Entscheidungsdatum: 01.12.2011
Zur Verneinung eines Anspruchs auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, wenn der Schuldner die Titulierung einer im Prozess erfüllten Forderung durch nachlässige Prozessführung mitverursacht hat.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 28. Februar 2011 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin vom 18. November 2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten beider Rechtsmittel zu tragen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin wendet sich mit dem Einwand der Erfüllung gegen die Zwangsvollstreckung des Beklagten aus einem Versäumnisurteil.
Im Jahr 2005 verpflichtete sich die Klägerin in einem Vergleich, einem vom Beklagten vertretenen Mandanten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 9.611,82 € zu erstatten. Der Beklagte ließ sich die Forderung abtreten und verklagte die Klägerin im Januar 2009 auf Zahlung. Am 24. März 2009 überwies die Klägerin an den Beklagten 13.084,31 €. Dabei gab sie ein falsches Gerichtsaktenzeichen an, bezeichnete den Mandanten des Beklagten aber richtig. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21. April 2009 erschien für die jetzige Klägerin und damalige Beklagte niemand. Es erging deshalb ein Versäumnisurteil. Nach Ablauf der Einspruchsfrist ließ der Beklagte der Klägerin am 27. Juli 2010 ein vorläufiges Zahlungsverbot nach § 845 ZPO zustellen. Der Aufforderung der Klägerin, die Vorpfändung wegen der im März 2009 erfolgten Zahlung zurückzunehmen, kam der Beklagte nicht nach.
Die Klägerin hat deshalb Vollstreckungsgegenklage erhoben mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 21. April 2009 für unzulässig zu erklären und den Beklagten zu verurteilen, die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils an die Klägerin herauszugeben, hilfsweise den Beklagten zur Unterlassung der Zwangsvollstreckung zu verurteilen. Die Klägerin ist in erster Instanz unterlegen. In zweiter Instanz hatte die Klage mit dem Hauptantrag Erfolg. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
Die Revision hat Erfolg. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat im Anschluss an ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (NJW-RR 2000, 659) ausgeführt, die Klägerin sei mit dem Einwand der Erfüllung nicht präkludiert. Entgegen der herrschenden Rechtsauffassung zu § 767 Abs. 2 ZPO könne der Einwand der Erfüllung auch dann mit der Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden, wenn die Erfüllung bereits vor Ablauf der Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil eingetreten sei. Der Schuldner beuge sich mit der Erfüllung dem Verlangen des Gläubigers. Er könne davon ausgehen, dass die Auseinandersetzung damit ein Ende habe, und müsse mit einer Vollstreckung nicht mehr rechnen. Es könne ihm daher nicht zugemutet werden, vorsorglich einen mit Kosten verbundenen Einspruch gegen das Versäumnisurteil einzulegen, nur um einem rechtswidrigen Verhalten des Gläubigers vorzubeugen. Sein Verhalten sei nicht darauf gerichtet, die von § 767 Abs. 2 ZPO geschützte Rechtskraft des Titels zu beeinträchtigen. Es mache dabei keinen Unterschied, ob die Erfüllung im Zeitraum zwischen dem Erlass des Versäumnisurteils und dem Ablauf der Einspruchsfrist eingetreten sei oder bereits vor dem Erlass des Versäumnisurteils.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der von der Klägerin erhobene Einwand der Erfüllung ist nach § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert.
1. Mit Recht geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Einwand der Erfüllung den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betrifft und deshalb grundsätzlich nach § 767 Abs. 1 ZPO mit der Vollstreckungsgegenklage geltend zu machen ist.
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Einwand der Erfüllung aber hier nach § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Nach dieser Norm können Einwendungen im Wege der Vollstreckungsgegenklage nur insoweit erhoben werden, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach den gesetzlichen Vorschriften spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können.
a) Sind die Gründe, auf denen eine Einwendung beruht, bereits vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden, in der die Einwendung hätte erhoben werden müssen, ist die Einwendung für das Verfahren nach § 767 ZPO danach in jedem Falle präkludiert. Eine andere Auslegung lässt der eindeutige Wortlaut des Gesetzes nicht zu. Dieses Verständnis entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Hahn, Mat. Bd. II/1, S. 437 f) und dem Zweck der Norm, die Rechtskraftwirkung unanfechtbar gewordener Entscheidungen zu sichern und Verzögerungen im Vollstreckungsverfahren vorzubeugen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1993 - IX ZR 244/92, BGHZ 124, 164, 172; vom 30. März 1994 - VIII ZR 132/92, BGHZ 125, 351, 353; MünchKomm-ZPO/K. Schmidt, 3. Aufl., § 767 Rn. 73).
