Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 17.10.2011


BGH 17.10.2011 - LwZB 2/11

Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Rechtsanwaltsverschulden bei Telefaxübermittlung eines nicht unterschriebenen Schriftsatzes


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
Senat für Landwirtschaftssachen
Entscheidungsdatum:
17.10.2011
Aktenzeichen:
LwZB 2/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Zweibrücken, 23. Februar 2011, Az: 4 U 148/10 Lw, Beschlussvorgehend AG Landau (Pfalz), 10. September 2010, Az: Lw 8/08
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn trotz Befolgung der für die Unterschriftenkontrolle bestehenden Anweisungen durch das Kanzleipersonal die Frist wegen eines Verschuldens des Prozessbevollmächtigten bei der Unterschriftsleistung versäumt wurde .

2. Ist eine Kanzleianordnung nicht geeignet, den konkreten Fehler des Rechtsanwalts (hier die Unterzeichnung des falschen Schriftstücks) bei einem normalen Verlauf der Dinge aufzufangen, ist das Anwaltsverschulden bei der Unterschriftsleistung als für die versäumte Frist ursächlich anzusehen und bei einer wertenden Betrachtung weiterhin dem Anwalt und nicht (allein) dem Büropersonal zuzurechnen .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Senat für Landwirtschaftssachen vom 23. Februar 2011 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde beträgt 35.836,37 €.

Gründe

I.

1

Die Kläger haben den Beklagten u.a. auf Räumung und Herausgabe einer an ihn verpachteten Hofstelle verklagt.

2

Das Amtsgericht - Landwirtschaftsgericht - hat die Klage abgewiesen. Am letzten Tage der verlängerten Frist für die Berufungsbegründung ist bei dem Oberlandesgericht per Telefax eine 19-seitige Berufungsbegründung mit einer 4-seitigen Anlage, einer Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft, eingegangen. Nur die Strafanzeige ist von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger unterschrieben. Am folgenden Tage ist bei dem Oberlandesgericht auf dem Postweg eine von dem Rechtsanwalt unterschriebene Berufungsbegründung mit einer (nicht unterschriebenen) Strafanzeige als Anlage eingegangen.

3

Die Kläger haben nach dem richterlichen Hinweis, dass die am letzten Tag der verlängerten Frist eingegangene Berufungsbegründung entgegen § 520 Abs. 5, § 130 Nr. 6 ZPO nicht unterschrieben worden sei, Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungfrist beantragt. Das Oberlandesgericht  Senat für Landwirtschaftssachen  hat durch Beschluss den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4

Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Berufungsbegründungsfrist versäumt ist, weil die rechtzeitig per Telefax eingegangene Berufungsbegründung nicht unterschrieben worden und die unterschriebene Strafanzeige kein an das Berufungsgericht gerichtetes Schreiben gewesen sei.

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Der Wiedereinsetzungsantrag sei unbegründet, weil die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger beruhe, das diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssten. Ihr Rechtsanwalt habe eine wesentliche Ursache für die Fristversäumung gesetzt, indem er die ihm außerhalb des routinemäßigen Geschäftsbetriebs vorgelegte Berufungsbegründung an der falschen Stelle - nämlich auf der zu Informationszwecken beigefügten Strafanzeige - unterschrieben habe.

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Dieser Fehler des Anwalts, der ohne Lektüre des auf eine Strafanzeige hinweisenden Textes auf der letzten Seite des vorgelegten Vorgangs unterschrieben haben müsse, sei für die Versäumung der Begründungsfrist mitursächlich gewesen. Dass auch das Büropersonal bei der Unterschriftenkontrolle den Fehler nicht erkannt habe, vermöge die Zurechenbarkeit des Anwaltsverschuldens für die Fristversäumung nicht auszuschließen.

III.

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1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 48 LwVG). Auch die weitere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 574 Abs. 2 ZPO ist gegeben, weil die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen eine Partei - trotz schuldhafter Nichtunterzeichnung eines bestimmenden Schriftsatzes durch ihren Prozessbevollmächtigten - ohne ihr Verschulden an der Einhaltung einer der in § 233 ZPO bezeichneten Fristen verhindert gewesen ist, wenn nach der Büroorganisation bei der Ausgangskontrolle eine Unterschriftenprüfung vorgesehen hat, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

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2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet, weil die Kläger nicht ohne ein ihnen zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten verhindert waren, die Frist für die Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233, § 85 Abs. 2 ZPO).

