Entscheidungsdatum: 14.06.2012
Eine Aufhebung und Zurückverweisung durch das Berufungsgericht an das erstinstanzliche Gericht scheidet aus, wenn das Berufungsgericht aufgrund einer anderen materiell-rechtlichen Würdigung des Parteivorbringens im Unterschied zu dem Erstgericht eine Beweisaufnahme für erforderlich hält.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 14. September 2011 aufgehoben.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 1. Oktober 2009 wird insoweit als unzulässig verworfen, als das Streitjahr 1991 betroffen ist.
Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die klagenden Eheleute werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Im Anschluss an eine Außenprüfung ergingen gegen die Kläger für die Jahre 1991 bis 1993 drei Einkommensteuerbescheide über eine Nachzahlung in Höhe von insgesamt 195.647,85 DM. Die Steuerpflicht beruht auf dem Umstand, dass der Kläger nach Auffassung des zuständigen Finanzamts während der Streitjahre in der Schweiz eine freiberufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausgeübt hatte.
Die von dem beklagten Steuerberater vertretenen Kläger erhoben vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg Klage gegen die Nachbesteuerung. Sie machten unter Benennung von acht in der Schweiz wohnhaften Zeugen geltend, der Kläger habe entgegen der Würdigung des Finanzamts in der Schweiz eine unselbständige Tätigkeit ausgeübt, für die allein der Schweiz das Besteuerungsrecht zugestanden habe. Das Finanzgericht wies die Klage durch Urteil vom 21. September 2005 (13 K 59/01) ab, ohne die von den Klägern benannten Zeugen zu hören, weil - worüber der Beklagte nicht im Bilde war - nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs im Ausland wohnhafte Zeugen zur Sitzung des Gerichts gestellt werden müssen. Eine von den Klägern gegen das Urteil erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wies der Bundesfinanzhof durch Beschluss vom 12. September 2006 (I B 148/05) zurück.
Mit vorliegender Klage nehmen die Kläger den Beklagten auf Feststellung der Verpflichtung in Anspruch, ihnen den Schaden zu ersetzen, der ihnen aufgrund seiner Tätigkeit in dem Finanzgerichtsverfahren entstanden ist oder noch entstehen wird. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger und einen von ihnen gestellten Hilfsantrag hat das Oberlandesgericht das Ersturteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Dagegen richtet sich die von dem Senat zugelassene Revision des Beklagten.
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Verwerfung der Berufung der Kläger als unzulässig, soweit das Streitjahr 1991 betroffen ist, und im Übrigen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO seien gegeben, weil das Verfahren erster Instanz an einem wesentlichen Mangel leide, der eine umfangreiche Beweisaufnahme notwendig mache. Zu den Verfahrensmängeln im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO gehöre das Übergehen von Beweisanträgen, wenn die Beweiserheblichkeit erkannt werde. Das Landgericht habe nicht ohne Beweiserhebung zur Abweisung der Klage gelangen dürfen. Das Finanzgericht habe seine Auffassung, der Kläger sei im relevanten Zeitraum selbständig beschäftigt gewesen, auf verschiedene Indizien gestützt. Der vom Kläger mittels der benannten Zeugen angetretene Beweis sei im Grundsatz geeignet, zu einer anderen Bewertung zu gelangen. Es sei entgegen der Auffassung des Landgerichts bedeutungslos, ob das Finanzgericht die Zeugenaussagen für rechtserheblich erachtet habe, weil im Regressprozess zu prüfen sei, wie das frühere Verfahren richtigerweise habe entschieden werden müssen. Die Vernehmung der Zeugen habe nicht mit der Begründung unterbleiben dürfen, die Beurteilung, ob der Kläger als Arbeitnehmer tätig gewesen sei, betreffe eine Rechtsfrage, weil es dabei auf die Würdigung der hierfür maßgeblichen Kriterien ankomme, die als Tatsachen dem Beweis zugänglich seien. Die Erhebung der angebotenen Beweise habe auch nicht mit der Begründung fehlender konkreter Tatsachen, zu denen die Zeugen Angaben machen könnten, abgelehnt werden dürfen. Im Übrigen habe das Landgericht insoweit verfahrensfehlerhaft den gebotenen Hinweis gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO unterlassen. Der Verfahrensmangel sei so erheblich, dass das Verfahren keine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung darstelle.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Die Berufung der Kläger ist unzulässig, soweit ihr Feststellungsbegehren das Jahr 1991 zum Gegenstand hat.
