Entscheidungsdatum: 13.10.2016
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. Januar 2016 wird auf Kosten des Antragsgegners als unzulässig verworfen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 45.217,30 € festgesetzt.
I.
Der Antragsgegner wurde in Finnland durch Urteil des Landgerichts Kouvola vom 14. März 2007 zur Zahlung an das finnische Unternehmen C. (fortan "Unternehmen") verurteilt. Das Landgericht nahm im Anschluss an die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Finnlands vom 14. Oktober 2005 seine internationale Zuständigkeit für die Klage des Unternehmens an, das unter Berufung auf einen am 18. Februar 2000 geschlossenen Vertrag über die Lieferung eines Holzhausbausatzes nach Deutschland vom Antragsgegner Zahlung einer letzten Rate und Rückzahlung eines im Vertrag vorgesehenen Musterhausrabattes verlangt hatte. Die Parteien des finnischen Rechtsstreits hatten über die Einordnung des Vertrages als Verbrauchervertrag im Sinne des für den Rechtsstreit noch maßgeblichen EuGVÜ gestritten, weil der Antragsgegner und das Unternehmen am 18. Februar 2000 auch einen Agenturvertrag geschlossen hatten, aufgrund dessen der Antragsgegner als Verkaufsvertreter für das Unternehmen tätig werden sollte.
Die Antragstellerin begehrt die Vollstreckbarerklärung des Urteils unter Berufung auf eine zu ihren Gunsten erfolgte Abtretung der titulierten Ansprüche. Mit Beschluss vom 23. April 2010 hat das Landgericht die Entscheidung für vollstreckbar erklärt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit Beschluss vom 12. Januar 2012 hat der Senat auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners den Beschluss des Beschwerdegerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (IX ZB 211/10, IPRspr 2012, 577 ff). Mit Beschluss vom 12. Januar 2016 hat das Beschwerdegericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme die sofortige Beschwerde erneut zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsgegner den Antrag auf Abweisung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung weiter.
II.
Die gemäß Art. 44 der Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
1. Das Beschwerdegericht hat unter anderem ausgeführt: Die Vollstreckbarerklärung sei nicht nach Art. 45 Abs. 1, Art. 35 Abs. 1 EuGVVO zu versagen. Die vor den finnischen Gerichten geltend gemachten Ansprüche seien keine Verbrauchersache im Sinne der Art. 15 ff EuGVVO. Auch wenn der Vertrag in erster Linie dem privaten Bereich des Antragsgegners zuzuordnen sein möge, weil er der Schaffung von Wohnraum für seine Familie diene, habe der Antragsgegner mit ihm aber auch einen für das Unternehmen erkennbaren gewerblichen Zweck verfolgt, welchem nach den Umständen bei einer Gesamtbetrachtung eine nicht nur ganz untergeordnete Bedeutung zukomme. Maßgebend sei, dass nach den der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Finnlands zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen, die für das Beschwerdegericht unabhängig von den Darlegungen des Antragsgegners im vorliegenden Verfahren gemäß Art. 35 Abs. 2 EuGVVO bindend seien, ein enger Zusammenhang zwischen dem Vertrag über die Lieferung des Hauses und dem Agenturvertrag bestanden habe.
2. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass ein Zulässigkeitsgrund nach § 574 Abs. 2 ZPO gegeben ist. Insbesondere hat das Beschwerdegericht bei seiner Entscheidung über die internationale Zuständigkeit der finnischen Gerichte das Grundrecht des Antragsgegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht dadurch verletzt, dass es dessen Vortrag unberücksichtigt gelassen hat, nach welchem auch die Ehefrau des Antragsgegners Partei des Vertrages über das Haus gewesen sei und das Unternehmen den im Vertragsformular vorgesehenen Musterhausrabatt tatsächlich nicht gewährt habe.
a) Es spricht viel dafür, dass das Beschwerdegericht an der Berücksichtigung dieser Umstände gehindert war, weil Art. 35 Abs. 2 EuGVVO eine Bindung des Zweitgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts anordnet, aufgrund deren dieses seine internationale Zuständigkeit angenommen hat.
b) Dies kann im Streitfall aber dahinstehen. Beide Umstände wirken sich nicht dahingehend aus, dass der Vertrag über den Holzhausbausatz vom 18. Februar 2000 im Hinblick auf den Antragsgegner als Verbrauchersache anzusehen und die Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des Landgerichts vom 14. März 2007 wegen Verletzung der Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Verbrauchersachen gemäß Art. 45 Abs. 1 Satz 1, Art. 35 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1 lit. c), 16 Abs. 2 EuGVVO zu versagen gewesen wäre.
