Entscheidungsdatum: 24.07.2017
1. Der Notar muss jedenfalls den Tatsachenkern des zu beurkundenden Geschäfts aufklären.
2. In dem in einer disziplinarrechtlichen Einleitungsverfügung enthaltenen Vorwurf, die Interessen der Urkundsbeteiligten nicht hinreichend ermittelt zu haben, ist der Vorwurf der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung enthalten.
3. Eine disziplinarische Maßnahme kann im Einzelfall unvereinbar mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden, wenn das Disziplinarverfahren unverhältnismäßig lange dauert. Zur hinreichenden Begründung der Unverhältnismäßigkeit bedarf es einer sich aus den Umständen ergebenden Evidenz.
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das ihm am 3. Dezember 2016 zugestellte Urteil des Notarsenats bei dem Oberlandesgericht Celle zuzulassen, wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
Der Antrag ist unbegründet. Ein Grund für die Zulassung der Berufung gemäß § 105 BNotO, § 64 Abs. 2 Satz 2 BDG i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben.
1. Entgegen der Auffassung des Klägers bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Das Oberlandesgericht hat zu Recht angenommen, dass der Kläger ein Dienstvergehen im Sinne des § 95 BNotO begangen hat. Er hat schuldhaft die ihm gemäß § 17 Abs. 1 BeurkG obliegenden Amtspflichten verletzt, indem er ohne ausreichende Klärung des zugrunde liegenden Sachverhalts einen Erbauseinandersetzungsvertrag beurkundet hat, der den Interessen und dem Willen der Beteiligten zuwiderlief.
a) Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BeurkG soll der Notar den Willen der Beteiligten erforschen, den Sachverhalt klären und die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts belehren. Damit soll gewährleistet werden, dass der Notar eine rechtswirksame Urkunde errichtet, die den Willen der Beteiligten vollständig sowie inhaltlich richtig und eindeutig wiedergibt (vgl. Senatsurteil vom 24. November 2014 - NotSt(Brfg) 1/14, BGHZ 203, 280 Rn. 28; BGH, Urteile vom 21. Januar 2016 - III ZR 160/15, juris Rn. 12; vom 24. April 2008 - III ZR 223/06, ZNotP 2008, 287, juris Rn. 13; vom 19. Oktober 1995 - IX ZR 104/94, NJW 1996, 520, juris Rn. 14 f.; vom 6. November 1986 - IX ZR 125/85, NJW 1987, 1266 juris Rn. 32). Der Notar kann den Willen der Beteiligten aber nur dann richtig erfassen und in eine rechtliche Form kleiden, wenn er den zugrundeliegenden Sachverhalt kennt. Deshalb muss er den Tatsachenkern des zu beurkundenden Geschäfts aufklären. Er darf sich dabei zwar regelmäßig auf die tatsächlichen Angaben der Beteiligten ohne eigene Nachprüfung verlassen. Er muss allerdings bedenken, dass Beteiligte entscheidende Umstände, auf die es für das Rechtsgeschäft ankommen kann, möglicherweise nicht erkennen oder rechtliche Begriffe, die auch unter Laien gebräuchlich sind und die sie ihm als Tatsachen vortragen, möglicherweise falsch verstehen (BGH, Urteile vom 19. Oktober 1995 - IX ZR 104/94, NJW 1996, 520 Rn. 15; vom 6. November 1986 - IX ZR 125/85, NJW 1987, 1266 Rn. 32, jeweils m.w.N.).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger die ihm gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BeurkG obliegenden Prüfungs- und Belehrungspflichten verletzt.
