Entscheidungsdatum: 29.03.2012
1. Der Treuhänder ist während der Laufzeit der Abtretungserklärung des Schuldners kraft Amtes befugt, das nachträgliche Erlöschen von Forderungen, die in das Schlussverzeichnis des Insolvenzverfahrens aufgenommen worden sind, gegen den jeweiligen Insolvenzgläubiger im Klagewege geltend zu machen (Verteilungsabwehrklage).
2. Führt die Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers gegen Forderungen des Schuldners, die von seiner Abtretungserklärung nicht erfasst sind, während ihrer Laufzeit zu einer teilweisen Befriedigung, so darf der Insolvenzgläubiger an den weiteren Verteilungen nur nach dem Berücksichtigungswert seiner Restforderung teilnehmen.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 22. Juli 2011 aufgehoben. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 20. Januar 2011 wird zurückgewiesen. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat der Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
Der Kläger ist Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren des M. K. . Gegen ihn bestand nach dem Schlussverzeichnis des am 19. Dezember 2008 aufgehobenen Insolvenzverfahrens über sein Vermögen eine Steuerforderung des beklagten Landes von 125,25 €. Mit dieser Forderung rechnete das Land gegen den Einkommensteuererstattungsanspruch des Jahres 2007 in Höhe von 105,25 € auf.
Das Amtsgericht hat antragsgemäß die weitere Teilnahme des beklagten Landes an Verteilungen des Treuhänders für unzulässig erklärt, soweit seine in das Schlussverzeichnis aufgenommene Forderung den Betrag von 20 € übersteige. Die zugelassene Berufung hatte Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Revision und Klage sind ebenso zulässig wie begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat schon die Prozessführungsbefugnis des Treuhänders im Restschuldbefreiungsverfahren zur Geltendmachung nachträglicher Einwendungen gegen die in das Schlussverzeichnis aufgenommenen Forderungen verneint. Es hat ferner angenommen, dass die erhobene Klage auch mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sei; denn das beklagte Land mache infolge seiner Aufrechnung keine höhere Restforderung mehr geltend als die im Klageantrag bezeichneten 20 €. Letztlich sei die Klage auch unbegründet, weil die in das Schlussverzeichnis aufgenommene Forderung des beklagten Landes unstreitig noch nicht vollständig befriedigt sei. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.
II.
Die Klage des Treuhänders ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts zulässig.
1. Der Treuhänder ist als Partei kraft Amtes befugt, gegen die zur Tabelle festgestellten, in das Schlussverzeichnis des aufgehobenen Insolvenzverfahrens aufgenommenen Forderungen eine Verteilungsabwehrklage entsprechend § 767 ZPO zu erheben. Diese Rechtsschutzform ist wegen der Rechtskraftwirkung der Tabelleneintragung und der Bindungswirkung des Verzeichnisses hier genauso statthaft wie für den Insolvenzverwalter, der mit der Begründung, die festgestellte Forderung sei ganz oder teilweise erloschen, ihre Aufnahme in ein Verteilungsverzeichnis ablehnt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 4. Oktober 1984 - IX ZR 159/83, NJW 1985, 271, 272 unter II. 2.; vom 11. Dezember 2008 - IX ZR 156/07, WM 2009, 275 Rn. 12). Die unmittelbare Anwendung der Vorschrift kommt in beiden Fällen wegen der Vollstreckungsverbote des § 89 Abs. 1 InsO und des § 294 Abs. 1 InsO nicht in Betracht.
Auch der Treuhänder während des Restschuldbefreiungsverfahrens ist zur Erhebung dieser Abwehrklage befugt. Denn für seine Verteilung an die Insolvenzgläubiger nach § 292 Abs. 1 Satz 2 InsO bleibt sonst das Schlussverzeichnis maßgebend. Kraft eigener Rechtsmacht kann der Treuhänder die Berücksichtigungswerte des Schlussverzeichnisses nicht ändern. Durch die unveränderte Fortsetzung der Ausschüttungen trotz nachträglichen Erlöschens einer festgestellten Insolvenzforderung würde deren Gläubiger auf Kosten der anderen Insolvenzgläubiger und ihrer Verteilungsquote ungerechtfertigt bereichert. Es entstünde ein mit allen Durchsetzungsrisiken behafteter Rückforderungsanspruch (vgl. für den Fall der Verwertung eines Absonderungsrechts MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl., § 52 Rn. 27).
Könnte der Treuhänder den Eintritt dieser Lage nicht als Partei kraft Amtes durch eine eigene Abwehrklage verhindern, bliebe nur eine Klage des Schuldners und der benachteiligten Insolvenzgläubiger, die von den Letztgenannten in notwendiger Streitgenossenschaft gemäß § 62 ZPO zu erheben wäre. Denn der Streit über das nachträgliche Erlöschen des Verteilungsanrechts eines Insolvenzgläubigers könnte den anderen Gläubigern gegenüber entsprechend § 183 Abs. 1 InsO nur einheitlich entschieden werden. Einzelklagen mit der Möglichkeit widersprechender Entscheidungen wären unzulässig. Die Wahrung dieses Gesamtinteresses an der richtigen Verteilung des schuldnerischen Sondervermögens während der Laufzeit der Abtretungserklärung des § 287 Abs. 2 InsO gehört folglich nach Sinn und Zweck des Amtes zu den Aufgaben des Treuhänders, der dementsprechend prozessführungsbefugt ist. Er untersteht dabei nach § 292 Abs. 3 Satz 2, § 58 InsO der Aufsicht des Insolvenzgerichts, wie die Revision mit Recht gegen das Berufungsurteil rügt. Die Frage der Treuhänderhaftung entsprechend § 60 Abs. 1 InsO (vgl. HK-InsO/Landfermann, 6. Aufl. § 292 Rn. 23 mwN) für einen etwaigen Verteilungsschaden kann hier wie in der bisherigen Senatsrechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2008 - IX ZR 118/07, ZInsO 2008, 971 Rn. 20) offenbleiben.
