Entscheidungsdatum: 13.11.2014
Zur Auslegung einer Vertragsbestimmung, in der sich der Erwerber des Betriebs des Insolvenzschuldners verpflichtet hat, ab dem Zeitpunkt der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten Übernahme des Betriebs die anfallenden Energiekosten zu tragen.
Die Revision gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 27. November 2013 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Der Kläger ist Verwalter in dem am 16. September 2011 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des M. (fortan: Schuldner). Bereits am 28. Juli 2011 war der Kläger zum mitbestimmenden vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden. Der Schuldner betrieb eine Fladenbrotbäckerei. Zum 1. September 2011 übernahm die Beklagte den Betrieb und entnahm ab diesem Zeitpunkt in den Geschäftsräumen Energie. Die schriftliche Vereinbarung über die Geschäftsübernahme wurde vom Vertreter der Beklagten am 1. September 2011 und vom Kläger am 27. September 2011 unterzeichnet. Nach dieser Vereinbarung hatte die Beklagte ab dem Übergabezeitpunkt am 1. September 2011 unter anderem die anfallenden Energiebezugskosten zu tragen. Der Energieversorger rechnete die Verbrauchskosten bis zum 15. September 2011 gegenüber dem Kläger ab. Auf den Zeitraum vom 1. bis zum 15. September 2011 entfiel ein Betrag von 4.683,55 €. Diesen Betrag, den der Energieversorger mangels Zahlung durch den Kläger zur Insolvenztabelle angemeldet hat, verlangt der Kläger von der Beklagten.
Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter.
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Aus der vertraglich vereinbarten Verpflichtung der Beklagten, die anfallenden Energiebezugskosten ab dem Übergabezeitpunkt zu tragen, ergebe sich ein Anspruch des Klägers auf Freistellung von den entsprechenden Forderungen des Energieversorgers. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach sich ein Befreiungsanspruch mit Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Gläubigers dieses Anspruchs in einen Anspruch auf Zahlung in voller Höhe der Schuld umwandle, sei hier nicht anwendbar. Dies folge entgegen der Ansicht des Erstrichters zwar nicht daraus, dass die Beklagte neben dem Schuldner gegenüber dem Energieversorger hafte; denn ein konkludentes Vertragsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Energieversorger sei nicht zustande gekommen. Anders als in den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen sei der Befreiungsanspruch hier aber erst durch einen Vertragsschluss nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Er erfasse deshalb lediglich die Kosten, auf die der Kläger insolvenzrechtlich in Anspruch genommen werden könne, also nur in Höhe der Quote. Da zur Quote nichts vorgetragen sei, komme eine Verurteilung zur Zahlung nicht in Betracht.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im entscheidenden Teil stand.
1. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Zahlung des vollen Betrags der Energieverbrauchskosten an den Kläger nicht unmittelbar aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Umwandlung eines Befreiungsanspruchs in einen Zahlungsanspruch im Falle des Konkurses des Befreiungsgläubigers (BGH, Urteil vom 22. September 1971 - VIII ZR 38/70, BGHZ 57, 78, 81 ff; vom 16. September 1993 - IX ZR 255/92, WM 1993, 2180, 2182 mwN) abgeleitet werden kann. Die Verpflichtung der Beklagten, die Verbrauchskosten ab dem Zeitpunkt der Übernahme des Betriebs des Schuldners am 1. September 2011 zu tragen, entstand erst am 27. September 2011, mithin nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners, als der Kläger das Vertragsangebot der Beklagten durch Unterzeichnung der Vertragsurkunde annahm. Hierzu war der Kläger berechtigt. Wird vor der Annahme eines Vertragsangebots das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Empfängers eröffnet, ist im Wege der Auslegung zu klären, ob das Angebot auch für den Insolvenzfall gelten soll (Staudinger/Bork, BGB, 2010, § 153 Rn. 16). Dies ist im Streitfall anzunehmen, weil der Vertrag durch die erwartete Insolvenzeröffnung initiiert und das Angebot nicht nur an den Schuldner, sondern ausdrücklich auch an den Kläger gerichtet war. Von einer früher, schon vor Insolvenzeröffnung zustande gekommenen mündlichen Einigung kann entgegen der Ansicht der Revision mangels entsprechender Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausgegangen werden. Bestand aber vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Verpflichtung der Beklagten, kann die Verfahrenseröffnung nicht zur Umwandlung einer solchen Verpflichtung geführt haben.
