Entscheidungsdatum: 27.04.2010
Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 10. Oktober 2008 zugelassen.
Auf die Revision des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Revisionsverfahrens wird auf 40.600 € festgesetzt.
I.
Der Kläger ist Verwalter in dem am 15. Juli 2004 auf Eigenantrag vom 31. März 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der N. GmbH & Co. KG (fortan: Schuldnerin). Diese hatte Büroräume und Hallen von der Beklagten gemietet. Aus einer mit "Aufhebungsvertrag" überschriebenen Vereinbarung vom 17. Dezember 2003 standen der Beklagten neben einem Einmalbetrag von brutto 47.208,52 € für die weiterhin "längstens bis zum 30.03.2004" überlassenen Räumlichkeiten monatlich 15.736,17 € (brutto) zu. Mit Schreiben vom 6. Januar 2004 teilte die Schuldnerin der Beklagten mit, dass sich ihre Liquiditätslage weiter verschlechtert habe und sie nicht in der Lage sei, die Verpflichtungen aus der als Vergleich bezeichneten Vereinbarung vom 17. Dezember 2003 zu erfüllen. Sie bot der Beklagten ihr Anlagevermögen "bis zur Erfüllung des abgeschlossenen Vergleichs" "als Sicherheit" an. Unter dem Datum vom 29. Januar 2004 berechnete die Schuldnerin der Beklagten für den Fuhrpark und das sonstige Anlagevermögen einen Betrag von brutto 40.600 €, den die Beklagte durch Verrechnung mit den höheren Mietverbindlichkeiten tilgte.
Der Kläger hält die Aufrechnung für insolvenzrechtlich unwirksam, weil der Erwerb der Aufrechnungsmöglichkeit als inkongruente Deckung und als vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung anfechtbar sei. Er hat hierzu unter anderem geltend gemacht, dass die Gegenforderung im letzten Monat vor der Antragstellung begründet worden sei. Die über den Kaufpreis ausgestellte Rechnung sei rückdatiert worden. Dies ergebe sich aus der "Bewegungsbilanz" des Steuerberaters der Schuldnerin, die einen Abgang beim Sachanlagevermögen erst für den Monat März 2004 ausweise. Die Rechnungsnummer der fraglichen Rechnung sei doppelt vergeben worden. Die Umsatzsteuer-Sonderprüfung des Finanzamts B. habe ergeben, dass der Umsatz im Zusammenhang mit der Veräußerung des Anlagevermögens in der am 8. März 2004 beim Finanzamt eingegangenen Umsatzsteuer-Voranmeldung für Januar 2004 nicht enthalten gewesen sei.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen.
II.
Die Revision ist zulässig und begründet, weil das angefochtene Urteil den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 544 Abs. 7 ZPO).
1. Das Berufungsgericht hat zu der von ihm verneinten Anfechtbarkeit der Herstellung der Aufrechnungslage gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ausgeführt: Die Aufrechnungslage sei allerdings durch eine inkongruente Deckung herbeigeführt worden, weil die Beklagte auf die Schaffung der Aufrechnungslage keinen Anspruch gehabt habe. Eine objektive Gläubigerbenachteiligung sei ebenfalls nicht zu verneinen. Der Kläger habe jedoch nicht bewiesen, dass der Kaufvertrag erst nach dem 1. März 2004 abgeschlossen worden sei. Der Zeuge St. habe dies nicht mit der erforderlichen Gewissheit bestätigen können. Die vom Kläger weiter angeführten Indizien ließen nicht den zwingenden Schluss zu, dass der Kaufvertrag erst im März 2004 geschlossen worden sei. Für den Abschluss eines Kaufvertrages im letzten Monat vor Antragstellung könnte allerdings sprechen, dass der Abgang der Gegenstände in der Bewegungsbilanz im März 2004 gebucht worden sei. Eine hierdurch hervorgerufene Indizwirkung werde jedoch schon wieder dadurch in Frage gestellt, dass andererseits der Kauferlös unter dem 29. Januar 2004 gebucht worden sei. Allein aufgrund der buchungstechnischen Verfahrensweise sei ein sicherer Schluss auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses nicht zu ziehen.
Demgegenüber rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass diese Würdigung zwei wesentliche Indizien völlig unberücksichtigt lasse. Die auf den 29. Januar 2004 datierte Rechnung für das verkaufte Anlagevermögen trage die Buchungsnummer 92.075. Diese sei von der Schuldnerin doppelt vergeben worden. Sie betreffe auch eine Rechnung über den Verkauf einer Europalette an die S. vom selben Tage, dem 29. Januar 2004. Der hierzu als Zeuge vernommene damalige Geschäftsführer der Schuldnerin, St., habe die Identität der Rechnungsnummern bestätigt, dafür aber keine Erklärung gehabt. Die Indizwirkung der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der angeblichen Veräußerung des Anlagevermögens sei ebenfalls in verfahrenswidriger Weise unberücksichtigt geblieben.
