Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 15.11.2016


BGH 15.11.2016 - KVZ 1/16

Zulassung der Rechtsbeschwerde im Kartellverwaltungsverfahren: Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Aufforderns" zur Vorteilsgewährung nach Unternehmensübernahme durch ein marktbeherrschendes Lebensmittelunternehmen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
Kartellsenat
Entscheidungsdatum:
15.11.2016
Aktenzeichen:
KVZ 1/16
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:151116BKVZ1.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Düsseldorf, 18. November 2015, Az: VI-Kart 6/14 (V), Beschlussvorgehend BKartA Bonn, 3. Juli 2014, Az: B 2 - 58/09, Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde wird die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. November 2015 zugelassen, soweit das Beschwerdegericht die Verfügung des Bundeskartellamts vom 3. Juli 2015 hinsichtlich der im Tenor zu (1), (2), (6) und (7)  insoweit aber nur hinsichtlich der "Partnerschaftsvergütung" - beanstandeten Verhaltensweisen aufgehoben hat. Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Die Betroffene (nachfolgend: Edeka) hat Ende 2008 rund 2.300 Filialen der Discountkette "Plus" von ihrem Wettbewerber Tengelmann übernommen und sodann in ihre eigene Discountkette "Netto" eingegliedert. Mit Beschluss vom 3. Juli 2014 hat das Bundeskartellamt gemäß § 32 Abs. 3 GWB nachträglich einen Verstoß von Edeka gegen § 20 Abs. 3 GWB 2007 festgestellt, weil Edeka im Zuge von Sonderverhandlungen nach Übernahme von "Plus" im Jahr 2009 gegenüber vier Sektherstellern rechtswidrige Konditionen gefordert habe. Rechtswidrig sei

(1) die Heranziehung mehrerer zeitlich gestaffelter Stichtage für einen Abgleich der Konditionen von Edeka und Plus und der sich daraus ergebende mehrfache Konditionenabgleich der zu verschiedenen Zeitpunkten jeweils geltenden Konditionen, hier im Rahmen des "Bestwertabgleichs";

(2) die Auswahl von Stichtagen für den Vergleich der Konditionen von Edeka und Plus, die deutlich vor dem Vollzug des Zusammenschlusses und dem Beginn der Sonderverhandlungen lagen, hier im Rahmen des "Bestwertabgleichs";

(3) die intransparente und für die Lieferanten nicht nachvollziehbare Darstellung und Begründung von Forderungen, hier im Rahmen des "Bestwertabgleichs" und des "Sortimentserweiterungsbonus";

(4) die Forderung rückwirkender Zahlungen und rückwirkender Anpassungen von Konditionen, hier im Rahmen sämtlicher Sonderkonditionen;

(5) die einseitige Festlegung und Umsetzung neuer Konditionen, hier im Rahmen der "Anpassung der Zahlungsziele";

(6) das sog. "Rosinenpicken", d.h. die Forderung einer Anpassung der Edeka-Konditionen an einzelne, günstigere Konditionenbestandteile von Plus ohne Berücksichtigung des Gesamtkonditionenpakets, hier im Rahmen des "Bestwertabgleichs" und der "Anpassung der Zahlungsziele";

(7) die Forderung von Zahlungen, denen offensichtlich keine Gegenleistungen gegenüberstanden, hier im Rahmen des "Synergiebonus" und der "Partnerschaftsvergütung";

(8) die Forderung von Zahlungen ohne nachvollziehbaren warenwirtschaftlichen Bezug, hier im Rahmen des "Sortimentserweiterungsbonus";

(9) die Forderung besserer Konditionen von den Lieferanten während der Laufzeit geltender Jahresvereinbarungen, hier im Rahmen sämtlicher Sonderkonditionen.

