Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 11.05.2010


BGH 11.05.2010 - IX ZR 139/09

Insolvenzverfahren: Wirksamkeit einer Abtretung einer aus Anlass eines beendeten Arbeitsvertrages gezahlten Abfindung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
11.05.2010
Aktenzeichen:
IX ZR 139/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Hamm, 18. Juni 2009, Az: 27 U 55/09, Urteilvorgehend LG Bochum, 24. Februar 2009, Az: 1 O 374/08
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Der Begriff der "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" umfasst auch eine anlässlich der Beendigung eines Arbeitsvertrages gezahlte Abfindung .

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. Juni 2009 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Beklagte ist Treuhänder in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des R. S. (fortan: Schuldner). Die Klägerin gewährte dem Schuldner in den Jahren 2003 und 2004 zwei Darlehen in Höhe von 22.397,22 € und 7.977,30 €. Als Sicherheit ließ sie sich jeweils "den der Pfändung unterworfenen Teil aller seiner gegenwärtigen und künftigen Ansprüche auf Arbeitsentgelt jeder Art einschließlich Pensionsansprüche, Provisionsforderungen, Tantiemen, Gewinnbeteiligung sowie Abfindungen gegen seinen jeweiligen Arbeitgeber und auf Sozialleistungen" abtreten.

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Am 18. Juli 2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet. Am 31. März 2006 endete das Arbeitsverhältnis des Schuldners. Der Schuldner erhielt eine Abfindung in Höhe von 17.529,36 €. Nachdem sowohl die Klägerin als auch der Beklagte Auszahlung dieses Betrages verlangt hatten, hinterlegte der Arbeitgeber des Schuldners die Abfindung zugunsten der Parteien unter Verzicht auf die Rücknahme.

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Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin die Freigabe des hinterlegten Betrages. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision bleibt ohne Erfolg.

I.

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Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Anspruch der Klägerin folge aus § 812 BGB. Die Abtretung der Abfindung sei gemäß § 114 Abs. 1 InsO wirksam. Eine Abfindung falle schon dem Wortlaut nach unter den Begriff der "Bezüge aus einem Dienstverhältnis". Gesetzesmaterialien, Systematik sowie Sinn und Zweck der Vorschrift bestätigten diesen Befund. Der Begriff der "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" in § 114 Abs. 1 InsO entspreche demjenigen in § 287 Abs. 2 InsO; es könne jedoch nicht sein, dass ein Schuldner eine Abfindung, die er während der Laufzeit der Abtretungserklärung erhalte, für sich behalten könne.

II.

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Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat richtig entschieden.

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1. Nach § 114 Abs. 1 InsO ist eine Verfügung über "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" (so die amtliche Überschrift) wirksam, soweit sie sich auf die Bezüge für die Zeit vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende des zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonats bezieht. Die Vorschrift erfasst "Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge." Eine (einmalige) Abfindung, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt wird, unterfällt dem Begriff der "Bezüge aus einem Dienstverhältnis". Das Gesetz unterscheidet zwischen den "Bezügen aus einem Dienstverhältnis" einerseits, den an deren Stelle tretenden "laufenden" Bezügen andererseits. Bei den Bezügen aus einem Dienstverhältnis muss es sich danach nicht um "laufende" Bezüge handeln. Vielfach wird daher angenommen, dass Abfindungen und andere nicht regelmäßig gezahlte Bezüge - etwa der Lohn aus einer Aushilfstätigkeit - von § 114 Abs. 1 InsO erfasst werden (MünchKomm-InsO/Löwisch/Caspers, 2. Aufl. § 114 Rn. 11; Graf-Schlicker/Pöhlmann, 2. Aufl. § 114 Rn. 8; HmbKomm-InsO/Ahrendt, 3. Aufl. § 114 Rn. 4; Uhlenbruck/Berscheid/Ries, InsO 13. Aufl. § 114 Rn. 10; Nerlich/Römermann/Kießner, InsO § 114 Rn. 24a; aA FK-InsO/Eisenbeis, 5. Aufl. § 114 Rn. 5; HK-InsO/Linck, 5. Aufl. § 114 Rn. 5; Hess Insolvenzrecht § 114 Rn. 14; Braun/Kroth, InsO 4. Aufl. § 114 Rn. 3; Moll in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 114 Rn. 14).

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2. Gesetzgebungsgeschichte und Systematik des Gesetzes bieten einen weniger eindeutigen Befund, stehen einer dem Wortlaut der Vorschrift entsprechenden Auslegung aber nicht entgegen.

