Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 12.05.2011


BGH 12.05.2011 - IX ZR 133/10

Insolvenzverfahren: Erfüllungswirkung von Leistungen eines Drittschuldners an den Insolvenzverwalter nach Verfahrensaufhebung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
12.05.2011
Aktenzeichen:
IX ZR 133/10
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Frankfurt, 7. Juli 2010, Az: 1 U 134/09, Urteilvorgehend LG Frankfurt, 8. Juli 2009, Az: 2-2 O 258/08
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Zahlungen des Drittschuldners auf ein nach Verfahrensaufhebung fortbestehendes Anderkonto des vormaligen Insolvenzverwalters haben keine schuldbefreiende Wirkung, wenn der Schuldner dem Insolvenzverwalter keine Einziehungsermächtigung erteilt hat .

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 7. Juli 2010 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der beklagte Rechtsanwalt war Verwalter in dem am 28. Dezember 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M. GmbH (fortan: Schuldnerin), das nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans am 1. Februar 2006 durch das Insolvenzgericht aufgehoben wurde. Eine Drittschuldnerin überwies nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens auf offene Forderungen der Schuldnerin aus laufender Geschäftsbeziehung insgesamt 28.364,96 € auf das Anderkonto des Beklagten. In der Folgezeit zahlte der Beklagte vom Anderkonto 15.000 € an die Schuldnerin aus und vereinnahmte 18.777 € für sich als Insolvenzverwaltervergütung.

2

Am 1. Juni 2006 eröffnete das Insolvenzgericht auf Antrag der Schuldnerin erneut das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen und bestellte Rechtsanwalt R. zum Insolvenzverwalter. Dieser verlangte vom Beklagten - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - Zahlung der 28.364,96 €. Daraufhin überwies ihm der Beklagte vom Anderkonto 3.182,97 € und stellte dieses dadurch auf Null.

3

Rechtsanwalt R. ließ sich von der Drittschuldnerin deren Forderungen gegen den Beklagten, insbesondere aus Bereicherungsrecht, abtreten und hat ihn auf Zahlung von 28.364,96 € abzüglich 3.182,97 € verklagt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Seine Berufung, mit der er nur noch die Zahlung von 10.181,99 € (28.364,96 € - 3.182,97 € - 15.000 €) aus abgetretenem Recht nebst Zinsen begehrt hat, hatte Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte weiterhin die vollständige Klageabweisung.

4

Nach Einlegung der Revision ist Rechtsanwalt R. als Insolvenzverwalter entlassen und Rechtsanwalt Dr. P. (fortan für beide Insolvenzverwalter: Kläger) als Insolvenzverwalter bestellt worden; dieser setzt den Prozess fort.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

6

Mit dem Verwalterwechsel im laufenden Revisionsverfahren trat in entsprechender Anwendung der §§ 241, 246 ZPO ein gesetzlicher Parteiwechsel ein. Dies führte nicht zu einer Unterbrechung des Rechtsstreits, weil der zunächst als Kläger auftretende Insolvenzverwalter anwaltlich vertreten war. Der neue Insolvenzverwalter hat auch nicht beantragt, die Aussetzung des Verfahrens anzuordnen (vgl. Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 80 Rn. 138; Nerlich/Römermann/Wittkowski, InsO, § 80 Rn. 52; MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, 2. Aufl., § 80 Rn. 97; Jaeger/Windel, InsO, § 80 Rn. 209).

II.

7

1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: Der Kläger habe gegen den Beklagten aus abgetretenem Recht der Drittschuldnerin einen Bereicherungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB; denn diese habe an den Beklagten als Nichtberechtigten auf die Ansprüche der Schuldnerin gegen sie geleistet, ohne von den Forderungen frei geworden zu sein. Für die maßgebende Zeit nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens sei weder eine Anweisung der Schuldnerin an die Drittschuldnerin, an den Beklagten zu zahlen, noch eine dem Beklagten erteilte Einzugsermächtigung nachvollziehbar behauptet worden. In der Erhebung der vorliegenden Klage sei eine Genehmigung der Forderungseinziehung schon deshalb nicht zu sehen, weil der Kläger eine solche Genehmigung ausdrücklich ausgeschlossen habe. Der Beklagte habe dem Konto am 10. März 2006 die Insolvenzverwaltervergütung in einer die Klageforderung übersteigende Höhe entnommen. In dieser Höhe könne er sich nicht auf Entreicherung berufen.

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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand. Auf Grundlage der für den Bundesgerichtshof gemäß § 559 Abs. 1 ZPO bindenden tatsächlichen Feststellungen hat der Kläger gegen den Beklagten einen Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB (Leistungskondiktion).

