Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 21.01.2010


BGH 21.01.2010 - IX ZB 83/06

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Vereitelung der Ersatzzustellung eines gerichtlichen Schriftstücks an die Geschäftsadresse des Insolvenzschuldners mangels Vorhandenseins eines Briefkastens und Kenntnis eines Postfachs


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
21.01.2010
Aktenzeichen:
IX ZB 83/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Hannover, 19. April 2006, Az: 20 T 16/06, Beschlussvorgehend AG Hannover, 9. Dezember 2005, Az: 909 IN 501/05 - 2
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Erhält ein Verfahrensbeteiligter ein durch Aufgabe zur Post zugestelltes gerichtliches Schriftstück nicht, so ist die Wiedereinsetzung in eine durch die Zustellung in Lauf gesetzte Notfrist nicht geboten, wenn ein lizenziertes Postunternehmen eine Ersatzzustellung an der angegebenen Geschäftsanschrift, ohne dass dies von der Zustellungsempfängerin mitgeteilt worden wäre, nicht durch Einlegen in einen Briefkasten vornehmen kann und mangels Angabe des Zustellungsempfängers auch von einem nicht bei ihm unterhaltenen Postfach keine Kenntnis haben muss .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 19. April 2006 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 30.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der weitere Beteiligte war nach einem Eigenantrag der Schuldnerin vom 25. Mai 2005 vom Folgetag bis zur Eröffnung des Verfahrens am 1. August 2005 mitbestimmender vorläufiger Insolvenzverwalter. Das Insolvenzgericht hat auf seinen Antrag die Vergütung für diese Tätigkeit einschließlich der Erstattung von Auslagen und Umsatzsteuern ohne Anhörung der Schuldnerin auf 113.989,68 € festgesetzt. Dieser Beschluss wurde am 12. Dezember 2005 im Internet veröffentlicht und am 13. Dezember 2005 durch Justizwachtmeister der Post, hier einer GmbH für Kurier- und Postdienstleistungen, zur Besorgung an die Schuldnerin übergeben.

2

Mit einem am 25. Januar 2006 eingegangenen Schreiben an das Insolvenzgericht beantragte der Geschäftsführer der Schuldnerin Akteneinsicht und Aushändigung von Kopien von Vergütungsanträgen des "Insolvenzverwalters". Nach Rückfrage übersandte das Insolvenzgericht der Schuldnerin am 1. Februar 2006 die erbetenen Kopien.

3

Am 24. Februar 2006 hat die Schuldnerin, vertreten durch ihren Geschäftsführer, zu Protokoll der Geschäftsstelle sofortige Beschwerde gegen den Festsetzungsbeschluss vom 9. Dezember 2005 eingelegt. Am 27. Februar 2006 ist dieses Rechtsmittel für die Schuldnerin anwaltlich wiederholt und begründet worden; hilfsweise hat die Schuldnerin wegen der verstrichenen Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Insolvenzgericht hat der Beschwerde aus Sachgründen nicht abgeholfen. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde unter Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags wegen Fristversäumnis verworfen. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin, mit der sie ihr Begehren auf Herabsetzung der Vergütung weiterverfolgt.

II.

4

Die nach den §§ 6, 7, 64 Abs. 3 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und auch das rechtliche Gehör der Rechtsbeschwerdeführerin vor Gericht, welches Art. 103 Abs. 1 GG garantiert, ist nicht in entscheidungserheblicher Weise beeinträchtigt worden.

5

1. Das Amtsgericht muss Schuldner und Insolvenzgläubiger im Verfahren der Vergütungsfestsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters hören, weil diese Personen von der Festsetzung in ihren Rechten betroffen und dagegen nach § 64 Abs. 3 Satz 1 InsO auch beschwerdebefugt sind. Dies ist hier zu Lasten der Schuldnerin zunächst unterblieben, vom Insolvenzgericht jedoch im Abhilfeverfahren nachgeholt worden. Zweck der Gehörsgewährung ist es nicht, die Verfahrensbeteiligten auf die anstehende Festsetzungsentscheidung aufmerksam zu machen und ihnen dadurch die Verfolgung von Entscheidungsbekanntmachungen nach § 64 Abs. 2 Satz 1, § 9 Abs. 1 und 3 InsO zu erleichtern.

6

2. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 4. Dezember 2003 (IX ZB 249/02, ZIP 2004, 332; vgl. ferner Beschl. v. 5. November 2009 - IX ZB 173/08, Rn. 5) offen lassen können, ob die öffentliche Bekanntmachung des Festsetzungsbeschlusses für den Schuldner die Frist der sofortigen Beschwerde auch dann in Lauf setzt, wenn er zuvor zu dem Vergütungsantrag nicht gehört worden ist. Fraglich ist dies nicht, weil aus dem Inhalt der Bekanntmachung für den Schuldner die Höhe der Festsetzungsbeschwer nicht ersichtlich ist, sondern nur deshalb, weil ohne einen entsprechenden Hinweis der Schuldner möglicherweise jahrelang die Insolvenzbekanntmachungen beobachten muss, um gegen einen unangekündigt ergehenden Festsetzungsbeschluss fristgerecht Beschwerde erheben zu können. Die Rechtsbeschwerdeerwiderung macht hier zu Recht geltend, dass die vorbezeichnete Verfahrensfrage für den Beschwerdefall nicht entscheidungserheblich gewesen sei.

