Entscheidungsdatum: 09.06.2011
1. Die zeitliche Dringlichkeit einer zur Vermeidung des Verjährungseintritts gebotenen Klageerhebung kann dem Mandanten durch den Hinweis des Rechtsanwalts hinreichend verdeutlicht werden, "sofort" Klage erheben zu müssen .
2. Über den tatsächlichen Inhalt eines zwischen einem Mandanten und seinem rechtlichen Berater geführten Beratungsgesprächs ist in Ermangelung sonstiger Beweismittel eine beiderseitige Parteianhörung vorzunehmen .
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Februar 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Am 9. März 1998 schloss der Kläger mit der M. a.G. eine Unfallversicherung ab, nach deren Inhalt ihm im Falle einer unfallbedingten Invalidität ab einem Invaliditätsgrad von 50 v.H. eine monatliche Unfallrente in Höhe von 2.500 DM (1.278,23 €) zustehen sollte. Das Versicherungsverhältnis begann am 10. März 1998. Weitere gleichartige Unfallversicherungen unterhielt der Kläger bei der D. AG und der V. AG.
Am 7. April 1998 erlitt der Kläger eine Verletzung, die zur Erblindung des rechten Auges und dadurch zu einem Invaliditätsgrad von 50 v.H. führte. Die D. AG erbrachte die vereinbarten Versicherungsleistungen; die V. AG wurde durch Urteil des Landgerichts Potsdam vom 9. August 2001 zur Zahlung der Versicherungsleistungen verurteilt.
Der beklagte Rechtsanwalt vertrat die Interessen des Klägers auch gegenüber der M. a.G. Diese lehnte durch Schreiben vom 20. Juli 1999 eine Einstandspflicht ab, weil nicht von einer unfreiwilligen Gesundheitsschädigung des Klägers ausgegangen werden könne. Nach Erlass des stattgebenden erstinstanzlichen Urteils gegen die V. AG fragte der Beklagte am 13. August 2001 bei der M. a.G. an, ob sie angesichts der zu Lasten des Versicherers ergangenen Entscheidung ihre Einstandspflicht anerkenne. Dies lehnte die M. a.G. durch Schreiben vom 15. August 2001 mit dem Hinweis ab, dass ihr der zur Überprüfung dieses Urteils benötigte prozessuale Schriftverkehr nicht vorliege. Nachdem die V. AG die von ihr eingelegte Berufung gegen das Urteil vom 9. August 2001 durch Schriftsatz vom 11. Juli 2003 zurückgenommen hatte, forderte der Beklagte die M. a.G. am 11. August 2003 abermals auf, nunmehr ihre Einstandspflicht anzuerkennen. In einem Antwortschreiben vom 19. August 2003 führte die M. a.G. aus, es seien keine Umstände eingetreten, die Veranlassung gäben, ihre Entscheidung vom 20. Juli 1999 zurückzunehmen.
Am 15. Oktober 2003 fand zwischen dem Kläger und dem Beklagten ein Beratungsgespräch statt, dessen Inhalt zwischen den Parteien streitig ist. Mit am 30. Dezember 2003 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz erhob der Beklagte als Prozessbevollmächtigter des Klägers ohne konkreten Klageauftrag gegen die M. a.G. Klage auf Leistung aus der Unfallversicherung. Diese wurde auf die von der M. a.G. erhobene Einrede wegen am 27. Dezember 2003 eingetretener Verjährung rechtskräftig abgewiesen.
Unter dem Vorwurf, ihn nicht auf die Gefahr des Verjährungseintritts hingewiesen zu haben, nimmt der Kläger den Beklagten auf Zahlung von 141.883,53 € und auf Feststellung in Anspruch, dass dieser verpflichtet sei, dem Kläger lebenslang monatlich, beginnend ab dem 1. August 2007, 1.278,23 € zu zahlen. Landgericht und Oberlandesgericht haben dem Begehren stattgegeben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklage seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Die Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Oberlandesgericht hat gemeint, dem Beklagten sei eine Pflichtverletzung zum Nachteil des Klägers schon deswegen unterlaufen, weil er nach seinem eigenen Vorbringen den Kläger nicht der anwaltlichen Sorgfaltspflicht entsprechend darüber aufgeklärt habe, wann spätestens zur Vermeidung des Verjährungseintritts eine Klage gegen den Versicherer zu erheben sei. Das Bestreiten einer Pflichtverletzung durch den Anwalt sei nur erheblich, wenn er den Inhalt der erbrachten Beratung konkret darlege. Nach dem Inhalt seiner eigenen Angaben habe der Beklagte seiner Beratungspflicht nicht genügt. Er habe den Kläger nach seinem Vorbringen dahin unterrichtet, dass Verjährung drohen könne, wenn nicht sofort geklagt werde. Die Verwendung des temporalen Adverbs "sofort" entspreche nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße anwaltliche Belehrung. Sie habe dem Kläger nicht in ausreichender Weise vermittelt, wann Verjährung eintrete und bis wann geeignete Gegenmaßnahmen zu deren Verhinderung zu ergreifen seien. Dem Kläger sei damit nicht verdeutlicht worden, dass er "auf der Stelle" habe handeln müssen, sondern es sei ihm ein gewisser zeitlicher Spielraum eröffnet worden.