a) Die Zulässigkeit der Berufung ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu überprüfen; denn ein gültiges und rechtswirksames Verfahren vor dem Revisionsgericht ist nur möglich, solange das Verfahren noch nicht rechtskräftig beendet ist. Das setzt neben der Zulässigkeit der Revision voraus, dass das erstinstanzliche Urteil durch eine zulässige Berufung angegriffen worden und die Rechtskraft dieses Urteils damit zunächst in der Schwebe gehalten ist (BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 - IX ZR 18/09, BGHZ 184, 209 Rn. 19).
b) Die Berufung der Kläger ist in Bezug auf das Streitjahr 1991 unzulässig, weil die insoweit die Abweisung der Klage tragende Erwägung des Ersturteils nicht mit der Berufung angegriffen wurde.
aa) Die Berufungsbegründung muss gemäß § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO jeweils auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art sowie aus welchen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Es reicht nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch den Erstrichter mit formellen Wendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (BGH, Beschluss vom 25. November 1999 - III ZB 50/99, BGHZ 143, 169, 171). Betrifft die erstinstanzliche Entscheidung mehrere prozessuale Ansprüche, so ist für jeden Anspruch eine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO genügende Begründung der Berufung erforderlich (BGH, Urteil vom 20. Juni 1991 - IX ZR 226/90, NJW 1991, 2833, 2834; vom 26. Januar 2006 - I ZR 121/03, NJW-RR 2006, 1044 Rn. 22). Solcher im einzelnen differenzierender Beanstandungen bedarf es nur insoweit, als die Vorinstanz die erhobenen Ansprüche aus jeweils unterschiedlichen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für begründet erachtet hat; decken sich dagegen die Voraussetzungen für die verschiedenen Ansprüche, reicht es aus, wenn die Berufungsbegründung einen einheitlichen Rechtsgrund im Ganzen angreift (BGH, Urteil vom 20. Juni 1991, aaO; vom 22. Januar 1998 - I ZR 177/95, NJW 1998, 1399, 1400). Insbesondere ist es notwendig, dass sich die Berufungsbegründung mit der die angefochtene Entscheidung tragenden Begründung auseinandersetzt (BGH, Urteil vom 4. Februar 2010, aaO Rn. 18).
bb) Diesen Anforderungen ist im Streitfall nicht genügt.
Da gegen die Kläger bezogen auf die Jahre 1991 bis 1993 jeweils gesonderte Steuerbescheide ergangen sind, betrifft ihr einheitlich formuliertes Feststellungsbegehren wegen der unterschiedlichen Veranlagungszeiträume tatsächlich mehrere Streitgegenstände (BGH, Urteil vom 17. Oktober 1991 - IX ZR 255/90, NJW 1992, 307). Das Erstgericht hat im Blick auf das Streitjahr 1991 ausgeführt, es bedürfe insoweit schon deshalb keiner Beweiserhebung, weil die Kläger zuletzt selbst eingeräumt hätten, dass alle Einnahmen des Klägers aus diesem Jahr solche aus selbständiger Tätigkeit gewesen seien. Diese Würdigung des Erstgerichts, die dem erstinstanzlichen Vortrag der Kläger entspricht, trägt für sich genommen die Abweisung der Klage hinsichtlich der Nachbesteuerung im Jahr 1991. Da das Erstgericht die Klage wegen der Steuernachzahlung für das Jahr 1991 unter Hinweis auf die von dem Kläger ausgeübte selbständige Tätigkeit aus einem im Vergleich zu den Steuerjahren 1992 und 1993, für die das Erstgericht eine beweisgeeignete Darlegung der Kläger vermisst hat, eigenständigen Grund abgewiesen hat, hätte es insoweit einer besonderen Berufungsrüge bedurft. Die Kläger haben in der Berufungsbegründung lediglich allgemein die unterbliebene Beweiserhebung durch das Erstgericht beanstandet. Mit der Erwägung, im Jahre 1991 unstreitig eine der inländischen Besteuerung unterliegende selbständige Tätigkeit ausgeübt zu haben, setzt sich die Berufungsbegründung der Kläger jedoch nicht auseinander. Mithin fehlt es im Blick auf das Jahr 1991 an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung; dieser Mangel führt zur teilweisen Unzulässigkeit des Rechtsmittels.