2

Das Beschwerdegericht hat mit Beschluss vom 18. November 2015 den Beschluss des Bundeskartellamts insgesamt aufgehoben und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde wenden sich das Bundeskartellamt und der Beigeladene zu 2. Edeka und die Beigeladene zu 1 treten dem Rechtsmittel entgegen.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 76 Abs. 1 GWB statthaft und auch sonst zulässig. Die von dem Beigeladenen zu 2 eingelegte Beschwerde verbindet sich wie die Rechtsbeschwerde eines Streithelfers mit der Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts zu einem einheitlichen Rechtsmittel. Streitgegenstand des vorliegenden Kartellverwaltungsverfahrens ist allein die Verfügung des Bundeskartellamts vom 3. Juli 2014. Der Beigeladene zu 2 unterstützt demgemäß den Angriff des Kartellamts gegen die Aufhebung dieser Verfügung durch das Beschwerdegericht. Im Hinblick darauf kann dahinstehen, ob der Beigeladene zu 2 die Nichtzulassungsbeschwerde auch unabhängig von dem Rechtsmittel des Bundeskartellamts hätte einlegen können.

4

III. In der Sache ist die Beschwerde teilweise begründet.

5

1. Nach § 74 Abs. 2 GWB ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts im kartellverwaltungsgerichtlichen Verfahren zuzulassen, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert.

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, soweit das Beschwerdegericht den Beschluss des Bundeskartellamts hinsichtlich der im Beschlusstenor zu (1), (2) und (6) genannten Verhaltensweisen aufgehoben hat.

7

a) Zu § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB (§ 20 Abs. 3 GWB 2007) in der Tatbestandsalternative des "Aufforderns" gibt es bislang keine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts beruht tragend auf der Auslegung des Merkmals "sachlich gerechtfertigter Grund" für die Forderung von Vorteilen. Die dabei erheblichen Fragen, ob und in welcher Weise eine Gegenmacht der Hersteller zu berücksichtigen ist und ob die Gesamtkonditionen eines Lieferanten oder die jeweilige Einzelforderung Bezugspunkt der Prüfung sind, bedürfen grundsätzlicher Klärung. Sie stellen sich insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel in typischer Weise.

8

b) Darüber hinaus hat die vom Bundeskartellamt aufgeworfene Frage, inwiefern § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB in der Variante des "Aufforderns" eine Kausalität zwischen Marktstellung und Forderung voraussetzt, grundsätzliche Bedeutung. Diese Frage ist in der Literatur umstritten.

9

(1) Nach einer Ansicht hat diese Kausalität normativen Charakter und setzt daher nicht voraus, dass ohne die Marktmacht der Vorteil nicht hätte erlangt werden können. Vielmehr müsse der Nachfrager lediglich im Wissen um seine Marktstellung einen Vorteil fordern (Köhler, WRP 2006, 139, 141; Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl., § 19 Rn. 155, 365; Loewenheim in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl., § 19 GWB Rn. 112). Nach anderer Ansicht, der sich im Ergebnis auch das Beschwerdegericht angeschlossen hat, lässt sich eine Einschränkung des Kausalitätserfordernisses unter Hinweis auf dessen vermeintlichen "normativen Charakter" nicht begründen (Säcker/Mohr, WRP 2010, 1, 23; wohl auch Markert in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., § 19 Rn. 378, vgl. dort aber auch Rn. 375). Die Aufforderung zur Vorteilsgewährung müsse vielmehr objektiv kausal auf der Marktmacht des Nachfragers, die seine Normadressatenstellung begründet, basieren.

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(2) Diese Frage ist entscheidungserheblich. Das Beschwerdegericht hat eine strenge Kausalität zwischen Marktmacht und Vorteil in dem Sinne als erforderlich angesehen, dass die Forderung der Vorteile selbst ein Ausnutzen der Marktmacht darstellen muss. Diese Erwägung war für die Entscheidung des Beschwerdegerichts tragend. Auf der Grundlage eines normativen Verständnisses der Kausalität wäre dagegen ausreichend, wenn die Marktmacht die Wirkungen des missbräuchlichen Verhaltens verstärkt (vgl. Nothdurft in Langen/Bunte aaO § 19 Rn. 155).

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3. Im Zusammenhang mit der vom Beschlusstenor des Bundeskartellamts in Nr. (7) an zweiter Stelle bezeichneten "Partnerschaftsvergütung" stellen sich ebenfalls Rechtsfragen, die eine Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung gebieten.