9

a) Die Drittschuldnerin hat durch die Überweisung auf das Anderkonto des Beklagten an diesen und nicht an die Schuldnerin oder die Masse geleistet. Der Beklagte war Vollrechtsinhaber des von ihm eingerichteten Anderkontos. Anderkonten sind offene Vollrechtstreuhandkonten, aus denen ausschließlich der das Konto eröffnende Rechtsanwalt persönlich der Bank gegenüber berechtigt und verpflichtet ist (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - IX ZR 192/07, WM 2009, 562 Rn. 7). Auf das von einem Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter eingerichtete Anderkonto eingehende Gelder gehören nicht zur Insolvenzmasse im Sinne des § 35 InsO. Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Zahlungen, die auf dem Anderkonto eingehen, fallen deswegen weder in die Masse noch in das Schuldnervermögen (BGH, aaO Rn. 8 bis 10 mwN).

10

Da die auf dem Anderkonto des Beklagten während des laufenden Insolvenzverfahrens eingehenden Gelder nicht in die Masse oder das Schuldnervermögen fielen, sondern Forderungsinhaber allein der Beklagte selbst war, wurde weder die Masse noch die Schuldnerin bereichert, sondern allein der Beklagte als Kontoinhaber. Das gilt im Streitfall umso mehr für die Zahlungen der Drittschuldnerin, die erst erfolgten, als das Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Planbestätigung gemäß § 258 Abs. 1 InsO aufgehoben war. Die Aufhebung hatte nach § 259 Abs. 1 InsO zur Folge, dass das Amt des Insolvenzverwalters erlosch und die Schuldnerin das Recht zurückerhielt, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen. Mit der Wiedererlangung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis endete zugleich der Insolvenzbeschlag (vgl. MünchKomm-InsO/Huber, 2. Auflage 2008, § 259, Rn. 11, 13, 14).

11

Selbst wenn, wie der Beklagte in den Tatsacheninstanzen behauptet hat, er mit der Schuldnerin vereinbart haben sollte, das Insolvenz-Anderkonto auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens als Rechtsanwalts-Anderkonto weiterzuführen, die Schuldnerin mithin damit einverstanden war, dass das Anderkonto bis zur Endabrechnung weiterhin bestehen bleiben sollte, ändert sich an seiner Passivlegitimation nichts. Auch dann wäre er allein Kontoinhaber und um die Zahlungen der Drittschuldnerin bereichert.

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b) Rechtlich durchgreifende Bedenken bestehen auch nicht gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Drittschuldnerin sei durch die Zahlung an den Beklagten nicht von ihrer Schuld gegenüber der Schuldnerin frei geworden, sie habe mithin ohne Rechtsgrund an den Beklagten geleistet. Die Drittschuldnerin wäre nur dann frei geworden, wenn die Schuldnerin sie vor der Zahlung angewiesen hätte, das Geld auf das Anderkonto des Beklagten zu überweisen (§ 362 Abs. 2, § 185 Abs. 1 BGB), die Schuldnerin die Zahlung nachträglich genehmigt (§ 362 Abs. 2, § 185 Abs. 2 BGB) oder sie den Beklagten ermächtigt hätte, die Forderung einzuziehen, oder die Drittschuldnerin gutgläubig in Unkenntnis von der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an den Beklagten geleistet hätte. Keiner dieser Fälle liegt hier vor.

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aa) Auf der Grundlage des angefochtenen Urteils ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Drittschuldnerin in analoger Anwendung des § 82 InsO (BGH, Beschluss vom 15. Juli 2010 - IX ZB 229/07, WM 2010, 1610 Rn. 8 zVb in BGHZ 186, 223; vom 16. Dezember 2010 - IX ZA 30/10, NZI 2011, 104 Rn. 6) von ihrer Leistungspflicht gegenüber der Schuldnerin frei geworden wäre, weil sie gutgläubig in Unkenntnis der Verfahrensaufhebung an den nicht mehr empfangsberechtigten Beklagten die Leistung erbracht hätte. Verfahrenrügen hat der Beklagte in diesem Zusammenhang nicht erhoben. Ebenso wenig ist er der Feststellung des Berufungsgericht entgegengetreten, die Schuldnerin habe die Drittschuldnerin nicht angewiesen, an den Beklagten zu zahlen (§ 362 Abs. 2, § 185 Abs. 1 BGB), oder habe die Zahlung nicht nachträglich gegenüber der Drittschuldnerin genehmigt (§ 362 Abs. 2, § 185 Abs. 2 BGB). Ferner hat der Beklagte die Feststellung des Berufungsgerichts unbeanstandet gelassen, in der Erhebung der Zahlungsklage gegen ihn liege keine Genehmigung der Zahlung, weil der Kläger dies ausdrücklich ausgeschlossen habe.