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a) Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, beruht die Unterschriftsleistung "an der falschen Stelle" auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger. Ein Rechtsanwalt, der für den mangelfreien Zustand der aus seiner Kanzlei herausgehenden Schriftsätze - einschließlich einer erforderlichen Unterschrift nach § 130 Nr. 6 ZPO - zu sorgen hat (BGH, Urteil vom 20. November 1986 - III ZR 18/86, NJW 1987, 957; Beschluss vom 19. Februar 2009 - V ZB 168/08, Rn. 10, juris), handelt nicht nur dann schuldhaft, wenn er einen ihm zur Unterschrift vorgelegten Schriftsatz versehentlich nicht unterschreibt (BAG, NJW 1966, 799), sondern auch, wenn er zwar die Unterschrift leistet, dabei jedoch versehentlich nicht den bestimmenden Schriftsatz, sondern eine beigefügte Anlage unterschreibt. Zu den Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts gehört es nämlich auch, sich zu vergewissern, dass die Unterschrift auf das richtige Schriftstück (hier die Berufungsbegründung) gesetzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 1979 - I ZB 3/79, VersR 1979, 823). Die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit keine Einwendungen.

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b) Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht die Mitursächlichkeit des Anwaltsverschuldens für die Fristversäumung bejaht. Die Kausalität des Versehens des Rechtsanwalts ergibt sich - unabhängig von einem etwaigen weiteren Verschulden der Kanzleiangestellten bei einer nachfolgenden Unterschriftsprüfung - schon daraus, dass die Berufungsbegründungsfrist eingehalten worden wäre, wenn der Anwalt die rechtzeitig per Telefax an das Berufungsgericht übermittelte Berufungsbegründung (und nicht die Anlage) unterschrieben hätte.

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c) Das den Klägern zuzurechnende Anwaltsverschulden steht der beantragten Wiedereinsetzung entgegen, obwohl das Kanzleipersonal allgemein angewiesen war, ausgehende Schriftsätze darauf zu kontrollieren, ob sie unterschrieben worden sind. Die in Bezug darauf erhobenen Angriffe der Rechtsbeschwerde sind unbegründet.

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aa) Richtig ist allerdings, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ausschließt, wenn der Prozessbevollmächtigte im Rahmen seiner Büroorganisation durch eine Anweisung an seine Angestellten dafür Vorsorge getroffen hatte, dass bei normalem Verlauf der Dinge die versäumte Berufungsbegründungsfrist - trotz seines Versehens - mit Sicherheit gewahrt worden wäre (BGH, Beschlüsse vom 12. Dezember 1984 - IVb ZB 103/84, NJW 1985, 1226; vom 6. Dezember 1995 - VIII ZR 12/95, NJW 1996, 998, 999; vom 15. Februar 2006 - XII ZB 215/05, NJW 2006, 1205, 1206 Rn. 11). Ob in diesen Fällen die Wiedereinsetzung deshalb zu gewähren ist, weil nicht mehr das frühere Anwaltsverschulden als für die Versäumung der Frist ursächlich anzusehen ist, sondern das spätere von der Partei nicht verschuldete Ereignis, welches sich der Fristwahrung entgegengestellt hat (BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 1974 - IV ZB 8/74, VersR 1974, 1001 und vom 6. Dezember 1995 - VIII ZR 12/95, NJW 1996, 998, 999), oder weil - wegen der Zulässigkeit der Delegation bestimmte Kontrollmaßnahmen auf das Büropersonal - eine wertende Einschränkung bei der Zurechnung des Anwaltsverschuldens geboten ist (so Ostler, NJW 1967, 2300, 2301; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 233 Rn. 30; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 3. Aufl., § 233 Rn. 22), ist im Ergebnis unerheblich.

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bb) Hier fehlt es jedoch an den Voraussetzungen dafür, unter denen ein Anwaltsverschulden bei der Unterschriftsleistung wegen eines nachfolgenden Verstoßes gegen eine allgemeine Kanzleianweisung zur Unterschriftenkontrolle als für die versäumte Frist unerheblich anzusehen ist.

