffassung des Beigeladenen zu 3 anzuschließen, dass ein "vorsätzlicher Täuschungsversuch" nachgewiesen sein muss, um die persönliche Eignung des Beigeladenen zu 3 in Zweifel zu ziehen. Diese steht vielmehr bereits dann in Frage, wenn - wie hier vom Kammergericht bedenkenfrei festgestellt - bei dem Beigeladenen zu 3 (zumindest) eine sehr nachlässige und mit den Anforderungen an die Tätigkeit als Notar unvereinbare Umgangsweise mit ihm obliegenden Auskunftspflichten zutage getreten ist. Eine andere Sichtweise reduzierte die Auskunftspflicht auf Verfahren, die von der Beklagten nicht selbst recherchiert werden und deshalb nicht bekannt werden könnten. Die Wahrheitspflicht, die von einem angehenden Notar erwartet werden muss, würde damit in nicht hinnehmbarer Weise ausgehöhlt.
Wesentliche Voraussetzung für die persönliche Eignung eines Bewerbers für das Amt des Notars ist, dass der rechtsuchende Bürger dem Notar Achtung und Vertrauen entgegenbringen kann. Deshalb kommt es nicht nur auf Fähigkeiten wie Urteilsvermögen, Entschlusskraft, Standfestigkeit, Verhandlungsgeschick und wirtschaftliches Verständnis an, sondern vor allem auf uneingeschränkte Wahrhaftigkeit und Redlichkeit. Die zuletzt genannten Eigenschaften kommen maßgeblich im Verhältnis zu den Aufsichtsbehörden zum Tragen. Denn zur Wahrnehmung ihrer für die Gewährleistung einer funktionstüchtigen vorsorgenden Rechtspflege wesentlichen Aufsichtsbefugnisse müssen sich die Aufsichtsbehörden darauf verlassen können, dass der Notar ihnen vollständige und wahrheitsgemäße Auskünfte erteilt (Senat, Beschluss vom 17. November 2008 - NotZ 10/08, ZNotP 2009, 29 Rn. 8). Mit diesen Anforderungen verträgt sich ein vorsätzlicher Täuschungsversuch nicht; ebensowenig ein - hier festgestellter - wiederholt sehr nachlässiger Umgang mit in notariellen Angelegenheiten erteilten Selbstauskünften. Erschwerend kommt hinzu, dass dies während des laufenden Bewerbungsverfahrens geschah.
Dem Beigeladenen stand es auch nicht zu, die Relevanz der fraglichen Angaben für die Aufsichtsbehörde zu beurteilen und danach die Auskunft zu erteilen oder nicht zu erteilen. Erteilt der Notar auf eine Frage, deren Zulässigkeit - wie hier - nicht in Zweifel steht, eine Auskunft, muss diese, wie bereits ausgeführt, richtig und vollständig sein. Meint der Notar, zu einer Auskunft nur in eingeschränktem Umfang verpflichtet zu sein, muss er diese Einschränkung jedenfalls klar zum Ausdruck bringen und darf seine Angaben nicht etwa "stillschweigend" verkürzen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 111d Satz 2 BNotO, § 154 Abs. 2 und 3 Satz 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der übrigen Beigeladenen werden dem Beigeladenen zu 3 nicht auferlegt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 11. Oktober 2001 - 8 ZB 01.1789, DVBl 2002, 345, juris Rn. 10 ff.; Kopp/Schenke aaO § 163 Rn. 23).
Die Wertfestsetzung ergibt sich aus § 111g Abs. 2 Satz 1 BNotO.
Galke Diederichsen Appl
Brose-Preuß Frank