aa) Der Verbraucherbegriff des Art. 15 Abs. 1 lit. c) EuGVVO ist unter Beachtung der Systematik und der mit der Verordnung verfolgten Ziele autonom auszulegen. Die vom Europäischen Gerichtshof für die Vorgängerregelung des Art. 13 Abs. 1 EuGVÜ aufgestellten Auslegungsgrundsätze gelten auch für die Auslegung des Art. 15 EuGVVO (EuGH, Urteil vom 14. März 2013, C-419/11, Česká spořitelna / Gerald Feichter, ECLI:EU:C:2013:165 Rn. 28 und 31; vom 28. Januar 2015, C-375/13, Harald Kolassa/Barclays Bank, NJW 2015, 1581 Rn. 21). Danach betreffen beide Vorschriften den nicht berufs- oder gewerbebezogen handelnden privaten Endverbraucher. Erfasst sind deshalb nur Verträge, die eine Einzelperson zur Deckung ihres Eigenbedarfs beim privaten Verbrauch schließt und die keinen Bezug zu einer gegenwärtigen oder zukünftigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person haben (ständige Rechtsprechung seit EuGH, Urteil vom 19. Januar 1993, C-89/91, Shearson Lehman Hutton, Slg. 1993, I-139 Rn. 20 und 22; vom 3. Juli 1997, C-269/95, Benincasa, Slg. 1997, I-3767 Rn. 15; vom 14. März 2013, aaO Rn. 32 und 34, jeweils mwN). Die Einordnung des Vertrages obliegt dem angerufenen Gericht und ist aufgrund einer Gesamtbewertung vorzunehmen, in die Inhalt, Art und Zweck des Vertrages sowie die objektiven Umstände bei Vertragsschluss einzubeziehen sind (für Art. 13 EuGVÜ EuGH, Urteil vom 20. Januar 2005, C-464/01, Gruber, Slg. 2005, I-439 Rn. 44 und 47). Ist der Gegenstand des Vertrages für einen Zweck bestimmt, der sich teilweise der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit der betreffenden Person zurechnen lässt, greift der besondere Schutz der Art. 15 ff EuGVVO unabhängig von der Gewichtung zwischen privatem und beruflich-gewerblichem Zweck nicht ein, solange der beruflich-gewerbliche Zweck nicht derart nebensächlich ist, dass er im Gesamtzusammenhang des betreffenden Geschäfts nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt (für Art. 13 EuGVÜ EuGH, Urteil vom 20. Januar 2005, aaO Rn. 39 ff).
bb) Das Beschwerdegericht hat in Anwendung dieser Grundsätze vor allem die beabsichtigte Nutzung des mit dem Vertrag erworbenen Holzhauses als Musterhaus im Rahmen der künftigen Vertretertätigkeit des Antragsgegners, die vorgesehene Nutzung eines Raumes für diese Tätigkeit sowie die zeitgleiche Verhandlung und Unterzeichnung beider Verträge als ausschlaggebend dafür angesehen, dass der Antragsgegner mit dem Erwerb auch eine beruflich-gewerbliche Zweckrichtung verfolgte, die mehr als nur untergeordnete Bedeutung hat. Dies ist zulassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
cc) Den von der Rechtsbeschwerde angesprochenen Umstand, dass im Vertragsformular ein Musterhausrabatt vorgesehen war, hat das Beschwerdegericht in diese Bewertung nicht einbezogen. Deshalb wirkt es sich nicht zum Nachteil des Antragsgegners aus, wenn das Beschwerdegericht - wie die Rechtsbeschwerde rügt - den Vortrag des Antragsgegners zu einer tatsächlich nicht erfolgten Rabattgewährung nicht berücksichtigt hat, weil dieser Vortrag nur etwaige nachteilige Wirkungen des genannten Umstandes ausräumen sollte. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass eine Berücksichtigung dieses Vortrags die Bewertung des Beschwerdegerichts zu Gunsten des Antragsgegners hätte beeinflussen können.
dd) Der vom Beschwerdegericht ebenfalls nicht berücksichtigte weitere Umstand, dass auch die Ehefrau des Antragsgegners Partei des Vertrages über das Holzhaus ist, führt nicht dazu, dass der Vertrag in dem Rechtsstreit zwischen dem Antragsgegner und dem Unternehmer als Verbrauchervertrag im Sinne der Art. 15 ff EuGVVO einzuordnen wäre.