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(1) Das kommt nur bei einer solchen Anordnung in Betracht, deren Einhaltung durch das Büropersonal die Frist mit Sicherheit gewahrt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2000 - XI ZB 1/00, NJW 2000, 2511, 2512). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann demgegenüber nicht gewährt werden, wenn trotz Befolgung der für die Unterschriftenkontrolle bestehenden Anweisungen die Frist wegen Verschuldens des Prozessbevollmächtigten gleichwohl versäumt wurde. Ist die Anordnung nicht geeignet, den konkreten Fehler des Rechtsanwalts (hier die Unterzeichnung des falschen Schriftstücks) bei einem normalen Verlauf der Dinge aufzufangen, ist das Anwaltsverschulden bei der Unterschriftsleistung als für die versäumte Frist ursächlich anzusehen und bei einer wertenden Betrachtung weiterhin dem Anwalt und nicht (allein) dem Büropersonal zuzurechnen.

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(2) So ist es hier, weil die in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kläger bestehende Anordnung nur das Fehlen einer Unterschrift, jedoch nicht Fehler bei der Unterschriftsleistung aufzufangen vermag. Nach der mit dem Wiedereinsetzungsantrag vorgelegten allgemeinen Anweisung für die Versendung von Fristsachen per Telefax ist nach der Versendung von dem Personal die Richtigkeit der gewählten Rufnummer, die Zahl der übermittelten Seiten und das Vorhandensein einer Unterschrift zu prüfen.

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(a) Eine derartige Anordnung vermag zwar zu gewährleisten, dass eine- ohne Unterschrift des Anwalts - versendete Fristsache dem Anwalt sogleich zur Unterschrift vorgelegt und dadurch der Fehler nachträglich, aber noch rechtzeitig durch Unterschreiben und nochmalige Versendung behoben wird. Von einem solchen Geschehensablauf ist das Berufungsgericht angesichts der vorangegangen, abgebrochenen Übermittlung der Berufungsbegründung auch ausgegangen.

17

(b) Die Anweisung ist aber nicht dazu geeignet, den hier entscheidenden Fehler des Rechtsanwalts, nämlich die Unterzeichnung des falschen Schriftstücks, aufzufangen. Das Berufungsgericht stellt zutreffend fest, dass das Kanzleipersonal die angeordnete Ausgangskontrolle nicht unterlassen, sondern vorgenommen hat.

18

Nach der Anweisung hat das Kanzleipersonal das Vorhandensein einer Unterschrift zu prüfen. Diese Kontrolle ist vorgenommen worden. Nach der eidesstattlichen Versicherung der Bürovorsteherin hat sie das Vorhandensein der Unterschrift geprüft, dabei die Unterschrift des Anwalts auf der letzten Seite des versendeten Schreibens vorgefunden und danach ihr - die Erledigung vermerkendes - Handzeichen auf den Sendebericht gesetzt.

19

Dass der Bürovorsteherin insofern dasselbe Versehen wie dem Rechtsanwalt bei der Unterschriftleistung unterlaufen ist, als auch sie nicht bemerkt hat, dass die letzte Seite des übermittelten Vorgangs nicht zugleich die letzte von dem Rechtsanwalt zu unterschreibende Seite der Berufungsbegründung war, stellt keinen Verstoß gegen die vorgelegte Anordnung dar. Danach hat das Büropersonal im Rahmen der Ausgangskontrolle nach der Versendung von Fristsachen per Telefax sich zu vergewissern, dass bestimmte Formalien (Rufnummer, Zahl der versendeten Seiten und das Vorhandensein der Unterschrift) eingehalten sind, aber nicht den Inhalt der versendeten Schriftstücke im Einzelnen durchzusehen und dabei zu prüfen, ob der Rechtsanwalt auch die richtigen Schriftstücke unterschrieben hat. Diese Überprüfung konnte der Anwalt auch nicht seinem Personal überlassen, sondern sie ist von ihm selbst vorzunehmen.

III.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Beschwerdewerts aus § 3 ZPO.

Krüger                             Lemke                           Czub