Entscheidungsdatum: 18.07.2017
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. Dezember 2015 wird zugelassen, soweit das Beschwerdegericht festgestellt hat, dass der Beschluss des Bundeskartellamts vom 3. Dezember 2014 bezüglich der Anordnung in Nr. I (Warenbeschaffung) rechtswidrig war.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Bundeskartellamts gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. Dezember 2015 zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
I. Die Betroffene zu 1 (nachfolgend: EDEKA) beabsichtigte, die von den Betroffenen zu 2 bis 4 (nachfolgend: KT) betriebenen Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte zu übernehmen. Nach Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens leitete das Bundeskartellamt ein Verwaltungsverfahren ein und erließ mit Beschluss vom 3. Dezember 2014 bis zum Abschluss des Verfahrens befristete einstweilige Anordnungen, durch die es den Betroffenen untersagte, einen "Rahmenvertrag über den Kauf von Waren sowie über die Zentralregulierung von Warenlieferungen" vom 1. Oktober 2014 ganz oder teilweise durchzuführen oder sich auf sonstiger Grundlage entsprechend zu verhalten (Anordnung zu I), und außerdem den Betroffenen zu 2 bis 4 untersagte, bestimmte Märkte ("Carve-out-Filialen") sowie Lagerstandorte und Fleischwerke zu schließen oder wirtschaftlich zu entwerten und Verwaltungsfunktionen abzubauen (Anordnungen zu II und III). Als Rechtsgrundlage für die einstweiligen Anordnungen hat das Bundeskartellamt § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB und (ergänzend) § 32a GWB herangezogen.
Die Betroffenen haben, soweit sich die einstweiligen Anordnungen jeweils gegen sie richteten, Beschwerde eingelegt. Nachdem das Bundeskartellamt das Zusammenschlussvorhaben mit Beschluss vom 31. März 2015 untersagt und mit den einstweiligen Anordnungen inhaltsgleiche Verbote ausgesprochen hatte, haben die Betroffenen das Beschwerdeverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt und die Feststellung beantragt, dass die jeweils angegriffenen einstweiligen Anordnungen rechtswidrig gewesen seien.
Das Beschwerdegericht hat mit Beschluss vom 9. Dezember 2015 die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Beschlusses festgestellt, soweit er auf § 32a GWB gestützt worden ist. Auf die Beschwerde der Betroffenen zu 2 bis 4 hat es weitergehend festgestellt, dass der Beschluss rechtswidrig sei, soweit er bezüglich der Anordnung in Nr. I (Warenbeschaffung) auf § 60 Nr. 1 GWB gestützt worden ist. Im Übrigen hat es die Beschwerden wegen fehlenden Fortsetzungsfeststellungsinteresses als unzulässig verworfen. Die Rechtsbeschwerde hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich das Bundeskartellamt mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 74 Abs. 2 Nr. 1 GWB), soweit das Beschwerdegericht festgestellt hat, dass die in dem Beschluss des Bundeskartellamts in Nr. I hinsichtlich der Warenbeschaffung, nicht aber hinsichtlich der Zentralregulierung getroffene - auf § 60 Nr. 1 Alt. 2 sowie § 32a GWB gestützte - Anordnung rechtswidrig gewesen sei.
Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass die im Rahmenvertrag zwischen EDEKA und KT vereinbarten Regelungen über die Warenbeschaffung einen Verstoß gegen das gesetzliche Vollzugsverbot des § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB darstellten. Es hat aber die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB verneint, weil das Bundeskartellamt einen Anordnungsgrund nicht ausreichend dargelegt habe. In diesem Zusammenhang hat es ausgeführt, eine einstweilige Anordnung müsse erforderlich sein, um bis zur Hauptsacheentscheidung drohende irreparable Nachteile oder schwere Schäden im Interesse des Gemeinwohls abzuwenden. Dies setze voraus, dass im konkreten Fall etwaige Entflechtungsmaßnahmen Schwierigkeiten bereiteten, die über das normale Maß hinausgingen, und deshalb eine einstweilige Regelung durch öffentliche Interessen geboten sei, die die damit verbundenen Nachteile zu Lasten der beteiligten Unternehmen überwögen.
Damit ist die Frage aufgeworfen, welche rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes bei dem Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB zur Unterbindung eines (drohenden) Verstoßes gegen das gesetzliche Vollzugsverbot gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB zu stellen sind.
Dieser Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu. Sie ist in Rechtsprechung und Literatur nicht hinreichend geklärt. Der Bundesgerichtshof hatte noch keine Gelegenheit, sich mit der Frage zu befassen. Im kartellrechtlichen Beschwerdeverfahren über einstweilige Anordnungen kann erst seit der zum 1. Juli 2005 in Kraft getretenen Neufassung des § 74 Abs. 1 GWB die Rechtsbeschwerde zugelassen werden. Zwar gibt es einschlägige Entscheidungen des Kammergerichts aus den Jahren 1979, 1990 und 1993 (WuW/E OLG 2145, 2146 - Sonntag Aktuell II; WuW/E OLG 4640, 4642 - Hamburger Benzinpreise; WuW/E OLG 5151, 5160 - Ernstliche Untersagungszweifel), auf die sich das Beschwerdegericht gestützt hat. Zweifelhaft und klärungsbedürftig bleibt aber, ob die dort formulierten Grundsätze unter geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen noch Geltung beanspruchen können und ob sie den Besonderheiten des Zusammenschlusskontrollverfahrens gerecht werden, in dem ein gesetzliches Vollzugsverbot besteht (§ 41 Abs. 1 Satz 1 GWB), von dem nur nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 GWB Befreiungen erteilt werden können (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - KVR 30/08, BGHZ 178, 203 Rn. 24 - Faber/Basalt).
