Entscheidungsdatum: 22.04.2010
Der Schuldnerin wird wegen Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 25. April 2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 25. April 2007 und der Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 22. Januar 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Insolvenzgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstand für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf bis zu 1.500 Euro festgesetzt.
I.
In dem am 30. August 2002 eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahren, in dem der Schuldnerin die Verfahrenskosten gestundet waren, kündigte das Insolvenzgericht dieser am 7. April 2004 die Restschuldbefreiung an, sofern sie ihre Obliegenheiten während der Laufzeit der Abtretungserklärung erfüllte. Zur Überprüfung der Stundungsvoraussetzungen forderte das Gericht die Schuldnerin im September 2005 auf, auf ihre Bemühungen um Arbeitsaufnahme darzulegen. Die Schuldnerin teilte daraufhin unter Vorlage von Attesten mit, wegen einer psychischen Erkrankung nicht arbeitsfähig zu sein. Nach erneuter Aufforderung im November 2006 legte sie einen Arbeitsvertrag mit einem Gebäudereinigungsunternehmen vom 28. September 2006 vor. Danach hatte sie am 1. Oktober 2006 eine Tätigkeit als Raumpflegerin mit wechselnden Arbeitszeiten, die von dem Arbeitgeber bestimmt werden konnten, begonnen. Der Bruttoarbeitslohn betrug 7,87 Euro pro Stunde.
Nach Vorlage dieses Arbeitsvertrags hat das Insolvenzgericht die Stundung der Verfahrenskosten aufgehoben, weil die Schuldnerin keine angemessene Erwerbstätigkeit ausübe und sich auch nicht hinreichend um eine solche Tätigkeit bemüht habe. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts kann die Schuldnerin nicht damit gehört werden, aufgrund ihrer Ausbildung und persönlichen Situation (allein erziehende Mutter von zwei Kindern im Alter von 15 und 18 Jahren mit Hauptschulabschluss ohne weitere Ausbildung) gar nicht in der Lage zu sein, eine Vollzeitstelle zu bekommen, bei der sie ein pfändbares Einkommen erzielen könne. Hierdurch werde sie nicht von ihrer Erwerbsobliegenheit befreit. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Schuldnerin - nach Gewährung von Prozesskostenhilfe - Änderung des Beschlusses über die Aufhebung der Verfahrenskostenstundung.
II.
Der Schuldnerin ist wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 233, 234 Abs. 2, § 575 ZPO).
III.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 4d Abs. 1 InsO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Insolvenzgericht.
Insolvenz- und Beschwerdegericht hätten die der Schuldnerin gewährte Verfahrenskostenstundung nach dem derzeitigen Stand der Sache nicht aufheben dürfen. Danach sind die Voraussetzungen des einzig in Betracht kommenden Aufhebungsgrunds des § 4c Nr. 4 InsO nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift kann das Insolvenzgericht die zuvor gemäß § 4a InsO gewährte Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens aufheben, wenn der Schuldner keine angemessene Erwerbstätigkeit ausübt und, wenn er ohne Beschäftigung ist, sich nicht um eine solche bemüht oder eine zumutbare Tätigkeit ablehnt. Infolge des gesetzlichen Verweises auf § 296 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO ist die Stundung außerdem aufzuheben, wenn der Schuldner über die Erfüllung dieser Obliegenheit auch nach Fristsetzung keine Auskunft erteilt. Unter beiden Gesichtspunkten war die Aufhebung nicht gerechtfertigt.
1. Auf eine Verletzung der Auskunftspflicht hat das Insolvenzgerichts die Aufhebung der Verfahrenskostenstundung nicht gestützt. Es hat zwar ausgeführt, die von der Schuldnerin vorgelegten Unterlagen reichten nicht aus, um von einer angemessenen Erwerbstätigkeit oder hinreichenden Bemühungen um eine solche Beschäftigung auszugehen. Dass die Schuldnerin auf Verlangen des Gerichts Auskunft erteilt hat, steht aber außer Frage.
2. Die Stundung kann der Schuldnerin entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht ohne weiteres entzogen werden, wenn sie nur eine Teilzeittätigkeit ausübt und sich - nach Auffassung des Gerichts - nicht ausreichend darum bemüht, eine Vollzeittätigkeit zu finden (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 14. Januar 2010 - IX ZB 242/06, WM 2010, 426 Rn. 5).
a) Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Stundung der Kosten des Verfahrens nicht schon deshalb aufgehoben werden kann, weil der beschäftigungslose Schuldner sich nicht um eine Beschäftigung bemüht, wenn er nicht in der Lage ist, Einkünfte oberhalb der Pfändungsfreigrenze zu erzielen, und die Befriedigung der Insolvenzgläubiger somit nicht beeinträchtigt ist (BGH, Beschl. v. 22. Oktober 2009 - IX ZB 160/09, NZI 2009, 899). Ebenso wie die Versagung der Restschuldbefreiung wegen Verletzung der in § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO bestimmten Erwerbsobliegenheit setzt auch die Aufhebung der Stundung gemäß § 4c Nr. 4 InsO wegen Verletzung der Erwerbspflicht voraus, dass hierdurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt worden ist (§ 296 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ist der Schuldner aufgrund seiner Ausbildung, seiner Fähigkeiten, einer früheren Erwerbstätigkeit, seines Lebensalters oder seines Gesundheitszustands (vgl. § 1574 Abs. 2 BGB) nicht in der Lage, eine Tätigkeit zu finden, mit der er einen Verdienst erzielt, der zu pfändbaren Einkünften führt, darf ihm die Stundung nicht entzogen werden.
b) Mit diesen Grundsätzen sind die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht zu vereinbaren. Insolvenz- und Beschwerdegericht haben nicht festgestellt, dass die Befriedigungsaussichten der Gläubiger durch nicht ausreichende Bemühungen der Schuldnerin, eine Vollzeittätigkeit zu finden, beeinträchtigt worden sind. Ob die Schuldnerin unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse und der Verhältnisse am Arbeitsmarkt überhaupt in der Lage ist, eine Arbeitsstelle zu finden, bei der sie pfändbare Einkünfte erzielen kann, ist offen geblieben. Auf bloß theoretische, tatsächlich aber unrealistische Möglichkeiten, einen angemessenen Arbeitsplatz zu erlangen, darf ein Schuldner nicht verwiesen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 7. Mai 2009 - IX ZB 133/07, NZI 2009, 482, 483; MünchKomm-InsO/Ehricke, aaO § 295 Rn. 38; FK-InsO/Ahrens, 5. Aufl. § 295 Rn. 29; ebenso für den Bereich des Unterhaltsrechts BGH, Urt. v. 4 Juni 1986 - IVb ZR 45/85, NJW 1986, 3080, 3081 f; v. 1. April 1987 - IVb ZR 133/86, NJW 1987, 2739, 2740).
IV.
Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben, die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO). Da die weiteren Voraussetzungen für eine Aufhebung der Verfahrenskostenstundung bisher aus Rechtsgründen nicht geprüft sind, erfolgte die Zurückweisung analog § 572 Abs. 3 ZPO an das Insolvenzgericht (vgl. BGHZ 160, 176, 185; MünchKomm-InsO/Ganter, aaO § 7 Rn. 106).
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