II.
Diese Ausführungen halten in einem entscheidenden Punkt rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht dem Kläger die Darlegungs- und Beweislast für den behaupteten Beratungsfehler auferlegt.
Ein pflichtwidriges Verhalten des Rechtsanwalts ist vom Mandanten darzulegen und zu beweisen, selbst soweit es dabei um negative Tatsachen geht. Der Rechtsanwalt darf sich aber nicht damit begnügen, eine Pflichtverletzung zu bestreiten oder ganz allgemein zu behaupten, er habe den Mandanten ausreichend unterrichtet. Vielmehr muss er den Gang der Besprechung im Einzelnen schildern, insbesondere konkrete Angaben dazu machen, welche Belehrungen und Ratschläge er erteilt und wie darauf der Mandant reagiert hat (BGH, Urteil vom 1. März 2007 - IX ZR 261/03, BGHZ 171, 261 Rn. 12). Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gilt auch, wenn dem Anwalt - wie hier - vorgeworfen wird, den Mandanten nicht auf den Ablauf der Verjährung hingewiesen zu haben (BGH, Urteil vom 26. Juni 2008 - IX ZR 145/05, WM 2008, 1563 Rn. 20).
2. Zu Unrecht wirft das Berufungsgericht dem Beklagten indes auf der Grundlage seiner Angaben zum Inhalt der mit dem Kläger geführten Unterredung einen Beratungsfehler vor.
a) Der Rechtsanwalt ist im Rahmen des ihm erteilten Anwaltsauftrages verpflichtet, den Auftraggeber allgemein, umfassend und möglichst erschöpfend zu belehren, seine Belange nach jeder Richtung wahrzunehmen und die Geschäfte so zu erledigen, dass Nachteile für ihn - soweit sie voraussehbar und vermeidbar sind - vermieden werden. Daraus folgt ohne weiteres die Verpflichtung, darauf zu achten, ob dem Mandanten wegen Verjährung ein Rechtsverlust droht, und dem durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken. Insbesondere ist auf den drohenden Eintritt der Verjährung hinzuweisen (BGH, Urteil vom 18. März 1993 - IX ZR 120/92, NJW 1993, 1779, 1780). Allerdings kann nach Art und Umfang des Mandats eine eingeschränkte Belehrung ausreichend sein, etwa bei besonderer Eilbedürftigkeit oder bei einem Aufwand, der außer Verhältnis zum Streitgegenstand steht. Eine in jeder Hinsicht lückenlose Aufklärung über alle rechtlichen Zusammenhänge und Folgen trägt vor allem bei schwieriger Sach- und Rechtslage die Gefahr in sich, den Mandanten zu überfordern und ihm so den Blick auf die für die Entscheidung wichtigen Gesichtspunkte zu verstellen. Dies würde dem Sinn und Zweck der geschuldeten Beratung zuwiderlaufen. Der Rechtsanwalt hat dem Auftraggeber daher nur die Hinweise zu erteilen, die ihm die für seine Entscheidung notwendigen Informationen liefern (BGH, Urteil vom 1. März 2007, aaO Rn. 11).
b) Diesen Anforderungen hat der Beklagte nach dem Inhalt des von dem Berufungsgericht unterstellten, an den Kläger anlässlich der Besprechung vom 15. Oktober 2003 gerichteten Hinweises, wegen drohender Verjährung "sofort" Klage erheben zu müssen, genügt.
aa) Der Streitfall erforderte - wie dem in dem Vorprozess des Klägers gegen die M. a.G. ergangenen Urteil zu entnehmen ist - im Blick auf den Zeitpunkt des Eintritts der Verjährung eine komplexe rechtliche Beurteilung. Dies schloss die Gefahr ein, dass sich das zur Entscheidung berufene Gericht bei der Beurteilung der Verjährung einer dem Mandanten ungünstigeren Betrachtungsweise anschließt (BGH, Urteil vom 17. Juni 1993 - IX ZR 206/92, NJW 1993, 2797, 2798). Deswegen hatte der Beklagte dem Kläger zur Vermeidung der Verjährung den relativ sichersten Weg zu empfehlen (BGH, Urteil vom 19. November 2009 - IX ZR 12/09, WM 2010, 139 Rn. 12).