2. Diese Gehörsrügen sind begründet. Das Berufungsgericht hat unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG Teile des entscheidungserheblichen Vorbringens des Klägers übergangen.
a) Die doppelte Verwendung einer Rechnungsnummer stellt, wenn es für die Doppelvergabe keine nachvollziehbare Erklärung gibt, ein starkes Indiz für ein manipulatives Vorgehen des Rechnungsstellers dar. Der hierzu vernommene Zeuge St. hat ausweislich der Sitzungsniederschrift keine plausible Erklärung dafür geben können, warum die umstrittene Rechnung dieselbe Nummer trägt wie die an S. gerichtete. Hierbei fällt auf, dass das äußere Erscheinungsbild der Rechnung S. eine Fülle von signifikanten Übereinstimmungen mit der ebenfalls bei den Akten befindlichen Rechnungsdurchschrift vom 29. Januar 2004 mit der Folgenummer 92.076 aufweist, gerichtet an die T. GmbH. Von dem gemeinsamen Erscheinungsbild dieser beiden Rechnungen weicht die umstrittene Rechnung in einer Reihe von Punkten ab. Dies beginnt mit der Schreibweise der "Null" und setzt sich fort unter anderem bei derjenigen der Jahreszahl und (gleich mehrere Abweichungen fallen ins Auge) bei der Schreibweise der Umsatzsteuerposition. Auf ein manipulatives Vorgehen der Schuldnerin durch "Rückverlegung" der anfechtungsrelevanten Vorgänge weist auch der Umstand hin, dass nach den Ergebnissen der Sonderprüfung des Finanzamts ausweislich des Prüfungsberichts vom 29. September 2004 der entsprechende Umsatz und der Vorsteuerbetrag aus der Veräußerung des Anlagevermögens in die Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Januar 2004 keinen Eingang gefunden haben. Die entsprechende Erklärung der Schuldnerin ist am 8. März 2004 beim Finanzamt eingegangen. Die Nichtberücksichtigung der Beträge aus der umstrittenen Rechnung spricht ebenfalls dafür, dass diese Rechnung erst nach diesem Zeitpunkt und damit in dem letzten Monat vor Antragstellung erstellt und zum Nachteil der Gläubigergesamtheit rückdatiert worden ist.
Die vorstehenden, bei der Beweiswürdigung vollständig unberücksichtigt gebliebenen Umstände lassen auch die vom Berufungsgericht verwerteten Indiztatsachen in einem anderen Licht erscheinen. Deuten gleich mehrere gewichtige Umstände darauf hin, dass der Schuldner manipulativ vorgegangen ist, um freie Teile seines Anlagevermögens dem Zugriff der Gläubigergesamtheit zu entziehen, stellt es entgegen der Beweiswürdigung der Vorinstanz auch kein entlastendes Indiz dar, dass in einem im Anfechtungsprozess vorgelegten Ausdruck des Jahreskontos der Schuldnerin per 2. September 2008 nach dem "derzeitigen Stand der Buchführung" die Buchung des Kauferlöses schon unter dem 29. Januar 2004 erfolgt ist.
b) Das Verfahren des Berufungsgerichts findet in den Vorschriften des Prozessrechts (§ 286 ZPO) oder des materiellen Rechts keine Stütze und verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Das angefochtene Urteil beruht auf der Gehörsverletzung. Dies ist bereits dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen anders entschieden hätte (BVerfGE 60, 247, 250; 89, 381, 392 f; BGH, Urt. v. 18. Juli 2003 - V ZR 187/02, NJW 2003, 3205). Liegt der maßgebliche Zeitpunkt (§ 140 Abs. 1 InsO) in dem von § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO geschützten Zeitraum, so ist, wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgeht (II 1 und 2 der Urteilsgründe), die von der Beklagten erklärte Aufrechnung insolvenzrechtlich unwirksam.
3. Bei dieser Sachlage kommt es in diesem Verfahrensabschnitt nicht mehr darauf an, dass die Vorinstanz - wie der Kläger mit Recht als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG rügt - zum angenommenen Anfechtungszeitpunkt "29. Januar 2004" fällige Zahlungsverpflichtungen von nur 17.475,96 € festgestellt hat. In erster Instanz waren nach dem unstreitigen, wenn nicht sogar von der Beklagten zugestandenen Vorbringen des Klägers Mieten von 47.208,52 € fällig. Die Ablehnung der Deckungsanfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO leidet deshalb ebenfalls an einem Gehörsverstoß.
Ganter Raebel Kayser
Gehrlein Grupp