12

a) Zum einen stellt sich insoweit die Rechtsfrage, ob die sachliche Rechtfertigung einer Forderung im Fall des § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB stets ausgeschlossen ist, wenn dafür keine konkreten Gegenleistungen wie etwa bestimmte Verkaufsaktionen vereinbart werden. Zum anderen stellt sich die Frage, ob allgemeine Investitionen eines Handelsunternehmens in seine Verkaufsräume, die weder lieferanten- noch warengruppen- oder artikelbezogen erfolgen, überhaupt eine Aufforderung zur Gewährung eines konkreten Vorteils rechtfertigen können oder ob dies eine unzulässige Abwälzung unternehmerischer Risiken des Handels auf die Lieferanten darstellt. Die Frage, ob die Forderung einer Beteiligung von Lieferanten an der Renovierung von Filialen im Lebensmitteleinzelhandel missbräuchlich ist, ist umstritten (bejahend Köhler, WRP 2006, 139, 143; Nothdurft in Langen/Bunte aaO § 19 Rn. 176 f.; aA Säcker/Mohr, WRP 2010, 1, 24).

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b) Beide Rechtsfragen werden im Streitfall aufgeworfen und sind entscheidungserheblich. Wären sie im Sinne des Bundeskartellamts zu beantworten, so hätte das Beschwerdegericht hinsichtlich der Partnerschaftsvergütung von einer offensichtlich fehlenden Gegenleistung ausgehen müssen, so dass Nr. (7) des Tenors der Verfügung des Bundeskartellamts insofern Bestand gehabt hätte.

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c) Die Rechtsfragen sind klärungsbedürftig. Sie sind umstritten oder jedenfalls ungeklärt. Sie haben auch für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen Bedeutung. Dabei ist hier insbesondere zu berücksichtigen, dass Forderungen nach Partnerschaftsvergütungen auch im Zusammenhang mit der Neueröffnung von Filialen oder als "Jubiläumsboni" von Handelsunternehmen erhoben werden.

15

4. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen, weil insoweit die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch im Übrigen nicht erfordern.

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a) Entgegen der Ansicht des Bundeskartellamts hat das Beschwerdegericht den Tenor des Amtsbeschlusses nicht für unbestimmt gehalten. Es hat vielmehr angenommen, der Tenor könne eindeutig nur dahingehend verstanden werden, dass die als rechtswidrig beanstandeten Handlungen sämtlich gegenüber allen vier Sektherstellern begangen wurden. Ob dieser Beurteilung zuzustimmen ist, kann dahinstehen. Das Beschwerdegericht hat jedenfalls für die Begehung der Verhaltensweisen gemäß Nr. (3), (5), (7) und (9) des Tenors gegenüber keinem der Hersteller eine Grundlage in den Gründen des Beschlusses gefunden. Dazu ist kein Zulassungsgrund geltend gemacht.

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b) Soweit der Beigeladene zu 2 die geltend gemachten Zulassungsgründe auch auf den Tenor Nr. (4) beziehen will, hat das Beschwerdegericht die rückwirkende Forderung von Zahlungen und Konditionenanpassungen im Hinblick auf die Übernahme von Plus zum 1. Januar 2009 für sachlich gerechtfertigt gehalten. Nach Rn. 486 der vom Beschwerdegericht in Bezug genommenen Verfügung des Bundeskartellamts hat Edeka erläutert, dass die Lieferanten schon zu Beginn der Jahresgespräche 2009 von der Plus-Übernahme wussten und die Abschlussvereinbarungen zudem einen zivilrechtlichen Vorbehalt enthielten, also eine Öffnungsklausel für Nachverhandlungen (vgl. Rn. 481 der Verfügung). Vor diesem Hintergrund hat das Beschwerdegericht ein berechtigtes Interesse von Edeka anerkannt, das gesamte Geschäftsjahr 2009 mit einheitlichen Konditionen abzuwickeln, die dem fusionsbedingten Zuwachs des Filialnetzes Rechnung trugen. Hinsichtlich dieser Beurteilung bringt die Beigeladene zu 2 keinen Zulassungsgrund vor.

Rechtsmittelbelehrung:

Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat, die mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses beginnt, schriftlich bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von zwei Monaten, die mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses beginnt, zu begründen. Diese Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit der Beschluss des Beschwerdegerichts angefochten und seine Abänderung oder Aufhebung beantragt wird.

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