2. Welchen Inhalt die von der Beklagten bezüglich der Energiekosten übernommene Verpflichtung hatte, ist vielmehr durch Auslegung der vertraglichen Vereinbarung zu ermitteln. Die gebotene Auslegung hat das Berufungsgericht, auch wenn es diesen Begriff nicht verwendet, der Sache nach dahin vorgenommen, dass sich die Beklagte zur Befreiung des Klägers nur von den von ihm tatsächlich aufzubringenden Kosten in Höhe der Insolvenzquote verpflichtet habe. Diese Auslegung hält jedenfalls insoweit, als das Berufungsgericht angenommen hat, die Vereinbarung gebe dem Kläger einen auf Befreiung und nicht von vorneherein auf Zahlung gerichteten Anspruch, der revisionsrechtlichen Prüfung stand.
a) Bei der in Rede stehenden Vertragsklausel handelt es sich um eine Individualvereinbarung, deren tatrichterliche Auslegung in der Revisionsinstanz nur beschränkt daraufhin überprüft werden kann, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen worden ist. Nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen hat der Tatrichter insbesondere den mit der Vereinbarung verfolgten Zweck und die Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen, ferner die sonstigen Begleitumstände, die den Sinngehalt der gewechselten Erklärungen erhellen können (vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. Oktober 2012 - IX ZR 30/10, WM 2012, 2144 Rn. 10 f mwN).
b) Nach diesen Maßstäben ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Vereinbarung lediglich im Sinne einer Verpflichtung der Beklagten zur Freistellung des Klägers und nicht als Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung an den Kläger ausgelegt hat.
aa) Nach der mit "Haftungsausschluss" überschriebenen Regelung in § 4 des Übernahmevertrags "trägt der Erwerber ab dem Übergabezeitpunkt anfallende … Energiebezugskosten …". Mit diesem Wortlaut ist die an § 257 BGB orientierte Auslegung des Berufungsgerichts, es sei ein auf Freistellung und nicht unmittelbar auf Zahlung an den Veräußerer des Unternehmens gerichteter Anspruch begründet worden, vereinbar. Die Überschrift der Regelung legt eine solche Auslegung sogar nahe.
bb) Das Berufungsgericht hat weder wesentlichen Auslegungsstoff noch den Zweck der Vereinbarung oder die Interessen der Vertragsparteien außer Acht gelassen. Insbesondere hat es die Gesichtspunkte, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Befreiungsgläubigers die Umwandlung eines bereits bestehenden Befreiungsanspruchs in einen Anspruch auf Zahlung in voller Höhe der vom Befreiungsgläubiger eingegangenen Verbindlichkeit rechtfertigen (BGH, Urteil vom 16. September 1993 - IX ZR 255/92, WM 1993, 2180, 2182 mwN), in seine Überlegungen einbezogen. Es hat diesen Gesichtspunkten - insbesondere dem Erfordernis, das Insolvenzverfahren zügig und vereinfacht nach den geltenden Verfahrensvorschriften abzuwickeln - im Streitfall aber keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, weil zu dem Zeitpunkt, als der Vertrag mit Unterzeichnung durch den Kläger zustande kam, das Insolvenzverfahren bereits eröffnet war und deshalb anders als in den Vergleichsentscheidungen schon bei der Begründung des Anspruchs feststand, dass die Masse den Drittgläubiger nur in Höhe der Insolvenzquote würde befriedigen müssen. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dass die Schuldnerin materiell insolvent war und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unmittelbar bevorstand, war den Vertragsparteien sogar schon bekannt, als die Beklagte am 1. September 2011 den Übernahmevertrag unterzeichnete und damit ein entsprechendes Angebot erklärte. Der Kläger durfte die Vertragserklärung der Beklagten betreffend die ab dem Übernahmezeitpunkt am 1. September 2011 anfallenden Energiekosten in dieser Situation ihrem Wortlaut entsprechend als Angebot einer Freistellungsverpflichtung verstehen und das Angebot mit diesem Inhalt annehmen. Denn ein Insolvenzverwalter kann im Rahmen der Vertragsfreiheit auch an der Begründung von Forderungen mitwirken, die nicht auf Zahlung an die Insolvenzmasse gerichtet sind.
cc) Die auf das Insolvenzverfahren bezogenen Interessen des Klägers bleiben auch bei einem solchen Verständnis der Vertragsklausel ausreichend gewahrt. Er kann als Insolvenzverwalter den Anspruch auf Freistellung titulieren lassen. Erfüllt der Befreiungsschuldner den Anspruch, indem er die Verbindlichkeit des Insolvenzschuldners gegenüber dem Dritten begleicht, tritt dadurch die mit der Vertragsklausel bezweckte Entlastung der Masse ein. Kommt der Befreiungsschuldner seiner Verpflichtung nicht nach, kann der Insolvenzverwalter den Befreiungsanspruch nach § 887 ZPO vollstrecken und auf diese Weise eine Erstattung von ihm getragener Kosten erreichen.