Die vom Berufungsgericht ansonsten herangezogenen Unterschiede zwischen dem Amt des Insolvenzverwalters und des Treuhänders im Restschuldbefreiungsverfahren sind im hier gegebenen Zusammenhang ohne Bedeutung.
2. Der Klage fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Ihr Ziel ist nicht die unstreitige Feststellung, dass die in das Schlussverzeichnis aufgenommene Forderung des beklagten Landes jedenfalls in Höhe von 105,25 € erloschen ist oder die Abwehr einer nach § 294 Abs. 1 InsO unzulässigen und nicht beabsichtigten Zwangsvollstreckung. Es geht um die offene Streitfrage, welches Verteilungsanrecht dem beklagten Land nach den erklärten Aufrechnungen noch zusteht und die danach womöglich notwendige Umgestaltung in der Bindungswirkung des Schlussverzeichnisses.
III.
Die Klage dringt sachlich in dem erhobenen Umfang durch.
1. Die Aufrechnung des beklagten Landes war wirksam. Das Aufrechnungsverbot des § 294 Abs. 3 InsO stand nicht entgegen, weil die Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO den Gegenanspruch auf Einkommensteuerrückerstattung nicht umfasst (BGH, Urteil vom 21. Juli 2005 - IX ZR 115/04, BGHZ 163, 391, 392 ff; Beschluss vom 12. Januar 2006 - IX ZB 239/04, NZI 2006, 246 Rn. 9 f; BFHE 216, 1, 3).
2. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Verteilungsanspruch des beklagten Landes nach § 292 Abs. 1 InsO trotz der Teilaufrechnung bis zum gänzlichen Erlöschen seiner in das Schlussverzeichnis nach § 197 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO aufgenommenen Forderung unverändert fortbesteht. Der Bundesgerichtshof hat diesen Grundsatz der Doppelberücksichtigung für den Fall der nachträglichen Zahlung eines Bürgen auf die festgestellte Insolvenzforderung aus § 68 KO (jetzt § 43 InsO) abgeleitet (Urteil vom 4. Oktober 1984, aaO) und auch auf andere Fälle persönlicher Mithaftung angewendet (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2008, aaO Rn. 14). Um eine solche Sachlage geht es, wie die Revision zutreffend rügt, im Streitfall nicht. Das beklagte Land hat nur einen Schuldner. Diesem standen aus den Einkommensteuerveranlagungen der Jahre 2007 und 2008 Ansprüche zu, gegen die der Beklagte aufrechnen konnte, solange ihre Insolvenzbeschlagnahme im Wege einer Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs. 1 InsO unterblieb (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 12. Januar 2006, aaO Rn. 11 f).
In der allgemeinen insolvenzrechtlichen Interessenwertung wird der Gläubiger durch eine Aufrechnungsmöglichkeit in ähnlicher Weise geschützt wie durch ein Absonderungsrecht (BGH, Urteil vom 9. Mai 1960 - II ZR 95/58, WM 1960, 720, 721 unter 3. b; vom 24. März 1994 - IX ZR 149/93, WM 1994, 1045, 1046 unter 1. c; Beschluss vom 29. Mai 2008 - IX ZB 51/07, BGHZ 177, 1 Rn. 29 f; Urteil vom 8. Januar 2009 - IX ZR 217/07, WM 2009, 416 Rn. 32 unter Hinweis auf die gleiche Schutzwürdigkeit der Gläubiger; differenzierend Urteil vom 15. Juli 2004 - IX ZR 224/03, BGHZ 160, 107, 111 unter II. 3. zur Konzernverrechnungsklausel). Auch das beklagte Land kann deshalb im Verteilungsverfahren während der Laufzeit der Abtretungserklärung nicht besser stehen, als wenn es durch nachträgliche Verwertung einer im Insolvenzverfahren freigegebenen Schuldnersicherheit, die es zur abgesonderten Befriedigung berechtigte, teilweise Deckung seiner in das Schlussverzeichnis aufgenommenen Forderung erlangt hätte. Die Rechtsfolge dieses Tatbestandes findet sich in dem Ausfallprinzip des § 52 Satz 2 InsO. Das beklagte Land war mithin zur anteilsmäßigen Befriedigung aus dem vom Treuhänder verwalteten Sondervermögen des Schuldners nur noch berechtigt, soweit seine Aufrechnung zu einer Befriedigung nicht geführt hatte, ein Ausfall daher eingetreten war. In dieser Höhe hatte das beklagte Land auch auf seine weitergehende Aufrechnungsmöglichkeit verzichtet und den Erstattungsbetrag ausgekehrt. Entsprechend § 52 Satz 2 InsO ist die Klage auf Änderung des Berücksichtigungswertes gerechtfertigt. In diesem Sinne ist das amtsgerichtliche Erkenntnis auszulegen.
Kayser Raebel Gehrlein
Grupp Möhring