aa) Der Kläger hat im Rahmen der Anhörung vor dem Landgericht Bückeburg in dem Verfahren 4 T 18/12 vom 30. Juli 2012 - wie auch in seinen Schriftsätzen vom 5. Mai 2014, vom 15. Juni 2015 und in der Klageschrift vom 31. März 2016 - übereinstimmend angegeben, es sei das Ziel der Beteiligten - Frau S. und ihrer beiden Söhne - gewesen, nach dem Tod ihres Ehemannes bzw. Vaters das Eigenheim zu erhalten und die Söhne aus der Haftung herauszuhalten. Außerdem habe das Grundbuch korrigiert werden sollen, das nach dem Tod des Ehemannes der Frau S. unrichtig geworden sei. In der Anhörung vom 30. Juli 2012 hat der Kläger ausgeführt, Frau S. sei es daran gelegen gewesen, ihre beiden Kinder aus der Schuldenhaftung herauszuhalten. Die Kinder hätten mit den Schulden, die sich auch aus dem Grundbuch ergeben hätten, nichts zu tun. Eine persönliche Haftung habe deshalb ohnehin nicht bestanden. Auch über die Erbenstellung sei eine persönliche Haftung nicht gegeben gewesen. Der Kläger hat ausdrücklich eingeräumt, dass ihm nicht bekannt gewesen sei, wie hoch die Schulden im Einzelnen seien. Dies sei den Beteiligten auch nicht bekannt gewesen. Jedenfalls hätten sie ihm keine befriedigende Auskunft geben können. In dem Zusammenhang sei erwähnt worden, dass die bei den Banken oder der Bank bestehenden Verbindlichkeiten durch Lebensversicherungen abgesichert seien. Die Lebensversicherungen seien in der Regel an die Bank abgetreten. Daraus habe er auf den ersten Blick entnommen, dass der Nachlass nicht überschuldet sei. Durch die Aufteilung des Nachlasses auf die drei Urkundsbeteiligten habe die Chance bestanden, dass die Banken die beiden Kinder im Hinblick auf ihre ¼-Anteile aus der dinglichen Haftung entlassen würden. Dies sei der Grund für die Erbauseinandersetzung gewesen und sei auch so mit Frau S. erörtert worden.
Soweit der Kläger im Widerspruch dazu im Zulassungsantrag behauptet, es sei den Beteiligten selbst klar gewesen, dass eine Enthaftung der Söhne zum damaligen Zeitpunkt nicht in Betracht gekommen sei, die Erbauseinandersetzung habe nicht das Ziel gehabt, eine Enthaftung der Söhne zu bewirken, sondern habe allein der Vermeidung von Schwierigkeiten der Erbengemeinschaft gedient, ist dieser Vortrag unbeachtlich. Obwohl die Beklagte bereits in der Klageerwiderung auf diverse Widersprüche in den Angaben des Klägers und auf die Notwendigkeit einer Aufklärung dieser Widersprüche hingewiesen hat, hat der Kläger den Wechsel seines Vortrags im Zulassungsantrag nicht begründet.
bb) Damit hat der Kläger den Beteiligten, die ihn im Vertrauen auf seine Rechtskenntnis und seine Erfahrung in der rechtlich einwandfreien Ermittlung und Niederlegung dessen, was sie wollten, und der zweckmäßigen Gestaltung dieses Willens aufgesucht hatten, auf einer völlig ungesicherten Tatsachenbasis den Abschluss eines Erbauseinandersetzungsvertrages nahegelegt und diesen beurkundet, obwohl ein solcher Vertrag den Interessen der Beteiligten eindeutig zuwiderlief. Er bewirkte nicht die angestrebte Entlassung der Söhne aus der Haftung, sondern begründete im Gegenteil die Gefahr, dass etwaige Nachlassgläubiger Befriedigung aus deren Eigenvermögen suchen würden. Denn mit dem Vollzug der Nachlassteilung verloren die Miterben sowohl ihr Recht, gemäß § 2059 Abs. 1 BGB die Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten aus ihrem Eigenvermögen zu verweigern, als auch die Möglichkeit, eine die Haftung auf den Nachlass beschränkende Nachlassverwaltung (§ 2062 Halbs. 2, § 1975 BGB) herbeizuführen (vgl. Staudinger/Marotzke, BGB, Neubearbeitung 2016, § 2058 Rn. 6 ff.; § 2060 Rn. 2 ff., jeweils m.w.N.). Eine uneingeschränkte Haftung der Söhne mit ihrem Eigenvermögen wollten die Urkundsbeteiligten aber gerade verhindern.