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a) Die amtliche Begründung zu § 132 RegE (BT-Drucks. 12/2443, S. 150 f) spricht von den "laufenden Bezügen" des Schuldners, die einerseits im Rahmen der Restschuldbefreiung zur Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung stehen müssten, andererseits als vertragliche Sicherheit dienten, die nicht vollständig entwertet werden dürfe. Die zweimalige Verwendung des Begriffs "laufende Bezüge" lässt jedoch schon für sich genommen keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass unregelmäßig oder nur einmal anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anfallende "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" von § 114 Abs. 1 InsO nicht erfasst sein sollten. Ebenso gut kann der Regierungsentwurf die Abtretung der laufenden Bezüge als den Regelfall angesprochen haben, ohne zugleich eine Aussage über die Reichweite der Abtretung und deren Bestand in der Insolvenz zu treffen.

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b) Hinzu kommt, dass die Insolvenzordnung den Begriff "Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge" nicht nur in § 114 Abs. 1 InsO, sondern auch an anderen Stellen verwendet (§ 287 Abs. 2 Satz 1, § 89 Abs. 2 Satz 1, § 81 Abs. 2 Satz 1 InsO). Nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs sollte ihm in jeder der genannten Vorschriften die nämliche Bedeutung zukommen (vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 189 zu § 236 RegE = § 287 InsO). In der Erläuterung zu § 92 RegE (= § 81 InsO; BT-Drucks. 12/2443, S. 136) heißt es wie folgt:

"Im einzelnen erfasst die Formulierung "Bezüge aus einem Dienstverhältnis des Schuldners oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge", die auch in den genannten anderen Vorschriften des Gesetzentwurfs benutzt wird, nicht nur jede Art von Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 ZPO, sondern insbesondere auch die Renten und die sonstigen laufenden Geldleistungen der Träger der Sozialversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit im Falle des Ruhestands, der Erwerbsunfähigkeit oder der Arbeitslosigkeit. Das Arbeitsentgelt eines Strafgefangenen für im Gefängnis geleistete Arbeit (§ 43 StVollzG) gehört ebenfalls zu diesen Bezügen."

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Abfindungen nach §§ 9, 10 KSchG gehören zum "Arbeitseinkommen" im Sinne von § 850 ZPO. Das folgt insbesondere aus der Vorschrift des § 850 i ZPO, die den Pfändungsschutz für nicht wiederkehrend zahlbare Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten und Dienste regelt, und wird - soweit ersichtlich - nirgends in Zweifel gezogen (vgl. etwa Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 29. Aufl. § 850 Rn. 6a; Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO § 850 Rn. 20, § 850 i Rn. 4 ff, 8). Zu der Vorschrift des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, dass die einmalige Abfindung anlässlich des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis von der Abtretung der "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" erfasst wird, weil ansonsten die während der Wohlverhaltensphase vorgesehene Bedienung der Gläubiger aus den pfändbaren Arbeitseinkünften des Schuldners leicht zu umgehen wäre.

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c) In den Jahren seit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung hat sich allerdings gezeigt, dass sich die ursprüngliche Konzeption des Regierungsentwurfs in den Grundzügen, nicht aber in jeder Einzelheit durchhalten lässt. Die Anwendungsbereiche der genannten Vorschriften der Insolvenzordnung (§ 81 Abs. 2 Satz 1, § 89 Abs. 2 Satz 1, § 114 Abs. 1, § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO) und der Zivilprozessordnung (§§ 850 ff ZPO) sind nicht vollständig deckungsgleich. So stellen Ansprüche eines Kassenarztes gegen die kassenärztliche Vereinigung "Arbeitseinkommen" im Sinne von § 850 Abs. 2 ZPO dar (BGHZ 96, 324, 326), nicht jedoch "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" im Sinne von § 114 Abs. 1 InsO (BGHZ 167, 363, 369 ff). § 850 ZPO sichert dem Schuldner einen der Pfändung entzogenen Anteil an Vergütungen für Dienstleistungen, die seine Existenzgrundlage bilden, weil sie seine Erwerbstätigkeit ganz oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen; § 114 Abs. 1 InsO, der von vornherein nur pfändbares Einkommen betrifft, regelt, ob und in welchem Umfang Vergütungsansprüche des Schuldners dem Abtretungsempfänger oder aber der Gesamtheit der Gläubiger zugute kommen. Aber auch soweit der Begriff der "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" in Vorschriften der Insolvenzordnung verwandt wird, können systematischer Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen führen. In der bereits zitierten Entscheidung BGHZ 167, 363 hat der Senat für möglich gehalten, auch Ansprüche aus selbständiger Tätigkeit unter den Begriff der "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" in § 114 Abs. 1 InsO zu subsumieren, wenn diese Ansprüche aus der Verwertung der Arbeitskraft des Schuldners stammen und nicht die Begründung von Masseverbindlichkeiten voraussetzen (BGHZ 167, 363, 370 Rn. 16). Für die Vorschrift des § 287 Abs. 2 InsO kommt dies nicht in Betracht. Die Abtretungserklärung, welche der Schuldner seinem Antrag auf Restschuldbefreiung beizufügen hat, erstreckt sich nicht auf Ansprüche aus selbständiger Tätigkeit; dies folgt aus dem Zusammenspiel der Vorschriften des § 287 Abs. 2 InsO mit § 295 Abs. 1 InsO einerseits, der ausschließlich für selbständig tätige Schuldner geltenden Vorschrift des § 295 Abs. 2 InsO andererseits und entspricht - trotz der eingangs skizzierten Konzeption des Regierungsentwurfs vom einheitlichen Anwendungsbereich der Vorschriften der §§ 850 ff ZPO und derjenigen der Insolvenzordnung - ausdrücklich der Vorstellung der amtlichen Begründung, nach welcher die Abtretungserklärung Ansprüche aus selbständiger Tätigkeit des Schuldners gerade nicht erfasst (BGH, Urt. v. 15. Oktober 2009 - IX ZR 234/08, NZI 2010, 72, 73 f Rn. 16 f; vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 192). Auch für das im vorliegenden Fall zu lösende Problem gilt daher, dass die Auslegung des Begriffs der "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" in § 114 Abs. 1 InsO sich weniger an den allgemein geäußerten Vorstellungen des Gesetzgebers zu einem inneren Zusammenhang der Abtretungs- und der Pfändungsschutzvorschriften und an der Auslegung anderer Vorschriften zu orientieren hat als am Regelungszusammenhang der Vorschrift selbst sowie deren Sinn und Zweck.