3. Begründete die im Übernahmevertrag vereinbarte Pflicht der Beklagten, ab dem Übernahmezeitpunkt die Energiekosten zu tragen, somit lediglich einen Anspruch des Klägers auf Freistellung und nicht auf unmittelbare Zahlung an die Insolvenzmasse, konnte die Klage keinen Erfolg haben. Der Inhaber eines Anspruchs auf Befreiung von einer Verbindlichkeit kann vom Schuldner dieses Anspruchs grundsätzlich nicht Zahlung des zur Tilgung der Verbindlichkeit erforderlichen Geldbetrags verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2011 - III ZR 144/10, WM 2011, 505 Rn. 21; Staudinger/Bittner, BGB, 2014, § 257 Rn. 7; Bamberger/Roth/Unberath, BGB, 3. Aufl., § 257 Rn. 4).
a) Eine Umwandlung des Befreiungsanspruchs in einen Zahlungsanspruch kann in Betracht kommen, wenn der Gläubiger des Befreiungsanspruchs die Verbindlichkeit, von der er freizustellen ist, selbst erfüllt (vgl. Staudinger/Bittner, aaO Rn. 8; MünchKomm-BGB/Krüger, 6. Aufl., § 257 Rn. 5). Dies ist jedoch im Streitfall bisher nicht geschehen.
b) Ferner wird eine Umwandlung in einen Anspruch auf Zahlung schon dann angenommen, wenn sich der Gläubiger des Befreiungsanspruchs in einer Lage befindet, die seine Inanspruchnahme mit Sicherheit erwarten lässt (BGH, Urteil vom 16. September 1993 - IX ZR 255/92, WM 1993, 2180, 2182; Staudinger/Bittner, aaO Rn. 8). Diese Voraussetzung könnte im Streitfall gegeben sein, weil das Energieversorgungsunternehmen seine Forderung gegen den Insolvenzschuldner im Insolvenzverfahren zur Tabelle angemeldet hat. Insoweit droht jedoch nur eine Inanspruchnahme des Klägers in Höhe der Befriedigungsquote. Nur in diesem Umfang kann die drohende Inanspruchnahme des Klägers einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung begründen. Einen entsprechenden Teilerfolg kann die Zahlungsklage aber, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, nicht erzielen, weil der Kläger zu einer Befriedigungsquote im Insolvenzverfahren nichts vorgetragen hat.
4. Ob der revisionsrechtlichen Prüfung auch die weitere Auslegung des Berufungsgerichts standhält, dass sich die Freistellungsverpflichtung der Beklagten nicht auf den vollen Betrag der Energieverbrauchskosten erstrecke, die der Energieversorger dem Insolvenzschuldner für die Zeit nach dem 1. September 2011 noch in Rechnung stellte, sondern nur auf einen Betrag nach Maßgabe der im Insolvenzverfahren sich ergebenden Befriedigungsquote, braucht nicht entschieden zu werden. Hiergegen könnte sprechen, dass nur die Befreiung des Insolvenzschuldners von der Forderung des Energieversorgers in ihrer vollen Höhe jegliche Inanspruchnahme der Insolvenzmasse und nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens des Schuldners persönlich zuverlässig verhindert. Auch bestand kein Grund, der Beklagten den Energiebezug zu geringeren als den tatsächlich anfallenden Kosten zu ermöglichen. Selbst wenn sich die vereinbarte Verpflichtung der Beklagten deshalb auf den vollen Betrag der ab dem Übergabezeitpunkt verbrauchten Energiekosten beziehen sollte, kann die beantragte Verurteilung der Beklagten zur Zahlung unmittelbar an den Insolvenzverwalter nicht erfolgen, solange der Anspruch des Klägers lediglich auf Freistellung gerichtet ist.
Kayser Gehrlein Pape
Grupp Möhring