c) Soweit der Kläger geltend macht, die Dienstaufsichtsbehörde habe im Widerspruchsbescheid die abwegige Rechtsauffassung vertreten, eine Erbauseinandersetzung sei nur dann zulässig, wenn die Nachlassverbindlichkeiten berichtigt seien, zeigt er keine Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils auf. Er führt selbst aus, dass das Oberlandesgericht "die abwegige Meinung der Dienstaufsicht richtig" gestellt habe, indem es festgestellt habe, dass ein positiver Nachlass auch dann, wenn noch Schulden vorhanden seien, auseinandergesetzt werden dürfe.
d) Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Verfolgung des Dienstvergehens nicht wegen Ablaufs der Fünf-Jahres-Frist gemäß § 95a Abs. 1 Satz 1 BNotO unzulässig. Denn diese Frist, die mit der Vollendung des Dienstvergehens im Beurkundungstermin vom 2. November 2009 begonnen hat, ist durch die Einleitung des Disziplinarverfahrens mit Verfügung vom 25. März 2014, dem Kläger zugestellt am 29. März 2014, unterbrochen worden (§ 95a Abs. 1 Satz 2 BNotO).
Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Oberlandesgericht auch nicht die diesem in der Disziplinarverfügung vorgeworfene Amtspflichtverletzung "zur Seite geschoben" und durch einen neuen und einem eigenständigen Fristablauf unterliegenden Verletzungstatbestand ersetzt. Denn der Vorwurf, den Sachverhalt nur unzureichend geklärt zu haben, war der Sache nach bereits Gegenstand der Einleitungsverfügung und der Disziplinarverfügung vom 23. März 2015. In beiden Verfügungen hat die Beklagte dem Kläger vorgeworfen, die Interessen der Beteiligten nicht hinreichend ermittelt zu haben. Auf die unzureichende Ermittlung der Interessen der Beteiligten hatte auch das Landgericht Bückeburg in dem Verfahren 4 T 18/12, dessen Ausführungen in der Disziplinarverfügung in den maßgeblichen Teilen wörtlich wiedergegeben werden und auf die auch in der rechtlichen Würdigung ausdrücklich Bezug genommen wird, abgestellt.
In dem Vorwurf der nicht hinreichenden Ermittlung der Interessen der Urkundsbeteiligten ist der Vorwurf der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung enthalten. Denn die Interessen der Beteiligten werden maßgeblich durch den zugrundeliegenden Sachverhalt bestimmt; sie können nicht losgelöst von ihm beurteilt werden. Der Notar kann die Interessen und den Willen der Beteiligten nur dann richtig erfassen und in die passende rechtliche Form bringen, wenn er den der Beurkundung zugrundeliegenden Lebenssachverhalt kennt (vgl. BGH, Urteile vom 19. Oktober 1995 - IX ZR 104/94, NJW 1996, 520, juris Rn. 14 f.; vom 6. November 1986 - IX ZR 125/85, NJW 1987, 1266, juris Rn. 32). Dementsprechend ist die hinreichende Sachverhaltsaufklärung notwendige Voraussetzung für eine zutreffende Belehrung der Beteiligten (Armbrüster in Armbrüster/Preuss/Renner, Beurkundungsgesetz, 17. Aufl., § 17 Rn. 18).
2. Auch der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 105 BNotO, 64 Abs. 2 Satz 2 BDG - Vorliegen eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann - ist nicht gegeben.
a) Ein solcher ergibt sich nicht daraus, dass dem Kläger die Verletzung der Pflicht zur ausreichenden Klärung des Sachverhalts in der Disziplinarverfügung nicht ausdrücklich vorgeworfen und er vor Erlass des angefochtenen Urteils auf eine solche Pflichtverletzung nicht ausdrücklich hingewiesen worden ist. Hierin liegt insbesondere kein Verstoß gegen das Recht des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG. Denn dieser Vorwurf war, wie soeben ausgeführt, der Sache nach bereits Gegenstand sowohl der Einleitungs- als auch der Disziplinarverfügung. In diesem Sinne hat der Kläger die Einleitungsverfügung auch verstanden. Auf S. 5 seines Schriftsatzes vom 5. Mai 2014 stellte er in Abrede, die Interessen der Beteiligten nicht hinreichend ermittelt zu haben. Der Nachlass sei nicht überschuldet gewesen. Die Parteien hätten einerseits den Nachlass erhalten und andererseits die Kinder aus der Haftung heraushalten wollen. Bei dieser Sachlage bedurfte es keines Hinweises darauf, dass dem Beklagten auch die unzureichende Sachverhaltsaufklärung vorgeworfen werde.
b) Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO folgt auch nicht aus einer Verletzung des Beschleunigungsgebots gemäß § 4 BDG. Entgegen der Auffassung des Klägers war das Oberlandesgericht insbesondere nicht verpflichtet, aus diesem Grund das Disziplinarverfahren einzustellen.
aa) Allerdings kann eine disziplinarische Maßnahme im Einzelfall unvereinbar mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden, wenn das Disziplinarverfahren unverhältnismäßig lange dauert. Disziplinarverfahren sind ihrer Natur nach mit der gebotenen Beschleunigung durchzuführen. Eine Verzögerung des Verfahrens setzt den Betroffenen einer Belastung aus, die schwerer ist als im Falle der ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens. Da innerhalb einer stetig verlaufenden zeitlichen Entwicklung der präzise Zeitpunkt, zu dem eine noch verhältnismäßige Belastung in eine unverhältnismäßige umschlägt, nicht feststellbar ist, bedarf es zur hinreichenden Begründung der Unverhältnismäßigkeit einer sich aus den Umständen ergebenden Evidenz (BVerfGE 46, 17, 29; BVerfG, NVwZ 2008, 669, juris Rn. 15).
bb) Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Auch wenn zwischen der Einleitung des Disziplinarverfahrens und dem rechtskräftigen Abschluss in der letzten Instanz 3 ¼ Jahre verstrichen sind, kann angesichts des nicht geringfügigen Vorwurfs und der Notwendigkeit, dem Verteidigungsvorbringen des Klägers im Einzelnen und sorgfältig nachzugehen, die Verhängung einer Geldbuße nicht als evident unangemessen angesehen werden. Anders als in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Oktober 1977 (BVerfGE 46, 17) zugrundeliegenden Fall einer bereits angeordneten Gehaltskürzung war der Kläger keiner erheblichen Dauerbelastung ausgesetzt. Wie bereits unter 1. c) ausgeführt, haben die Aufsichtsbehörden und Gerichte den Kläger auch nicht "jahrelang mit falschen Vorwürfen" beschäftigt und das Verfahren durch "falsche Beschuldigungen erst in Gang gesetzt".
Eine andere Beurteilung ist entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht im Hinblick auf den Umstand geboten, dass der ursprüngliche Gebührenwert des beurkundeten Rechtsgeschäfts nur 195,46 € betrug. Der Kläger übersieht, dass Verstößen gegen die Prüfungs- und Belehrungspflicht aus § 17 Abs. 1 BeurkG ein besonderes Gewicht zukommt. Diese Pflichten dienen dazu, wichtige Rechtsgeschäfte vorab einer qualifizierten rechtlichen Überprüfung zu unterziehen und dabei die Beteiligten nicht nur über die rechtliche Tragweite des Geschäfts zu belehren, sondern auch eine Benachteiligung rechtlich ungewandter Beteiligter zu vermeiden (BVerfGE 131, 130, 141). Verstöße, die sich als unzureichende Erforschung des Willens der Urkundsbeteiligten erweisen und mit der Gefahr unzureichender Sorge um die Interessen zumindest eines Beteiligten verbunden sind, stellen die vorsorgende Rechtspflege in Frage (Senatsurteil vom 24. November 2014 - NotSt(Brfg) 1/14, BGHZ 203, 280 Rn. 31).
Die lange Dauer des Disziplinarverfahrens hat das Oberlandesgericht bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße angemessen berücksichtigt.
c) Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO folgt schließlich auch nicht daraus, dass das angefochtene Urteil unter Verstoß gegen § 67 Abs. 6 Satz 5 VwGO i.V.m. § 105 BNotO, 64 Abs. 2 Satz 2 BDG zunächst dem Kläger persönlich und seinem Prozessbevollmächtigten erst auf dessen Hinweis zugestellt worden ist. Auf diesem Umstand kann die angefochtene Entscheidung offensichtlich nicht beruhen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 109 BNotO, § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 111g Abs. 1 Satz 1 BNotO i.V.m. § 52 GKG.
Galke |
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Wöstmann |
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von Pentz |
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Müller-Eising |
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Frank |
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