Entscheidungsdatum: 29.09.2011
Auf die Beschwerde der Kläger wird die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 29. August 2008 zugelassen.
Auf die Revision der Kläger wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 800.000 € festgesetzt.
Den Klägern wird für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren und das Revisionsverfahren Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsverpflichtung gewährt und Rechtsanwältin S. beigeordnet.
I.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage auf Zahlung von Schadensersatz dem Grunde nach für gerechtfertigt gehalten. Es hat angenommen, der Beklagte zu 1 als Verkehrsanwalt und die Beklagten zu 2 bis 4 als Prozessanwälte hätten pflichtwidrig Schadensersatzansprüche gegen Rechtsanwalt W. (künftig: Erstanwalt) verjähren lassen. Dieser sei von den Klägern umfassend mit der Förderung der Abwicklung des notariellen Kaufvertrags vom 22. Mai 1995 beauftragt gewesen. Deswegen hätte ihn die Pflicht getroffen, die Zahlung des die Umsatzsteuer umfassenden Teils des Kaufpreises an die Kläger sicherzustellen. Dies hätten die Beklagten erkennen und den Klägern anraten müssen, vorerst von der Klage gegen den - den Kaufvertrag beurkundenden - Notar abzusehen und den Erstanwalt zu verklagen.
Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat die Frage, ob die Kläger den Erstanwalt umfassend mit der Abwicklung des Grundstückskaufvertrags beauftragt haben, anders gesehen als das Landgericht. Den Klägern sei es entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht gelungen, ihre von den Beklagten bestrittene Behauptung zu beweisen, sie hätten den Erstanwalt umfassend mit der Prüfung des notariellen Grundstückskaufvertrages in seiner Gesamtheit und damit auch hinsichtlich des hier entscheidenden Vertragsbestandteils (Abtretung des Vorsteuererstattungsanspruchs) beauftragt. Damit komme eine Anwaltspflichtverletzung des Erstanwalts nicht in Betracht.
Hiergegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger, mit der sie die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erreichen wollen. Sie rügen insbesondere die Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht.
II.
Die Revision ist zuzulassen und begründet, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Die Beschwerde führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hat entscheidungserhebliches Vorbringen der Kläger übergangen. Diese haben im ersten Rechtszug ausdrücklich darauf verwiesen, dass eine Haftung des Erstanwalts auch bei Annahme eines beschränkten Mandats bestehe. Diesen habe dann die Nebenpflicht getroffen, die Kläger auch außerhalb des Mandatsgegenstandes über die für ihn offenkundige Gefahr ihrer ungesicherten Vorleistungspflicht im Hinblick auf den sich auf die Umsatzsteuer beziehenden Kaufpreisteil hinzuweisen. Allerdings haben die Kläger diese Ausführungen in der Berufungserwiderung nicht ausdrücklich wiederholt. Sie mussten dies aber auch nicht, weil sie im ersten Rechtszug mit ihrer Hauptbegründung Erfolg hatten und das Landgericht eine Haftung aus umfassendem Mandat angenommen hat. Jedenfalls durfte das Berufungsgericht nicht davon ausgehen, die Kläger hätten ihr Vorbringen fallen gelassen. Da diese in der Berufungserwiderung auf ihr Vorbringen aus erster Instanz Bezug genommen haben, ist die Nichtberücksichtigung ihres Vorbringens aus dem ersten Rechtszug als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu qualifizieren (BGH, Urteil vom 18. Juli 2003 - V ZR 187/02, NJW 2003, 3205).
Das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BGH, aaO, NJW 2003, 3205 f). Auch wenn der Erstanwalt nur das vom Berufungsgericht angenommene beschränkte Mandat hatte, hätte geprüft werden müssen, ob dieser nach Treu und Glauben die Kläger vor den Gefahren der - außerhalb des beschränkten Mandats liegenden - Klausel über die Abtretung der Vorsteueransprüche der Käuferin an die Kläger als Verkäufer im Grundstückskaufvertrag hätte warnen müssen. Eine solche Nebenpflicht aus dem beschränkten Mandat ist anzunehmen, wenn die Gefahren dem Anwalt bekannt oder offenkundig sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gefahren Interessen des Auftraggebers betreffen, die mit dem beschränkten Auftragsgegenstand im engen Zusammenhang stehen (Vill in Zugehör/Fischer/Vill/Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rn. 553 mwN). Offenkundig bedeutet "für einen durchschnittlichen Berater auf den ersten Blick ersichtlich" (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - IX ZR 12/05, NJW 2009, 1141 Rn. 14), die Gefahren müssen sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung aufdrängen (BGH, Urteil vom 29. November 2001 - IX ZR 278/00, NJW 2002, 1117, 1118).
Die steuerliche Problematik des § 46 AO (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 - IX ZR 324/01, WM 2004, 1290, 1294 f; BFH, Urteil vom 24. März 1983 - V R 8/81, BFHE 138, 498 f; Eder, ZIP 1994, 1669; Krauß, BB 2003, 1701) dürfte für einen durchschnittlichen Berater auf den ersten Blick möglicherweise nicht ersichtlich sein. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht - wie naheliegend - es als offenkundig angesehen hätte, dass die Kläger bezüglich der gestundeten Kaufpreisrate in Höhe der Umsatzsteuer gänzlich ungesichert waren, solange die Abtretung dem Finanzamt gegenüber nicht offengelegt war und im Übrigen dann, wenn das Finanzamt mit Gegenansprüchen gegen die Käuferin aufrechnen konnte. Denn nach dem Grundstückskaufvertrag sollte die Eigentumsübertragung unabhängig davon erfolgen, ob die Käuferin den die Umsatzsteuer betreffenden Kaufpreisteil gezahlt hatte. Hierauf aufbauend erscheint es möglich, dass das Berufungsgericht eine Haftung des Erstanwalts und der Beklagten ohne die Gehörsverletzung dem Grunde nach bejaht hätte.
Vill Raebel Pape
Grupp Möhring