Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 19.04.2018


BGH 19.04.2018 - IX ZB 27/17

Insolvenzverfahren: Sachliche Zuständigkeit bei Antrag des Schuldners auf Neuberechnung des pfändbaren Teils des aus Geld- und Naturalleistungen bestehenden Arbeitseinkommens


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
19.04.2018
Aktenzeichen:
IX ZB 27/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:190418BIXZB27.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Hamburg, 16. Juni 2017, Az: 326 T 70/15vorgehend AG Hamburg, 16. Juni 2015, Az: 67a IN 314/14
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen den Beschluss der 26. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 16. Juni 2017 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag des Schuldners vom 25. März 2015 als unzulässig abgelehnt wird.

Der Schuldner trägt die Kosten der Rechtsbeschwerde.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf bis zu 1.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Über das Vermögen des Schuldners wurde im Jahr 2014 das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zum Treuhänder bestellt. Der Schuldner ist abhängig erwerbstätig. Auf seinen Wunsch wurde der Arbeitgeber nicht unterrichtet; stattdessen errechnet der weitere Beteiligte die pfändbaren Beträge des Einkommens. Er hat hierbei für die Monate Dezember 2014 und Januar 2015 geldwerte Vorteile, die in der Lohnabrechnung für den Schuldner ausgewiesen waren, berücksichtigt. Mit Schreiben vom 25. März 2015 hat der Schuldner beim Insolvenzgericht die Berechnung des pfändbaren Teils seiner Bezüge beanstandet und beantragt, dem weiteren Beteiligten eine Neuberechnung aufzugeben. Dieser ist dem Antrag entgegengetreten. Das Insolvenzgericht hat den Antrag als unbegründet abgelehnt. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Zwar sei schon die funktionale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts fraglich, der Antrag sei aber jedenfalls unbegründet. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen Abänderungsantrag weiter.

II.

2

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 793 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Da das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht (§ 36 Abs. 4 Satz 1 InsO) entschieden hat, bestimmt sich auch der Rechtsmittelzug nach den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2011 - IX ZB 166/11, WuM 2011, 486 Rn. 4; vom 5. Juni 2012 - IX ZB 31/10, NZI 2012, 672 Rn. 3). Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.

3

2. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Das Insolvenzgericht ist nicht zuständig.

4

Die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach § 36 Abs. 4 InsO folgt noch nicht allein aus der Anwendung vollstreckungsrechtlicher Beurteilungsnormen. Voraussetzung ist vielmehr, dass die in Bezug genommenen Vorschriften der Zivilprozessordnung eine Maßnahme oder eine Entscheidung des Vollstreckungsgerichts vorsehen, für welche nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Insolvenzgericht zuständig wird (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - IX ZB 268/09, NZI 2010, 584 Rn. 2 mwN; Urteil vom 3. November 2011 - IX ZR 46/11, NZI 2011, 979 Rn. 14; Beschluss vom 5. Juni 2012 - IX ZB 31/10, NZI 2012, 672 Rn. 6, 12).

5

Die Zusammenrechnung des in Geld zahlbaren Einkommens und der Naturalien obliegt nicht dem Vollstreckungs- oder dem Insolvenzgericht. Einer gerichtlichen Anordnung bedarf es - anders als im Falle der Zusammenrechnung nach § 850 e Nr. 2 ZPO - nicht (BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2012 - IX ZB 7/12, NZI 2013, 98 Rn. 6 mwN). Deshalb kann der Schuldner - was der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat - eine niedrigere Bewertung der Naturalleistungen nur im Wege der Klage vor dem Prozessgericht erreichen, wenn der Drittschuldner bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens Geld- und Naturalleistungen zusammengerechnet hat (BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2012, aaO Rn. 5 ff). Entgegen einer in der Literatur weiterhin vertretenen Ansicht (Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 4. Aufl., § 850e Rn. 48; Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 850e Rn. 26; MünchKomm-ZPO/Smid, 5. Aufl., § 850e Rn. 37; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf/Lorenz, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 6. Aufl., § 850e Rn. 12; Meller-Hannich in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl., § 850e ZPO Rn. 24; Hintzen Rpfleger 2014, 117, 119) besteht für einen klarstellenden Beschluss des Insolvenzgerichts mangels gesetzlicher Grundlage kein Raum/Musielak/Voit/Becker, ZPO, 14. Aufl., § 850e Rn. 14; Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 9. Aufl., § 850e Rn. 55; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 38. Aufl., § 850e Rn. 7).

6

Die Vereinbarung zwischen Schuldner und Treuhänder kann zu keiner anderen Beurteilung der Zuständigkeitsfrage führen. Gemäß § 850e Nr. 3 ZPO hat der Drittschuldner das in Geld zahlbare Einkommen und erhaltene Naturalleistungen zusammenzurechnen, ohne dass es eines ausdrücklichen Beschlusses des Vollstreckungsgerichts bedarf (BeckOK-ZPO/Riedel, § 850e Rn. 49). Dass der Treuhänder hier anstelle des Drittschuldners (auf der Grundlage der von diesem mitgeteilten Daten) den Betrag des pfändbaren Einkommens bestimmt, kann nicht einer Maßnahme oder einer Entscheidung des Vollstreckungsgerichts gleichgestellt werden, die zur Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach § 36 Abs. 4 InsO führte. Ebenso wenig kann dessen Zuständigkeit damit begründet werden, das Änderungsbegehren des Schuldners wende sich nicht gegen den Drittschuldner, sondern gegen den Treuhänder. Auch der Streit zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner über die Massezugehörigkeit von Lohnanteilen kann nur im Wege des Rechtsstreits entschieden werden, weil er keine Vollstreckungshandlung und keine Anordnung des Vollstreckungsgerichts betrifft, wie sie etwa nach den §§ 850b, 850c, 850f und 850i ZPO ergehen kann (BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010, aaO Rn. 2). Für den Rechtsstreit zwischen Schuldner und Treuhänder gilt nichts anderes.

III.

7

Die Rechtsbeschwerde ist daher mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Antrag des Schuldners wegen fehlender Zuständigkeit des Insolvenzgerichts unzulässig und deshalb abzulehnen ist.

Kayser     

      

Gehrlein     

      

Grupp 

      

Schoppmeyer     

      

Meyberg