bb) Dieser Verpflichtung ist der Beklagte mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer "sofortigen" Klageerhebung nachgekommen. Eine ins Einzelne gehende rechtliche Analyse über den Zeitpunkt des Verjährungseintritts war im Blick auf die schwierigen rechtlichen Zusammenhänge gegenüber dem Mandanten nicht geboten. Vielmehr konnte sich der Beklagte auf eine eingeschränkte Belehrung der Eilbedürftigkeit beschränken (BGH, Urteil vom 1. März 2007, aaO Rn. 11). Im Streitfall hat der Beklagte die Eilbedürftigkeit hinreichend verdeutlicht, indem er den Kläger darüber unterrichtete, dass "sofort" Klage zu erheben sei. Dieser Begriff bringt die Dringlichkeit eines umgehenden Vorgehens zweifelsfrei zum Ausdruck. Zwar kann der Zwang zu einem unverzüglichen Tätigwerden auch durch andere Begriffe, etwa dass "umgehend", "prompt" oder "auf der Stelle" Klage zu erheben ist, vermittelt werden. Wählt der Rechtsanwalt aber eine Formulierung, die - wie hier der Begriff "sofort" - die Notwendigkeit eines ohne jeden Aufschub gebotenen Vorgehens unmissverständlich vor Augen führt, kann ihm nicht vorgeworfen werden, nicht andere Begriffe wie "umgehend", "prompt" oder "auf der Stelle", die keinen zusätzlichen Bedeutungsgehalt aufweisen, verwendet zu haben.
cc) Auf der Grundlage der Mitteilung, dass sofort Klage einzureichen sei, wurde der Kläger hinreichend über das unmittelbar drohende Verjährungsrisiko aufgeklärt. Dabei verstand es sich von selbst, dass die Klage nicht in direktem Anschluss an die Unterredung erhoben, sondern zunächst noch verfasst und jedenfalls ein Gerichtskostenvorschuss bereitgestellt werden musste. Die Unmissverständlichkeit der Belehrung über die Notwendigkeit einer sofortigen Klageerhebung wird nicht dadurch berührt, dass die Umsetzung des Rats einen gewissen Zeitaufwand erforderte. Jedenfalls musste dem Kläger nach dem Inhalt des Hinweises klar sein, dass die zur Vermeidung der Verjährung erforderlichen Schritte unmittelbar im Anschluss an das Beratungsgespräch einzuleiten waren. Hätte der Kläger diesen Rat befolgt, wäre er ohne weiteres in der Lage gewesen, rechtzeitig verjährungshemmende Maßnahmen zu veranlassen. Darum kann sich der über die Dringlichkeit eines Vorgehens unterrichtete Mandant nicht darauf berufen, dass die Verwirklichung des ihm erteilten Rats nicht "sofort" möglich war.
III.
Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Sie ist gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Das Berufungsgericht hat bislang die von dem Beklagten zu dem Inhalt des Beratungsgesprächs gegebene Sachverhaltsdarstellung, nach deren Inhalt ihm wegen des Hinweises auf die Notwendigkeit einer sofortigen Klageerhebung ein Beratungsfehler nicht angelastet werden kann, lediglich als zutreffend unterstellt. Der Kläger hat sich zum Inhalt des Beratungsgesprächs jedoch in einem gegenteiligen Sinne, wonach der Beklagte keine Gefahr einer Verjährung gesehen habe, geäußert. Nach der Zurückweisung der Sache wird das Berufungsgericht nunmehr Feststellungen über den tatsächlichen Inhalt des zwischen dem Kläger und dem Beklagten geführten Beratungsgesprächs zu treffen haben.
2. Da es sich dabei um ein Vier-Augen-Gespräch der Parteien handelt, wird das Berufungsgericht zum Zwecke der Beweiserhebung eine Anhörung beider Parteien entweder auf der Grundlage des § 141 ZPO oder des § 448 ZPO vorzunehmen haben (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 1998 - I ZR 32/96, NJW 1999, 363, 364; vom 27. September 2005 - XI ZR 216/04, NJW-RR 2006, 61, 63). In Berufshaftungssachen ist eine solche Parteianhörung jedenfalls in Ermangelung weiterer Beweismittel geboten, um Feststellungen über den Inhalt streitiger Beratungsgespräche treffen zu können (vgl. etwa BGH, Urteil vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00, NJW-RR 2001, 1431, 1432; vom 15. März 2005 - VI ZR 313/03, NJW 2005, 1718, 1719 jeweils Arzthaftung betreffend). Bislang sind die Parteien von dem Berufungsgericht im Termin vom 27. April 2008 offenbar nur informatorisch gehört worden. Im Blick auf den seither verstrichenen Zeitablauf und eine etwaige Umbesetzung des erkennenden Senats des Berufungsgerichts ist eine abermalige Anhörung der Parteien zum Zwecke einer Beweiserhebung über den Inhalt des Beratungsgesprächs geboten. Auf dieser Grundlage wird das Berufungsgericht darüber zu befinden haben, ob der Kläger den ihm obliegenden Nachweis eines Beratungsfehlers durch den Beklagten geführt hat.
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Fischer