7

3. Der Festsetzungsbeschluss ist der Schuldnerin gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 InsO außer der öffentlichen Bekanntmachung ordnungsgemäß durch Aufgabe zur Post zugestellt und hierdurch die Beschwerdefrist gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 InsO a.F., § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO zwei Wochen nach der Aufgabe in Lauf gesetzt worden. § 8 Abs. 1 InsO in der Fassung von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a) des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13. April 2007 (BGBl. I S. 509) war im Beschwerdefall noch nicht anzuwenden. Nach dieser Zustellung war die am 24. Februar 2006 erhobene sofortige Beschwerde der Schuldnerin nach § 569 ZPO verfristet. Die Rechtsbeschwerde rügt dagegen ohne Erfolg Mängel dieser Zustellung. Auch ihr hilfsweise gestellter Wiedereinsetzungsantrag ist vom Beschwerdegericht mit Recht abgelehnt worden.

8

a) Der von der Rechtsbeschwerde beanstandete Mangel, die Zustellungsanschrift sei von der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts entgegen § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO nicht beurkundet worden (vgl. zum Adressenfehler insoweit BGHZ 73, 388, 390; BGH, Beschl. v. 13. Juni 2001 - V ZB 20/01, NJW-RR 2001, 1361), liegt nicht vor. Der durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterzeichnete Vermerk über den Zustellungsauftrag vom 13. Dezember 2005 nennt - wie die Rechtsbeschwerdeerwiderung der Rüge zutreffend entgegenhält - die Schuldnerin als Zustellungsempfängerin durch Bezugnahme auf die Zustellungsverfügung der Rechtspflegerin und die Anlage des Zustellungsvermerks, in der ihre Firma und Geschäftsadresse angegeben sind. Das ist ausreichend, weil der Aktenvermerk gemäß § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO durch Bezugnahmen ergänzt werden kann.

9

b) Es mag zwar sein, dass die Schuldnerin in die versäumte Frist der sofortigen Beschwerde wiedereinzusetzen gewesen wäre, wenn die zugestellte Entscheidungsabschrift auf dem Postwege verloren gegangen wäre oder sonstwie ohne ihr Verschulden sie erst nach Ablauf der Notfrist des § 569 ZPO erreicht hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 24. Juli 2000 - II ZB 20/99, NJW 2000, 3284, 3285). Die Gründe, mit denen das Beschwerdegericht die Wiedereinsetzung der Schuldnerin nach § 233 ZPO abgelehnt hat, sind nach diesem Ausgangspunkt jedoch rechtlich bedenkenfrei.

10

Die Schuldnerin ist im Verfahren unter ihrer Geschäftsanschrift aufgetreten, ohne darauf hinzuweisen, dass dort ein Briefkasten nicht vorhanden war, so dass Ersatzzustellungen nach § 180 ZPO ausschieden und nur während der Geschäftszeit gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in den Geschäftsräumen durch Übergabe an eine dort beschäftigte Person vorgenommen werden konnten. Die Schuldnerin durfte nach § 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 33 Abs. 1 des Postgesetzes auch nicht davon ausgehen, dass jedes gerichtlich beauftragte lizensierte Zustellunternehmen Kenntnis von ihrem Postfach, welches sie in diesem Verfahren gleichfalls nicht mitgeteilt hatte, besaß und eine Zustellung dort bewirken würde.

11

Die Schuldnerin hat außerdem die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO versäumt. Ihr Geschäftsführer hatte nach seinem am 25. Januar 2006 beim Insolvenzgericht eingegangenen Akteneinsichtsgesuch damals bereits Kenntnis davon, dass ein Antrag auf Festsetzung der Verwaltervergütung gestellt worden war. Schon mit diesem Wissensstand war das Hindernis gegen die Wahrung der Beschwerdefrist gemäß § 234 Abs. 2 ZPO behoben. Denn es bestand jedenfalls danach für die Schuldnerin hinreichender Anlass, nach der öffentlichen Bekanntmachung eines möglicherweise bereits ergangenen Festsetzungsbeschlusses zu forschen. Diese Nachforschung hätte der Schuldnerin die Kenntnis von der Veröffentlichung vom 12. Dezember 2005 verschafft, mit welcher der angefochtene Festsetzungsbeschluss vom 9. Dezember 2005 öffentlich bekannt gemacht worden war. Ergänzend hätte die Schuldnerin dann innerhalb der Nachholungsfrist Akteneinsicht nehmen und die sofortige Beschwerde, wie geschehen notfalls gemäß § 569 Abs. 3 ZPO zu Protokoll der Geschäftsstelle, für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtzeitig erheben können.

Ganter                               Raebel                               Kayser

                   Lohmann                               Pape