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bb) Verfahrensrechtlich bindend ist auch die Feststellung des Berufungsgerichts, die Schuldnerin habe den Beklagten nicht zur Entgegennahme des Geldes ermächtigt, weil der Beklagte für die maßgebende Zeit nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens keine Vereinbarung zwischen Schuldnerin und Beklagten nachvollziehbar behauptet habe. Die in diesem Zusammenhang vom Beklagten erhobenen Revisionsrügen haben keinen Erfolg. Der Beklagte trägt keinen Sachverhalt vor, der eine Einziehungsermächtigung begründen könnte. Er verkennt, dass aus Vereinbarungen, die sich auf die Verwendung des bei Aufhebung des Insolvenzverfahrens bestehenden Kontoguthabens beziehen, nicht notwendig auf die Einräumung einer Einziehungsermächtigung geschlossen werden kann.

15

Allerdings steht zwischen den Parteien im Streit, ob von dem Anderkonto nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens Verbindlichkeiten der Schuldnerin beglichen werden sollten. Aber weder aus einer vor oder nach Insolvenzaufhebung getroffenen Vereinbarung des Beklagten mit der Schuldnerin über den Weiterbestand des Anderkontos, noch aus einer Vereinbarung darüber, dass von diesem Konto Alt- und/oder Neuverbindlichkeiten der Schuldnerin beglichen werden sollten oder der Beklagte unter bestimmten Voraussetzungen seine Insolvenzverwaltervergütung dem Anderkonto entnehmen durfte, ergibt sich mittelbar die Ermächtigung des Beklagten, eingehende Gelder der Drittschuldnerin für die Schuldnerin entgegenzunehmen. Nur wenn der Beklagte mit der Schuldnerin vereinbart hätte, dass über das Anderkonto weiterhin die Alt- oder Neuforderungen der Schuldnerin eingezogen werden sollten, läge darin zugleich die Ermächtigung zur Entgegennahme dieser Gelder. Eine solche Vereinbarung eines Forderungseinzugs über das Anderkonto hätte auch konkludent getroffen werden können, etwa dadurch, dass der Beklagte mit der Schuldnerin gerade die Verwendung der auf dem Anderkonto eingegangenen oder aber zukünftig eingehenden Gelder der Drittschuldnerin geregelt hätte. Eine ausdrückliche Absprache zwischen dem Beklagten und der Schuldnerin wird mit den Verfahrensrügen aber ebenso wenig geltend gemacht wie die Kenntnis des Beklagten und der Schuldnerin von der Überweisung der Drittschuldnerin.

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c) Frei von Rechtsfehlern ist schließlich die Würdigung des Oberlandesgerichts, dass der Beklagte nicht entreichert sei, § 818 Abs. 3 BGB. Wer sich wie der Beklagte auf den Wegfall der Bereicherung beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der den Wegfall der Bereicherung begründenden Umstände (BGH, Urteil vom 17. Januar 2003 - V ZR 235/02, NJW 2003, 3271). Ein entsprechender Vortrag des Beklagten fehlt, der seine Entreicherung allein in dem Umstand sieht, dass auf dem Anderkonto kein Guthaben mehr vorhanden ist. Der Beklagte hat aus dem von der Drittschuldnerin veranlassten Zahlungseingang mehr als den streitgegenständlichen Betrag für sich als Vergütung abgebucht und in sein - treuhandfreies - Vermögen überführt; in Höhe der Klageforderung ist er deswegen noch bereichert. Denn sein Vermögen hat sich vom Zeitpunkt der Überweisung des Geldes durch die Drittschuldnerin auf sein Anderkonto bis zur Rechtshängigkeit der vorliegenden Klage nicht geändert; durch die Abbuchung des Geldes vom Anderkonto hat er es nur umgeschichtet. Er trägt nicht vor, das Geld im Vertrauen auf das Bestehen eines Rechtsgrundes für sonst nicht getätigte Luxusausgaben verbraucht zu haben.

17

Der Beklagte kann dem an den Kläger abgetretenen Bereicherungsanspruch der Drittschuldnerin nicht entgegenhalten, mit der Schuldnerin vereinbart zu haben, die Vergütung dem Anderkonto entnehmen zu dürfen. Eine solche Vereinbarung führt im Verhältnis zur Drittschuldnerin nicht zu seiner Entreicherung. Eine Verrechnungsvereinbarung mit der Schuldnerin kann der Beklagte nicht getroffen haben, weil die Drittschuldnerin ihren Bereicherungsanspruch erst nach Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens an den Kläger abgetreten hat.

Kayser                       Vill                       Lohmann

                Pape                      Möhring