Die Frage stellt sich auch nicht nur im konkreten Einzelfall. Sie erlangt stets Bedeutung, wenn das Bundeskartellamt in einem Zusammenschlusskontrollverfahren Veranlassung sieht, einem (drohenden) Verstoß gegen das gesetzliche Vollzugsverbot durch eine Untersagungsverfügung im Wege der einstweiligen Anordnung entgegenzuwirken.
Die Frage ist auch entscheidungserheblich. Die Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung wendet zu Unrecht ein, dass das Beschwerdegericht im Rahmen einer Hilfsbegründung das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach den vom Bundeskartellamt formulierten Maßstäben geprüft habe. Das Beschwerdegericht hat sich lediglich mit einer Hilfsbegründung des Bundeskartellamtes befasst, die es nach seinen, von der Nichtzulassungsbeschwerde beanstandeten, rechtlichen Maßstäben für unzureichend gehalten hat. Im Übrigen kann es auf den Anordnungsgrund zwar nur dann ankommen, wenn das Beschwerdegericht zu Recht einen (drohenden) Verstoß gegen das gesetzliche Vollzugsverbot bejaht hat. Die Frage, welche rechtlichen Maßstäbe bei der Beurteilung eines Teilvollzugs eines Fusionsvorhabens anzuwenden sind, hat aber gleichfalls grundsätzliche Bedeutung.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde umfasst die Entscheidung des Beschwerdegerichts, soweit es zum Nachteil des Bundeskartellamts über die in Nr. I des angefochtenen Beschlusses hinsichtlich der Warenbeschaffung getroffene einstweilige Anordnung befunden hat, insgesamt, also auch insoweit, als diese Anordnung auf § 32a GWB gestützt war.
2. Die weitergehende Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sich das Bundeskartellamt dagegen wendet, dass das Beschwerdegericht die Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 3. Dezember 2014 zu Nr. I (Zentralregulierung) sowie Nr. II und III festgestellt hat, soweit der Beschluss auf § 32a GWB gestützt worden ist, ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 74 Abs. 2, § 75 Abs. 1 GWB liegen im Hinblick auf diesen - abtrennbaren - Teil der Beschwerdeentscheidung nicht vor.
Das Bundeskartellamt meint, das Beschwerdegericht habe zu Unrecht Haupt- und Hilfsbegründung der einstweiligen Anordnungen für prozessual teilbar gehalten. Zwar handele es sich um zwei verschiedene Streitgegenstände, über die aber nicht getrennt entschieden werden könne. Mit seiner gegenteiligen Auffassung setze sich das Beschwerdegericht in Widerspruch zu der Entscheidung des Senats "Ost-Fleisch" (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2001 - KVR 12/99, BGHZ 147, 325, 331 ff.).
Der damit geltend gemachte Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung liegt nicht vor, insbesondere zeigt das Bundeskartellamt keine die Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtfertigende Divergenz auf.
Der Senat hat in der Entscheidung "Ost-Fleisch" angenommen, dass es sich bei der dort zu prüfenden Verfügung, die sowohl auf § 1 GWB als auch auf die Fusionskontrolle gestützt war, trotz unterschiedlicher Streitgegenstände nicht um zwei gesonderte Untersagungsakte, sondern um nur eine Untersagung gehandelt habe, über die das Beschwerdegericht nicht im Wege des Teilbeschlusses habe entscheiden dürfen. Vielmehr hätte es die Beschwerde zurückweisen müssen, wenn es die Untersagungsverfügung aus § 1 GWB für rechtmäßig hielt (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2001 - KVR 12/99, BGHZ 147, 325, 332 f., 334).
Das Beschwerdegericht hat seiner Entscheidung keinen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt. Die Beschwerdeentscheidung betraf nicht mehr den Bestand einer auf zwei selbständig tragende Gründe gestützten Untersagungsverfügung, sondern eine Rechtmäßigkeitsprüfung im Rahmen eines Fortsetzungsfeststellungsverfahrens, bei der sich das Beschwerdegericht an einer beide Verbotsgründe umfassenden Sachprüfung gehindert gesehen hat, soweit es bereits an einem Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehlte. Im Übrigen wird auf die zugelassene Rechtsbeschwerde über die Kosten des Beschwerdeverfahrens insgesamt neu zu befinden sein.
III. Zur Klarstellung ist festzuhalten, dass die weitere Verfahrensbeteiligte zu 2, die K. GmbH & Co. KG, weiterhin am Verfahren beteiligt ist. Ihre mit Schriftsatz vom 4. April 2016 erklärte Rücknahme des Beiladungsantrags vom 11. November 2014 ist wirkungslos, da der Beiladungsantrag nicht mehr wirksam zurückgenommen werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, NZKart 2016, 333).
Eine Rücknahmemöglichkeit entspricht nicht dem Zweck der Beiladung. Denn die Beiladung im kartellbehördlichen Verfahren dient zunächst der Förderung dieses Verwaltungsverfahrens und nicht den individuellen Interessen des Beizuladenden (BGH, Beschluss vom 30. März 2011 - KVZ 100/10, WuW/E DE-R 3284 Rn. 10 - Presse-Grossisten). Im Übrigen ist die Beiladung ein ausschließlich begünstigender Verwaltungsakt, von dem das beigeladene Unternehmen keinen Gebrauch machen muss, ohne deshalb Nachteile befürchten zu müssen (Emmerich, AG 2017, 473, 477).
Rechtsmittelbelehrung:
Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat, die mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses beginnt, schriftlich bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von zwei Monaten, die mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses beginnt, zu begründen. Diese Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit der Beschluss des Beschwerdegerichts angefochten und seine Abänderung oder Aufhebung beantragt wird.
Limperg |
|
Meier-Beck |
|
Raum |
|
Sunder |
|
Deichfuß |
|