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3. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO verlangen keine einschränkende Auslegung des Begriffs der "Bezüge aus einem Dienstverhältnis".

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a) Nach der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 12/2443, S. 150 f) sollten Vorausabtretungen eingeschränkt werden, um zu gewährleisten, dass die pfändbaren Bezüge eines Arbeitnehmers während eines längeren Zeitraums nach der Beendigung des Verfahrens für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehen. Diesem Anliegen des Gesetzgebers steht die Einbeziehung einer Abfindung oder anderer einmaliger Leistungen in den Anwendungsbereich des § 114 Abs. 1 InsO nicht entgegen. Die Abfindung dient zwar regelmäßig als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und des verlorenen sozialen Besitzstandes, der mit dem Arbeitsverhältnis verbunden ist (Hergenröder ZVI 2006, 173, 176), ist daher eher auf die Zukunft als auf die Vergangenheit bezogen. Bleibt ihre Abtretung jedoch in den ersten beiden Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam, schließt dies nicht aus, dass der Schuldner nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses und dem Ablauf der Frist des § 114 Abs. 1 InsO anderweitige Einkünfte erwirtschaftet, die - soweit sie pfändbar sind - in die Masse fallen und nach Abzug der Verfahrenskosten an die Insolvenzgläubiger ausgekehrt werden.

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b) Wie der Senat an anderer Stelle allerdings bereits erörtert hat (BGHZ 167, 363, 367 f Rn. 10 ff), beruht die Begründung des Regierungsentwurfs auf der § 91 InsO widersprechenden Annahme, dass Vorausabtretungen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam blieben, wenn es die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO nicht gäbe. Tatsächlich schränkt § 114 Abs. 1 InsO die Wirkung von Vorausabtretungen nicht ein, sondern erweitert sie, wie die amtliche Begründung des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26. Oktober 2001 klargestellt hat (BT-Drucks. 14/5680, S. 17). Der Fortbestand der Abtretung von Bezügen aus einem Dienstverhältnis für einen Zeitraum von zwei Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens soll es auch demjenigen Personenkreis ermöglichen, sich einen Kredit zu beschaffen, der als Sicherheit nur die Abtretung von Bezügen aus abhängiger Tätigkeit anbieten kann. Diesem Ziel ist es sogar förderlich, Abfindungen in den Geltungsbereich des § 114 Abs. 1 InsO einzubeziehen. Die wortgetreue Auslegung der Vorschrift, die Abfindungen in den ersten beiden Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens einbezieht, gefährdet nicht den Ausgleich zwischen den Interessen des Sicherungsnehmers - und damit mittelbar des Kreditnehmers, der keine andere Sicherheiten als den eigenen Lohn anbieten kann - einerseits, denjenigen der Insolvenzgläubiger andererseits, welchen der Gesetzgeber angestrebt hat; einer Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 114 Abs. 1 InsO bedarf es nicht.

Ganter                                  Vill                                Lohmann

                   Fischer                               Pape