Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 18.09.2018


BGH 18.09.2018 - IX ZB 77/17

Internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
18.09.2018
Aktenzeichen:
IX ZB 77/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:180918BIXZB77.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Berlin, 24. Oktober 2017, Az: 19 T 4/17vorgehend AG Charlottenburg, 10. November 2016, Az: 36g IN 3323/15
Zitierte Gesetze
Art 3 Abs 1 S 1 EGV 1346/2000

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 24. Oktober 2017 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 500 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Schuldner übte seit 1987 in Deutschland eine freiberufliche Tätigkeit als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer aus, von 1987 bis 1994 war er in einer Sozietät von Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern unter anderem mit dem weiteren Beteiligten verbunden. Dieser beantragte am 17. Juni 2015 beim Amtsgericht Charlottenburg die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Das Amtsgericht hat dem Gutachten des mit Beschluss vom 29. Juli 2015 bestellten Sachverständigen folgend, wonach der Schuldner in London lediglich einen Scheinwohnsitz habe, indes das Vermögen des Schuldners nicht ausreiche, um die Verfahrenskosten zu decken, mit Beschluss vom 10. November 2016 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen. Mit seiner hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerde hat der Schuldner beantragt, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als unzulässig zurückzuweisen, weil eine internationale Zuständigkeit nicht gegeben sei. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Begehren, den Eröffnungsantrag als unzulässig abzulehnen, weiter.

II.

2

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, §§ 4, 6 Abs. 1, § 34 Abs. 2 InsO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

3

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte sei nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO gegeben, weil der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in Deutschland habe. Hierunter sei der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer Person zu verstehen, an dem sie den Schwerpunkt ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen habe. Im Hinblick auf die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit seien hierfür in erster Linie objektive und für Dritte feststellbare Kriterien maßgebend. Vorliegend verweise ein Teil der Interessen des Schuldners zwar nach London, wo seine Lebensgefährtin und derzeit auch eine Tochter lebten. Der Schuldner habe Mietverträge vorgelegt. Auch seien zwei Kinder des Schuldners schon vor 2010 im Vereinigten Königreich zur Schule gegangen. Die gebotene Gesamtwürdigung zeige aber, dass der Schwerpunkt der sozialen Beziehung des Schuldners in Deutschland liege. Hier wohne seine Mutter und hier habe der Schuldner auch seine ökonomische Basis; er beziehe von der Deutschen Rentenversicherung eine Rente in Höhe von ca. 400 € sowie Zuwendungen von seiner Mutter. Der Schuldner sei weiterhin der Wirtschaftsprüferkammer Berlin zugehörig, was sowohl im Hinblick auf die Reputation des Schuldners als auch eine mögliche spätere berufliche Tätigkeit nur für Deutschland von Belang sein könne. Die gelegentliche Nutzung eines Büroraumes in Berlin, mit dessen Geschäftsführer der Schuldner befreundet sei, zeige, dass der Schuldner in seinem vormaligen beruflichen Umfeld weiter gut vernetzt sei. Für einen Lebensmittelpunkt des Schuldners in Deutschland zur Zeit der Antragstellung spreche schließlich auch, dass der Insolvenzsachverständige ihn mehrfach unter seiner inländischen Handynummer erreicht habe.

4

2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.

5

a) Gemäß Art. 84 der am 26. Juni 2005 in Kraft getretenen revidierten Fassung der EuInsVO (VO (EU) 2015/848) findet für die Entscheidung über den am 17. Juni 2015 eingegangenen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens die EuInsVO in der vor dem 26. Juni 2017 geltenden Fassung (VO (EG) Nr. 1346/2000) Anwendung.

6

b) Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedsstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Der dabei verwendete Rechtsbegriff des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen ("Center of main Interests", "COMI") ist verordnungsautonom auszulegen. Die Bestimmung erfolgt nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts zu garantieren (BGH, Beschluss vom 2. März 2017 - IX ZB 70/16, NZI 2017, 320 Rn. 9). Bei Kaufleuten, Gewerbetreibenden oder Selbständigen ist an die wirtschaftliche oder gewerbliche Tätigkeit des Schuldners anzuknüpfen (BGH, Beschluss vom 17. September 2009 - IX ZB 51/09, ZInsO 2009, 1955 Rn. 3). Bei abhängig beschäftigten Personen, kann für den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen regelmäßig auf den gewöhnlichen Aufenthalt als tatsächlichen Lebensmittelpunkt abgestellt werden, wo der Schwerpunkt der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beziehungen liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2017, aaO Rn. 10 mwN).

7

c) Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners, für den weder eine selbständige noch eine abhängige Beschäftigung festgestellt werden konnte, verweist nach der rechtsfehlerfreien Würdigung des Landgerichts auf das Inland. Dort hatte der Schuldner nach eigenem Vortrag bis zum Jahr 2010 seinen Lebensmittelpunkt. Seine selbständige Tätigkeit übte er ebenfalls im Inland aus. Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vom Tatrichter vorgenommene Gesamtbewertung, der Schuldner habe auch später den maßgeblichen Interessenmittelpunkt nicht - wie von ihm angegeben - ins Vereinigte Königreich verlegt, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Würdigung des Beschwerdegerichts ist möglich. Zwingend muss sie nicht sein (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2009, aaO Rn. 5).

Kayser     

        

Gehrlein     

        

Lohmann

        

Schoppmeyer     

        

Meyberg