2. Das Berufungsgericht hat, soweit das Feststellungsbegehren die Streitjahre 1992 und 1993 zum Gegenstand hat, die Sache verfahrensfehlerhaft auf der Grundlage des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen. Dies rügt die Revision mit Recht.
a) Eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kommt als Ausnahme von der in § 538 Abs. 1 ZPO statuierten Verpflichtung des Berufungsgerichts, die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden, nur in Betracht, wenn das erstinstanzliche Verfahren an einem so wesentlichen Mangel leidet, dass es keine Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein kann. Ob ein solcher Mangel vorliegt, ist nach ständiger Rechtsprechung vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Vorderrichters aus zu beurteilen, auch wenn dieser verfehlt ist und das Berufungsgericht ihn nicht teilt (BGH, Urteil vom 10. Dezember 1996 - VI ZR 314/95, NJW 1997, 1447; vom 6. November 2000 - II ZR 67/99, WM 2000, 2563, 2564; vom 1. Februar 2010 - II ZR 209/08, WM 2010, 892 Rn. 11; vom 13. Juli 2010 - VI ZR 254/09, VersR 2010, 1666 Rn. 8). Hiernach begründet es keinen Fehler im Verfahren der Vorinstanz, wenn das Berufungsgericht Parteivorbringen materiell-rechtlich anders beurteilt als das Erstgericht, indem es geringere Anforderungen an die Schlüssigkeit und Substantiierungslast stellt und infolge dessen eine Beweisaufnahme für erforderlich hält (BGH, Urteil vom 10. Dezember 1996, aaO; vom 1. Februar 2010, aaO Rn. 14; vom 13. Juli 2010, aaO Rn. 15). Ein Verfahrensfehler kann in einem solchen Fall auch nicht mit einer Verletzung der richterlichen Hinweis- und Fragepflicht (§ 139 ZPO) begründet werden. Eine unrichtige Rechtsansicht des Erstrichters darf nicht auf dem Umweg über eine angebliche Hinweispflicht gegenüber den Parteien in einen Verfahrensmangel umgedeutet werden, wenn auf der Grundlage der Auffassung des Erstgerichts kein Hinweis geboten war. Das Berufungsgericht muss vielmehr auch insoweit bei Prüfung der Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, den Standpunkt des Erstgerichts zugrunde legen (BGH, Urteil vom 10. Dezember 1996, aaO S. 1448; vom 13. Juli 2010, aaO).
b) Nach diesen rechtlichen Maßstäben scheidet im Streitfall eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht aus.