(1) Die besondere - ausschließliche - Zuständigkeitsregelung des Art. 16 EuGVVO in Verbrauchersachen soll nach ihrer Zielrichtung dem Verbraucher einen besonderen Schutz verschaffen, indem sie ihm die Führung des Rechtsstreits mit dem Unternehmer vor den Gerichten seines Wohnsitzortes ermöglicht (Art. 16 Abs. 1 EuGVVO) und sichert (Art. 16 Abs. 2 EuGVVO; vgl. Erwägungsgrund 13 und EuGH, Urteil vom 3. Juli 1997, C-269/95, Benincasa, Slg. 1997, I-3767 Rn. 13 f). Diese Ausnahmeregelung wird mit der Erwägung gerechtfertigt, dass der Verbraucher gegenüber dem beruflich oder gewerblich handelnden Vertragspartner als wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 3. Juli 1997, aaO Rn. 17; vom 20. Januar 2005, aaO Rn. 34 mwN). Zugleich hat der Europäische Gerichtshof stets betont, dass der Verbraucherbegriff wegen des Ausnahmecharakters der besonderen Schutzregelung eng auszulegen ist und nicht auf Personen ausgedehnt werden darf, die dieses Schutzes nicht bedürfen (EuGH, Urteil vom 19. Januar 1993, aaO Rn. 19; vom 14. März 2013, aaO Rn. 33; vom 28. Januar 2015, C-375/13, Harald Kolassa/Barclays Bank, NJW 2015, 1581 Rn. 28). Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, einem Beklagten, der von einem Unternehmer aus einem auch beruflich-gewerblichen Zwecken dienenden Vertrag gerichtlich in Anspruch genommen wird und der insoweit nach der Rechtsprechung als auf gleicher Stufe mit dem Unternehmer stehend zu gelten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Januar 2005, aaO Rn. 40), die Berufung auf die Zuständigkeitsregelung in Verbrauchersachen nur deshalb zu ermöglichen, weil aus dem Vertrag auch eine nicht am Prozess beteiligte weitere Person als Vertragspartner verpflichtet und berechtigt ist, die bei Vertragsschluss ihrerseits nicht berufs- oder gewerbebezogen gehandelt hat. Die Einbindung eines Verbrauchers in den Vertrag macht den auch beruflich-gewerblich handelnden Vertragspartner des Unternehmers im Hinblick auf seine gerichtliche Inanspruchnahme nicht schutzbedürftig. Eine zu seinen Gunsten wirkende Zurechnung der Verbrauchereigenschaft des nicht am Prozess beteiligten Mitverpflichteten ist nicht gerechtfertigt.
(2) Dieses Auslegungsergebnis steht im Einklang mit der Systematik der EuGVVO. Nach dem Willen des Verordnungsgebers sollen die Zuständigkeitsvorschriften der EuGVVO in hohem Maße vorhersehbar sein (Erwägungsgrund 11 Satz 1). Um dieses Regelungsziel zu gewährleisten, legt die Verordnung selbst die Anknüpfungskriterien genau fest (vgl. Erwägungsgrund 11 Satz 1 und Satz 2) und stellt hierbei, weil es um die Bestimmung der Zuständigkeit für ein konkretes Prozessrechtsverhältnis geht, auf die Person der Prozessparteien oder auf den Gegenstand dieses Prozessrechtsverhältnisses ab, wie etwa auf den (Wohn)Sitz der Parteien, auf den betreffenden Streitgegenstand, auf etwaige Vereinbarungen der am Prozess beteiligten Parteien über die Zuständigkeit, auf eine enge Verbindung zwischen dem Gericht und dem konkreten Rechtsstreit oder auf das Interesse an einer geordneten Rechtspflege (vgl. Erwägungsgründe 11 und 12). Diese Regelungssystematik legt es nahe, auch für die Zweckbestimmung des Vertrages im Sinne des Art. 15 Abs. 1 EuGVVO nur auf die am Prozessverhältnis beteiligten Personen abzustellen. Wäre hingegen der herangezogene Umstand zu berücksichtigen, dass ein zwischen den Prozessparteien bestehender Vertrag als Gegenstand des Verfahrens zugleich auch materiell-rechtliche Bedeutung für eine nicht am Prozess beteiligte Person haben kann, liefe dies der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften zuwider.
(3) Die Notwendigkeit einer Auslegung der Art. 15 Abs. 1 lit. c), Art. 16 Abs. 2 EuGVVO verpflichtet den Senat nicht zu einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 AEUV. Die Auslegungsfrage ist zwar noch nicht Gegenstand einer Entscheidung des Gerichtshofs gewesen. Eine Vorlage kann jedoch unterbleiben, wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt. Ob dies der Fall ist, ist von den nationalen Gerichten unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft zu beurteilen (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, C-283/81, C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415 Rn. 16 ff; vgl. BVerfG, VersR 2014, 609 Rn. 27). Die Auslegung der Art. 15 Abs. 1 lit. c), Art. 16 Abs. 2 EuGVVO mit dem vorstehend genannten Ergebnis ist im Sinne dieser Grundsätze nicht zweifelhaft. Der Senat ist ferner davon überzeugt, dass die gleiche Gewissheit auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den Europäischen Gerichtshof besteht.
Kayser Lohmann Pape
Möhring Schoppmeyer