So liegt der Fall hier. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die von der Revision nicht angegriffen werden, ist die im Versäumnisurteil vom 21. April 2009 dem Beklagten zugesprochene Forderung bereits im März 2009 durch Zahlung der Klägerin erfüllt worden. Die Erfüllung ist damit noch vor der mündlichen Verhandlung vom 21. April 2009 eingetreten, in der das Versäumnisurteil ergangen ist. In dieser mündlichen Verhandlung hätte die Klägerin den Einwand der Erfüllung erheben können und müssen (§ 282 Abs. 1 ZPO). Mit der Vollstreckungsgegenklage kann sie den Einwand nicht mehr erheben.
b) Der Zusatz in § 767 Abs. 2, letzter Halbsatz ZPO "und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können" verschärft die Präklusion in den Fällen, in denen ein Versäumnisurteil ergangen ist. Dann sind auch solche Einwendungen von der Vollstreckungsgegenklage ausgeschlossen, deren Gründe zwar nach der letzten mündlichen Verhandlung entstanden sind, aber durch Einspruch noch geltend gemacht werden können. Hierauf kommt es im Streitfall aber nicht an, weil die Einwendung bereits vor der dem Urteil zugrunde liegenden mündlichen Verhandlung entstanden ist. Es kann deshalb dahinstehen, ob entgegen der in Rechtsprechung und Literatur vorherrschenden Auffassung (RGZ 55, 187, 191; Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl., § 40 Rn. 86 f; Schuschke/Walker/Raebel, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., § 767 ZPO Rn. 33) der vom Oberlandesgericht Hamm (NJW-RR 2000, 659) und von Teilen des Schrifttums vertretenen Ansicht zu folgen ist, wonach der Einwand der Erfüllung im Anschluss an ein Versäumnisurteil nur dann präkludiert ist, wenn er zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung über die Vollstreckungsgegenklage noch mit dem Einspruch geltend gemacht werden könnte (Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 767 Rn. 40; Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 23. Aufl., § 12 Rn. 16; Otto, Die Präklusion, S. 69 ff, 72; ders., JA 1981, 649, 650; Bruns/Peters, Zwangsvollstreckungsrecht, 3. Aufl., § 15 I 2; Baumann/Brehm, Zwangsvollstreckung, 2. Aufl., § 13 III 2 S. 215; Schumann, NJW 1982, 1862).
c) Die Erwägungen des Berufungsgerichts zu den Besonderheiten des Erfüllungseinwands rechtfertigen keine andere Beurteilung. Auch der Einwand der Erfüllung richtet sich gegen die Rechtskraftwirkung eines ergangenen Urteils. Erfüllt ein Schuldner den mit einer Klage geltend gemachten Anspruch seines Gläubigers vor der letzten mündlichen Verhandlung, ist es ihm in gleicher Weise wie bei anderen rechtsvernichtenden Einwendungen zuzumuten, den Einwand noch im laufenden Verfahren zu erheben und dadurch eine Verurteilung zu verhindern. Die Erwartung, der Gläubiger werde von sich aus die prozessualen Konsequenzen aus der eingetretenen Erfüllung ziehen, enthebt den Schuldner nicht der Pflicht, die Einwendung im Prozess vorzutragen.
III.
Das Berufungsurteil war danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Die Klage hat auch mit dem Hilfsantrag, den Beklagten zur Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 21. April 2009 zu verurteilen, keinen Erfolg.
1. Nach gefestigter Rechtsprechung kann ein Gläubiger in besonders schwer wiegenden, eng begrenzten Ausnahmefällen nach § 826 BGB zur Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen, aber materiell unrichtigen Titel verpflichtet sein, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt; dann muss die Rechtskraft zurücktreten (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. September 1987 - III ZR 187/86, BGHZ 101, 380, 383 ff; vom 9. Februar 1999 - VI ZR 9/98, WM 1999, 919, 920; vom 11. Juli 2002 - XI ZR 326/99, BGHZ 151, 316, 327 ff). Dies setzt neben der materiellen Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels und der Kenntnis des Gläubigers hiervon zusätzliche besondere Umstände voraus, welche die Erlangung des Vollstreckungstitels oder seine Ausnutzung als sittenwidrig und es als geboten erscheinen lassen, dass der Gläubiger die ihm unverdient zugefallene Rechtsposition aufgibt.
2. Solche besonderen, zur Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels hinzutretenden Umstände liegen hier nicht vor. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beklagten zu dem Zeitpunkt, als er den Erlass des Versäumnisurteils beantragte, die Zahlung der Klägerin bereits bekannt war. Er hat deshalb den Titel nicht erschlichen. Zum Versäumnisurteil kam es vielmehr aufgrund der Prozessführung der Klägerin. Im Hinblick auf deren nachlässiges Vorgehen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25. Februar 1988 - III ZR 272/85, NJW-RR 1988, 957, 959) verletzt die Durchsetzung der titulierten Forderung des Beklagten trotz ihrer bereits erfolgten Erfüllung das Rechtsgefühl nicht in einem solch unerträglichen Maß, dass eine Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils gerechtfertigt wäre. In diesem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, ob die Klägerin den bereits gezahlten Betrag wegen Zweckverfehlung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen wieder herausverlangen kann.
Kayser Raebel Pape
Grupp Möhring