aa) Das Landgericht hat die Vernehmung der Zeugen M. und Z. zum Beweis, dass der Kläger Angestellter gewesen sei, abgelehnt, weil es sich dabei um eine rechtliche, dem Zeugenbeweis nicht zugängliche Beurteilung handele. Im Blick auf die Abgrenzungskriterien des § 1 Abs. 2 Satz 1 LStDV fehlt es nach Auffassung des Landgerichts an der Behauptung konkreter Tatsachen, zu denen die Zeugen Angaben machen könnten. Überdies hat das Landgericht eine schlüssige Darlegung vermisst, dass die Vernehmung der benannten Zeugen zu Erkenntnissen geführt hätte, die dem Finanzgericht nicht bereits aufgrund von Urkunden vorgelegen hätten. Schließlich hat das Landgericht ausgeführt, die benannten Zeugen wären von dem Finanzgericht auch deshalb nicht vernommen worden, weil noch nicht einmal der Kläger als unmittelbar Beteiligter konkret darlegen könne, in welcher Höhe und nach welchen Kriterien die von ihm ausgeübte Tätigkeit teils als selbständig und teils als unselbständig vergütet worden sei.
bb) Angesichts dieser für die Nichterhebung des Zeugenbeweises gegebenen Begründung, welche die Schlüssigkeit der Darlegung und die Substantiierungslast betrifft, ist ein die Zurückverweisung der Sache gestattender Verfahrensfehler des Erstgerichts nicht gegeben.
Bereits die Würdigung des Berufungsgerichts, die von dem Landgericht zur Unerheblichkeit des klägerischen Beweisantritts geäußerte Rechtsauffassung sei verfehlt, lässt erkennen, dass das Berufungsgericht einen anderen materiell-rechtlichen Ausgangspunkt als das Landgericht zugrunde legt. Ob ein Verfahrensfehler vorliegt, richtet sich jedoch allein nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt des Erstgerichts (BGH, Urteil vom 10. Dezember 1996, aaO S. 1447; vom 6. November 2000, aaO; vom 1. Februar 2010, aaO Rn. 11). Gebietet danach allein die rechtliche Würdigung des Tatsachenvorbringens durch das Berufungsgericht die Erhebung angebotener Beweise, kommt ein Verfahrensfehler des Erstgerichts nicht in Betracht. Auch die weitere Erwägung des Berufungsgerichts, es komme im Regressprozess nicht darauf an, ob das Finanzgericht in dem Ausgangsverfahren die Zeugen gehört hätte, sondern wie das Ausgangsverfahren richtigerweise hätte entschieden werden müssen, betrifft die Beurteilung der materiellen Rechtslage. Deshalb scheidet ausgehend von der gegenteiligen Rechtsauffassung des Landgerichts ein Verfahrensfehler aus, soweit dieses mit Rücksicht auf das mutmaßliche Vorgehen des Finanzgerichts in dem Ausgangsverfahren eine Zeugenvernehmung abgelehnt hat. Soweit das Berufungsgericht außerdem nach dem Inhalt des klägerischen Sachvortrags eine Vernehmung der Zeugen für geboten erachtet, stellt es - was ebenfalls eine Aufhebung und Zurückweisung ausschließt - mildere Anforderungen an die Darlegung der Schlüssigkeit und die Substantiierungslast. Auch vermag der von dem Berufungsgericht angenommene Verstoß gegen § 139 ZPO die Aufhebung und Zurückverweisung nicht zu rechtfertigen, weil ein solcher Hinweis aus der materiell-rechtlichen Sicht des Erstgerichts, das - wenn auch zu Unrecht (BGH, Urteil vom 15. November 2007 - IX ZR 44/04, BGHZ 174, 205 Rn. 9 mwN) - auf die mutmaßliche Verfahrensweise des Finanzgerichts bei Stellung der Zeugen im Termin abgestellt hat, nicht geboten war (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1996, aaO S. 1448; vom 13. Juli 2010, aaO). Bei dieser Sachlage war das Berufungsgericht gehindert, das Ersturteil auf der Grundlage des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
III.
Das angefochtene Urteil unterliegt danach auch insoweit der Aufhebung, als das Berufungsgericht das die Klage hinsichtlich der Streitjahre 1992 und 1993 abweisende landgerichtliche Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen hat (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere tatrichterliche Feststellungen zur Frage der Haftung des Beklagten erforderlich sind und die Sache deshalb nicht zur Endentscheidung reif ist, muss sie wegen der Steuerjahre 1992 und 1993 zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Fischer